FAPI-Nachrichten – Das Internet-Magazin für antipsychiatrische Rezensionen. G – K


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zuletzt aktualisiert am 4. Februar 2024

Selajdin Gashi: Schlaflos mit Kleopatra. Mein erster psychotischer Schub und was danach geschah
Selajdin Gashi kann im Urlaub nicht mehr abschalten, er kommt sich überall fremd vor, ist mit seinem Leben unzufrieden, seiner Freundin Sybille teilt er sich nicht mit, seine Sorgen behält er für sich, er grübelt, dann hat er wieder Sex mit ihr, beginnt aber heimlich – immer noch im Urlaub mit ihr – eine Affäre mit einer anderen Frau ("Kleopatra"). "Aber hatte ich eine andere Option?" fragt er sich, als er über sein Fremdgehen und seine Heimlichtuerei schreibt. Seine Schlafprobleme halten an, und irgendwann, zurück aus dem Urlaub, klappt er bei einem Freund zusammen, so dass ihn dieser in die Psychiatrie einweisen lässt. Für den Autor rückblickend alles eine zwangsläufige, nicht zu hinterfragende Entwicklung. Fixierung und Psychopharmaka wirken. Selajdin Gashi entwickelt Krankheitseinsicht, er reflektiert über "die Psychotiker" (direkt oder indem er seine Gedanken seinen Gegenübern in den Mund legt), akzeptiert Neuroleptika als Hilfe, ist überzeugt, dass er sie braucht bis sie wirken, und will sie so lange nehmen, bis er glaubt, sie nicht mehr zu brauchen. Malen soll er und vor allem alles vergessen, so der behandelnde Psychiater, und auch er selbst findet es wichtig, die ganze Geschichte zu vergessen: eine typische Psychiatrie-Erfahrung. Nach seiner Anstaltsentlassung genießt er die wiedergewonnene Freiheit und das Erleben des Augenblicks. Das war's. "Bestechend" und "einfühlsam" sei die Erzählung des Autors, so der Covertext. Und "Was ist eigentlich normal? frage der Autor nach seinen Erfahrungen in der Psychiatrie. Normal, so mein Eindruck nach dem Lesen des Buches, ist offenbar, sich mit allem Möglichen auseinanderzusetzen, auch durchaus eloquent, aber bloß nicht mit den Ursachen der psychischen Probleme, in diesem Fall mit den Gründen für die Schlaflosigkeit. Und bloß nicht zu überlegen, was am eigenen Leben und Verhalten zu ändern ist, damit sie in dieser Vehemenz und mit diesen Folgen und Risiken nicht wieder auftritt. Aber vielleicht hat der Autor diese Gedanken und was danach geschah für sich behalten, wer weiß, und er hatte nie wieder mit Schlaflosigkeit und der Psychiatrie zu tun; aus dem Buch geht hierzu nichts hervor. Nur der Buchtitel sagt, dass es bei diesem einen Mal offenbar nicht geblieben ist. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 173 Seiten, ISBN 978-3-940636-34-8. Neumünster: Paranus Verlag 2015. € 14.95
Peter Lehmann

Max Gawlich: Eine Maschine, die wirkt. Die Elektrokrampftherapie und ihr Apparat, 1938-1950
"Folter wirkt", sagte Donald Trump, um zu begründen, weshalb er Waterboarding wieder zulassen will. "Eine Maschine, die wirkt", betitelte Max Gawlich, der am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg tätig ist, seine als Buch erschienene Dissertation zur Entwicklung von Elektroschockapparaten von 1938 bis 1950. Daran, dass die Apparate mit ihren Elektroschocks wirken, ist wahrlich nicht zu zweifeln. Gawlich benennt die Wirkung "Genesung", da die epileptischen Anfälle nicht nur die Symptome auslöschten, die die Psychiater zur Verabreichung von Elektroschocks veranlassten, sondern, so seine Worte, auch soziales Anpassungsvermögen und Funktionalität fördern. Wenn man die mit zunehmender Anzahl von Elektroschocks einhergehenden Hirnschäden, die oft nur noch ein Leben auf herabgesetztem Niveau möglich machen, als vorübergehend, somit letztlich unwesentlich abtut und die Bewertung der Schäden einzig den Schädigern überlässt, kann man das durchaus so sehen und Elektroschocks als "wirksam, sicher und zuverlässig" bewerten, wie der Historiker Gawlich nachbetet.
Drei Fragen beschäftigten dann Gawlich: Wie dokumentierten Psychiater die Verabreichung ihrer Elektroschocks? Wie waren die Apparate beschaffen? Wie führte man die Behandlung durch? Was das Dokumentieren betrifft, orientiert sich der Autor folgerichtig an den Aufzeichnungen von Psychiatern. Wenn sie den Knopf am Apparat drückten, das Personal die krampfanfallbedingten Muskel- und Knochenschäden zu verhindern versuchten und die Betroffenen ihre Anfälle erlitten, waren Letztere nach Vollzug des Elektroschocks zu nichts mehr in der Lage, die Psychiater konnten in Ruhe dokumentieren. Im Buch sieht man die Diagramme mit Behandlungsdaten, Skalen, Stromstärken, Dauer der Krampfanfälle und für die Anwender äußerlich Sichtbares. Schäden im Gehirn, nicht so leicht sichtbar, bleiben folgerichtig ohne Berücksichtigung, in den Dokumentationen wie auch in Gawlichs Buch.
Im zweiten Kapitel befasste sich Gawlich mit den Apparaten. Gawlich fand heraus, dass es "die Elektrokrampftherapie" nicht gibt und gab, sondern dass eine Entwicklung der Apparate in verschiedenen Ländern auf verschiedenen Stufen stattfand. Ähnliches könnte man über "die Psychopharmakotherapie" sagen, verschiedene Substanzen wurden in verschiedenen Ländern entwickelt. Überraschend ist eine solche Einsicht eigentlich eher nicht.
Im dritten Hauptkapitel befasste sich Gawlich mit der Anwendung der Apparate. Sie sei durch Nichtwissen, aber therapeutischen Vorsatz geprägt gewesen. Dem kann man zustimmen, wenn man ignoriert, dass Psychiater vorsätzlich Hirnzellen zerstören wollten, was sie in ihren Fachschriften publizierten, und wenn man Autopsieberichte jener Jahre sowie die Kenntnisse ignoriert, die an Versuchen mit Hunden und Affen gemacht wurden und die kritische Neurologen und Psychiater wie John Friedberg bzw. Peter Breggin (beide bleiben in Gawlichs Buch unerwähnt) zur Grundlage ihrer Kritik an der Verabreichung von Elektroschocks machten: über das gesamte Gehirn verteilte kleine Blutungen und Zellzerstörungen, da bei den Stromstößen durch das Gehirn die Blut-Hirn-Schranke zusammenbricht und Blut ins Gehirn übertritt. Aber, wie gesagt, solche Ausführungen findet man in Gawlichs Buch nicht, es ist eher für Liebhaber von Elektroschockapparaten und deren Anwendung geschrieben, die mit dem behaupteten Nichtwissen der Wirkungsweise von Elektroschocks die Öffentlichkeit, die Patienten und deren Angehörige bis heute hinters Licht führen wollen. Dieser Strategie ist Gawlich trotz seiner beachtlichen, aber leider einseitigen Quellenstudien offenbar auf den Leim gegangen.
Mit den nicht übersetzten englischen und französischen Zitaten erfährt das Werk eine zusätzliche Einschränkung. Gebunden, 378 Seiten, 7 Tabellen, 41 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-506-78736-1. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2018. € 59.–
Peter Lehmann

Monika Gerlinghoff: Magersucht und Bulimie – Innenansichten. Heilungswege aus der Sicht Betroffener und einer Therapeutin
Betroffene Frauen berichten den Anfang, den Verlauf und die Psychotherapie ihrer Essstörungen. Neben den beteiligten Eltern erläutert die Autorin, eine Psychiaterin und Psychotherapeutin des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München, ihren psychotherapeutischen Ansatz. Angesichts der Brisanz von Magersucht und angesichts des nichtbiologischen Erklärungs- und Therapieansatzes sollte man sich von der psychiatrischen Ausbildung und Sprache der Autorin nicht zurückschrecken lassen. Kartoniert, 212 Seiten, ISBN 3-7904-0642-2. München: Pfeiffer Verlag 1996. DM 36.–
Peter Lehmann

Monika Gerlinghoff / Herbert Backmund: »Is(s) was?!« Ess-Störungen – Wann sollten sich Eltern Sorgen machen? Wie Eltern und Fachleute helfen können
In einem trendmäßig mit vielen bunten Bildern versehenen Buch sorgen sich Dr. med. Monika Gerlinghoff und Dr. med. Herbert Backmund vom Therapie-Centrum für Ess-Störungen in München um die vielen essgestörten Kinder in Deutschland. Sie erläutern Ess-Störungen wie Magersucht und Bulimie (Ess-Brechsucht), Übergewicht und Adipositas, erklären den Body-Maß-Index und die verschiedenen Krankheitssymptome. Dem Kapitel über Ursachen von Ess-Störungen und medizinischen Komplikationen folgt die Darstellung von Behandlungsmöglichkeiten: für die beiden Autoren sind dies psychotherapeutische Herangehensweisen (Gruppentherapie, Esstraining). Fast die Hälfte des Buches nehmen Berichte von Betroffenen darüber ein, wie sie Ess-Störungen, Erziehungsmaßnahmen und therapeutische Bemühungen erlebten. Eine subjektive Symptomliste gibt einen schnellen Überblick über auffällige Verhaltensweisen. Zum Schluss kommen Eltern zu Wort, die mit ihren Berichten aufzeigen sollen, wie sie ihren Kindern – in aller Regel Mädchen – helfen können, die Ess-Störungen zu überwinden. Fazit: Angesichts der möglicherweise lebensbedrohlichen Ausmaße von Ess-Störungen ein Buch, das dazu beitragen kann, Leben zu retten. Übersichtlich, leicht verständlich, empfehlenswert – allerdings nur für von Magersucht und Bulimie Betroffene. Behandlungsmöglichkeiten von Kindern – insbesondere Jungen – , die zu viel und zu fett essen und im Wesentlichen deshalb übergewichtig werden, spielen im weiteren Verlauf des Buches keine Rolle. Kartoniert, 128 Seiten, viele bunte Bilder, ISBN 978-3-407-22511-5. Weinheim: Beltz Verlag 2011. € 12.95
Peter Lehmann

Ines Giese: Die Steinaxt oder Berta von der Solvang rettet die Welt
Nach Heide Olbrich-Müller Buch "Ist die Welt denn noch zu retten – Mein Leben mit Psychosen" (2015) will schon wieder eine Autorin, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen ist, die Welt retten. An sich ist die Weltrettung doch eine Domäne für Männer auf Höhenflug; ob dies etwas zu tun hat mit dem seinerzeitigen Anspruch auf Gleichberechtigung von Frauen im postulierten Sozialismus? Sei's drum, Ines Giese gerät in die Krise, nachdem sie nach Mobbing ihre Stelle im Freizeitbad verliert. Im Versuch, die Krise schreibend zu bewältigen, gerät sie in einen Schreibrausch, der sie in die Psychiatrie in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) führt. Fixierung, Psychopharmaka, Aussetzung der Zwangsunterbringung und danach Verweigerung der weiteren Einnahme von Psychopharmaka folgen. Auf wundersame Weise findet sie einen Verlag, der sich für ihre Geschichte interessiert und für ihr Buchprojekt begeistert. Dort beschreibt sie alles, was sie denkt, sieht und tut, haargenau und ausführlich, sei es ihre Email-Korrespondenz, ihre Facebook-Konversation, ihre Auseinandersetzungen mit ihrer Tochter, ihre nachträgliche und vergebliche Beschwerde über Mobbing und Arbeitsplatzverlust, ihren Flohmarktverkauf in Zinnowitz, ihren Kater, ihren Bekannten – den "Dicken", mit dem sie herumzieht. Am Schluss bescheinigt ihr ihre Psychiaterin die Rückkehr der Fahrtüchtigkeit, die Tochter redet wieder mit ihr, das Buch ist fertig. Die Welt ist gerettet. Eine Steinaxt hat sie übrigens mal auf einem Acker gefunden und dann einem lieben Menschen geschenkt. Und wer Berta von Solvang ist, müssen die Leser und Leserinnen selbst herausfinden. Kartoniert, 6 Abbildungen, 4 Faksimiles, 390 Seiten, ISBN 978-3-9817655-2-6. Greifswald: Karl-Lappe-Verlag 2016. € 19.80
Peter Lehmann

Josef Giger-Bütler: »Wir schaffen es« – Leben mit depressiven Menschen
Nach »›Sie haben es doch gut gemeint‹ – Depression und Familie« (2003), »›Endlich frei‹ – Schritte aus der Depression« (2007), »›Jetzt geht es um mich‹. Die Depression besiegen – Anleitung zur Selbsthilfe« (2010) und »Depression ist keine Krankheit – Neue Wege, sich selbst zu befreien« (2012) legt der in Luzern niedergelassene Psychotherapeut Josef Giger-Bütler mit »Wir schaffen es – Leben mit depressiven Menschen« ein Buch für Partner und Angehörige depressiver Menschen nach. Ziel des Buches ist es zu vermitteln, wie Partner und Angehörige ihre depressiven Nächsten wirksam unterstützen können, ohne sich dabei selbst zu verausgaben, ohne zu verzweifeln, sich von ihren depressiven Nächsten abzuwenden und verbittert und grollend das eigene Leben weiterzuleben. In elf Kapiteln, unterlegt mit Fallbeispielen und Checklisten, die allerdings eher Listen mit Appellen sind, plädiert Giger-Bütler unentwegt darauf, Verständnis für die depressiven Nächsten zu entwickeln, ohne Druck und Schuldgefühle vorzugehen, das zu tun, was dem depressiven Nächsten Kraft, Zufriedenheit und Ruhe vermittelt, eigene Überforderung zu vermeiden, ihn zu ermutigen, auf sich zu hören, ihn zu unterstützen, wo er Schritte unternimmt, um sich wichtig zu nehmen und für sich zu sorgen. Nur in diesem Rahmen könne es dem depressiven Nächsten gelingen, sich von seiner Überforderung zu lösen und sich schrittweise aus der Depression zu befreien. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 239 Seiten, ISBN 978-3-407-85992-1. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2014. € 19.95
Peter Lehmann

Josef Giger-Bütler: Depression ist keine Krankheit – Neue Wege, sich selbst zu befreien
In neun Kapiteln begründet der Autor, ein niedergelassener Psychotherapeut aus Luzern, seine Sichtweise von Depressionen. Nur weil die Betroffenen massiv leiden, sei es falsch, Depression als Krankheit anzusehen, für die dann Ärzte und Psychopharmaka zuständig sein sollen. Depressionen seien demgegenüber als Ergebnis eines falsch gelernten und damit falsch gelebtes Lebens zu betrachten, das es zu ändern gelte. Depressionen seien verstehbar als Ergebnisse eigener Überforderung, und zuständig zu ihrer Überwindung seien die Betroffenen selbst, und wenn sie es nicht alleine schaffen, könnte psychotherapeutische Hilfe den Ausstieg aus Depressionen unterstützen. Zusätzlich zum bloßen Verständnis von Ursache, Verlauf und Ausstieg von Depressionen seien klare und umsetzbare Schritte, die nicht überfordern, die nicht als Patentrezept zu verstehen und die im Bereich des Leistbaren anzusiedeln sind und Zeit brauchen. Wer noch Zweifel hat, diesen Weg zum Ausstieg aus seiner Depression zu beschreiten, dem sei dieses Buch mit Nachdruck ans Herz gelegt. Gebunden, 214 Seiten, ISBN 978-3-407-85940-2. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2012. € 19.95
Peter Lehmann

Josef Giger-Bütler: »Sie haben es doch gut gemeint« – Depression und Familie
Die Pharmaindustrie, die mit ihr liierte biologische Psychiatrie und alle, die Normalität für etwas Erstrebenswertes halten, werden dieses Buch hassen. Depressive Menschen und solche, die ihnen beistehen wollen, finden dagegen hier erstmals plausible Erklärungen, wie aus normalen Lebensverhältnissen und all den Zwängen und Rücksichtslosigkeiten, die mit diesen verbunden ist, depressive Reaktionsmuster entstehen. Ein außergewöhnliches Buch, da der Autor nicht mit Schuldzuweisungen an Menschen mit Depressionen oder abnorme Familien arbeitet, sondern die Entwicklungsmuster für depressive Reaktionsformen, latente sowie manifeste Depressionen, in der Normalität selbst aufspürt. Wenn Depressionen schließlich manifest, nicht mehr zu verheimlichen geworden sind, bieten sie für Giger-Bütler immerhin die Chance, Wege aus der ständigen Überforderung zu finden, sofern man es nicht dabei belässt, mit Antidepressiva bloße Symptomunterdrückung zu betreiben und damit die innere Dynamik der Depression zu verschleiern oder gar den Boden für paradoxe Reaktionen, zum Beispiel Manien, zu bereiten. Das unbedingt empfehlenswerte Buch endet mit dem Kapitel "Wege aus der manifesten Depression" und der Empfehlung an Betroffene, anzuhalten, innezuhalten, sich zu erholen, evtl. mit therapeutischer Hilfe zu erkennen, wie und wo und wann man sich überfordert und was man selbst tun kann und muss, um aus dem Kreislauf von Überforderung auszubrechen und eine Veränderung zum Besseren zu bewirken. Gebunden mit Schutzumschlag, 244 Seiten, Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 3. Auflage 2008. € 17.90
Peter Lehmann

Josef Giger-Bütler: »Endlich frei« – Schritte aus der Depression
Der Psychotherapeut Giger-Bütler beschreibt, wie der Ausstieg gelingen kann aus der Depression, die meist mit Erschöpfung einhergeht, und benennt die Schritte, anhand derer depressive Menschen wieder zu sich selbst finden und die Depression hinter sich lassen können. Man muss sich nicht ständig verausgaben bis zur Erschöpfung, es gibt ein anderes Leben, auch wenn man schon lange keine Hoffnung mehr hat! Seine zentrale Botschaft wiederholt er immer wieder. Erkennen und Annehmen der Müdigkeit sind der Anfang der Selbsterkenntnis, des Sichverstehens und damit der erste Schritt zur Veränderung. Verstanden werden möchte auch die Brüchigkeit, die sozialisationsbedingt ist und zu wenig Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, was wiederum einen Kreislauf von Überforderung nach sich zieht und zur Bildung einer depressiven Persönlichkeit führt, insbesondere in Zeiten von familiären Krisen und steigenden Anforderungen im Erwachsenenleben. Im zweiten Teil des Buches zeigt der Autor dann Wege aus der Depression auf; nicht Patentrezepte, sondern entscheidende Verhaltensmuster, kleine Schritte auf dem Weg zur Veränderung, entscheidende Aspekte. Welche? Lesen Sie selbst, ich kann dieses Buch ohne jeglichen Vorbehalt empfehlen! Gebunden mit Schutzumschlag, 330 Seiten, ISBN 978-3-407-85769-9. Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 3. Auflage 2009. € 19.90
Peter Lehmann

Josef Giger-Bütler: »Jetzt geht es um mich«. Die Depression besiegen – Anleitung zur Selbsthilfe
Selbsthilfe-Ratgeber für Leute, die therapeutische Hilfe ablehnen und nach vielen Rückschlägen doch noch versuchen wollen, alleine den Ausweg aus Depressionen zu finden: mit kleinen, an den eigenen Interessen orientierten Schritten das Fundament des neuen Lebens zu schaffen. Hierzu wiederholt der Autor wieder und wieder Lehrsätze, die sich die Leser einprägen sollen. Ich will dies, ich will das, ich bin mein eigener Herr und Meister, ich will gut zu mir sein, fast jeder Satz fängt mit "ich" an. Diese persönlichen Formulierungen sollen wie Merksätze zu dem A und O des erfolgreichen Aussitzens aus der Depression und ihn auf dem Weg der Veränderung begleiten. Er soll lernen, dass nur er es ist, der die Vorgaben setzt für das, was zu tun ist. Im Dialog mit sich selbst, so die Anleitung, die Giger-Bütler gibt, soll sich der Leser immer wieder bewusst werden, dass es um ihn geht bzw. um sie, die Leserin. "Mache, was du willst und kannst.". Kleine Schritte, immer wieder, immer wieder, immer wieder. Tausendmal besser als immer wieder ein Antidepressivum, und noch ein Antidepressivum, und noch ein Antidepressivum. Eine kleine kritische Randnotiz soll allerdings nicht fehlen: Der Psychotherapeut Giger-Bütler beschäftigt sich im Buch nur mit psychosozial bedingten Depressionen, ohne dies jedoch explizit deutlich zu machen. Es gibt jedoch auch eine Vielzahl körperlich bedingter Depressionen, bei denen es sinnvoller ist, sich an die Behebung der physiologischen Ursachen – sofern möglich – zu machen, zum Beispiel zerebralvaskuläre Erkrankungen (Tumore, Parkinson), Infektionen wie AIDS oder Hepatitis, endokrinologische Störungen wie Morbus Cushing, Dehydration, pharmakologisch induzierte Depressionen zum Beispiel bei Tuberkulostatika, blutdrucksenkenden Mitteln wie Betablocker, Chemotherapeutika, speziellen Antibabypillen, Substanzen zur Behandlung von Nikotinabhängigkeit wie Vareniclin (Markenname Champix), weiterhin Benzodiazepine, Antiepileptika, Antidepressiva und insbesondere Neuroleptika. In einer Folgeauflage sollte dieser Tatbestand nicht unerwähnt bleiben. Gebunden, 249 Seiten, ISBN 978-3-407-85889-4. Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 2. Auflage 2011. € 19.95
Peter Lehmann

David Gilbert: Die Normalen. Roman
Sehr am US-amerikanischen Leben orientierter Roman. Baseball, Fernsehprediger und alles mögliche zutiefst Amerikanische bilden die Zutaten einer Geschichte, bei der es um Tests mit antipsychotischen Substanzen gehen soll. Zwar werden Muskelstörungen, Sabbern usw. als möglicherweise zu erwartende Symptome angekündigt, doch man wartet vergeblich auf die Schilderung von (fiktiven) Fakten, wenig verwunderlich bei einer an Recherchegenauigkeit etwas zu wünschen übrig lassenden Erzählung: Was bitteschön sollen "atypische Psychopharmaka" sein? Oder war dem Autor oder Übersetzer die Verwendung des Begriffs Neuroleptika, um die es wohl gehen soll, zu fachspezifisch? Egal, die ganzen Tests bilden eh nur die Kulisse für alle möglichen mehr oder – für mich – weniger interessanten Umtriebe einiger der Testpersonen. "Was hinter den geschlossenen Türen dieses Labors stattfindet und was das über Herz und Verstand von Menschen unserer Zeit aussagt, ist so unerwartet erschütternd wie tragikomisch, eine perfekte Allegorie unserer Tage, unser Catch 22 der Jahrtausendwende, eine meisterliche Schilderung unseres kulturellen Wirrwarrs". Damit ist wohl die öde US-amerikanische Durchschnittskultur gemeint. Wer sich dafür interessiert, wird in dem Buch fündig. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Gebunden, 400 Seiten, ISBN 3-8218-5735-8. Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2005. € 22.90
Peter Lehmann

Pascal Gmür / Helga Kessler: Wege aus der Depression. Ratgeber für Betroffene und Angehörige
Alle wesentlichen Depressionsprobleme scheinen nach diesem (Mach-)Werk daher zu kommen, dass die Betroffenen nicht rechtzeitig Antidepressiva oder Elektroschocks bekommen haben. Kritische Worte über Risiken dieser Behandlungsmethoden fehlen, dafür wimmelt es im Buch derart von psychiatrischen Banalitäten, dass sich der Verdacht einschleicht, dass der Text direkt aus der Feder der Werbeabteilung einer Pharmafirma stammt. O-Ton Eva H., ein Beispiel von vielen: »Der Psychiater konnte nicht verstehen, warum ich nicht schon früher Psychopharmaka bekommen hatte. (...) Es würde mich nicht belasten, wenn ich das Psychopharmakon mein ganzes Leben lang schlucken müsste«. Wohl bekomm's. Buch mit DVD. Kart., 206 S., ISBN 3-85569-258-0. Zürich: Beobachter Buchverlag 2002. sFr 53.90
Peter Lehmann

Harald Görlich: Was Lebenskünstler richtig machen – von Achtsamkeit bis Zufriedenheit
Aufmerksam auf die Paperback-Ausgabe wurde ich durch den Titel »Was Lebenskünstler richtig machen«. Verspricht doch der Titel den Spagat vom historischen bis zum heutigen Begriff des »Lebenskünstlers«. Der Autor ist Professor Dr. phil. Harald Görlich, Direktor eines Lehrerseminars für Gymnasien und berufliche Schulen, Lehrbeauftragter an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, Systemischer Coach mit Schwerpunkt Gesundheitscoaching, Trainer für Autogenes Training und Progressive Muskelrelaxation sowie Mediator. Laut Wikipedia wurde bereits in der Antike der Begriff Ars vivendi (›die Kunst zu leben‹ bzw. frei übersetzt ›die Kunst des Lebens‹) gebraucht. Zentrale Begriffe waren Glück (eudaimonia) Selbstsorge, Tugend und Askese. Schon damals gab es eine Spaltung zwischen philosophischer (theoretischer) und praktischer Lebensführung. In neuerer Zeit stehen Vorstellungen von Lebenskunst oft in engem Zusammenhang mit Humanismus und Aufklärung. Gerd B. Achenbach setzt dem Begriff der »Lebenskönnerschaft« entgegen und versteht darunter eine lebenskluge Form der Lebensführung, die nicht nur die leichte Oberflächigkeit des schönen Scheins sucht, sondern sich auch in den schweren Stunden der Existenz bewährt und dem Leben zudem Tiefe und Gewicht verleiht. Laut Francoise Gilot, einer der vielen Lebensgefährtinnen von Pablo Picasso, soll Picasso des Status des Künstlers durch das Überwinden der größtmöglichen Barrieren definiert haben. Das Buch hat 313 Seiten, ein Geleitwort von Prof. Dr. Jörg Fengler, em. Professor der Psychologie der Universität zu Köln, hat 27 Kapitel und ein Schlusswort des Autors. Görlich hat die 27 Kapitel durch die Abschnitte »Die Geschichte«, »Tatsachen, Reflexionen, Anregungen« und »Zum Schluss ein Witzchen, ein Aphorismus oder sonst ein kluger Spruch« unterteilt. Diese einfache Matrix macht das Buch auch für Nichtakademiker lesbar. Innerhalb von 8 Tagen habe ich es Seite um Seite gelesen, ohne es wie der Autor es empfiehlt, als Ratgeber zu benutzen. Laut Verlag fordert er vom Leser Geduld, Ausdauer, Selbstdisziplin und ein Arbeiten an eigenen Entwicklungsmöglichkeiten. Es soll anregen, eigene Glücksquellen zu finden und zu nutzen, und das in einem ganz besonderen ABC (26 Kapitel) der wichtigsten Begriffe der Lebenskunst. Es soll Anstöße der Selbstreflexion geben und dieses auf der Basis der langjährigen Erfahrungen aus Beratungs- und Seminarpraxis des Autors. Mein Fazit: Das Buch ist leicht verstehbar, einfach gegliedert, hat eine leichte Sprache und ist geeignet für Menschen, die mit der Sinnfrage des Lebens kämpfen. Für Menschen jedoch, die nach Abraham Maslow, einem dem Gründungsväter der humanistischen Psychologe, auf der untersten Stufe der Bedürfnispyramide stehen, ist es Buch nicht geeignet. Es hat weder theoretisch noch praktisch etwas zu tun mit Lebenskünstlern, auch nichts mit Selbstverwirklichung, könnte aber – gerade vor dem Hintergrund einfacher Lebenskonzeptionen – als Anregung für Gespräche und Diskussionen mit diesen Menschen herhalten. Kartoniert, 313 Seiten, ISBN 978-3-7945-3213-1. Stuttgart: Schattauer Verlag 2017, € 19.99
Franz-Josef Wagner

Heinz-Wilhelm Gößling: Besser schlafen mit Selbsthypnose – Das Fünf-Wochen-Programm für Aufgeweckte
Das Buch des Psychiaters Heinz-Wilhelm Gößling aus Hannover will dazu beitragen, dass aus Schlafproblemen, unter denen viele Menschen leiden, keine Schlafstörungen werden. Gößling nennt eine ganze Reihe von Ursachen von Schlafproblemen; Psychopharmaka und Entzugserscheinungen sind allerdings nicht darunter. Nichtsdestotrotz können die von ihm genannten Übungen gemäß seiner Empfehlung in Absprache mit dem behandelnden Arzt als unterstützende Maßhinzugezogen werden, man kann sie aber auch selbstständig praktizieren. Schlafprobleme soll man mit einer Reihe von Maßnahmen angehen, natürlich vernünftiger Ernährung, Verzicht auf aufputschende Getränke, mit diversen Verhaltensänderungen und Maßnahmen zum Stressabbau, auch durch Selbsthypnose. Diese beginnt damit, meditativ die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte innere Vorstellung oder auf eine bestimmte Bewegung lenken, dadurch gehe das Gehirn in einen besonders lernfähigen Zustand über. Das mit neurophysiologischen Ausführungen untermauerte Programm gliedert sich in fünf wöchentliche Schritte (Kreisende Gedanken abschalten / Biorhythmus nutzen / Inneres Konto ins Plus bringen / Mit Selbsthypnose mehr Tiefschlaf finden / Mit Aktiv-Wach-Selbsthypnose am Tag den nächtlichen Traumschlaf verbessern). Interessenten, die Internetzugang haben, können sich über die Internetseite www.besserschlafenmitselbsthypnose.de von Heinz-Wilhelm Gößling teils gratis ("Liegestuhl am Strand"), teils gegen gute Bezahlung ("Bedingungslose Selbstakzeptanz" u.v.m.) als MP3-Dateien herunterladen. Ich habe allerdings die Art der Artikulation, bei fast jedem zweiten Wort mit der Stimme hochzugehen, als ausgesprochen nervig empfunden. Beschränkt man sich auf das Buch, tritt das Problem natürlich nicht auf. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 143 Seiten, ISBN 978-3-8497-0084-3. Heidelberg: Carl Auer Verlag 2015. € 17.95
Peter Lehmann

Peter C. Gøtzsche: Gute Medizin, schlechte Medizin – Wie Sie sinnvolle Therapien von unnötigen und schädlichen unterscheiden lernen
Peter Gøtzsche ist ein dänischer Medizinforscher, Autor von "Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität" (2014) sowie "Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen" (2016) und Gründer der nordischen Cochrane Collaboration, einem internationalen Netz von Wissenschaftlern und Ärzten, die systematische Übersichtsarbeiten zur Bewertung von medizinischen Therapien erstellen. Da viele Pharmaunternehmen, insbesondere Hersteller von Psychopharmaka, eine neutrale Bewertung ihrer Produkte fürchten, sorgten sie dafür, dass Gøtzsche im Frühherbst 2018 aus der Cochrane Collaboration ausgeschlossen wurde. Ä,rgern werden sie sich auch über sein neues Buch; damit schuf er eine Grundlage für Patientinnen und Patienten, damit diese sich ein eigenes Urteil über die vielen und oft widersprüchlichen Informationen zu Vorsorgeuntersuchungen, Diagnosen und Therapien im gesamten medizinischen inkl. psychiatrischen Bereich bilden können. Unvoreingenommen, industrieunabhängig und streng naturwissenschatlich orientiert untersucht Gøtzsche hier den therapeutischen Wirkungsgrad von Medikamenten gegen Infektionen, Schmerzzustände, Herz-Kreislauf-Störungen, Krebserkrankungen und Verdauungsstörungen sowie psychische Probleme und altersbedingte Abbauprozesse. Er zeigt, worauf man achten muss, wenn man sich selbst ein Urteil bilden will über publizierte Studien, wo man brauchbare Informationen findet und welche Tests nötig, überflüssig oder schädlich sind. Kein gutes Haar lässt er auch an Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium, sogenannten Stimmungsstabilisatoren und Substanzen gegen "ADHS". Und besonders kritisch steht er der Alternativmedizin (Reflexzonentherapie, Akupunktur, Kraniosakraltherapie, Homöopathie usw.) gegenüber, da diese sich in Wirksamkeitsstudien als komplett unwirksam erwiesen hätten. Das Buch ist hoch informativ, ausgesprochen gut zu verstehen und außerdem unterhaltsam, da die Aussagen mit vielen Anektoden veranschaulicht sind. Es ersetzt keine eigene Entscheidung, ob und wie man sich behandeln lassen will, liefert aber vernunftbasierte Informationen, so dass man sie um einiges leichter und verantwortungsvoller treffen kann. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 352 Seiten, ISBN 978-3-7423-0440-7. München: Riva Verlag 2018. € 24.99
Peter Lehmann

Peter C. Gøtzsche: Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen – Wie Ärzte und Pharmaindustrie die Gesundheit der Patienten vorsätzlich aufs Spiel setzen
Der dänische Internist Peter Gøtzsche hat nach "Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität" ein neues Buch geschrieben. 2015 erschien es original in englischer Sprache, jetzt in deutscher Übersetzung. Es befasst sich mit den Folgen der Anwendung schädlicher Psychopharmaka und ihrem fragwürdigen Nutzen: Jährlich würden in den USA und in Europa über eine halbe Million Menschen im Alter von 65 und darüber an ihren Folgen sterben, insgesamt stellten die Psychopharmaka die dritthäufigste Todesursache dar nach Herzkrankheiten und Krebs, in 98% aller Fälle solle man besser auf sie verzichten. In seinem mit 18 Kapiteln übersichtlich strukturierten Buch greift Gøtzsche die Mainstreampsychiatrie massiv an: Deren Anführer seien oft von der Pharmaindustrie gekauft. Diagnosen dienten zur Absatzsteigerung von Psychopharmaka. Neuere Antidepressiva vom Typ der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wären toxisch, wirkten nicht besser als Placebos, oft suizidal und homizidal (das heißsie fördern auch die Tötung anderer Menschen), Wirksamkeitsstudien seien in betrügerischer Art manipuliert und gefälscht. ADHS sei keine Krankheit, sondern lediglich die Medizinalisierung sich störend verhaltender Kinder; ADHS-Medikamente seien gefährlich und sollten vom Markt genommen werden. Neuere Neuroleptika wären nicht minder schlecht als ältere, manchmal noch schlimmer und mitursächlich für die hohen Todeszahlen; die Chance zu genesen sei ohne Psychopharmaka besser als mit. Die Absatzzahlen von Psychopharmaka bei der Diagnose "bipolar" explodierten in manchen Staaten. Anti-Demenz-Medikamente seien nutzlos, dafür gesundheitsschädlich. Elektroschocks seien primitiv, unspezifisch, schädlich für das Gehirn. Bei psychischen Problemen sei Zuwendung hilfreich, Psychotherapie, Bewegung usw. Psychopharmaka würden nur zu körperlichen Störungen führen und abhängig machen, insbesondere Benzodiazepine und Antidepressiva. Bestechung und illegale Vermarktung seien mitverantwortlich für die Arzneimittelepidemie. Zwangsbehandlung müsse verboten werden, wie sich dies auch aus der UN-Konvention über die Rechte der Menschen von Behinderungen ergebe. Den Schluss des Buches bilden Ratschläge für Patienten und Ärzte, wie sie zu einer besseren und menschlicheren Psychiatrie beitragen könnten. Eingangs wies ich darauf hin, dass es sich um eine Übersetzung ins Deutsche handelt. Also beziehen sich die meisten Aussagen auf Vorgänge im englischen Sprachraum; an sich kein Problem, Zyprexa wirkt dort nicht minder schädlich wie hierzulande. Unangenehm fällt lediglich auf, dass als Informationsquellen am Ende des Buches bis auf eine Ausnahme lediglich englischsprachige Webseiten genannt werden. Hier wäre etwas Sorgfalt von Seiten des Verlags angebracht gewesen. Spätestens in einer zweiten Auflage sollte dieser Mangel beseitigt werden. Fazit: Ein ausgesprochen empfehlenswertes Buch. Gøtzsche nennt die Psychopharmaka, Psychiater und Pharmafirmen beim Namen, all seine Aussagen belegt er sorgfältig. Wer kritische und fundierte Informationen sucht zu Psychopharmaka, wird in diesem Buch fündig. Als Ergebnis der Lektüre habe ich Peter Gøtzsche eingeladen, an einem Symposium über Maßnahmen gegen die katastrophale Frühsterblichkeit psychiatrischer Patienten teilzunehmen, das ich gemeinsam mit Salam Gómez, dem Co-Vorsitzenden des Weltnetzwerks von Psychiatriebetroffenen, bei der Konferenz des psychiatrischen Weltverbands im November 2017 in Berlin anbieten will. Ich freue mich, dass Peter Gøtzsche seine Teilnahme spontan zugesagt hat, und hoffe, dass es der Pharmamafia und ihren Mitläufern nicht gelingt, unser Symposium zu verhindern. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 431 Seiten plus 8 Seiten mit farbigen Hochglanzfotos, ISBN 978-3-86883-756-8. München: Riva Verlag 2016. € 24.99
Peter Lehmann

Peter C. Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität – Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert
Gøtzsche ist Facharzt für innere Medizin, war 1993 Mitbegründer der Cochrane Collaboration, einem – an den Grundsätzen der sogenannten evidenzbasierten (empirisch in ihrer Wirksamkeit nachgewiesenen) Medizin orientierten – internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten. Er hat viele Jahre für Pharmaunternehmen klinische Studien durchgeführt und wurde 2010 an der Universität Kopenhagen zum Professor für klinisches Forschungsdesign und Analyse ernannt. 2014 wurde sein Buch "Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität" in deutscher Übersetzung publiziert, original erschien es 2013 in englischer Sprache. Es ist unbedingt lesenswert. In 22 Kapiteln weist der Autor die Ähnlichkeit zwischen der Pharmaindustrie und dem organisierten Verbrechen nach: Beide verdienen unwahrscheinlich viel Geld (auch es im Fall der Pharmaindustrie gelegentlich zu Milliardenstrafen kommt), gehen über Leichen (unerwünschte Pharmawirkungen sind nach Krebs und Herzerkrankungen die dritthäufigste Todesursache) und bestechen einflussreiche Politiker und andere Meinungsführer. Konkret befasst Gözsche sich mit dem Zwielicht von Marketing und Forschung in der Medizin (Psychiatrie inklusive), Interessenskonflikten medizinischer Fachzeitschriften, gekauften Meinungsmachern, Ghostwritern, unzureichender Arzneimittelüberwachung, Einschüchterung, Manipulation von Patienten- und Familienorganisationen, Manipulation von Journalisten etc. Zwei Kapitel betreffen die Psychiatrie, das "Paradies der Pharmaindustrie", mit ihrem Schwindel vom chemischen Ungleichgewicht, mit dem Vertuschen unerwünschter Wirkungen wie beispielsweise suizidalen Psychopharmaka-Wirkungen u.v.m. Die Beispiele und Zahlen, die Gøtzsche nennt, sind drastisch, nachgewiesen, aussagekräftig. Beispiel Zyprexa. Er schätzt, "... dass 200.000 der 20 Millionen mit Zyprexa behandelten Patienten an den unerwünschten Wirkungen des Medikaments gestorben sind. Besonders traurig daran ist, dass viele dieser Patienten nie mit Zyprexa hätten behandelt werden müssen. Da Zyprexa nicht das einzige Medikament ist, muss die Zahl der Opfer noch höher sein." Das Buch ist hochinteressant für alle, die noch von einer ständigen Verbesserung der medizinischen (inklusive psychosozialen) Versorgung ausgehen und an verantwortungsbewusstes Handeln medizinischer (inklusive psychiatrischer) Standesorganisationen, Gesundheitsverwaltungen und politischer Entscheidungsträger glauben, jedoch mutig genug sind, den von Gøtzsche dargelegten Fakten ins Auge zu blicken. Das Buch schließt mit Vorschlägen, wie das Gesundheitssystem revolutioniert werden könnte im Sinne der Patientensicherheit und finanziellen Vernunft. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 512 Seiten, ISBN 978-3-86883-438-3. München: Riva Verlag, 3. Auflage 2016. € 24.99
Peter Lehmann

Colin Goldner: Psycho. Therapie zwischen Seriosität und Scharlatanerie
Kritische und bissige Auseinandersetzung mit den geläufigsten Verfahren esoterisch-spiritueller Lebenshilfe. Goldner zeigt anschaulich die teilweise haarsträubenden und erzreaktionären theoretischen Hintergründe der einzelnen Therapiemethoden auf. Die Kritik mancher Methoden, z.B. der Homöopathie, als unwissenschaftlich, da nicht naturwissenschaftlich beweisbar, lässt einen Beigeschmack zurück: Ist wirklich nur das wirklich, was messbar ist? Insgesamt jedoch ein hochunterhaltsames Buch, angesichts der Materialfülle auch extrem preiswert. Kart., 424 S., Augsburg: Pattloch Verlag 1997. DM 29.80
Peter Lehmann

Colin Goldner (Hg.): Der Wille zum Schicksal. Die Heilslehre des Bert Hellinger
Ein längst überfälliges Buch zu dem therapeutischen Treiben des Bert Hellinger, mit seiner Methode des »Familienstellens« – wie lange noch? – der Star unter den Psychotherapeuten. Kritisch hinterfragt werden das Verfahren selbst, seine Versprechungen, die Risiken, die Anbieter, die Konsumenten, das dahinterstehende Weltbild und die zentrale Figur der Szene: Ex-Ordenspriester Bert Hellinger. Mit Beiträgen von Ingo Heinemann, Micha Hilgers, Heiner Keupp, Claudia Kierspe-Goldner, Beate Lakotta, Ursula Nuber, Jörg Schlee, Fritz B. Simon, Hugo Stamm, Michael Utsch, Sigrid Vowinckel, Klaus Weber u.v.m. Auch wenn einzelne der AutorInnen in ihren eigenen Arbeitszusammenhängen nicht den allerbesten Ruf besitzen: dem Herausgeber Colin Goldner, klinischer Psychologe und Wissenschaftsautor, lange Jahre in den USA tätig und heute Leiter des »Forum Kritische Psychologie« (Informations- und Beratungsstelle für Therapie- und Psychokultgeschädigte) in München, ist es zu verdanken, dass ein stimmiges Buch zustande kam. Gebunden, 304 Seiten, ISBN 3-8000-3920-6. Wien: Carl Ueberreuter Verlag 2003. € 22.95
Peter Lehmann

Nils Greve / Margret Osterfeld / Barbara Diekmann: Umgang mit Psychopharmaka
Jeder Mensch werde zur Einnahme eines Medikaments nur dann bereit sein, wenn seine Vorteile klar ersichtlich sind, heißt es im Klappentext des Buches. Ziel der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient sei es, die Vorteile für beide Seiten erfahrbar zu machen. Leider fehlen Worte darüber, dass es auch von existenzieller Bedeutung sein kann, die Nachteile einer psychiatrischen Behandlung zu kennen, ebenso Alternativen. Wobei als Alternativen mehr zu benennen wäre aus nur der Wechsel von einem Psychopharmakon zum andern, wenn man mit der Wirkung unzufrieden ist, sondern – in Kenntnis der abhängigkeitsbedingten Entzugssymptome – Wege zum selbstbestimmten Absetzen und zu nichtpsychopharmakologischen Alternativen. Leider finden sich zur Abhängigkeitsproblematik von Antidepressiva und Neuroleptika keinerlei Aussagen im Buch, immer geht es um Absetzsymptome, die genau das Gegenteil von Entzugssymptome sind, denn von Absetzsymptomen spricht man bei vielen Medikamenten (zum Beispiel Medikamenten gegen erhöhten Magensäuregehalt), die zwar vegetative Gegenreaktionen beim Absetzen auslösen, bei denen aber gerade keine Abhängigkeit vorliegt. Absetzsymptome bei Antidepressiva würden meistens nach kurzer Zeit von selbst verschwinden, in der Regel gar nicht auftreten. Berichte von Betroffenen, an die das Buch gerichtet ist, sagen allerdings oft das Gegenteil. Und selbst Hersteller informieren inzwischen über das Risiko der Medikamentenabhängigkeit und lang anhaltender Entzugsprobleme. Positiv zum Buch ist zu sagen, dass es übersichtliche und kurze Artikel zu speziellen Psychopharmaka aufweist. Am Beispiel Aripiprazol, siehe unten, wird allerdings deutlich, welche Folgen eine verkürzte Darstellung haben kann. Dafür wird im Buch das Ideal der gemeinsamen Entscheidungsfindung propagiert. Dass es entsprechend der Gesetzeslage der Patient ist, der nach Vorschlägen und Informationen des Arztes in Ausübung seines Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit die Entscheidung trifft, wird leider nicht gesagt. Dass das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung keine Verhandlungsmasse ist, scheint beim Psychiatrieverlag noch nicht angekommen zu sein. Ein Kapitel, das richtig weh tut, handelt von Elektroschocks. In vielen Fällen seien bis zu 12 Schocks erforderlich. Hinsichtlich der Ansprechrate seien Elektroschocks Antidepressiva überlegen – kein Wunder, wird per Knopfdruck der beabsichtigte epileptische Anfall ausgelöst, und dieser, insbesondere wenn er reihenweise ausgelöst wird, überdeckt mit seinen Folgen, nämlich Hirn- und Gedächtnisschäden, das psychische Leid rasch. Nebenbei, auch Schläge mit einem Knüppel auf den Schädel würde eine hohe Ansprechrate aufweisen. Immerhin, das muss man den Autoren zugutehalten, verweisen sie auf die Website des Rezensenten, wo man kritische Informationen zu Elektroschocks findet. Weshalb diese nicht ins Buch eingeflossen sind, dürfe dem Grundtenor des Buches geschuldet sein. Ziel ist es, die psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen an den Mann oder die Frau zu bringen. Zwar werden im Gegensatz zum »Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie« von Benkert und Hippius gelegentlich Ratschläge erteilt, sich an Selbsthilfegruppen zu wenden, alternative Krisenbewältigungsstrategien zu entwickeln, doch wünschenswert wäre eine entscheidungsoffene Haltung der Autoren als Grundsatz. Eine Haltung, die den Leser ernstnimmt, ihn rückhaltlos informiert und ihm das Wissen vermittelt, eine eigene, fundierte Entscheidung zu treffen, sich Psychopharmaka oder Elektroschocks verabreichen zu lassen oder eher nicht. Das Beispiel Aripiprazol (Abilify) möge den Mangel des Buches veranschaulichen. Während die Autoren schreiben: »Die Substanz hat im Vergleich zu den übrigen Neuroleptika ein anderes Wirkprofil, wodurch eine geringere Sedierung auftritt. Patienten berichten allerdings über vermehrte Unruhe«, geben Hersteller von Aripiprazol an Ärzte diese Informationen zu unerwünschten Wirkungen, die Greve und Kolleginnen den Betroffenen leider vorenthalten: sehr häufig Müdigkeit bei Jugendlichen, Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Kopfschmerzen; häufig Ruhigstellung, Schläfrigkeit, Ruhelosigkeit, Agitiertheit, Angstzustände, Aufmerksamkeitsstörungen, Schlaflosigkeit, Schwindelgefühle, verschwommenes Sehen, gestörte oder fehlende Erektion des Penis bei sexueller Erregung, erhöhte Kreatin-Phosphokinase (für den Energiestoffwechsel der Muskelzellen notwendiges Enzym), Gewichtszu- oder -abnahme, Zuckerkrankheit, Mundtrockenheit oder übermäßige Speichelabsonderung, Verdauungsstörung, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Muskelzittern, Akathisie (als quälend empfundene, neurologisch bedingte Ruhelosigkeit oder zwanghafter Bewegungsdrang). Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 284 Seiten, ISBN 9-783-86739-169-6. Köln: BALANCE Buch + Medien Verlag, 5., vollständig überarbeitete Auflage 2017. € 20.–
Peter Lehmann

Nils Greve / Margret Osterfeld / Barbara Diekmann: Umgang mit Psychopharmaka – Ein Patienten-Ratgeber
Ein Ratgeber, der die Betroffenen in die Lage versetzen soll, mit Psychiatern zu verhandeln, "welches Medikament der beste Weg ist". Die Verabreichung von Psychopharmaka wird von den AutorInnen als in vielen Fällen unverzichtbar vorausgesetzt. Haldol oder Zyprexa, das ist dann noch die freie Wahl. Auch Elektroschocks werden angeraten, der Stromstoß solle gerade ausreichen, "um einen epileptischen Anfall hervorzurufen". Prima, in der Medizin wird eigentlich versucht, epileptische Anfälle wegen der Gefahr der damit verbundenen Hirnzellschädigung zu vermeiden. Elektroschocks gelten den AutorInnen hinsichtlich der Ansprechrate als den Antidepressiva überlegen. Da die therapeutische Wirkung des E-Schocks nicht lange anhalte, würde der meist mit Antidepressiva kombiniert, und – offenbar zustimmend – "manche Kliniken empfehlen sogar eine 'Erhaltungs-EKT' einmal pro Woche über längere Zeit." EKT sei als Behandlung der Wahl allgemein akzeptiert – offenbar glauben die AutorInnen, ihre psychiatrische Haltung distanzlos verallgemeinern zu können. Einzelne Kapitel betreffen die unterschiedlichen Psychopharmakagruppen, wesentliche Risiken werden knapp aufgelistet, andere fallen unter den Tisch. Mit der durchsichtigen Begründung, Neuroleptika würden nicht süchtig machen (wer lechzt schon nach Haldol?), wird das Thema körperliche und psychische Abhängigkeit vom Tisch gewischt. Ein Ausfallen der Regelblutung unter Neuroleptika sei medizinisch harmlos, lese ich und erinnere mich an Forschungsergebnisse amerikanischer Gynäkologen, die von der Erhöhung des Hormons Prolaktin berichten, welche Menstruationsstörungen ebenso bewirken kann wie die Bildung von Geschwulsten in den Brustdrüsen; so bestehe der Verdacht, das zehnfach erhöhte Brustkrebsrisiko bei Psychiatriepatientinnen habe mit der Wirkung der Psychopharmaka zu tun. Amerikanische Herstellerfirma warnen seit 20 Jahren vor der Gefahr der Geschwulstbildung. Medizinisch harmlose Menstruationsstörungen? Die kritischen Anmerkungen zu Psychopharmaka in diesem Buch lesen sich so: "Hochpotente Neuroleptika sind nicht in allen Fällen unbedingt erforderlich. Vielfach würden selbst zur Behandlung akuter Krisen mittelpotente (typische oder atypische) Neuroleptika ausreichen." Und ganz zum Schluss wird sogar die Gewichtszunahme unter Zyprexa diskutiert mitsamt ihrer Risiken einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, von Krebs, Diabetes, vermindertem Selbstwertgefühl, größerem psychosozialen Stress und sogar – Höhepunkt dieser Abfolge – "das Risiko einer unkontrollierten Medikamentenabsetzung". Als Ratgeber kann ich das Buch aufgrund seiner ideologisch geprägten psychiatrischen Ausrichtung nicht empfehlen; das Thema Entzugsprobleme und unterlassene Hilfeleistung beim Absetzen wird ebenso ausgespart wie die potentiell suizidale Wirkung von Neuroleptika. Die Mitwirkung der Psychiatriebetroffenen Margret Osterfeld mag ihre Spuren hinterlassen haben, doch bei der abschließenden Bewertung der kritischen Punkte zählt in diesem Buch einzig die gewöhnliche psychiatrische Sicht. Ein einseitiges Buch; Patienten-Psychoedukation wäre ein korrekter Untertitel. Kartoniert, 190 Seiten, ISBN 3-88414-405-7. Psychiatrie-Verlag 2006; Neuausgabe BALANCE Buch + Medien Verlag, ISBN 978-3-86739-002-6. € 14.90
Peter Lehmann

Johannes Michael Grill: ZANUSSI oder der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben. Erzählung, Verse und Fragmente
Johannes Michael Grill war ein 1955 in München geborener Psychiatriebetroffener, der 1998 erstmals psychiatrisiert wurde, eine typische Patienten-"Karriere" mit insgesamt zehn Einweisungen in das BKW.Haar/Isar-Amper-Klinikum und entsprechender Neuroleptikaverabreichung über sich ergehen lassen musste und 2017 tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde, Todesursache offenbar "unbekannt". Zwischendurch verfasste er unter unterschiedlichen Namen diverse Texte, auch lyrische. Einer Initiative von Gerd Westermayer und seinen Freunden ist es zu verdanken, dass seine Texte nun in der Edition Humanistische Psychologie – gleichsam als Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht – als Buch veröffentlicht wurden, und zwar in einem bemerkenswert schön aufgemachten Band – eingeleitet und mit einem editorischen Nachwort versehen von Hans-Jürgen Heinrichs. Die erste Hälfte des Buches besteht aus lyrischen Versen und Fragmenten. Die zweite aus "Brennende Bilder", einer Ich-Erzählung, in der die Hauptperson "Hannes Zanussi" in drastisch-drallen Worten beschreibt, in welch bigotter Familie er aufwächst, wie er als widerspenstiger junger Mann in Konflikt mit der Polizei kommt und von dieser jeweils aus nichtigem Anlass, unter entwürdigenden Umständen und mit brutalen Methoden in die Psychiatrie verbracht wird, wie gleichgültig und desinteressiert Unterbringungsrichter und Betreuer Entscheidungen der Psychiater abnicken und wie sein Bruder die Psychiatrisierung nutzt, um ihn als angeblichen Nichtsnutz ums Erbe zu bringen. Weshalb die näheren Umstände des Todes von Johannes Michael Grill weder im Vorwort noch im Nachwort thematisiert werden, bleibt das Geheimnis des Herausgebers Hans-Jürgen Heinrichs. Er ist Ethnologe, der Sozialpsychiatrie zugeneigt und hat vermutlich keine Kenntnisse von der potentiell lebensverkürzenden Wirkung moderner Psychopharmaka. Insofern fehlen Angaben zu den Substanzen, die Johannes Michael Grill vor seinem Tod eingenommen hat. Man fand diesen zuhause in seinem Lieblingssessel mit nicht abgebrannter Zigarette. Dies weist auf einen plötzlichen Herztod hin – eine bekannte "Nebenwirkung" von Antidepressiva und Neuroleptika. Gebunden, 112 Seiten, ISBN 978-3-89797-124-0. Grevelsberg: EHP (Edition Humanistische Psychologie) – Verlag Andreas Kohlhage 2020. € 27.99
Peter Lehmann

Christina Grof / Stanislav Grof: Die stürmische Suche nach dem Selbst. Praktische Hilfe für spirituelle Krisen
Über das Buch wird sich die esoterisch eingestellte Leserschaft freuen. Wenn sie sich – wie die Grofs – mit Karma, Wiedergeburt und Tod beschäftigt, wird sie ihre Probleme und Interessen im Buch zweifellos wiederfinden. Herr Grof, Psychiater aus der früheren CSSR und inzwischen in den USA tätig, bringt allerdings sein gewöhnliches Psychiaterwissen ein. Er unterscheidet zwischen spirituellen und psychiatrischen Krisen. Letztere lägen vor, wenn z.B. der Inhalt einer »Psychose« unerfreulich ist – für ihn – , wenn die Leute misstrauisch sind, wenn eine »Vorgeschichte von psychiatrischen Problemen« da ist, wenn die »Kooperation« mit ihm fehlt usw. usf. Ich, der Rezensent, bin allerdings schon einmal Psychiatern in die Hände gefallen, als ich mich vom Gros der Menschheit verfolgt fühlte, und sicher bin ich mir auch nicht, ob Grof die Form meiner Verrücktheit gefallen hätte. Die Grofsche Unterscheidung durchzieht das ganze Buch und rechtfertigt die übl(ich)e psychiatrische Diagnostik und Behandlung bei denjenigen Menschen, in denen sich die Grofs nicht wiederzufinden vermögen. Diese Ausgrenzung finde ich primitiv, deshalb landet mein Rezensionsexemplar in der Ramschkiste. Gebunden, 382 Seiten, München: Kösel Verlag 1991. DM 39.80
Peter Lehmann

Renate Grohmann / Eckart Rüther / Lutz G. Schmidt (Hg.): Unerwünschte Wirkungen von Psychopharmaka. Ergebnisse der AMÜP-Studie
AMÜP heißt Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie. Die Studie befasst sich im wesentlichen mit dem minimalen Teil akut auftretender Schäden, die Psychiater veranlassen, ihre Medikamente abzusetzen, die Dosis zu senken oder einen Austausch gegen andere Substanzen vorzunehmen. Mittel- und langfristige Schäden sind ebensowenig erwähnt wie all die quälenden Auswirkungen, die die Behandler zustimmend oder mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. »Unerwünscht« ist immer aus dem Blickwinkel des Psychiaters, Behandelte als Individuen mit eigenen Wünschen, Gefühlen, Interessen tauchen in dem Buch nicht auf. Werden dann einzelne Schäden, die zum Teil den Tod mit sich brachten, kurz dargestellt, geht es in aller Regel darum, die Verantwortung dem schwachen Allgemeinzustand der Behandelten, einer gleichzeitig als Kombination verabreichten anderen Substanz oder sonst einem Umstand in die Schuhe zu schieben. Deutlich wird bei der Lektüre, dass man bei besonders stabiler Gesundheit sein muss, um die Verabreichung psychiatrischer Psychopharmaka zu überstehen. Die Autoren jedoch nehmen Todesfälle und Organschädigungen gelassen hin, die darauf zurückzuführen sind, dass die Behandelten bereits vor Beginn der Verabreichung kaum belastbar waren. Ein Buch, dessen hervorstechendstes Merkmal der Mangel an jeglichem Mitgefühl mit den BesitzerInnen der geschädigten Organe und Körper ist. Kart., 335 S., 162 Tab., Heidelberg usw.: Springer Verlag 1994. DM 110.–
Peter Lehmann

Daniel Grohn: Kind oder Zwerg
Was auf den ersten Blick so aussieht, als würde sich der Journalist Poninger als vermeintlicher Patient in eine psychiatrische Anstalt aufnehmen, um eine Reportage über dort vermutete Missstände zu schreiben, entpuppt sich im Roman als pure Einbildung eines Psychiatriepatienten. Der Autor hat sich als Poningers Gegenspielerin eine junge Ärztin ausgedacht, die der Ursache seiner "Erkrankung" durch eine Gesprächstherapie auf die Spur kommen will. Eine anfänglich interessant zu lesende, dann – je mehr der psychologistische Hintergrund erkennbar wird – stark nachlassende Geschichte des Autors, eines Arztes, der sich vorzustellen versucht, was Verrücktheit ist, und ein Szenario aufbaut, das Anklänge an die Realität hat, sich vom Cybercafé bis zum Gehirn der Ulrike Meinhof aller möglichen mehr oder weniger aktuellen Versatzstücke bedingt, das Spektrum der üblichen Behandlung jedoch ausblendet – mit Ausnahme des (angesichts der "Wahnsymptomatik" der Hauptfigur) völlig unmotiviert angepriesenen Antidepressivums Citalopram. Dies kann Grohn als Autor, er ist der Erfinder seiner Geschichte, Gedanken sind frei (wer weiß, vielleicht steckt ja auch so etwas wie Produktplacement dahinter, weshalb soll es das nur im Fernsehen geben). Gebunden mit Schutzeinschlag, 319 Seiten, ISBN 978-3-421-05785-3. München: DVA 2006. € 17.90
Peter Lehmann

Franjo Grotenhermen / Markus Berger / Kathrin Gebhardt: Cannabidiol (CBD). Ein cannabishaltiges Compendium
Das im Schweizer Nachtschatten-Verlag erschiene Buch befasst sich mit der Anwendung, Wirkung, den Wechselwirkungen und Rezepturen von Cannabidiol (CBD), zudem mit der Verwendung von Cannabis in der Küche. Das Buch beginnt mit knappen Informationen zur Dosierung, fährt fort mit den CBD-Inhaltsstoffen, der Verwendung bei Krankheiten und psychischen Problemen. Bei letzteren wird häufig – wie auch in der biologischen Psychiatrie üblich – die Wirkung auf "Schizophrenie" oder Depressionen bei Ratten, Mäusen und Fischen getestet und dann recht unreflektiert auf den Menschen übertragen, was für die Autoren allerdings kein Problem darstellt. Über den industriellen Herstellungsprozess geht es weiter zur Rezepten aus der Feld- und Versuchsküche rund ums Backen und Kochen mit Hanf für Mensch und Tier. Wer Hanf-Margarine, vegane Brownies, Hanf-Hundekekse, Hanf-Smoothies oder Schokomus mit Haschisch-Gruß bis hin zu Cannabis-Zäpfchen zubereiten will, kommt in dem Buch auf seine Kosten. Das 2015 in Erstauflage erschienene Buch endet mit CBD-Bezugsquellen und Werbeanzeigen von CBD-Verkäufern und -Zeitschriften sowie Cannabis-Verbänden. Originalausgabe 2015. Gebunden, 163 Seiten, viele farbige Abbildungen, ISBN 978-3-03788-369-3. Solothurn: Nachtschatten Verlag, überarbeitete und ergänzte Neuauflage 2018. € 24.80
Peter Lehmann

Gerhard Gründer: Psychopharmaka absetzen? Warum, wann und wie?
Gerhard Gründer, einer der psychiatrischen Meinungsführer, hat für seine KollegInnen ein Buch zum Absetzen von Psychopharmaka geschrieben. Das lässt aufhorchen. In seinem Buch referiert er die medizinische Literatur zu Absetz- und Entzugssyndromen hauptsächlich bei Antidepressiva und Neuroleptika zu Toleranzbildung, Wirkungsverlust, Behandlungsresistenz und Supersensivitätsstörungen. Er benennt das heikle Thema anhaltender Störungen, zum Beispiel Sexualstörungen, nach dem Absetzen von Antidepressiva. Absetz- und Entzugssyndrome würden in hoher Prozentzahl und zudem noch Wochen nach dem Absetzen auftreten und könnten jahrelang anhalten. Er anerkennt die Lebensgefahr mancher Entzugssyndrome und die Repräsentativität von Berichten über Absetz- und Entzugssyndrome in Online-Foren und moniert die regelhaft unterbleibende Aufklärung über die Risiken der Psychopharmaka und speziell die Absetz- und Entzugssyndrome. Auch beim Umstellen von Neuroleptika seien diese außerordentlich häufig, was in der klinischen Praxis allerdings kaum bekannt sei.
Gründer plädiert für ein stufenweises Absetzen, was inzwischen allgemein bekannt sein dürfte, und bei Antidepressiva und Neuroleptika für ein hyperbolisches Absetzen, das er – um in seiner medizinischen Sprache zu bleiben – mit der speziellen Serotonintransporterbesetzung bei Antidepressiva bzw. D2-Rezeptorenbesetzung bei Neuroleptika begründet. Der Mehrzahl der Verschreibenden ist dieser Zusammenhang sicher noch unbekannt. Um das gegen Ende immer langsamere Ausschleichen zu ermöglichen, sollten in Apotheken entsprechende Zubereitungen erhältlich sein. Dass Martin Zinkler und Jann Schlimme in ihren Vorträgen und Büchern längst individuelle Rezeptierungen empfehlen und Rezeptmuster publizieren, hat er offenbar ebenso wenig mitbekommen wie die aus den Niederlanden beziehbaren Absetzstreifen (www.taperingstrip.de).
Entzugsprobleme wie auch Handlungsempfehlungen beim Absetzen sind seit Jahrzehnten bekannt. Tausende Patienten würden alleine deshalb Antidepressiva weiter einnehmen, weil deren Absetzen unerträglich sei. Viele Literaturangaben und sogar Zitate Gründers finden sich längst in anderen Büchern zum Thema »Psychopharmaka absetzen«. Aber wenn ein Vertreter der Schulpsychiatrie sie mit aktuellen Daten bekräftigt, ist dies hilfreich.
Leider haben die Erkenntnisse über risikovermindernde Maßnahmen beim Absetzen kaum Eingang in Gründers Buch gefunden. Das Thema, wie die allgegenwärtigen Kombinationen von Psychopharmaka abzusetzen sind, blendet er komplett aus. Seine Ratschläge zum Absetzen bleiben so rudimentär. Differenzierte Informationen zum risikomindernden Absetzen findet man in anderen Büchern.
Gründers Fazit: Alle Themen des Buches sollten Teil eines psychiatrischen Fortbildungscurriculums sein, auch für Hausärzte. Wichtig sei der Einbezug von Patientenstimmen in Versorgung, Forschung und Nutzenbewertung. Leider hat er es versäumt, in seinem Buch mit gutem Beispiel voranzugehen, was die Einbeziehung von Büchern und anderen Publikationen von Absetzerfahrenen betrifft.
Nichtsdestotrotz, Gründer hat ein mutiges Buch geschrieben. Oft habe er die Argumentation seiner Kollegenschaft gehört, ihre Patienten würden die Psychopharmaka nicht nehmen, wenn sie über alle möglichen unerwünschten Wirkungen, Komplikationen und Spätfolgen aufgeklärt würden. Deshalb würde er mit seinen Aussagen Kritik ernten. Schon vor Beginn der Behandlung solle aber zumindest über das Absetzen nachgedacht werden.
Nachdenken bei ÄrztInnen, das wäre ein erster Schritt. Der zweite wäre, BehandlungskandidatInnen entscheidungsoffen aufzuklären. Der dritte wäre, die überkommene Vorstellung der geteilten Entscheidung in der Mülltonne der Psychiatriegeschichte zu versenken und Betroffene mit Rat und Tat zu unterstützen, wenn diese sich zum Absetzen entschlossen haben. Rezension in Soziale Psychiatrie. Rezension im Newsletter Seelische Gesundheit. Rezension in SeelenLaute. Rezension von Peter Ansari. Kartoniert, 113 Seiten, 25 Tabellen, 17 Abbildungen, ISBN 978-3-437-23585-6. München: Verlag Urban & Fischer in Elsevier 2021. € 29.–
Peter Lehmann

Swapnil Gupta / John Cahill / Rebecca Miller: Deprescribing in Psychiatry
In their preface, the authors – three Assistant Professors from the Department of Psychiatry, Yale University School of Medicine – describe their approach to deprescribing psychiatric drugs. They want to offer a pragmatic starting point to stimulate and open a conversation between patient, prescriber, clinical team, friends and family. With this approach, they ignore the starting points for such a conversation published in the last quarter of a century about reducing and coming off psychiatric drugs. The authors see deprescribing as a process of shared decision-making – in other words, they overlook the fact that the main person who should decide about reducing and coming off psychiatric drugs is the patient whose human right of bodily integrity, under which the intake of psychiatric drugs falls, is indivisible. The UN convention on human rights supports this position. Further on, the authors accept the common biopsychosocial approach of drug treatment as a rational entity, which means they accept the mainstream-understanding of emotional distress in humans as a basic biological problem. The primary target of the authors is "overmedicalization", not unwanted medicalization. It is not to show how to support patients who want help with full withdrawal of psychiatric drugs, but to ensure minimum-effective dosing of psychiatric drugs combined with therapeutic measures. I note these restrictions to protect the readers critical of psychiatry from disappointment.
To understand and appreciate the position of the authors and their approach, it is important to know their background. They reach their conclusions from geriatric practice, where it is known that, over the years, elderly people are prescribed and administered masses of drugs without considering which substances are better to discontinue after surviving problems and crises. One author, Swapnil Gupta, was educated in India – a country where psychiatric drug combinations are administered unrestrainedly, for example absurd combinations such as Dep 37 or Depof 37, which contain the neuroleptic trifluoperazine, the antidepressant imipramine, the benzodiazepine-tranquilizer chlordiazepoxide and the antiparkinsonian trihexyphenidyl. India is no exception; mainstream psychiatrists worldwide are administering massive combinations of psychiatric substances. In this respect – despite the criticism mentioned above – Deprescribing in Psychiatry is of great importance to mainstream psychiatrists worldwide. Here, representatives of mainstream psychiatry argue that their colleagues should reduce prescriptions, they name anxieties of patients that oppose a reduction, they name withdrawal and discontinuation symptoms that make a reduction difficult, they name wellness supports that may be suggested by the prescriber but are essentially put in place by the patient to support a deprescribing process that improves the chances of success for the reduction.
In the practical part "The Intervention of Deprescribing" the authors recommend alternative strategies which might prevent or best manage an eventual increase in distress. They refer to the Wellness Recovery Action Plan with the person's own identified toolbox of self-management and nonpharmaceutical self-care strategies. They also recommend advance directives (although strangely, as an example, they mention psychiatric drugs and even electroshock as preferences in crises, but not their denial of human rights and prevention of additional burdens). Exercise, family support, various forms of psychotherapy, treatment of insomnia, peer support and online resources are other potential aspects of wellness strategies. Also, acceptance and commitment therapy is mentioned in this frame, but without considering the important risk factors for bodily dependence from psychiatric drugs when accepted by the patient for a longer period and for chronic diseases due to the drugs' effects.
The section "The Process of Deprescribing" mainly deals with a seven-step structured intervention for optimizing the collaborative reduction of psychiatric drugs. Step 1 is Assess the Timing and Context, step 2 Medication Reconciliation, step 3 Exploration of the Patient's Experience, Attitudes, and Meaning About Medication, step 4 Frame Setting for the Deprescribing Intervention, step 5 Decision Which Medication to Deprescribe, step 6 Development of the Specific Deprescribing Plan, and step 7 Implementation, Monitoring and Adjustment of the Plan. In their last chapters, the authors consider special aspects in relation to antidepressants, neuroleptics, mood stabilizers, benzodiazepine-tranquilizers and Z-drugs, and psychostimulants. Using examples, the authors show procedures when patients want to reduce or discontinue psychiatric drugs: switching to other psychiatric drugs, psychoeducation (convincing patients that a relapse is imminent when they stop taking psychiatric drugs), discussion of the desire to stop, further discussion to reach a decision that both doctor and patient can agree on. Being under the influence of personality-altering and attenuating substances while having to convince their doctors is certainly not an optimal starting point for meeting a person's wishes for a reduction in psychiatric drugs. However, this is the sad reality, unless the patients take the initiative and go ahead on their own.
Despite or rather because of the disastrous prescription practice in mainstream psychiatry and even more so because of its reserved, moderate style of argumentation, and with the above concerns, I can recommend the book as a step in the right direction for psychiatrists. Especially for prescribers of psychiatric drugs.
Review in the Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy, Vol. 20 (2020), No. 4, pp. 112-114. Soft cover, XII + 247 pages, 12 figures, 11 tables, ISBN 978-0-19-065481-8. Oxford: Oxford University Press 2019. RRP £ 32.99
Peter Lehmann

Nora Haberthür: Wege der Heilung – Wege der Hoffnung. Erfahrungen und Hintergründe von Heilung
Bei dem Buch handelt es sich um eine vielstimmige Sammlung mit Kranken- und Heilungsberichten aus dem somatischen und psychiatrischen Bereich: ermutigende Zeugnisse von Zuversicht, unerklärlichen Wendungen, Sinnfindung, Erfahrung von Heilung (mit oder ohne therapeutische Hilfe), fernab von Konzepten und Theorien. Was gibt Menschen Kraft angesichts von Schmerzen und Schicksalsschlägen? Wo liegen innere und äußere Kraftquellen? Welche körperlichen und geistig-seelischen Entwicklungen begründen letztlich ein Heilwerden? Diese Fragen stellt sich Nora Haberthür, die Erfahrungsberichte gesammelt hat von Menschen mit Tinnitus, Gehirnentzündung, chronischen Schmerzen, Borderline, Traumatisierungen, Nierenversagen, Psychosen, Angstzuständen, Anorexie, Brustkrebs etc. Das Buch besteht aus 7 Hauptkapiteln: Heilung wie ein Wunder, Heilung durch Sinnfindung, Heilung durch Liebe und existenzielles Mittragen, Heilung durch Stärken der eigenen Ressourcen, Heilung durch Akzeptanz und Achtsamkeit, Heilung durch spirituelle Verbundenheit. Im abschließenden Kapitel »Heilung als Weg und Wandlung« interpretiert die Autorin die Berichte der Betroffenen, ihrer Angehörigen und Therapeuten und kommt auf den gemeinsamen Nenner: Die Heilung geschah durch die Erfahrung einer tragenden Lebenskraft, einer wandelnden, schöpferischen Energie. Die schweizerische Autorin, die Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaften studiert hat, wird mit dieser Aussage sicher keine Mainstream-Mediziner erreichen, schließlich lässt sich Lebenskraft nicht im Reagenzglas und schöpferische Energie nicht als Gen-Expression nachweisen. Für Betroffene, Angehörige und humanistisch orientierte Therapeuten dürfte das Buch mit seiner Vermittlung von Hoffnung jedoch höchst inspirierend sein. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden, 286 Seiten, einige schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-7228-0841-3. Fribourg (Schweiz): Paulusverlag 2013.
Peter Lehmann

Martin Härter / Harald Baumeister / Jürgen Bengel (Hg.): Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen
Ein anspruchsvolles, Theorie- und Statistik-lastiges Fachbuch, das sich nicht an die Betroffenen wendet, sondern an in der somatischen Medizin Tätige. Wer in der Wissenschafts- und Medizinersprache nicht zu Hause ist, wird sich schwertun beim Lesen. Untersucht werden Häufigkeit, Diagnostik und Behandlung von psychischen Belastungen und Störungen, die speziell im Zuge chronischer Krankheiten wie Diabetes, Herz- und Krebserkrankungen entstehen. Die Herausgeber arbeiten in der Klinischen Epidemiologie und der Rehabilitationspsychologie an der Universität Freiburg. Ihr Anliegen ist es, der Abschottung der Zuständigkeiten für Körper und Psyche entgegenzuwirken. Es geht nicht um die oft übersehenen somatischen Erkrankungen bei sog. psychisch Kranken und nur sehr oberflächlich um pharmakologische Wechselwirkungen und Kontraindikationen. Umfangreiche Literaturhinweise. Kartoniert, XII + 166 Seiten, 15 schwarz-weiße Abbildungen, 17 Tabellen, ISBN 978-3-540-25455-3. Berlin: Springer Verlag 2007. € 34.95
Kerstin Kempker

Hans Halter: Ihr Recht als Patient. Grundsatzurteile, Fallbeispiele, Rechtswege, Selbsthilfegruppen
Besonders im Bereich Psychiatrie ist das Buch ausgesprochen schwach. Ansonsten, was den medizinischen Bereich betrifft, liefert der Autor, Arzt von Beruf, gelegentlich durchaus zutreffende und auch interessante Informationen, aber im Kern, wenn es darauf ankommt, stellt er die Patientenrechte verkürzt und so letztlich unkorrekt dar. Fazit: Nicht empfehlenswert. 198 S., 2., akt. u. erw. Aufl., Düsseldorf: Econ Taschenbuch Verlag 1993. DM 12.80
Peter Lehmann

Dietmar Hansch: Erste Hilfe für die Psyche – Selbsthilfe und Psychotherapie. Die wichtigsten Therapieformen, Fallbeispiele und Lösungsansätze
Der Arzt und Psychotherapeut beschäftigt sich übersichtlich und leicht verständlich mit allerlei psychischen Problemen, Stressreaktionen, Angststörungen, Depressionen, funktionellen Störungen u.v.m., wie sie zustande kommen, wie man sie überwinden kann, welche psychotherapeutischen Verfahren es gibt und wie wichtig es ist, sich nicht nur auf Hilfe von außen zu verlassen, sondern selbst aktiv zu werden. Am Schluss seiner Einleitung bittet der Autor, man möge ihm per E-Mail einen Kommentar zu seinem Buch zukommen lassen. Leider vergisst er, eine Mailadresse zu nennen. Deshalb die Botschaft auf diesem Weg: "Lieber Herr Hansch, Sie haben ein an sich lobenswertes Buch geschrieben, wären da nicht die üblichen, die Interessen der Pharmaindustrie befriedigenden Aussagen hinsichtlich der von Ihnen bedingt empfohlenen Psychopharmaka, sie seien gut erprobt, die von Ihnen als Nebenwirkungen abgetanen unerwünschten Wirkungen seien (allgemein) bekannt und bei endogenen Psychosen müsse oft eine lebenslange medikamentöse Therapie bzw. Prophylaxe erfolgen. Ich vermisse auch nur ein Wort zur Gefahr körperlicher Abhängigkeit bei Antidepressiva und Neuroleptika, von Rezeptorenveränderungen, die diese Abhängigkeit bewirken und Depressionen bzw. psychotische Probleme chronifizieren können, auch nur ein Wort zur durchschnittlich zwei bis drei Jahrzehnte reduzierten Lebenserwartung psychiatrischer Patienten, denen – neben der aufgrund ihrer Diskriminierung oft prekären Lebenssituation – vor allem die toxischen Wirkungen der "erprobten" Psychopharmaka zum Verhängnis werden; auch nur ein Wort zu Psychiatriebetroffenen, die gerade solchen Empfehlungen und der Psychiatrie den Rücken gekehrt haben und nun ein psychopharmakafreies und erfülltes Leben führen." Original erschienen 2003 im Springer Verlag. Taschenbuch, 282 Seiten, ISBN 978-3-86647-729-2. Köln: Anaconda Verlag 2012. € 7.95
Peter Lehmann

Hartwig Hansen (Hg.): Höllenqual oder Himmelsgabe? – Erfahrungen von Stimmen hörenden Menschen
Wie kamen die Stimmen in mein Leben? Was bedeuten sie mir heute? Wie hat sich mein Leben durch die Stimmen verändert? Wer oder was hat mir auf meinen Weg geholfen? Wie geht es mir heute mit allem? Antworten auf diese und noch viele weitere wichtige Fragen geben Frank Dahmen, Christian Derflinger, Rolf Fahrenkrog-Petersen, Andreas Gehrke, Wolfgang Harder, Cornelia Hermann, Regina Hildegard, Ingrid Krumik, Monika Mikus, Tim Panzer, Barbara Schnegula, Tom Seidel, Barbara Urban, Laura Vogt und viele mehr. Wie schon aus dem Titel "Meine Stimmen – Quälgeister und Schutzengel" (2006) des Buches mit den Texten von Hannelore Klafki, der Gründerin des deutschen Netzwerks Stimmenhören, hervorging, können Stimmen von den Betroffenen als positiv interpretiert werden wie auch als quälend. Vieles hängt von einem konstruktiven Umgang und der Möglichkeit ab, sie in das eigene Leben zu integrieren. Andreas Gehrke, von dem im Paranus-Verlag 2003 das Buch "Ausbruch aus dem Angstkäfig – Ein Stimmenhörer berichtet" erschienen ist und der den Anstoß zum neuen Buch gab, plädiert in seinem Beitrag dafür, "... dass Stimmen in jedem Falle zu realen Freunden gemacht werden sollten. Das kompromisslose Beseitigen von Stimmen, etwa durch Psychopharmaka, ist, wie die gängige Praxis in den Psychiatrien beweist, sicher auf Dauer nicht der 'Königsweg'. Erst die Freundschaft zu den Stimmen stärkt und unterstützt die eigene Freiheit." Ob die anderen Autorinnen und Autoren ihre Freiheit mithilfe der Stimmen erreicht haben, mit welchen Problemen (die sie gelegentlich auch in die Psychiatrie führen) sie zu kämpfen haben, wie sie ihre Stimmen interpretieren und mit ihnen – auch unter Einfluss von Psychopharmaka – umgehen, wie sie unter ihren Stimmen leiden, sie gelegentlich vermissen, wenn sie vertrieben worden sind, wie sie sich mit ihnen arrangiert oder gar angefreundet haben..... das alles lesen Sie in diesem vielstimmigen Buch am besten selbst. Das Buch mit seinen 18 Berichten endet mit einem Nachwort des Herausgebers – angenehmerweise wieder frei von jeglicher besserwisserischen Interpretation der Beiträge. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 206 Seiten, ISBN 978-3-940636-33-1. Neumünster: Paranus Verlag 2015. € 19.95
Peter Lehmann

Hartwig Hansen (Hg.): Der Sinn meiner Psychose – Zwanzig Frauen und Männer berichten
"Lange galt die Schizophrenie als in sich sinnlose, unheilbare Gehirnkrankheit, der ausschließlich mit Medikamenten begegnen werden kann", schreibt der Herausgeber Hartwig Hansen auf der hinteren Umschlagseite des von Dorothea Buck inspirierten und von ihm im sozialpsychiatrisch orientierten Paranus Verlag herausgegebenen Buchs. Als Autorinnen und Autoren lud Hansen Menschen ein, die in der Vergangenheit im – ebenfalls im Paranus Verlag erscheinenden – Brückenschlag Beiträge veröffentlicht hatten, womit die Weite des Denkhorizonts vorgegeben war: schließlich galten diesen Beitragschreibern Psychosen schon lange nicht mehr als sinnlose Symptome von Hirnstörungen. 1983 hatte Tina Stöckle in ihrem antipsychiatrischen Buch "Die Irren-Offensive – Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von Psychiatrieopfern" Mitglieder der damaligen Irren-Offensive Berlin zu Wort kommen lassen und aus den Interviews Kriterien einer Alternative zur Psychiatrie entwickelt, wozu sie explizit die Suche nach dem Sinn des Wahnsinns, einem Ernstnehmen des Verrücktseins und die Auseinandersetzung damit zählte. Sieben Jahre später gab Dorothea Buck ihrem Buch "Auf der Spur des Morgensterns" den programmatischen Zusatztitel "Psychose als Selbstfindung". Während es Tina Stöckle um die radikale Befreiung vom psychiatrischen Einfluss ging und um den Kampf gegen psychiatrische Menschenrechtsverletzungen, fordert Hartwig Hansen 30 Jahre danach ausschließlich eine Weiterentwicklung der Psychiatrie, die dem Sinn von Psychosen mehr Bedeutung einräumt und mehr Beachtung schenkt. Scheinbar liegen diese beiden Positionen weit auseinander. Doch auch eine Haltung, die sich primär der Suche nach dem Sinn des Wahnsinns verpflichtet fühlt, ist Sand im Getriebe des psychiatrisch-industriellen Komplexes im Zeitalter der boomenden Neurobiologie, die den Menschen mit seiner Gefühlswelt (psychische Probleme eingeschlossen) auf biochemische Vorgänge reduziert. Angesichts der gigantischen Kapitalinteressen im psychosozialen Bereich ist nun nicht damit zu rechnen, dass "Der Sinn meiner Psychose" den großen Umbruch in der Psychiatrie bewirkt. Aber Psychiatriebetroffenen, die noch an die biologische Verursachtheit aller Psychosen glauben, kann das Buch die Augen öffnen und sie dahin bringen, sich selbstkritisch alleine, in der Selbsthilfegruppe oder in der Psychotherapie damit auseinanderzusetzen, weshalb und wann sie ausrasten und was die Symptome zu bedeuten haben, gilt es doch, wieder Herr oder Frau über das eigene Leben zu werden. Katharina Coblenz-Arfken, Karla Kundisch, Peter Mannsdorff, Jan Michaelis, Sibylle Prins, Gaby Rudolf, Reinhard Wojke und 13 weitere Psychiatriebetroffene beschreiben in persönlichen Beiträgen, wie sie dem Sinn ihrer Psychose auf die Spur gekommen sind und warum sie ihre besonderen Erfahrungen als Bereicherung erleben. Das Buch enthält insgesamt 20 unterschiedliche Erfahrungsberichte und Reflexionen von Betroffenen über den Sinn und die Inhalte ihrer Psychosen, ihr Zustandekommen, ihre Auslöser, ihre Verarbeitung und ihre Konsequenzen – dankenswerterweise ohne jegliche Interpretation des Herausgebers. So bleibt den Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, sich bei der Lektüre dieses vielstimmigen Buches ein eigenes Urteil zu bilden. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 194 Seiten, ISBN 978-3-940636-24-9. Neumünster: Paranus Verlag 2013. € 19.95
Peter Lehmann

Günter Harnisch: Alternative Heilmittel für die Seele – Selbsthilfe bei depressiven Verstimmungen, Schlafstörungen und nervöser Erschöpfung
Der Autor zeigt auf, auf welch vielfältige Weise Depressionen, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände entstehen können und wie man mit rezeptfrei erhältlichen Naturheilmitteln, Botenstoffen für das Gehirn, Vitaminen, Vitalstoffen, geeigneter Ernährung und Nahrungsergänzungsmitteln depressive Verstimmungen und anderes Unbill bekämpfen kann (unter anderem Johanniskraut, Bachblüten, Baldrian, SAM, Schüßler-Salze, Omega-3-Säuren, Ginseng, Aminas und Inkakost). Dazu nennt er übersichtlich und verständlich jeweils Inhaltsstoffe und Wirkungsweise, Anwendungsgebiete, Forschungsergebnisse, Dosierungen, mögliche unerwünschte Wirkungen, Bezugsquellen und Kosten. Kartoniert, 110 Seiten, 51 Farbfotos, ISBN 978-3-89993-576-9. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft 2009. € 12.90
Peter Lehmann

Renate Hartwig: Die Schattenspieler
Mutiges Buch der profilierten Scientology-Kritikerin Renate Hartwig über die Umtriebe sogenannter Sektenbeauftragter der großen Kirchen (»Pfarrer Gandow« usw.) und deren Helfer, deren Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz, die rechtsstaatswidrige Diffamierung missliebiger Personen als »scientologynah«, die primäre Ausrichtung ihrer Tätigkeit auf die Rechtfertigung der eigenen, mit öffentlichen Mitteln gut bezahlten Arbeitsplätze und das verräterische Ausbleiben jedweder Konsequenz ihres Wirkens in Richtung rechtsstaatlicher Klärung des Status von Scientology. Gut, dass Renate Hartwig sich nach ihren ersten Büchern "Scientology – Ich klage an" (1994) und "Abenteuer Zivilcourage – Scientology contra Demokratie" (1997) jetzt die obskuren Sektenjäger vornimmt, die an einer rechtsstaatlichen Klärung der Angelegenheit Scientology offenbar nicht interessiert sind. Die Autorin hat an die Rechtschaffenheit der Sektenjäger über viele Jahre geglaubt, ihnen Material geliefert. Jetzt fragt sie zurecht empört nach dem Sinn ihres Tuns, wenn die Sektenjäger außer Diffamierungen, Schlammschlachten und Vernebelung einer klaren Informationslage nichts zustande bringen. Dass der Dachverband der sogenannten Anti-Sekten-Initiativen, die "Aktion für Geistige und Psychische Freiheit" (AGPF), als dessen Geschäftsführer der hoch bezahlte Ingo Heinemann firmiert, 2002 auch noch versucht hat, das Bundesjustizministerium 2002 zu veranlassen, aus dem von der EU geforderten Antidiskriminierungsgesetz ausgerechnet die Diskriminierungsgründe Weltanschauung und Religion herauszunehmen (im Wortlaut nachzulesen auf S. 386ff.), schlägt dem Fass den Boden aus. Demokratische Organisationen und Behindertenverbände aller Coleur kämpfen um dieses Antidiskriminierungsgesetz, und die AGPF, die sich besser Aktion gegen Geistige und Psychische Freiheit nennen sollte, hält ein solches Gesetz für gefährlich. Das sind die Vereine, die die AGPF bilden: S.I.E. – SEKTEN-INFO ESSEN e.V., ARBEITSKREIS SEKTEN e.V., Artikel 4 – Initiative für Glaubensfreiheit e.V., BBS – Bürger Beobachten Sekten e.V., DELPHIN e.V., EBIS – Baden-Württembergische Eltern- und Betroffeneninitiative e.V., EL-Elterninitiative zur Wahrung der geistigen Freiheit e.V., Flügelschlag e.V., FKP – Forum kritische Psychologie e.V., KIDS Kinder in destruktiven Sekten e.V., Kontakthilfe bei Sektenproblemen e.V., Niedersächsische Elterninitiative gegen den Missbrauch der Religion e.V., Odenwälder Wohnhof e.V., SEKTENBERATUNG BREMEN e.V., SEKTEN-INFO BOCHUM, SINUS Sekten Information und Selbsthilfe e.V., VITEM – Verein für die Interessen terrorisierter Mitmenschen e.V., GSK – Gesellschaft gegen Sekten- und Kultgefahren, SADK – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft gegen Destruktive Kulte. Vorsicht vor diesen Gruppen, die sich nach außen hin so altruistisch geben! Und Vorsicht, wer Kritik äußert und missliebige Fragen stellt, wird sofort in die Scientology-Ecke gesteckt. Das von der Autorin angeprangerte Schema erinnert fatal an die Praxis im Stalinismus, jede freie Meinungsäußerung sofort als Aggression des Klassenfeindes und Imperialismus zu brandmarken. Renate Hartwig gilt Ingo Heinemann logischerweise als Top-Täterin: "Renate Hartwig umgefallen: Renate Hartwig war Deutschlands rüdeste Scientology-Kritikerin. Renate Hartwig verteidigt heute Scientology" kann man auf Heinemanns Website lesen (www.ingo-heinemann.de/Hartwig.htm – 6.9.2005). Ich habe kein Wort von Scientology-Verteidigung in dem Buch gelesen, peinlich für Ingo Heinemann und seine Gefolgsleute, Mitläufer und Vorbeter der sogenannten Anti-Sekten-Gruppen. Substanz und Redlichkeit scheinen nicht gerade deren Stärke zu sein. Kartoniert, 389 Seiten, mit Abbildungen und Faksimiles, ISBN 3-935246-02-1. Nersingen: Direct Verlag 2002. € 18.–
Peter Lehmann

Renate Hartwig: Die Schattenspieler
Rezension im BPE-Rundbrief
Kalle Pehe

Felix Hasler: Neuromythologie – Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung
2007 schrieb der Züricher Arzt und Psychotherapeut Marc Rufer in seinem Artikel "Psychiatrie – Ihre Diagnostik, ihre Therapien" in "Statt Psychiatrie 2": "In den Medien werden die Befunde der Hirnforschung zu Riesenerfolgen aufgebauscht. Die Hirnforschung, die 'Jahrhundertwissenschaft', ist dabei, sich zur neuen Gesellschaftslehre aufzuschwingen. Eine neue Mythologie ist entstanden – die Neuromythologie." Jetzt erschien 2012 in erster Auflage ein ganzes Buch unter dem Titel "Neuromythologie": ein brilliantes, längst überfälliges und zudem leichtverständliches Buch über die Diskrepanz zwischen dem gegenwärtigen Welterklärungsanspruch der Neurowissenschaften und den real vorliegenden empirischen Daten, über die Arroganz von Neurowissenschaftlern und über aggressive Verkaufsstrategien von Psychopharmaka-Herstellerfimen. Der Autor, Forschungsassistent an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Gastwissenschaftler am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsjournalist, wehrt sich gegen den Hype, die Hirnforschung wisse genau Bescheid über die biologischen Vorgänge, die dem Erleben, Denken und Handeln des Menschen zugrunde liege und könne deshalb zielgenau und evidenzbasiert ins Gehirn eingreifen, wenn etwas "schief läuft". Zentral im Buch ist das Kapitel "Neuro-Reduktionsmus, Neuro-Manipulation und das Verkaufen von Krankheit", das die Entwicklung der biologischen psychiatrischen Methoden (Insulin- und Elektroschocks, Lobotomie und Psychopharmaka) nachvollzieht, unter Bezug auf vorwiegend angloamerikanische Psychiatriekritiker wie Breggin, Angell, Healy, Whitaker, Mosher etc. die skandalösen Verkaufspraktiken von Pharmafirmen anprangert und den Mythos dekonstruiert, die herrschende biologische Psychiatrie sei eine Erfolgsgeschichte wissenschaftlicher Vernunft und ein Segen für die Patienten. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 250 Seiten, ISBN 978-3-8376-1580-7. Bielefeld: transcript Verlag, 3. Auflage 2013. € 22.80
Peter Lehmann

Felix Hasler: Neue Psychiatrie – Den Biologismus überwinden und tun, was wirklich hilft
Elf Jahre nach seinem Buch »Neuromythologie – Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung« listet der Liechtensteiner Pharmakologe und Wissenschaftsjournalist Felix Hasler (geb. 1965) die neuen Fehlschläge der modernen psychiatrischen Hirnforschung auf: die der Informatik entlehnten, jedoch nicht gefundenen neuronalen Schaltkreise; die moderne psychiatrische Genetik und ihre nirgends gefundenen Kandidatengene für die diagnostizierten psychischen Krankheiten; die aussagelosen bildgebenden Verfahren; das Human-Brain-Projekt und seine unerfüllte vereinheitlichte Theorie des Gehirns. Große Sprüche, alles habe Milliardensummen verschlungen, ein Desaster der Biopsychiatrie, die sich davon jedoch unbeeindruckt zeige. Wie kaum ein anderer erläutert der Autor dies alles in auch für medizinische Laien verständlicher Sprache, flüssig, hoch informativ und faktenbelegt.
Die »neue Psychiatrie« sieht er in der Psychiatrie-Enquete und der Sozialpsychiatrie angelegt, in der Zusammenarbeit mit Menschen mit Erfahrungswissen, im Trialog, in Reformansätzen wie der Soteria-Bewegung und dem Offenen Dialog, in Halluzinogenen wie Psilocybin, in digitalen Versorgungsansätzen und Chatbots, im Prinzip »Verhandeln statt Behandeln«. Hoppla: das unteilbare Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit eine Verhandlungssache?
»Wer, wenn nicht Experten mit gelebter Erfahrung können definieren, worauf es ankommt und worauf man ganz pragmatisch die Prioritäten legen sollte« fragt Hasler im Kapitel »Experten durch Erfahrung. Die Stimme der Betroffenen«. Leider bat er offenbar einzig Psychiater um solche Informationen. Von den ca. 200 Literaturangaben stammt mit dem Buch »On Our Own« (»Auf eigene Faust«) von Judi Chamberlin aus dem Jahr 1978 gerade mal 1 Quelle von einem psychiatriebetroffenen Menschen. Trotz dieser Fehlleistung empfehle ich das Buch allen, die sich einen Überblick über die Flops und Hoffnungen der »neuen Psychiatrie«, viele Formen der (Pseudo-)Betroffenenbeteiligung inklusive, verschaffen wollen. Rezension in SeelenLaute. Kartoniert, 256 Seiten, ISBN 978-3-8376-4571-2. Bielefeld: transcript Verlag 2023. € 25.–
Peter Lehmann

Alfred Hausotter: Erntedankfest – Vorgeschichte, Verlauf und Ausheilung einer Psychose
Der Autor, geboren 1954, verheiratet, zwei Kinder, Mag. Dr. phil., klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe in Österreich und seit 1997 in der Wohnbetreuung tätig, erlebte von 1974 bis 1983 vier psychotische Episoden. Diese beschreibt er offen, detailliert und ohne jede Wertung. Im zweiten Teil finden sich seine in den Krisenphasen entstandenen Texte und Bilder. Sie geben einen exemplarischen Einblick in Form und Inhalt psychotischen Bewusstseins und dessen Klärungsversuche. Eingebettet in den ganz normalen Wahnsinn von Familie, Schule, Bundesheer und Psychiatrie werden die Innenansichten seines Wahns beklemmend folgerichtig. Das Buch handelt von Mut und Eigensinn und davon, wie Psychiatrie und Psychopharmaka dem im Wege stehen. 2006 war es unter dem Titel "Der GottTeufel. Innenansicht einer Psychose" original bei der sozialpsychiatrisch orientierten Edition pro mente im oberösterreichischen Linz erschienen. Bald war es vergriffen. Für die überarbeitete Auflage wählte der Autor den Titel "Erntedankfest – Vorgeschichte, Verlauf und Ausheilung einer Psychose". Kurz vor der Fertigstellung wollte die Edition pro mente den Begriff "Ausheilung" (einer Psychose) durch "Überwindung" im Untertitel ersetzen. Der Autor lehnte ab: Seiner Erfahrung nach sind Psychosen keine zu bekämpfenden Krankheitssymptome, sondern im Gegenteil unterstützungswürdige Selbstheilungsversuche der Psyche im Sinne des Soteria-Ansatzes. Mit der Bibliothek der Provinz fand er glücklicherweise einen Verlag ohne ideologische Scheuklappen. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 373 Seiten, 6 zweiseitige farbige und 2 einseitige einfarbige Abbildungen, 2 Faksimiles, ISBN 978-3-99028-216-8. Linz: Verlag Bibliothek der Provinz 2015. € 28.–
Peter Lehmann

Markus Hedrich: Medizinische Gewalt – Elektrotherapie, elektrischer Stuhl und psychiatrische »Elektroschocktherapie« in den USA, 1890-1950
Bei diesem Buch handelt es sich um eine aktualisierte faktenreiche geschichtswissenschaftliche Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn von 2013 darüber, wie sich in den USA der elektrische Stuhl 1888/89 aus der psychiatrischen Anstalts-Elektrotherapie entwickelte und dieser ab 1940 wiederum die Übernahme und Weiterentwicklung der sogenannten Elektroschocktherapie beförderte - beides vor dem Hintergrund rassistisch-eugenischen Gedankenguts in der Kriminologie und Psychiatrie. Dem Autor gelang es in seiner Forschungstätigkeit, in den USA extrem schwer zugängliche Akten in Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten einzusehen. Daraus zitiert er dann reichlich – leider in nicht übersetzter englischer Sprache. Da sich deren Sinn meist aus dem Zusammenhang ergibt, leidet die Lektüre dadurch aber nicht allzu sehr. Auf der anderen Seite handelt es sich um eine wissenschaftliche Arbeit mit vielen nicht erklärten Fremdworten und in der Tradition Michel Foucaults, in anderen Worten: keine leichte Lektüre.
Nichtsdestotrotz gelingt es Hedrich mit seiner historisch-materialistischen Herangehensweise, die Logik des Elektroschocks und seiner begeisterten Aufnahme von Psychiatern vor dem Hintergrund sozialer und ökonomischer Entwicklungen mit vielen Belegen zu erklären, ebenso dessen Einsatz als brutales Mittel zur Bestrafung und Disziplinierung abweichenden Verhaltens, speziell bei Frauen, als »annihilierendes Kontrollinstrument, das die höheren Geistesfunktionen der PatientInnen durch die Induzierung kognitiver Dauerdefekte paralysiert«, das heißt die Erkenntnis- und Informationsverarbeitung betreffenden Fähigkeiten der Betroffenen auf Dauer ausschaltet. Der Autor zeigt zudem anhand von Belegen die umfangreichen Hirn- und Gedächtnisschäden; unter anderem, dass die Zellveränderungen nach Elektroschocks denen entsprechen, die nach Tötungen durch den elektrischen Stuhl gefunden wurden. Und anhand von Fallbeispielen weist er im Einzelnen nach, wie der Elektroschock eingesetzt wurde, um den Widerstand der Betroffenen zu brechen, bis sie sich schließlich voller Verzweiflung der psychiatrischen Macht unterwerfen und Krankheitseinsicht und therapeutische Wirksamkeit geloben, um fortgesetzten Elektroschockverabreichungen zu entgehen, wie sie früher üblich waren und heute – auch in deutschsprachigen Ländern – wieder üblich sind.
Außer auf amerikanische Quellen stützt sich Hedrich auch auf deutschsprachige. So zitiert er beispielsweise den NS-Psychiater Anton von Braunmühl, Oberarzt der bayrischen T4-Zwischenanstalt Eglfing-Haar, der 1947 darauf pochte, nicht vom »Schock« oder »Krampfschock« zu sprechen, sondern vom »Heilkrampf«. Am heute hierzulande noch gebräuchlichen Begriff der »Heilkrampftherapie« zeigt sich, wie psychiatrische Sprachmanipulation zur Verschleierung der Wirklichkeit, sogenanntes Neusprech, in psychiatrischen Kreisen – und sogar noch hier und da im Selbsthilfebereich – verankert ist.
Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 343 Seiten, 23 schwarz-weiße Abbildungen, 6 Tabellen, ISBN 978-3-8376-2802-9. Bielefeld: transcript Verlag 2014. € 34.99
Peter Lehmann

Sibylle Heeg / Katharina Bäuerle: Freiräume – Gärten für Menschen mit Demenz
Ausgesprochen schön gestaltetes Buch für alle (Bauherren, Träger von Pflegeheimen, Leitungskräfte, Betreuer und Pfleger, Garten- und Landschaftsplaner, Architekten, Vertreter von Ämtern und Behörden), die Einfluss haben auf die Gestaltung von Freibereichen für Menschen mit Demenz, geprägt von Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein sowie Respekt für die Betroffenen. Mit einem Kapitel zur Bedeutung von Freibereichen im Rahmen eines milieutherapeutischen Ansatzes sowie Gründen für eine geringe Nutzung bestehender Gärten, einem Kapitel zur Abstimmung des Gartens auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz, einem Kapitel zu Leitkonzepten therapeutischer Gärten, einem Kapitel mit Planungshilfen und praktischen Hinweisen zur Gestaltung von Freibereichen und einem Kapitel zum Planungs- und Realisierungsprozess eines Gartens in zehn Schritten – alles versehen mit aussagekräftigen Farbfotos und Zeichnungen von Beispielen. Kartoniert, 90 Seiten, viele farbige und schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-938304-85-3. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag, 2. Aufl. 2007. € 17.90
Peter Lehmann

Sibylle Heeg / Katharina Bäuerle: Heimat für Menschen mit Demenz – Aktuelle Entwicklungen im Pflegeheimbau
Großformatiges und übersichtlich gestaltetes Buch mit vielen Beispielen ausgewählter Pflegeeinrichtungen in Deutschland, der Schweiz, Dänemark und Finnland zur baulichen Umsetzung neuer Wohn- und Betreuungskonzepte für Menschen mit Demenz. Die einzelnen Kapitel: Paradigmenwechsel im Pflegeheimbau, Interventionskonzepte und ihre baulichen Erfordernisse, Settings für Wohnen und Betreuung, integrierte Bau- und Betriebsplanung, Bauliche Anforderungen – umweltpsychologisch begründet. Hinzu kommen 174 Seiten mit bebilderten Beispielen und Nutzungserfahrungen hinsichtlich Grundrisstypologien, Fluren und Erschließungszonen, Aufenthaltsbereichen, Essbereichen und Wohnküchen, Bewohnerzimmer, Individual- und Pflegebädern, Pflegestützpunkten und Funktionsräumen, Freibereichen, Fenstern, Ausgängen, Bodenbelägen, Akustik, Heizung, Lichtgestaltung, Möbilierung und Bedienungselementen. Aufgrund der sorgfältigen Darstellung von Problemen und Lösungsmöglichkeiten liefert das Buch eine solide Grundlage für einen Dialog zwischen Trägern von Altenhilfeeinrichtungen und deren Nutzer, was Planung und Mängelbeseitigung betrifft. Kartoniert, 281 Seiten, zahlreiche farbige Fotos und Zeichnungen, ISBN 978-3-938304-93-8. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2008. € 36.-
Peter Lehmann

Nina Heinrichs: Ratgeber Panikstörung und Agoraphobie
Wer sich rein symptomorientiert, systematisch, schrittweise, mit Hilfe von Arbeitsblättern und den Direktiven der Autorin seiner Panik oder Phobie (generell ist von Agoraphobie die Rede) stellen will, bekommt in diesem Ratgeber knappe konkrete Hinweise, speziell aus der Verhaltenstherapie, entlang den Fragen: Was ist das? Wie entsteht es? Was kann man tun? Knapp und mit Beispielen versehen wird sortiert, geplant, entspannt, sich gestellt – die Phobie handhabbar gemacht. Kartoniert, 108 Seiten, ISBN 978-3-8017-1986-9. Göttingen: Hogrefe Verlag 2007. € 12.95
Kerstin Kempker

Rudolf Heinz / Dietmar Kamper / Ulrich Sonnemann: Wahnwelten im Zusammenstoß. Die Psychose als Spiegel der Zeit
Sammlung von Vorträgen, die 1991 im Literarischen Colloquium 1991 gehalten wurden. Minimalthese der AutorInnen: »Es gibt nicht nur, wie man meinen möchte, eine einzige Wahnwelt, die der Psychose im klinisch-psychiatrischen Sinne der Bezeichnung, sondern mehrere, und innerhalb dieser Skala diejenige extreme, die man Normalität nennt, und die es sich anmaßt, das andere Extrem als Dissidenz und Pathologie zu bestimmen und zu verfolgen.« Hier einige der Artikel: »Leidensverwaltung als gelingende Einheit institutionalistischen Stumpfsinns, therapeutischen Widersinns und moralischen Schwachsinns« (Ulrich Sonnemann), »Die Schizo-Chaosmose« (Felix Guattari), »Eigensinn« (Elisabeth Weber), »Prismatische Stimmungsprozesse in der Psychotherapie« (Alfred Drees), »Orakel – Echo – Rätselgesang. Sprachtumult und Psychose« (Heide & Melanie Heinz). Am besten gefallen hat mir Martin Stingelins Beitrag »›Matto regiert‹ – Psychiatrie und Psychoanalyse in Leben und Werk von Friedrich Glauser (1896 – 1938), weil Glauser einer meiner bevorzugten Autoren ist, weil der Artikel einer der weniger hochintellektuellen ist, und weil ich viel Handfestes über Glauser und den Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Psychoanalyse und zeitgemäßer Psychiatrie erfahren habe. Geb., 269 S., 14 Abb., Berlin: Akademie Verlag 1993. DM 48.–
Peter Lehmann

Martin Heinze / Dirk Quadflieg / Martin Bührig (Hg.): Utopie Heimat. Psychiatrische und kulturphilosophische Zugänge
Der Sammelband geht zurück auf eine Tagung der Gesellschaft für Philosophie und Wissenschaften der Psyche im Mai 2005 in Bremen. Martin Heinze, einer der Herausgeber, plädiert für einen positiven, zukunftsbezogenen Heimatbegriff innerhalb der – seinem Verständnis nach – kritischen Sozialpsychiatrie, wobei einerseits die psychiatrisch betreuten Menschen sich heimisch fühlen können sollen, andererseits der Heimatbegriff ein Potential zur fortwährenden Selbstkritik an den eigenen Institutionen und Haltungen führen soll. Psychiater interpretieren literarische Texte interpretieren und psychiatrische Themen aus philosophischer Sicht und wollen dadurch, so ihre eigenen Worte, über die jeweiligen Fachgrenzen hinaus denken. Allerdings sind Psychiatriebetroffene unter den Autoren nicht zu finden sind, lediglich – beispielsweise Friedrich Hölderlin und Robert Walser – wie gehabt unter den Objekten der Betrachtung. Kartoniert, 248 Seiten, ISBN 3-938880-02-3. Berlin: Parodos Verlag 2006. € 19.–
Peter Lehmann

Hansjörg Hemminger / Joachim Keden: Seele aus zweiter Hand – Psychotechniken und Psychokonzerne
Über die vielfältigen psychologischen und pseudopsychologischen Angebote, mit einer Bewertung aus evangelischer Sicht. Kart., 194 S., Stuttgart: Quell Verlag 1997. DM 29.80
Peter Lehmann

Walter Hempfing: Aufklärungspflicht und Arzthaftung
Über Kunstfehler, Aufklärungsrecht, Dokumentations-, Aufklärungs- und Schweigepflicht, Schmerzensgeldbeträge auf den verschiedenen Fachgebieten, Verhaltensvorschläge im Falle des Vorwurfs eines Arztfehlers, Einsicht in die Behandlungsakten, Umfang von zu überlassenden Behandlungsunterlagen, wirtschaflliche Aufklärungspflicht usw.. Geschrieben von einem Rechtsanwalt in Westerheim bei Stuttgart, der sowohl medizinisch als auch juristisch ausgebildet ist. Das Buch ist verfasst für Ärzte, denen der Autor ihre Pflichten und Rechte erklärt, damit sie drohenden Haftungsklagen (noch) beruhigter entgegensehen können. Vorschlag Hempfings an Ärzte: »Wird Ihnen ein Vorwurf gemacht, müssen Sie ganz generell mit Äußerungen und Stellungnahmen zu dem in Frage stehenden Fall außerordentlich zurückhaltend sein. Auch im engeren Kreis, bei dem kein absolutes Vertrauensverhältnis herrscht..., sollte der Fall nicht mehr diskutiert werden. Sie müssen – spätestens ab dem Zeitpunkt eines Vorwurfs – daran danken, dass Offenheit, Meinungsvielfalt oder Abwägen Ihrer Position schadet. Und nur die ist dann wichtig. Gerade das sind Sie der Offenheit und der Abgewogenheit Ihres Standpunktes schuldig.« Also mauern, mauern, mauern als ärztliches Prinzip, wichtig sind nicht die Interessen der möglicherweise Geschädigten, sondern nur die wirtschaftlichen Interessen des Arztes. Orientiert am BRD-Recht. Kartoniert, 309 S., Landsberg: Ecomed Verlagsgesellschaft 1995. DM 68.–
Peter Lehmann

Traute Hensch / Gabriele Teckentrup (Hg.): Schreie lautlos. Missbraucht in Therapien
Authentischer Bericht über den sadomasochistischen Missbrauch zweier Frauen durch ›ihren‹ Therapeuten, einen Hamburger Psychosomatiker, der das Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich seine Klientinnen während des Therapieverlaufs befinden, zum Ausleben seiner sadistischen Begierden nutzt. Mit Auszügen aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen und einer Nachzeichnung des Prozessverlaufs. Kart., 240 S., Freiburg: Kore Verlag 1993. DM 35.–
Peter Lehmann

Gunter Herzog / Gabriele Tergeist: Störfall Sexualität. Intimitäten in der Psychiatrie
Über Sexualität in psychiatrischen Einrichtungen, Diskurse über Geschlechtlichkeit, Diagnoseschlüssel, ›Nebenwirkungen‹ von Psychopharmaka, erzwungene Sexualität, Sexualität in psychiatrischen Behandlungsverhältnissen und in Therapie usw. Kart., 268 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1996. DM 34.–
Peter Lehmann

Birgit Heuer / Renate Schön: Lebensqualität und Krankheitsverständnis. Die Auswirkung des medizinischen Krankheitsmodells auf die Lebensqualität von chronisch psychisch Kranken
Lebensqualität statt Krankheitsbegriff. Die Autorinnen befragen die psychiatrische Praxis aus einer ebenso frappierenden wie naheliegenden Perspektive. Sie zerbrechen sich nicht die Köpfe darüber, ob die heute in psychiatrischen Institutionen übliche Behandlung sich durch dahinterstehende Krankheitsbegriffe rechtfertigen ließe oder irgendwelche naturwissenschaftlichen Beweismittel für die Angemessenheit der üblichen Krankheitskonstrukte auszumachen wären. Sie fragen schlicht aber ergreifend, wie es sich mit der Lebensqualität der Personen verhält, die eine psychiatrischen Behandlung ausgesetzt sind oder waren. Schließlich wird man doch als Ziel einer jeden ärztlichen Kur unterstellen dürfen, dass sie das Wohlbefinden des "Patienten" im Effekt steigert. Nun handelt es sich bei der Lebensqualität sicherlich um einen wissenschaftlich schwer zu fassenden Terminus, aber immerhin hindert nichts daran, die Menschen nach der ihren zu befragen. Kartoniert, IV + 434 Seiten,
ISBN 978-3-925931-30-7. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag, korrigierte Neuausgabe 2004. € 38.90
Lucinda Bee

Mario Hieke: Die Informationsrechte geschädigter Arzneimittelverbraucher
Die Dissertation (Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg, 2003) über das rechtliche Instrumentarium, das Arzneimittelgeschädigten zu Verfügung steht, um den Schadensverursacher bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen haftungsrechtlich zu belangen, besticht durch Materialfülle und Übersichtlichkeit. Die Arbeit knüpft an den durch das II. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften eingeführten materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs des Arzneimittelgeschädigten gegenüber dem Arzneimittelhersteller an und beleuchtet die aus dem reformierten Informationsanspruch resultierenden Möglichkeiten und Grenzen der Darlegungs- und Beweismöglichkeiten. Kartoniert, XV + 506 Seiten, ISBN 13: 978-3-89786-054-4, ISBN 10: 3-89786-054-6. Frankfurt am Main: pmi Verlag 2003. € 68.50
Peter Lehmann

James Hillman / Michael Ventura: 100 Jahre Psychotherapie – und der Welt geht's immer schlechter
Feuilletonistische, sehr gut lesbare Kritik am individualisierenden Starren der Therapie auf Kindheitstraumata, welches Umweltbelastungen und andere gesellschaftliche Stressdimensionen aus dem Blickfeld gelangen lässt. Geb., 275 S., Düsseldorf: Walter Verlag 1993. DM 48.–
Peter Lehmann

Paul Hoff: Psychiatrie: Ein Blick von innen. Geschichte – Theorien – Fälle
Der Autor Paul Hoff, Psychiater und Philosoph, will das Fach Psychiatrie und Psychotherapie in seiner ganzen spannungsreichen Vielfalt darstellen und anhand von Fallbeispielen die zentralen und kontroversen Themenbereiche veranschaulichen: Natur der (sog.) psychischen Krankheit, Behandlung, Krankheitseinsicht, Deutungshoheit, Zwang und Missbrauch, Remission, Recovery u.v.m. Ideologisch festgelegt, jedoch ohne Einsicht in seine Festlegung, arbeitet er die Themenbereiche mit einer "Ja, aber"-Strategie ab, benennt Widersprüche, um dann aber einzig solche Argumente anzuführen, die vordergründig seine Position rechtfertigen; Sichtweisen der Gegenposition(en) werden, wenn überhaupt, jeweils nur verkürzt dargestellt, deren Protagonisten kommen nicht zu Wort, auch wenn der Autor gelegentlich dafür plädiert, angesichts der zunehmenden Autonomiebestrebungen von Psychiatriebetroffenen mit dieser Personengruppe ins Gespräch zu kommen. So beschränkt sich deren Rolle mal wieder darauf, als bloße Objekte von Fallbeispielen zu dienen. Kartoniert, 223 Seiten, ISBN 978-3-7296-0834-4. Oberhofen am Thunersee: Zytglogge Verlag 2011. € 30.–
Peter Lehmann

Nicolas Hoffmann / Birgit Hofmann: Depression. Informationsmaterial für Betroffene und Patienten
Die Leserschaft bevormundendes, einseitiges und nahezu ausschließliches Plädoyer für Verhaltenstherapie, basierend auf einem Verständnis von Depression als teilweise erblich bedingter Krankheit mit sinnloser Symptomatik, begleitet von pauschaler Abkanzelung der Selbsthilfe-Literatur insgesamt auf der einen und ausnahmsloser Empfehlung selbstverfasster Literatur auf der anderen Seite. Im Rahmen dieser Vorgaben finden sich für Therapeuten und Klienten nachvollziehbare und die Therapie unterstützende Anleitungen zur Reflexion und weiteren Planung der einzelnen Therapieschritte. Kartoniert, 192 Seiten, ISBN 3-936142-81-5. Lengerich: Pabst Science Publishers 2002. € 20.–
Peter Lehmann

Nicolas Hoffmann / Henning Schauenburg (Hg.): Psychotherapie der Depression. Krankheitsmodelle und Therapiepraxis – störungsspezifisch und schulenübergreifend
Buch zu den Theorien und Vorstellungen von Therapeuten aller Art über die Genese und Behandlung von Depressionen. Wenn eingangs völlig unkritisch die doppelte Häufigkeit der Diagnose "Depression" bei Frauen erwähnt und bei Ursachen von Depressionen pharmakogenes Auslösen vergessen wird, so ist dies leider ein deutliches Signal für die doch begrenzte wissenschafltliche Qualität des Buches und der auf den enthaltenen Vorstellungen aufbauenden psychotherapeutischen Bemühungen. Kartoniert, 210 Seiten, ISBN 3-13-126061-0. Stuttgart: Thieme Verlag 2000. DM 59.–
Peter Lehmann

Patrick Holford: Optimale Ernährung für die Psyche
Wenn man großzügig über die reißerische Aufmachung, den unschönen Satzspiegel, die vielen Druck- und Übersetzungsfehler und manche allzu simple Diagnosen und Heilsversprechen – z.B. sind über 50% aller psychischen Probleme ursächlich Blutzuckerprobleme und Zucker macht dumm – , das reaktionäre Verständnis von "Schizophrenie" als degenerative Erkrankung und das Ausblenden eines jeglichen Ansatzes organisierter Selbsthilfe hinweg sieht und sich von der Fülle der biochemischen Erläuterungen und warnenden Fragebögen nicht erschlagen lässt, dann liefert das Buch umfangreiche und teilweise praktikable Hinweise zu all den Stoffen, die einer gesunden Ernährung dienlich sind und damit auch der Psyche. Aber bitte nicht alles so ernst nehmen! Z. B. die "Aufputschmittelbestandsaufnahme", die schon bei täglich zwei Tassen Tee und zwei Teelöffeln Zucker (aber: kein Kaffee, kein Alkohol, keine Schokolade, Cola oder Zigarette) eine psychische Gefährdung nahelegt und den Autor zu strengsten Empfehlungen zwingt. Und steht hinter Verbrechen wirklich die "Zuckertraurigkeit"? Ich gebe es zu, die letzten 150 Seiten dann nur noch überflogen zu haben. Nach der "Lösung für Depression, manische Depression und Schizophrenie" wird auf dreieinhalb Seiten schnell der Entzug von Alkohol, Heroin, Nikotin und Medikamenten abgehandelt, dann die Jugend, Essstörungen, Epilepsie und das Alter: "Sagen Sie Nein zu Alzheimer". Ein allwissender Autor (von 20 "beliebten" Büchern, in 17 Sprachen übersetzt) lässt eine zunehmend unwillige Leserin zurück. Zuckerunwillen? Kartoniert, XV + 390 Seiten, mit Abbildungen und Tabellen, ISBN 3-9501946-0-6. Vorchdorf: Veda Nutria Verlag 2003. € 19.90
Kerstin Kempker

Patrick Holford / Deborah Colson: Optimale Gehirnernährung für Kinder – Fit im Kopf, fit in der Schule, fit im Leben
Tipps für eine gesunde Ernährung von Kindern, die ihre Entwicklung unterstützt und ihre Intelligenz fördert. Für den Fall, dass Kinder unter Problemen wie Legasthenie, Dyspraxie, Autismus, Aggressivität, Aufmerksamkeits-, Ess- und Schlafstörungen leiden, empfehlen Holford und Colson die Umstellung der Ernährung, insbesondere den Verzicht auf hydrierte Fette und raffinierte Kohlehydrate und dafür die Verwendung von Vollwertnahrungsmitteln, Vitaminen, Mineralstoffen und essenziellen Fettsäuren, insbesondere Omega-3-Fettsäuren. Da oft genug der Einsatz psychiatrischer Psychopharmaka droht, wenn Kinder Probleme bereiten, ist es ausgesprochen vernünftig zu versuchen, Geist und Körper auf natürliche Art zu beeinflussen. Das Buch liefert eine hilfreiche Erklärung in Theorie und Praxis, wie das funktionieren könnte. Kartoniert, 294 Seiten, 17 schwarz-weiße Grafiken und 4 Fotos, Tabellen, ISBN 978-3-86731-020-8. Kirchzarten: VAK Verlag 2008. € 18.95
Peter Lehmann

Petra Hollweg / Wolfram Schwarz: Fernöstliche Heilkunst für die Seele – Natürliche Selbsthilfe bei Krisen und Verstimmungen
Das Buch beschreibt die ganzheitliche Behandlung seelischer Verstimmungen und sogenannter Angsterkrankungen mit traditioneller Chinesische Medizin (TCM). Es versteht sich zwar als Ergänzung zu westlichen Behandlungsmethoden, womit symptomunterdrückende medizinische Maßnahmen und Psychotherapieverfahren gemeint sind. Aber wer schon unerquickliche Bekanntschaft mit psychiatrischen Psychopharmaka gemacht hat, verzichtet eventuell gerne auf diese "bewährten" Maßnahmen und sucht nach einem Weg jenseits gesundheitsgefährdender Psychodrogen. Entsprechend ihrem Ansatz, traditionelle Chinesische Medizin nur als Ergänzung zu sehen, stellen Hollweg und Schwarz die typischen westlichen Behandlungsverfahren nicht in Frage, ebensowenig wie das psychiatrische Krankheitsbild (endogen, Erbfaktor usw.). Dieser Sichtweise muss man jedoch nicht folgen, und ab Seite 26 spielt sie dann auch keinerlei Rolle mehr im Buch. Jetzt beginnt – unvermittelt – der eigentliche Buchinhalt, nämlich die Erläuterung der Prinzipien der traditionellen Chinesischen Medizin, Yin und Yang, und der Lebensenergie Qi, vergleichbar etwa der Lebenskraft, wie sie die Homöopathie kennt. Stress, Angstzustände, Panikattacken und Depressionen entstehen demzufolge durch Störung des Lebensenergieflusses. Mit einem Fragebogen kann man ermitteln, welche Elemente (Holz, Feuer, Erde, Metall oder Wasser) einen besonders beeinflussen. Hieraus lassen sich dann Handlungsansätze entwickeln. Diese werden in der zweiten Hälfte des Buches ausführlich, verständlich und differenziert für die einzelnen Energietypen dargestellt: Akupressur, Ernährung, Heilkräuter, Bewegung und psychologische Maßnahmen. Wer lieber einen Bogen um psychiatrische Psychopharmaka machen will und sich auf den Ansatz der traditionellen Chinesischen Medizin einlässt, findet hier Anregungen für eigenständig praktizierbare oder unter Anleitung von HeilpraktikerInnen und anderen Expertinnen durchführbare Maßnahmen in Hülle und Fülle. Kartoniert, 144 Seiten, 24 Abbildungen, ISBN 978-3-8304-3691-1. Stuttgart: Trias Verlag in MSV Medizin-Verlage 2010. € 12.95
Peter Lehmann

Schirin Homeier: Sonnige Traurigtage. Ein Kinderfachbuch für Kinder psychisch kranker Eltern
Das Kind Mona bekommt mit, dass seine allein erziehende Mutter immer mal wieder depressiv ist und deshalb ihren elterlichen Pflichten nicht nachkommen kann. Deshalb wird Mona von ihren Freunden und in der Schule diskriminiert. Und Mona hat Schuldgefühle gegenüber der Mutter. Diese belastende Situation wird bebildert nachvollziehbar dargestellt. Soweit der positive Aspekt des Buches. Jetzt aber beginnt der Ratgeberteil. Das Kind lernt, dass der Psychiater der Facharzt ist, der herausfindet, "... dass Mama eine psychische Krankheit hat. Das ist also der Grund für die Traurigtage. Jetzt wissen wir, was los ist!" Und weiter, wörtlich: Der Psychiater verschreibt Medikamente gegen psychische Krankheiten. Im Sozialpsychiatrischen Dienst kümmern sich die Fachleute um psychisch kranke Menschen. Weil Mama jetzt noch mehr Hilfe braucht, geht sie für einige Zeit in die psychiatrische Klinik. Dort erholt sich Mama. Leute, die keine Ahnung haben, geben der Psychiatrie gemeine Namen wie "Irrenhaus" oder "Klapse". Menschen, die eine psychische Krankheit haben, finden dort viel Zeit und Ruhe. Sie finden Schutz und bekommen oft neue Medikamente. Und können viel mit den Fachleuten reden, wodurch sie zu neuen Kräften kommen. In anderen Worten: Psychiatrische Psychopharmaka (insbesondere die neuen, die man bekommt) sind frei von unerwünschten Wirkungen und heilen psychische Probleme. Überall sitzen Experten, bereit, mit den Betroffenen hilfreiche Gespräche zu führen. Zwang und Gewalt gegen Betroffene gibt es nicht. Nur Ignoranten, die Kritik an der Psychiatrie üben. Dabei sind Psychiatrien echte Erholungsheime, geradezu Jungbrunnen...... Fazit: Ein Lehrbuch für die Indoktrination von Kindern, für die Vermittlung psychiatrischer Glaubenssätze bar jeden kritischen Gedankens, für die subtile Werbung für atypische Neuroleptika und SSRI. – Es wird Zeit, dass Kindern von Menschen mit psychosozialen Problemen nicht nur ein Recht auf Schutz im Allgemeinen zugesprochen wird, nicht nur ein Recht auf Geborgenheit, Fürsorge, Versorgung, Freundschaften, Hobbys und Freude, sondern auch ein Recht auf Schutz vor ideologisch geprägten einseitigen und primitiven Gut-Böse-Weltbildern (beispielsweise à la Scientology oder biologische Psychiatrie). Aus pädagogischer Sicht sind für Kinder die Konsequenzen solcher Indoktrination doppelt fatal: Indem sie lernen, dass die psychischen Probleme ihrer Eltern nichts als bloße Krankheitssymptome sind, die – wie etwa Geschwüre – behandlungsbedürftig und medizinisch wegzubehandeln sind, entsteht eine Enfremdung zwischen ihnen und dem betroffenen Elternteil. Und die Kinder laufen Gefahr, selbst einmal ärztegläubige Schlucker von Medikamenten und Psychopharmaka zu werden. Als ob es nicht schon genügend medikamentenabhängige Menschen geben würde. Gebunden, 125 Seiten, ISBN 978-3-938304-16-7. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag 2006. € 19.80
Peter Lehmann

Alexander Markus Homes: Von der Mutter missbraucht. Frauen und die sexuelle Lust am Kind
Akribisch recherchiert und fast bis zur Unerträglichkeit gewürzt mit Erfahrungsberichten zieht der Autor in einem Ton zwischen Rechtfertigung und Anklage die Schleife von den Täterinnen über Feminismus und Pädophilie hin zu den Opfern, die selber wieder zu Tätern und Täterinnen werden. 50 Seiten Literaturverzeichnis. Kartoniert, 459 Seiten, ISBN 3-89967-282-8. Lengerich: Pabst Science Publishers, 2. Auflage 2005. € 25.–
Kerstin Kempker

Lara Honos-Webb: ADHS als Geschenk. Wie die Probleme Ihres Kindes zu Stärken werden können
Die Autorin, Psychologin aus Santa Clara, USA, sieht die Impulsivität des Kindes positiv als Erkenntnisdrang und außergewöhnliche Intuitivität. Mit speziellen Übungen, die an den Interessen der Kinder anknüpfen – statt wie bei anderen Büchern vorgegeben sind – soll daraus produktive Stärke gemacht werden. Vom Ansatz her scheint dies durchaus sinnvoll zu sein, jetzt muss nur noch ausprobiert werden, ob die Übungen auch von den Kindern so gut gefunden werden wie von der Autorin. Cheerleader- und Bingospiele sind zwar etwas amerikanisch angehaucht, dafür bilden Ritterspiele oder Harry Potter ein auch hierzulande brauchbares Gegengewicht. Kartoniert, 192 Seiten, ISBN 978-3-87387-656-9. Paderborn: Junfermann Verlag 2007. € 19.50
Peter Lehmann

Renate Hornik: Honigschlecken. Plötzlich Stiefmutter! Herz ist Trumpf – Karrierefrau siegt mit Glanz und Gloria
Von der Autorin als Roman angekündigt, der thematisch zum Antipsychiatrieverlag und -versand passe. Leider gelang es mir nicht, den Zusammenhang zum Thema Psychiatrie & Antipsychiatrie zu finden. Dafür schmeckten die vom Verlag zu Werbezwecken beigelegten Honigbonbons ausgezeichnet. Kartoniert, 214 Seiten, ISBN 3-937568-65-4. Aachen: spirit RAINBOW Verlag 2006. € 15.90
Peter Lehmann

Jürgen Hoyer / Katja Beesdo / Eni S. Becker: Ratgeber Generalisierte Angststörung. Informationen für Betroffene und Angehörige
Wer sich rein symptomorientiert, systematisch, schrittweise, mit Hilfe von Arbeitsblättern und den Direktiven des Autors seiner Panik oder Phobie (generell ist von Agoraphobie die Rede) stellen will, bekommt in diesem Ratgeber knappe konkrete Hinweise, speziell aus der Verhaltenstherapie, entlang den Fragen: Was ist das? Wie entsteht es? Was kann man tun? Mit Beispielen versehen wird das übermäßige chronische Sorgen und Befürchten von drei AutorInnen aus der klinischen Psychologie betrachtet, vom "normalen" Sorgen abgegrenzt und schrittweise – sortieren, planen, entspannen, sich stellen – handhabbar gemacht. Kartoniert, 79 Seiten, ISBN 978-3-8017-2030-8. Göttingen: Hogrefe Verlag 2007. € 9.95
Kerstin Kempker

Michaela Huber: Multiple Persönlichkeiten. Überlebende extremer Gewalt
Rezension siehe Infobutton
Kerstin Kempker

Michael Hüll: Die Anti-Depressions-Strategie im Alter
Buch eines Psychiaters aus Freiburg, der Depressionen bei alten Menschen beschreibt, sowohl die biologische wie die psychologische Seite, jedoch zwanghaft immer von einer gestörten Hirnfunktion ausgeht. Menschen, die im Alter depressiv werden, sieht Hüll deshalb grundsätzlich als neurologisch Erkrankte, und entsprechend gestaltet sich sein Angebot von Behandlungsmöglichkeiten, das u.a. Antidepressiva, die in den letzten 20 Jahren "deutlich besser verträglich" geworden seien, ebenso einschließt wie konventionelle, völlig unkritisch empfohlene Elektroschocks: eine brutale Behandlung, die auf der Auslösung epileptischer Anfälle basiert - ausgerechnet bei alten, auch körperlich immer weniger belastbarer Menschen. Finger weg von diesem ideologisch geprägten und wenig christlichem Buch. Bei der Vorstellung, die eigenen, alt gewordenen Eltern werden einer Behandlung im Sinne Michael Hülls unterzogen, kommt einen das kalte Grausen. Kartoniert, 158 Seiten, ISBN 978-3-451-61005-9, Freiburg: Kreuz Verlag 2011. € 14.95
Peter Lehmann

Gerald Hüther / Helmut Bonney: Neues vom Zappelphilipp – ADS verstehen, vorbeugen und behandeln
Dieses Buch zweier kritischer ADS-Experten liefert Antworten auf Fragen wie: Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung "ADS"? Wie entsteht dieses Verhaltensmuster? Wie kann man solche Fehlentwicklungen vermeiden? Sollten sie bereits entstanden sein: Wie kann man den betroffenen Kindern wirksam helfen? Das Buch ist geschrieben für Eltern, Kinderärzte und Therapeuten und liefert kompakte Argumente in verständlicher Sprache. Sehr empfehlenswert! Taschenbuch, 167 Seiten, ISBN 978-3-407-22927-4. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2012. € 12.95
Peter Lehmann

Stephen S. Ilardi: Depression ist heilbar – Das Sechs-Schritte-Programm ohne Medikamente
Menschen mit Depressionen stehen eine Reihe von Hilfsmitteln zur Verfügung, gegen ihre Depressionen anzugehen: Naturheilkundliche Mittel, synthetische Psychopharmaka, Engagement in der Selbsthilfegrupppe, Psychotherapien diverser Art, Elektroschocks, Alkohol u.v.m. Selbsthilfegruppen, Psychotherapien oder naturheilkundliche Mittel wie Johanniskraut helfen nicht immer, Elektroschocks schädigen Gehirn und Körper sofort und nachhaltig, Alkohol auf die Dauer ebenso, Antidepressiva stehen im Ruf, Depressionen zu chronifizieren, Neuroleptika mit ihrer suizidalen Eigenwirkung sind auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Was also tun? Stephen Ilardi, Professor für klinische Psychologie an der Universität von Kansas, publizierte 2009 ein intelligentes Buch, das kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen ist. Für Ilardi sind Depressionen zwar schwere Krankheiten, da sie mit enormem Leiden verbunden sein können, deshalb aber längst kein Ergebnis von Stoffwechselstörungen, sondern primär von Schlaf- und Bewegungsmangel, von schlechter Ernährung und von Stress. Um den depressiv machenden Lebensstil zu ändern, empfiehlt er ein Spektrum diverser, sich ergänzender Schritte, unter anderem Omega-3-Fettsäuren als Gehirnnahrung, Anti-Grübel-Techniken und spannende Aktivitäten, körperliche Bewegung, Sonnenlicht, soziale Beziehungen und Schlaf. Sein 6-Schritte-Programm stellt er anschaulich und leicht verständlich vor, und abgeschlossen wird das empfehlenswerte Buch mit einer Depressionsskala als Praxishilfe, mit der man den zu erwartenden Fortschritt beim Nachlassen der Depressionen wöchentlich messen kann. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 317 Seiten, ISBN 978-3-424-63036-7. München: Kailash Verlag 2011. € 17.99
Peter Lehmann

Institut für kommunale Psychiatrie (Hg.): Auf die Straße entlassen. Obdachlos und psychisch krank
Plädoyer für sozialpsychiatrisches »Zugehen« auf Obdachlose, incl. Case-Management, ›Medikation‹ usw. usf. Antipsychiatrische Ansätze wie beispielsweise das Weglaufhaus Berlin kommen nicht vor. Kart., 215 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1996. DM 29.80
Peter Lehmann

Irren-Offensive e.V. (Hg.): 30 Jahre Kampf für die Unteilbarkeit der Menschenrechte
Das Buch besteht aus sieben mehr oder weniger interessanten Teilen zum Thema Psychiatrie und Menschenrechte. Wolf-Dieter Narr, Prof. für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, steuerte beispielsweise eine Stellungnahme bei über die menschenrechtlichen Konsequenzen der UN-Behindertenrechtskonvention, in der er die Abschaffung von Zwang fordert, eine Reform der psychiatrischen Praxis, die Schaffung sozialer Räume, in denen Menschen ohne repressive Behandlung leben können, und alternative Formen der Konfliktlösung im Rahmen eines großen demokratisch menschenrechtlichen Reformprojekts. Was dieser Text allerdings mit dem Thema "30 Jahre Irren-Offensive" zu tun hat, vergaß der Autor zu sagen. Eine konstruktive Mitarbeit der Irren-Offensive bei der Entwicklung der UN-Konvention der Rechte von Menschen mit Behinderung bei den Vereinten Nationen ist schließlich nicht bekannt. Wesentlich beteiligt an der Konvention waren dagegen MindFreedom International sowie der Weltverband von Psychiatriebetroffenen (dessen deutsches Mitglied der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener – BPE e.V. ist). Nichts bekannt ist auch von einer konstruktiven Maßnahme der Irren-Offensive, die Konvention hierzulande umzusetzen. Dazu wären allerdings Schritte aus der selbstgewählten Sektiererecke nötig und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, um sich vereint gegen den psychiatrisch-pharma-industriellen Komplex zu stemmen. – Von Rene Talbot stammt das Kapitel zur Geschichte der Irren-Offensive mit einer bemerkenswerten Notiz am Ende: "Diese wahre Geschichte wird von Rene Talbot erzählt, einem langjährigen Menschenrechtsaktivisten in der Irren-Offensive". Da Talbot zehn Jahre, nachdem sich diese Gruppe gegründet hatte, zu ihr stieß – zu einem Zeitpunkt, als die Gründungsmitglieder dem Verein den Rücken gekehrt hatten – , meint er offenbar, er könne frei über die Gründungsgeschichte der Irren-Offensive fabulieren und dies per Fußnote zur "wahren Geschichte" deklarieren. Sich etwa der Publikation "Die Irren-Offensive – Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von Psychiatrieüberlebenden" von Tina Stöckle aus dem Jahre 1983 zu bedienen, in der die Bedingungen und Entwicklungsprozesse der Gruppe sorgfältig dokumentiert sind, war Talbot offenbar nicht möglich, stellten diese Fakten doch ein Korrektiv für seine Möchtegern-Geschichte dar. Vielleicht passt ihm auch der undogmatische Ansatz nicht, den Tina Stöckle beschreibt. Viel lieber entwirft Talbot – beispielsweise als Gründungsrahmen der Irren-Offensive – das Szenarium einer "spießigen Reaktion", ein politisches Klima, das durch den Eintritt der Grünen in Regierungsämter und Cerruti-Sakkos des Außenministers Joschka Fischer gekennzeichnet gewesen sei und gegen das sich der Gründungsgeist der Irren-Offensive gewandt habe. Dass zwischen Gründung der Irren-Offensive und Eintritt der Grünen in die Regierung ca. 15 Jahre lagen, spielt für Talbot keine Rolle. Selbstgefällig beleidigt er Mitglieder des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener als "auf Krankheitseinsicht 'abgerichtete' Menschen", die ihre Krankheitseinsicht wie eine Monstranz vor sich her tragen und mit ihrer Opferrolle das psychiatrische Foltersystem stabilisieren, wodurch die politische Kritik am psychiatrischen System wirkungslos werde. Auf die Idee, dass seine besserwisserische Beschimpfung der großen Mehrheit von aktiven Psychiatriebetroffenen, die auf ihre Weise – Proteste und Gremienarbeit – für Alternativen, eine bessere Förderung des Selbsthilfebereichs und die Durchsetzung von Menschenrechten im psychosozialen Bereich kämpfen, bloß lächerlich ist und mitsamt den Un- und Halbwahrheiten dazu führt, dem gesamten Buch den Stempel des Unsinns aufzudrücken, kommt der Autor nicht. Schade für das Anliegen, schade für die Mitautoren und schade für den Verlag. (Rezension im BPE-Rundbrief, 2011, Nr. 2). Kartoniert, 156 Seiten, ISBN 978-3-940865-14-4. München: AG SPAK 2010. € 16.–
Peter Lehmann

Theodor Itten: Jähzorn – Psychotherapeutische Antworten auf ein unkontrollierbares Gefühl
Wer kennt sie nicht, die unangenehme Erfahrung mit eigenem oder fremdem Jähzorn? Jeder Fünfte war laut Befragungen in der Ostschweiz als Kind Opfer von jähzornigen Eltern, 24 Prozent der Befragten bezeichneten sich selbst als jähzornig. "Wenn wir als Kinder mit einem jähzornigen Elternteil aufwachsen, werden wir durch diese Erfahrung geprägt. Wir entwickeln eine Jähzornangst", schreibt der Autor, ein in St. Gallen niedergelassener Psychotherapeut. Er weiß, wovon er spricht. Mit 14 Jahren zerhaute er die geerbte Geige seines Großvaters aus Wut darüber, dass er das Instrument in eine Gitarre umschreinern sollte, da sein engstirniger Vater ihm keine Gitarre kaufen mochte. Mit seinem Buch macht Itten den Jähzorn erstmals im deutschsprachigen Raum zum Thema. Wo kommt Jähzorn her? Wie zeigt sich Jähzorn? Was können Betroffene, Angehörige und Therapeuten tun? Bei der Beantwortung brennt der Autor ein Feuerwerk an Informationen ab, die man sich kaum umfassender vorstellen kann: Jähzorn in Religionen, Mythen, Geschichte, Literatur, Filmen, im Alltag, im Sport. "Im Überblick des Weges, den wir durch die Geschichten, Mythen und Therapieberichte dieses Buches gegangen sind, merke ich viel klarer, was sich im und durch den Jähzorn zeigt. Jähzorn kann verstanden und verändert werden, sobald die verschiedenen Bereiche des eigenen wahren und wirklichen Lebens miteinander in Verbindung sind." Gebunden, XI + 193 Seiten, 1 Abbildung, 22 Tabellen, ISBN 978-3-211-48622-1. Wien: Springer Verlag 2007. € 24.95
Peter Lehmann

Theodor Itten / Ron Roberts: Politik der Erfahrung – Kritische Überlegungen zur Entwicklung von Psychologie und Psychotherapie
Die beiden Psychologen Theodor Itten und Ron Roberts untersuchen den Einfluss des neoliberalen Kapitalismus auf die Kluft zwischen der akademischen Psychologie und der psychotherapeutischen Kunst des Heilens und plädieren für die Rückkehr zu einer authentischen und dynamischen Politik der Erfahrung. Wie kam es zur heimlichen Politisierung der Erfahrung, dem Verkauf des Wissens an die Meistbietenden, der Infizierung der therapeutischen Beziehung und dem Hunger der Psychologen nach Status, Macht und Kontrolle? Analytisch, historisch, persönlich und empirisch verknüpfen die beiden Autoren ihre beruflichen und privaten Erfahrungen und finden so Antworten auf die Frage, was Menschen inner- und außerhalb der Psychotherapie hilft, sich selbst helfen und zur Sorge für das eigene Wohlbefinden zu finden. In 12 Kapiteln geht es also um die Beeinflussung der psychotherapeutischen Haltung durch Lehranalyse, Lehrtherapie und Selbsterfahrungspraxis, um die Rolle von Intuition und Wissenschaft in der Psychotherapie und die Einbeziehung von Ronald D. Laings Werk und seinen Erfahrungen, um Mord, Korruption, Politik und Gedankenkontrolle in den akademischen Elfenbeintürmen, um heilende und emanzipatorische Aspekte der Psychotherapie, um die Auseinandersetzung mit den Grenzen des methodischen Individualismus in der Psychotherapie, um das Verhältnis der Arbeit von Psychotherapeuten zu den Erfahrungen der Betroffenen u.v.m. Das Buch richtet sich an Psychologen in therapeutischer Praxis sowie in Universitäten und ruft sie auf, sich der Rebellionsbewegung gegen die Enthumanisierung des Menschen in der industriellen Gesellschaft anzuschließen. Kartoniert, 336 Seiten, ISBN 978-3-8379-2537-1. Gießen: Psychosozial Verlag 2016. € 36.90
Peter Lehmann

Leslie Iversen: Speed, Ecstasy, Ritalin. Amphetamine – Theorie und Praxis
Das 2006 original in englischer Sprache erschienene und jetzt in deutscher Übersetzung vorliegende Buch enthält allerlei Wissenswertes über eine umstrittene Klasse psychiatrischer Psychopharmaka und Drogen. Allerdings beschränken sich die Quellen auf Veröffentlichungen aus dem angloamerikanischen Sprachraum. Bücher wie Marc Rufers "Glückspillen. Ecstasy, Prozac und das Comeback der Psychopharmaka", erschienen 1995, ignorieren sowohl der Autor als auch der Vorwortschreiber Dilling. Ebenfalls vermisse ich eine ganze Reihe kritischer Literatur zu Ritalin, von Abrams über Bonney bis hin zu DeGrandpre. Nichtsdestotrotz enthält das Buch viele wichtige kritische Informationen über Amphetamine (inkl. Adderall) und das Aufputschmittel Ritalin, das eine den Amphetaminen vergleichbare Wirkung hat. Die Informationen – es sind auch befürwortende Einschätzungen von Ritalin darunter – betreffen sowohl was die Wirkungsweise bei Mensch und Tier, als auch die gesundheitlichen Risiken incl. Abhängigkeit und Amphetaminpsychosen bei legalem Einsatz (als Antidepressiva, Wachmacher, Schnupfenmittel, Appetitzügler, Ruhigstellung von "Zappelphilippen" usw.) und bei illegalem. Iversen zeigt, wie Amphetamine einzeln oder in Kombination mit anderen Substanzen mit großer Begeisterung für diverse Indikationen empfohlen worden waren. Früher oder später, wenn ausreichende Berichte von Schädigungen vorlagen, wurden diese "Medikamente" wieder vom Markt genommen. Und das Buch enthält viele Spekulationen zu möglichen Ursachen diverser psychischer "Krankheiten" (u.a. die "Dopamin-Hypothese der Schizophrenie"), rückgeschlossen von der vermuteten Wirkungsweise der Amphetamine. Kartoniert, 247 Seiten, 20 schwarz-weiße Abbildungen, 6 Tabellen, ISBN 978-3-456-84519-7. Bern: Huber Verlag 2009. € 29.95
Peter Lehmann

Frederike Jacob: Ess-Störungen. Lösungsorientiert überwinden
Eine Therapeutin berichtet aus ihrer Sicht. Ganz am Rande kommen Psychopharmaka (Antidepressiva) vor. Der Bitte, beim Absetzen behilflich zu sein, weicht sie aus. Kartoniert, 220 Seiten, ISBN 3-86145-254-5. Dortmund: Borgmann Verlag modernes leben 2003. € 17.90
Peter Lehmann

Pe Jacobi: Angst erfolgreich überwinden – Ein Praxisbuch für Frauen
Die Autorin – Sozialpädagogin und Journalistin – schreibt engagiert, eloquent und praxisnah von weiblicher Angst, Vermeidungsverhalten, Abhängigkeit, Therapie und Selbsthilfe. Hintergrund sind neben einschlägiger Literatur eigene Erfahrungen, die Befragung vieler Frauen und besonders die ausführlichen Berichte von fünf Frauen. Angenehm zu lesen, informativ und ermutigend. Fraglich allerdings, wie fundiert manche Zahlen sind, ob wirklich 11% der Bevölkerung an sozialen Phobien erkranken, wieso Frauen genetisch anfälliger sind für kranke Angst, und warum die Autorin so sehr darauf beharrt, die Angst zur Krankheit zu machen. Ist es nicht eine Falle, wenn eine Frau krank sein muss, um ernst genommen zu werden? Zitat: 'Ich weiß ja, dass sie krank ist und nichts dafür kann.'" Original 2005 bei Rowohlt unter dem Titel "Ängste besiegen, Panik überwinden – Ein Buch für Frauen". Gebunden, 222 Seiten, ISBN 978-3-86647-323-2. Köln: Anaconda Verlag 2009. € 7.95
Kerstin Kempker

Bettina Jahnke: Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen – Mit EX-IN zum Genesungsbegleiter
Das Buch besteht aus 14 Interviews mit Ex-In-Absolventinnen und Absolventen über ihre persönliche, psychische Veränderung und Stabilisierung (im Buch "Recovery" und "Empowerment" genannt) infolge der Teilnahme am Programm. Die Interviews führt mit Bettina Jahnke eine -Journalistin und EX-IN-Absolventin, die zudem als Genesungsbegleiterin auf einer Sozialarbeiterinnenstelle in Viersen arbeitet. Dies hat den Vorteil, dass sie als Insiderin Fragen stellt, auf die ein Außenstehender nie kommen würde, und den Nachteil, dass die Fragen EX-IN-systemimmanent bleiben und Fragen eher grundsätzlicher Natur nicht gestellt werden, beispielsweise: Wie ist der Anspruch, antidiskriminierend tätig zu sein, vereinbar mit der unkritischen Verwendung des Krankheitsbegriffs? Lässt sich Empowerment, d. h. Selbstermächtigung, so einfach reduzieren auf einen inneren Emanzipationsprozess – unter fast vollständiger Ausblendung aller Macht- und Gewaltverhältnisse in der Psychiatrie? Was sagt es aus über die Ersteller des EX-IN-Curriculums, dass in der Ausbildung die durchschnittlich um zwei bis drei Jahrzehnte reduzierte Lebenserwartung psychiatrischer Patientinnen und Patienten kein Thema ist? Wer sich an diesem Manko nicht stört, findet in dem Buch aussagekräftige Einblicke in das, was die EX-IN-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen bewegt und welche psychischen Erkenntnisprozesse die Ausbildung bei ihnen ausgelöst hat, welche neuen Prioritäten sie in ihrem Leben gesetzt haben und wie sie mit ihren als problematisch empfundenen Gefühlen und Konfliktverarbeitungsmechanismen, die sie zuvor in die Psychiatrie haben kommen lassen, jetzt besser zurecht kommen: EX-IN-Ausbildung sozusagen als spezielle Form einer Gruppenpsychotherapie. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 215 Seiten, ISBN 978-3-940636-22-5. Neumünster: Paranus Verlag 2012. € 19.95
Peter Lehmann

Kewal K. Jain: Drug-induced neurological disorders
The book delivers a comprehensive and clearly arranged overview of all kinds of drug-induced neurological disorders. In more than 400 pages you can read about drug-induced encephalopathies (f.e., by antiepileptics like valproate and carbamazepine), disorders of consciousness (f.e., benzodiazepines, antidepressants, valproate), neuropsychiatric disorders (f.e., benzodiazepines, reserpine, antidepressants, antiparkinsonian drugs, lithium), headaches, seizures, movement disorders, cervovascular disorders, disorders of the cranial nerves and the special senses, peripheral neuropathies, neuromuscular disorders, myopathies, diseases of the spinal cord, cerebellar disorders, aseptic meningitis, benign intracranial hypertension, disorders of the autonomic nervous system, sleep disorders, eosinophilia myalgia syndrome, serotonine syndrome, Guillain-Barre Syndrome, and many more. The book is primarily written for clinicians involved in the management of neurological and other disorders which fell in the field of psychiatry, but surely psychiatric patients who have a medical dictionary can find useful information when their psychiatrists try again and again to interprete drug-induced physical and mental disorders as symptom-change of the primarily diagnosed psychiatric illness. Hardcover, 452 pages, ISBN 978-0-88937-425-6. Cambridge & Göttingen: Hogrefe Publishing, 3rd, revised and expanded edition 2012. € 91.95
Peter Lehmann

Zdzislaw Jaroszewski (Hg.): Die Ermordung der Geisteskranken in Polen 1939-1945 / Zaglada chorych psychicznie w Polsce 1939-1945
Zdzislaw Jaroszewski, von 1937 bis 1939 Arzt in Owinsk, wo zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit industriell gemordet wurde, und dann im Widerstand, hat in dieser einmaligen Dokumentation – ein grausiges Dokument des Massenmords durch Nazis und Psychiater – das zusammengetragen, was heute über die systematische Ermordung der polnischen PsychiatrieinsassInnen bekannt ist. Zweisprachig (polnisch / deutsch), original 1993 in Polen erschienen. Kartoniert, 249 Seiten zahlreiche Fotos und Abbildungen, ISBN 978-3-926200-94-5. Edition Jakob van Hoddis 2007 im Paranus Verlag. € 14.80
Peter Lehmann

Eva Jaeggi: Zu heilen die zerstossnen Herzen. Die Hauptrichtungen der Psychotherapie und ihre Menschenbilder
Interessiert hätten mich ja bei diesem Buch auch die ethischen Fragen der Therapie, die Macht- und die Geschlechterfrage, der gesellschaftliche Bezug. Wären das nicht auch »vernünftige Vergleichskriterien« der therapeutischen Schulen? Eva Jaeggi ist Analytikerin. Sie hat sich »also vor allem in die Theorieschöpfung Freuds verliebt, und dies ist dem Buch auch anzumerken«, schreibt sie entwaffnend gleich zu Beginn. Unter Aspekten wie: Entwicklung, Körper, Unbewusstes, Beziehung, Ziel und Gesellschaft befragt und vergleicht die Autorin Psychoanalyse, Verhaltens-, Gesprächs-, Gestalt- und systemische Therapie. Vorangestellt ist ein Musterfall, Frau B., die mit ihrem Problem Vertreter dieser fünf Schulen zum Erstgespräch aufsucht. Knapp und eindrücklich werden in den Gesprächssequenzen typische Unterschiede, aber auch Parallelen deutlich. Eva Jaeggi will Relativierungen anregen: »Dieses Buch könnte manchem wieder einmal klarmachen, dass Heilung und Beruhigung im Bereich des Psychischen auf vielerlei Arten zustande kommen kann, dass keine Therapieform ein Anrecht hat auf Ausschließlichkeit. Dies muss vor allem an die Adresse der Psychoanalytiker gerichtet werden. Wir neigen dazu, unsere Kollegen aus anderen Schulen einfach als therapierende Laien abzutun.« Ja, dazu neigt sie, und irgendwie erinnert mich – um einmal zu assoziieren – dieses kokette ›ich weiß schon, ich bin schlimm‹ am Ende des Buches an die Taktik meiner Schwester, mich erst zu hauen, um mich dann trösten zu können. Das Buch führt ein in die Grundlagen der Analyse und grenzt diese dann kritisch ab gegen die anderen Therapieformen. Als Lehrbuch dieser Art ist es verständlich, klug, gut aufgebaut und nicht ohne Selbstkritik. Eine Gesamtschau von außen auf das Phänomen Therapie, die Ursachen, Wirkungsweisen und (auch gesamtgesellschaftlichen) Konsequenzen, ist es nicht. Und ganz fair scheint mir auch der Umgang mit den anderen Therapierichtungen nicht zu sein. Produzieren »Therapiesysteme, die sich mit denjenigen Seelenanteilen, die nicht verfügbar sind, nicht beschäftigen«, wirklich »ein schales, banales Bild vom Menschen«? Vielleicht verzichten sie eher auf die Produktion. Entspringt der Unwille zur Diagnose bei Carl Rogers »therapeutischer Selbstüberschätzung«? Rogers und die humanistische Gesprächstherapie kommen besonders schlecht weg bei Jaeggi. Sie sind »gutgläubig« und »naiv«, der »Geruch des Religiösen« haftet ihnen an. Nirgends im Buch eine Frage zur Diagnostik, fast nichts zur Therapie sog. Psychosen, zur Arbeit in der Anstalt. »Um der Homosexualität einer Patientin auf die Spur zu kommen, fragt man sich« ...... warum, frage ich mich, warum ihr auf die Spur kommen? Warum Therapie? Ein ordentliches analytisches Lehrbuch, das mir mehr versprach, als es hält. Französische Broschur, 320 S., Hamburg: Rowohlt Verlag 1995. DM 34.–
Kerstin Kempker

Holger Jenrich (Hg.): Altenpflege international – Entwicklungen in der außereuropäischen Altenhilfe
Sammlung von Texten, die im Fachmagazin Altenpflege bereits publiziert wurden, über Altenpflege in Ägypten, Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, Chile, China, Ghana, Indonesien, Israel, Japan, Kambodscha, Kamerun, Kanada, Malaysia, Namibia, Nepal, Neuseeland, Singapur, Sri Lanka, Südafrika, Südkorea, Thailand, USA, Vietnam und Zimbabwe. Man kann sich informieren über die Unterschiede zu hiesigen Systemen: Es existieren beispielsweise moderne Hightech-Heime in Japan und simple Nachbarschaftsprojekte in Bolivien, karge Verwahranstalten in Namibia und mondäne Retirement Villages in Australien. Kartoniert, 180 Seiten, ISBN 978-3-940529-04-6. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2008. € 19.80
Peter Lehmann

Jean C. Jenson: Die Lust am Leben wieder entdecken – Eine Selbsttherapie
1995 in den USA original erschienen, 1997 erstmals in deutscher Übersetzung, leitet die Autorin aus den USA an zur Selbsttherapie, um Kindheitstraumata zu überwinden. In Anlehnung an Alice Miller, die ein vierseitiges Nachwort beigesteuert hat, geht Jean Jenson vor dem Hintergrund vierzigjähriger Erfahrung als Einzel- und Paartherapeutin davon aus, dass viele Menschen in der Kindheit von ihren Eltern körperlich misshandelt und sexuell oder emotionell missbraucht wurden und das sich die Kindheit auch heute noch auf unsere alltäglichen Interaktionen als Erwachsene auswirkt. Verdrängung, Vermeidungsverhalten, Überreaktion, zerstörerisches Verhalten usw. sind die Folge, dargestellt an Beispielen. Im zweiten Teil geht es um die heilende Aufarbeitung der Kindheit, Gefühle von der Vergangenheit nochmals zu leben, die Identifikation von Symbolen und Auslösern, die Kunst der Selbstbeobachtung, den Trauerprozess usw., und im abschließenden dritten Teil um von der Autorin kommentierte Berichte und Fallstudien von Menschen, die dank Jean Jenson die Lust am Leben wiedergefunden haben. Dass Misserfolge in dem Buch nicht vorkommen, wird durch Alice Millers kritisches Nachwort ausgeglichen. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 224 Seiten, ISBN 978-3-407-22930-4. Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 3. Auflage 2012. € 14.95
Peter Lehmann

Karl-Heinz Joepen: Die Psychofalle. Über die Verdrängung der Wirklichkeit bei der Suche nach dem wahren Selbst
Wohltuende Fundamentalkritik des modischen Kultes der Gefühligkeit. Streitschrift gegen die Banalisierung und Vulgarisierung der Psychologie. Kart., 169 S., Hamburg: Rotbuch Verlag 1997. DM 18.90
Peter Lehmann

Matthew Johnstone: Mein schwarzer Hund – Wie ich meine Depression an die Leine legte
Originell bebildertes Buch für Erwachsene von dem von Depressionen betroffenen Autor aus Australien, der seine zeichnerischen Fähigkeiten als Kreativdirektor in Werbeagenturen entwickelte und sie nutzte, seine Depressionen als schwarzen Hund darzustellen, der ihn begleitet: heimsucht, den Appetit verdirbt, die Konzentration und das Vergnügen raubt, ihn böse Dinge sagen lässt, sich im Bett bemerkbar und das Leben unerträglich macht, bis der Betroffene schließlich therapeutische Hilfe sucht und lernt, mit dem schwarzen Hund zu leben, ihn auch vor den Augen anderer herauszulassen, ihn mit Yoga, Bewegung an der frischen Luft und anderen Mitteln fernzuhalten und ihn schließlich insofern zu schätzen, als der zu einem reflektierteren Leben zwingt. Ein ausgesprochen schönes Buch. Leider werden auf der letzten Seite Literaturtipps und Websites genannt, die den guten Eindruck des Buches stark relativieren. Die Leser werden vornehmlich an Informationsquellen der herrschenden Psychiatrie verwiesen, die sich durch Verharmlosung von Risiken psychopharmakologischer Behandlung und Elektroschocks auszeichnen. Ob wenigstens (von der Pharmaindustrie unabhängige) Selbsthilfegruppen in der nächsten Auflage genannt werden? Gebunden, 48 Seiten, ISBN 978-3-88897-537-0. München: Kunstmann Verlag, 2. Auflage 2009. € 14.90
Peter Lehmann

Matthew Johnstone / Ainsley Johnstone: Mit dem schwarzen Hund leben – Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich dabei selbst zu verlieren
Nachfolgetitel zu "Mein schwarzer Hund – Wie ich meine Depression an die Leine legte". Wiederum originell bebildert werden Angehörige angeleitet, Depressionen zu erkennen und die Betroffenen zu unterstützen, ohne sich selbst zu verlieren oder Depressionen gar zu verstärken. Vielen sinnvollen Ratschlägen stehen auch zweifelhafte gegenüber. Zum Beispiel die Botschaft "Vielleicht stimmt es, dass 'alles nur im Kopf stattfindet', bloß sagen sollten Sie es nicht." Ob es wirklich hilfreich ist, die Gefühlslage des depressiven Ehepartners auf sinnlose Hirnstoffwechselstörungen zu reduzieren und damit den Zusammenhang mit realen Problemen in Abrede zu stellen, ihm jedoch eine andere Überzeugung vorzumachen? – Selbsthilfegruppen werden nun auch genannt, denen man sich anschließen soll, allerdings werden im Anhang vornehmlich Adressen wie den Schweizer "Verein zur Bewältigung von Depressionen" genannt, die von der Pharmaindustrie (Essex Chemie AG, Lundbeck AG, AstraZeneca AG, GSK GlaxoSmithKline AG) gesponsert werden und sich entsprechend unkritisch gegenüber den psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen und ihrem reduktionistischen Weltbild äußern. Gebunden, 80 Seiten, 80 Illustrationen, ISBN 978-3-88897-594-3. München: Kunstmann Verlag 2009. € 14.90
Peter Lehmann

Steven Jones / Peter Hayward / Dominic Lam: Aus den Fugen. Zwischen den Extremen – Leben mit Bipolarität und manischer Depression
Ratgeber dreier Psychiater zur (ihrer Meinung nach) zugrunde liegenden Problematik, der Diagnose, Behandlung und Begleitung von Menschen mit der Diagnose "manisch-depressiv". Zeitgemäßes trialogisches Plädoyer für Compliance, Therapie, Verhaltensänderungen und Behandlung mit Psychopharmaka (Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium, Antiepileptika, Tranquilizer), wobei die Risiken von Psychopharmaka heruntergespielt werden (z.B. finden sich keinerlei Warnhinweise vor der oft suizidalen Wirkung von Neuroleptika, vor der Gefahr von Rezeptorenveränderungen bei Neuroleptika und Antidepressiva, vor dem Fehlen insitutioneller Hilfen beim Absetzen usw.). Gebunden, 212 Seiten, ISBN 3-0350-0026-3. Zürich: Oesch Verlag 2004. € 14.90
Peter Lehmann

Charlotte Jurk: Der niedergeschlagene Mensch. Depression – Geschichte und gesellschaftliche Bedeutung einer Diagnose
Die Autorin behandelt die "Karriere" der Diagnose Depression. Während sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch "Melancholie" genannt und als normaler Seinszustand angesehen wurde, gilt sie hierzulande mittlerweile als Volkskrankheit, die auf eine Störung des Stoffwechsels zurückzuführen sei und der man massiv mit Psychopharmaka auf den Leib rücken soll. Unter Verwendung vieler sorgfältig dokumentierter wissenschaftlichen Quellen beschäftigt sich die Sozialwissenschaftlerin Charlotte Jurk damit, wie sich diese primitive und unbewiesene Sichtweise durchgesetzt hat, das das psychische Leiden an den sozialen Verwerfungen der Moderne zum Versagen des Individuums und seines Stoffwechsels uminterpretiert. Kartoniert, 215 Seiten, ISBN 978-3-89691-751-5. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2008. € 24.90
Peter Lehmann

Lydia Kang / Nate Pedersen: Abgründe der Medizin – Die bizarrsten Arzneimittel und kuriosesten Heilmethoden der Geschichte
Lydia Kang, eine Ärztin für Innere Medizin, und der Journalist Nate Petersen haben ein informatives Buch über aus der heutigen Sicht abstruse, zu ihrer Zeit anerkannte medizinische Behandlungsmethoden geschrieben, beispielsweise Wieselhoden als Verhütungsmittel, Aderlass gegen Blutverlust oder glühende Eisen bei Liebeskummer. Leider ist der Bereich der Psychiatrie massiv unterrepräsentiert, nur die Lobotomie war es dem Autorenpaar wert, erwähnt zu werden. Rotationsapparate, Salzeinspritzungen, Eismützen, elektrische Reizung der Geschlechtsteile, Rizinusöl, Stockschläge, Klitorisentfernung, Dauerbetropfung..... das Buch hätte den dreifachen Umfang, wenn psychiatrische Behandlungsmethoden, mit denen so viele wehrlose Menschen gequält wurden, angemessen dargestellt würden. Interessant wäre auch die Frage, wie man erkennen könnte, welche der derzeit von der Schulmedizin anerkannten Methoden sich wohl in einer zukünftigen Ausgabe von "Abgründen der Medizin" wiederfinden, beispielsweise Neuroleptika (mit ihrer gezielten Auslösung einer Parkinson-Symptomatik) oder Elektroschocks (mit der Auslösung von epileptische Anfällen durch Stromstöße durch das Gehirn). Schade, dass sich über die Jetztzeit hinausreichende Gedanken nicht im Buch finden lassen. Denn wieso sollten ausgerechnet heutzutage praktizierte Methoden von späteren Generationen nicht als ebenso abartig wahrgenommen werden wie die im Buch dargestellten Methoden aus vergangenen Zeiten? Das Buch erschien 2017 original in den USA. Gebunden, 352 Seiten, ISBN 978-3-7423-0716-3. München: mvg Verlag 2019. € 19.99
Peter Lehmann

Sudhir Kakar: Der Mystiker oder die Kunst der Ekstase
Geschichte eines jungen Inders, der die Grenzen seines Bewußtseins hinter sich läßt und Erfahrungen spiritueller Ekstase durchleben, der fast wider Willen zum Mystiker wird und die innere Wahrheit seiner Visionen gegen den aufgeklärten Verdacht, Halluzinationen aufzusitzen, verteidigen muß. Gebunden, 268 Seiten, ISBN 3-406-48035-7. München: C.H. Beck Verlag 2001. € 19.50
Peter Lehmann

Angelika Kallwass: Stark gegen die Angst. Wir finden einen Weg
Die Psychologin, Talkmeisterin und Geschäftsführerin eines Textilunternehmens Kallwass schildert 15 typische Angstsituation und empfiehlt angemessene Lösungswege. Alle Probleme lassen sich dann ihrer Meinung nach ganz einfach lösen – wie im Fernsehen. Kartoniert, 157 Seiten, ISBN 3-7831-2450-6. Stuttgart: Kreuz Verlag 2004. € 14.90
Peter Lehmann

Heinz Kampmann / Jeanette Wenzel Psychiatrische und antipsychiatrische Vorstellungen von Hilfe im Wandel der Zeit
Aus der Vergangenheit in die Zukunft. Zu den großen Verdiensten der Autoren gehört es, den radikal gesellschaftskritischen Ansatz der kritischen Psychologie (nach Holzkamp) an der Geschichte moderner psychologischer und psychiatrischer Hilfskonzepte zu erproben. Nicht die vermeintlich kritische Überwindung des Subjekts, wie poststrukturalistische Strömungen sie vertreten, steht hier auf dem Programm, sondern der politische Kampf für die Freiheit gesellschaftlicher Subjekte. Im Fokus der vorgelegten Untersuchungen steht die Fragestellung, wie sich die systematische Abblendung gesellschaftlicher Aspekte von psychischen Störungen auf gegenwärtige und historische Hilfsangebote ausgewirkt hat. Die These lautet: Gerade der Umstand, dass das (psychische) Leid wie eine Eigenschaft ausschließlich auf das leidende Individuum bezogen wird, beschneidet in der Folge systematisch seine Möglichkeiten als freies gesellschaftliches Subjekt zu handeln. Psychiatrische Klassifizierung reduziert ihre Träger zu bloßen Objekten von Fremdzuschreibung. In einem Ausblick auf alternative Hilfsangebote konkretisieren die Autoren ihre radikal gesellschaftskritische Zugangsweise: statt bei utopischen Ansätzen stehenzubleiben, leiten sie zu einer konkreten, aber radikal gesellschaftskritischen Praxis über. Kartoniert, VII + 474 Seiten, ISBN 978-3-925931-39-0. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag, korrigierte Neuausgabe 2004. € 39.90
Lucinda Bee

Kerstin Kempker: Mitgift – Notizen vom Verschwinden
Jugend als psychiatrisierter Alptraum. Wenn die Kindheit sich überlebt hat und sich unvermutet unendliche Räume dort öffnen, wo vorher unumstößliche Autoritäten ebenso festgefügte Raster und Normen aufgestellt hatten, nimmt das Abenteuer Leben mit ungeahnter Kraft an Fahrt auf. Kerstin Kempker erzählt mit viel Verve und überraschend fesselnd, wie das Abenteuer ihrer Jugend zu einem nicht enden wollenden Alptraum wurde. Eine unglaubliche Irrfahrt durch unterschiedliche psychiatrische Einrichtungen, Therapiekonzepte, Behandlungsmethoden, Krankheitszuschreibungen. Mit viel Sensibilität berichtet diese Autobiographie von der Sprachlosigkeit einer vergifteten Jugend, von der Sprachlosigkeit der Helfer und wie sie schließlich diesen Alptraum losgeworden ist. Ein spannendes und zugleich tiefes Buch, das ohne billige Schuldzuweisung auskommt. Kartoniert, 208 Seiten, 34 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-15-4. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2000. € 14.90
Benjamin Sage

Kerstin Kempker: Teure Verständnislosigkeit – Die Sprache der Verrücktheit und die Entgegnung der Psychiatrie

  • Warum nicht in der verrückten Sprache glücklich sein? "Teure Verständnislosigkeit" ist ein mutiges Buch, das die tabuisierten Ränder zu verrücktem und als krank diagnostiziertem Verhalten nicht außen, sondern im Zentrum des sozialen Bandes – in der Sprache – sucht. Kerstin Kempker hat hier die künstlerische Produktion, besonders die literarische Sprache, in den Fokus gerückt. Nicht um sich akademisch korrekt in einem Metadiskurs zu etablieren, um von sicherer Warte psychiatrisierende, germanistische oder sonst wie abgeklärte Urteile ergehen zu lassen. Mit einer an Unbesonnenheit grenzenden Offenheit hat sie sich auf die Suche zu sich selbst gemacht, zum eigenen (sprachlichen) Ausdruck. Keine leichte Lektüre, hangelt sich die Autorin doch manchmal allzu offensichtlich an einem antipsychiatrischen Raster entlang, dem die Sache gelegentlich zu entgleiten droht. Bestrickend wirken Kerstin Kempker Untersuchungen andererseits durch die Intensität der Befragung des künstlerischen, besonders des literarischen Ausdrucks (auch Graphiken und Bilder sollen hier zur Sprache kommen). Eine Empfehlung für alle, die in der Literatur mehr und dringlicher suchen als das bloße Klischee vom wunderlich verrückten Schriftsteller, das sich so gut einzupassen versteht, in das eng umfriedete angepasste Leben eines Lesers, der mehr wünschte, wenn er Worte fände.
    Lucinda Bee

  • Rezension »Die Kampfschrift und das Schreibspiel«
    Thilo von Trotha

Kartoniert, französische Broschur, 128 Seiten, 18 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-04-8. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1991. € 9.90

Kerstin Kempker (Hg.): Flucht in die Wirklichkeit – Das Berliner Weglaufhaus
Die Wirklichkeit der Utopie – witzig und schonungslos. Dies ist nicht nur ein Buch über den "anderen Ort", sondern eins über seine Realität und deshalb genauso schillernd und abwechslungsreich – ein Buch, in dem ganz unterschiedliche und bisweilen widersprechende Perspektiven auf die Verwirklichung einer Utopie nebeneinander stehen. "Flucht in die Wirklichkeit" lädt auf intelligente und ziemlich witzige Weise dazu ein, darin zu stöbern und sich aus dem Kaleidoskop der Berichte und Kommentare selbst ein Bild von den ersten Erfahrungen mit einem bislang einzigartigen Antipsychiatrieprojekt zu machen. Das was unmittelbar besticht und den Band sofort zu meinem Lieblingsbuch der Antipsychiatrie gemacht hat, ist die Ungeschminktheit, mit der hier bisweilen "krass subjektiv" – wie die Herausgeberin Kerstin Kempker selbst formuliert – Erfahrungen und Reflexionen von Bewohner/innen, Mitarbeiter/innen und politischen Unterstützer/innen aufeinandertreffen. Dies Buch ist nicht nur radikal, weil es die Verwirklichung einer Praxis beschreibt, die radikal gegen die etablierte Psychiatrie und die diskret im Hintergrund agierende Pharmaindustrie gerichtet ist; sondern es ist auch radikal in der Offenheit, mit der es diese Praxis analysiert und ihre Schwierigkeiten benennt. Das sind einerseits Schwierigkeiten, die dem Weglaufhaus in der Auseinandersetzung mit der Bürokratie, der Politik oder zum Beispiel den teilweise unverständigen Nachbarn des Hauses entstanden sind. Das sind aber vor allem auch Probleme, die aus dem anderen Umgang mit Verrücktheit selbst resultieren. Hier lässt gerade der kaleidoskopische Blick ein ungeahnt intensives Bild entstehen: Was passiert wirklich, wenn verrücktes Verhalten auf engagierte und hilfsbereite Menschen trifft, die beschlossen haben, "dabei zu sein" und nach Möglichkeit zu verstehen? Diese Offenheit reißt einen Horizont auf, den ich in der psychologischen und psychiatrischen Fachliteratur schmerzlich vermisse. Vielleicht erlaubt erst dieser offene, selbstreflektive und gewissermaßen auch radikal untheoretische, aber multiple Blick eine Beschreibung dessen, was wirklich in der Auseinandersetzung mit Menschen, die uns als verrückt begegnen, passiert und passieren kann. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die fundamentale Blickverschiebung dieser gut durchdachten Anthologie mit dem Ansatz des Projekts trifft. "Flucht in die Wirklichkeit" ist meine große Empfehlung nicht nur für Menschen, die nach politischen Alternativen zur Psychiatrie suchen, sondern für jeden, der mit verrückten Menschen zu tun hat und wissen will, wie – jenseits theoretischer Horizontverengungen – neue Möglichkeiten konkret werden können. Kartoniert, 344 Seiten, 60 Fotos, 65 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-13-0. Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1998. € 14.95
Lucinda Bee

Peter Kern: Amalgam – das schleichende Gift. Folgekrankheiten, Entgiftungsmethoden, Checklisten
Ratgeber für professionelle Therapieansätze u.a. bei amalgambedingten Depressionen, Antriebsarmut, Allergien, chronischen Müdigkeitssyndromen, Fibromyalgie, Neuropathien, Missempfindungen, Muskelzuckungen, Verdauungsbeschwerden, Darmerkrankungen, Hormonstörungen u.v.m. Für Betroffene ist das Buch insofern wertvoll, da sie nicht nur über amalgambedingte Schäden informiert werden, sondern auch über Schäden, die bei der Amalgamentfernung entstehen können. Außerdem enthalten: umfangreiche Checklisten für Selbsttests, Erklärung von Möglichkeiten der Gebiss-Sanierung, notwendige Entgiftungsmaßnahmen. Kartoniert, 165 Seiten, ISBN 978-3-86731-006-2. Kirchzarten: VAK Verlag 2007. € 12.95
Peter Lehmann

Doron Kiesel / Hans von Lüpke (Hg.): Vom Wahn und vom Sinn. Krankheitskonzepte in der multikulturellen Gesellschaft
Eines der wenigen Bücher über Psychiatrisierung und Psychotherapie bei MigrantInnen mit verschiedenartigen praxisbezogenen Beiträgen, geschrieben von psychiatrisch und psychotherapeutisch Tätigen, die den Krankheitsbegriff leider häufig undifferenziert anwenden. Die Kulturabhängigkeit der Verständigung wird an konkreten Therapiebeispielen deutlich gemacht: TherapeutInnen mit einem zumindest ähnlich gerichteten Blick auf die konkreten religiösen und kulturellen Hintergründe können die Probleme der Betroffenen am ehesten aufnehmen. Kartoniert, 151 Seiten, ISBN 3-86099-281-3. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel Verlag 1998. DM 29.80
Peter Lehmann

Renate Kingma (Hg.): Mit gebrochenen Flügeln fliegen... Menschen berichten über bipolare Störungen
Was sagte der Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer in der ARD-Sendung Panorama " Tricksen und Tarnen – Pharmaindustrie unterwandert Selbsthilfegruppen" am 27.10.2005: "Ich würde keinem Patienten raten, eine Selbsthilfegruppe als seinen Agenten, als seinen Vertreter zu akzeptieren, die Geld von der Pharmaindustrie nimmt – offen oder verdeckt. Denn was immer an Finanzierung durch die Pharmaindustrie geschieht, ist dazu da, um Marketing zu betreiben – und nicht, um den Patienten zu helfen."Mit gebrochenen Flügeln fliegen" sei so etwas wie eine "verschriftlichte Selbsthilfegruppe", steht auf dem Klappentext des Buches der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) e.V. 45 Beiträge von Menschen mit einer bipolaren Diagnose berichten, wie sie versuchen, ihre existentiellen Lebensprobleme in Griff zu bekommen, in aller Regel mit psychiatrischen Psychopharmaka, häufig Lithium plus sonstige Substanzen. Immer wieder schildern die Autorinnen und Autoren, wie ihnen diese synthetischen Mittel helfen sollen, mit ihren Problemen klarzukommen. Alle sind krankheitseinsichtig, das Vertrauen auf psychiatrische Psychopharmaka zieht sich durch das ganze Buch, auch wenn deren schädliche "Neben"-Wirkungen offensichtlich sind und Psychiatrieaufenthalte auch trotz "medikamentösem Schutz" vorkommen. Rückfälle, die nach dem Absetzen auftraten, werden nicht weiter kritisch betrachtet – ob es sich um Reboundeffekte oder Entzugserscheinungen handelte, wird ebensowenig reflektiert wie die Frage, ob die Betroffenen irgend etwas unternahmen, um ihren ursprünglichen Problemen entgegenzuwirken. In typisch psychiatrischer Weise wird die tendenziöse Einseitigkeit der Aussagen interpretiert als absolute Notwendigkeit zur Compliance. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass mit der Auswahl der Autorinnen und Autoren als der DGBS Nahestehende die Tendenz des Buches vorweggenommen ist und kritische Potentiale von vornherein ausgeschlossen sind, was allerdings im Buch nicht angesprochen wird. Der Grund hierfür dürfte deutlich werden, wenn man sich die DGBS-Fördermitglieder anschaut: die Firmen AstraZeneca, Desitin, Glaxo-Smith-Kline, Janssen-Cilag, Eli Lilly, Novartis, Sanofi-Aventis, Wyeth, Werbeatelier Dieter Bülk Pharma Medizin. Kommentar überflüssig. Gebunden mit Schutzumschlag, 292 Seiten, ISBN 3-8330-0662-5. Norderstedt: Books on Demand, 2. Auflage 2005. € 28.–
Peter Lehmann

Judith Kirchmayr-Kreczi: Kraft meiner Angst – Ein Mutmachbuch bei Angst und Panikattacken
Buch einer österreichischen Managementtrainerin, Lebensberaterin und Yogalehrerin, die nach vielen Jahren psychosozialer Tätigkeit am eigenen Leib Angst- und Panikattacken erleidet und beschreibt, wie sie diese mit psychotherapeutischen und alternativmedizinischen Maßnahmen bewältigt. Ein mutmachendes, höchstpersönliches und ehrliches Buch. Hervorzuheben ist das Kapitel, in dem sie schildert, wie sie die Entscheidung getroffenen hat, ob sie Psychopharmaka nehmen will oder nicht im Angesicht all der Personen um sie herum, die auf diese psychotropen Substanzen schwören und meinen, es gehe nicht anders. Soll sie Psychopharmaka schlucken, damit alles so bleibt, wie es ist? - fragt sie sich, und weiß nach sorgfältiger, meditativer Überlegung, dass sie von den Wellen des Lebens (wie sie poetisch schreibt) bewegt und berührt werden will, auch wenn diese vorübergehend stürmisch sind. Statt passiver Ruhigstellung durch Psychopharmaka entscheidet sie sich für aktive Auseinandersetzung mit ihren Panikattacken: für verhaltenstherapeutische Methoden, Techniken der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung (Alexander-Technik), Akupunktur, Meditation, Yoga, Achtsamkeit u.v.m. Englisch Broschur, 120 Seiten, ISBN 978-3-85068-898-7. Steyr: Ennsthaler Verlag 2012. € 13.90
Peter Lehmann

Hannelore Klafki: Meine Stimmen – Quälgeister und Schutzengel. Texte einer engagierten Stimmenhörerin
"Kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag geschah etwas, das ich wohl nie vergessen werde. Ich war allein zu Hause und hörte plötzlich, wie ganz laut mein Name gerufen wurde – zuerst nur von einer Person, dann von mehreren ... Angst, Schreck, Verwirrung und der alles beherrschende Gedanke 'Jetzt werde ich verrückt' – das hat sich fest als Erinnerung eingegraben. Mit jemandem darüber zu reden, kam auf gar keinen Fall in Frage." Wenn heute sogar hinter den festgefügten Mauern psychiatrischer Dogmatik die Vorstellung an Glaubwürdigkeit verliert, wer Stimmen höre, sei krank, schlichtweg schizophren, dann ist das auch Hannelore Klafkis Verdienst. Aus der verängstigten, als Kind sexuell missbrauchten Frau, die bald darauf das Schicksal einer typischen Drehtürpatientin der Psychiatrie erlitt, wurde die Mitbegründerin des internationalen Stimmenhörer-Verbands INTERVOICE (1994) und des deutschen Netzwerks Stimmenhören (1998). Das Buch versammelt Vorträge und Aufsätze, aber auch Abbildungen von Skulpturen, welche die Autorin als ausdrucksstarke Künstlerin ausweisen. Obwohl in den Texten viel von schmerzhaften Erfahrungen in der Kindheit und als Patientin der Psychiatrie die Rede ist, macht es dennoch Spaß, die – übrigens locker formulierten – Aufsätze zu lesen. Denn ihre kämpferischen Texte für die Anerkennung des Stimmenhörens, des Andersseins überhaupt, weisen den Weg aus einem Dasein als Opfer zu einem kreativen, selbstbestimmten und politisch engagierten Leben, das Hannelore Klafki selbst gelebt hat. Dabei hat die Autorin es nicht nötig, sich auf die Seite einer dogmatischen Antipsychiatrie zu schlagen: Sie sondiert das verminte Gelände ihrer Erfahrungen, der offiziellen Politik, der gesellschaftlichen Spielräume und leitet daraus engagierte Forderungen ab, ohne sich gegen unangenehme Einsichten zu sperren. Dies Buch will ich wärmstens all denen ans Herz legen, die mehr darüber erfahren wollen, wie es sich anfühlt, gerufen zu werden, ohne zu wissen von wem, oder vielleicht "aus seinem Körper aussteigen" zu müssen. Ganz besonders empfehlen will ich es außerdem allen, die sich selbst gegen die immer noch geltenden Normen der Psychiatrie engagieren wollen. Kartoniert, 192 Seiten, 24 schwarz-weiße Abbildungen,
ISBN 978-3-925931-42-0. Berlin · Eugene, OR (USA) · Shrewsbury (UK): Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2006. € 13.90
Sophie Blau

Hans-Gottfried Klamroth: Das frühe Licht des Morgens
Laut Klappentext, also vom Autoren selbst verfasste Beschreibung des Buches, soll dieses ein Licht auf die unmenschliche Praxis der ambulanten und stationären Psychiatrie werfen. Der Autor ist Psychiater, es geht um die etwas langatmig ausgebreitete Geschichte seiner eigenen Depression. Unmenschlich an der Psychiatrie sind für ihn beispielsweise "unsachliche" Kritik an Psychopharmaka, das Dazwischenreden psychiatrisch nicht ausgebildeter Angehöriger, das negative Bild des Psychiaters in der Öffentlichkeit, die fehlende Bereitschaft zum Festhalten von Patienten auf offenen Stationen oder nicht vollzogene Zwangsbehandlungen. "Wir Psychiater haben bis heute damit zu tun, dass die Patienten sich weigern, die notwendigen Medikamente zu nehmen. Dabei muss man es nur einmal miterlebt haben, wie ein schwer gequälter halluzinierender Patient in der Aufnahme mit einer Spritze Haloperidol erlöst werden kann. Diesen Antipsychiatern fehlt einfach die Erfahrung mit Schwerkranken." Solcherart Weisheiten legt der Autor den handelnden Personen in den Mund. Sein Protagonist David fällt der durch außen geschürten fehlenden Krankheitseinsicht prompt zum Opfer, lehnt den Klinikaufenthalt ebenso ab wie das rettende Lithium und verfällt – im Buch – am Schluss so abrupt wie unmotiviert dem stimmungsaufhellenden Opium, das naturgemäß in die Sackgasse führt – in dem Buch ins belehrende Nachwort, dass man Depressionen heutzutage "relativ gut medikamentös behandeln" könne. Ein literarisch mehr als fragwürdiges Ende, zudem einseitig und ideologisch motiviert, abweichende Erfahrungen schlicht ausklammernd. Werbung für biologische Zwangspsychiatrie in Romanform. Kartoniert, 426 Seiten, ISBN 978-3-8334-7227-5. Norderstedt: Books on Demand 2008. € 24.90
Peter Lehmann

Ernst Klee: Irrsinn Ost – Irrsinn West. Psychiatrie in Deutschland
Ich habe das Buch in einem Stück gelesen, wenn auch mit Entsetzen, denn es deckt menschenverachtende und -vernichtende Praktiken in der Psychiatrie auf, die ebenso unglaublich wie aktuell sind. »Die Hölle von Ueckermünde«, das erste Kapitel, wurde von Ernst Klee auch im Film festgehalten, der letztes Jahr im Fernsehen lief. Nach der Wende hat Klee mehrere Ost-Psychiatrien besucht, mit Überlebenden sowie Mitgliedern der »Interessengemeinschaft für Psychiatriebetroffene ›Durchblick‹« gesprochen und die Verbindungen hochangesehener west- wie ostdeutscher Psychiater zur mörderischen Nazi-Psychiatrie erforscht. Er nennt Namen und Fakten und, wie es im Klappentext heißt, »er fand eine gesamtdeutsche Gemeinsamkeit: Im Westen wie im Osten blieben Nazi-Schergen im Amt, machten Karriere, während die Opfer bis heute verhöhnt werden.« Ich schätze die Beobachtungsschärfe und die Klarheit und Handlungsbereitschaft Ernst Klees sehr. Angesichts der Zustände in einigen Ost-Anstalten, »wo Menschen schlechter behandelt werden als vielerorts Tiere«, liegt es nahe, erst einmal die verheerendsten Missstände beheben zu wollen, eine menschlichere Psychiatrie. Dieses Gefühl, mit meinen antipsychiatrischen Forderungen den Boden der Tatsachen auf vielleicht unverantwortliche Weise zu verlassen, beschlich mich auch hin und wieder beim letzten Treffen des »European Network of Users«. Ist es wichtig, ob man sich »Survivor« oder »User« nennt, solange viele nicht einmal überleben? Einerseits nein, andererseits: Auch Worte können töten. Lebensunwert, das war ein Todesurteil. Geb., 251 S., 41 Abb., Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 1993. DM 36.–
Kerstin Kempker

Martin Kleen: Psychiatrie. Kriminalroman
Spannender Krimi über massive illegale Versuche einer Pharmafirma, den Psychiater Kerrmann zuerst durch verlockende finanzielle Angebote an sich zu binden und angesichts dessen ablehnender Haltung schließlich zum Schweigen zu bringen, als dieser die lebensbedrohlichen Entzugssymptome des (fiktiven) Serotoninwiederaufnahmehemmers Fluxetilin nicht auf sich beruhen lassen will. Auf "Gumpelmann" folgt Kerrmann – entspricht die Noncompliance auch unter Psychiatern realen Entwicklungen? Taschenbuch, 266 Seiten, ISBN 978-3-934927-92-6. Leer: Leda Verlag 2007. € 8.90
Peter Lehmann

Violetta Klenk / Carmen Klenk: Als Idas Mama die Farben verlor
Die Familientherapeutin Carmen Klenk hat die Texte für dieses Bilderbuch für Kinder von 5-10 geschrieben, die Kunsttherapeutin Violetta Klenk hat es illustriert. Grundlos und aus heiterem Himmel wird Mama "kummerkrank", es ist ihr, als ob sie alle Farben verliert, das heißt sie ist depressiv. Deshalb "muss" sie in die Psychiatrie, wo sie Bilder malen darf. "Alle im Krankenhaus helfen Mama, damit die Farben wiederkommen." Schön bebildertes Buch zum Vorlesen mit der Absicht, Kindern betroffener Eltern Schuldgefühle zu nehmen. Heile Psychiatrie statt heile Familie: Kinder werden in die Weltsicht der biologischen Psychiatrie eingeübt: Depressionen fallen vom Himmel, die Psychiatrie ein Paradies. Englisch Broschur, 44 Seiten, ISBN 978-3-941528-02-4. Hitzacker: Edition per ce Val 2009. € 9.90
Peter Lehmann

Thomas Klie: Recht der Altenhilfe. Gesetzes- und Vorschriftensammlung für die Altenhilfe und Altenpflege
Unkommentierte umfangreiche Sammlung deutscher Gesetzestexte aus den Bereichen: Recht »psychisch Kranker«, Gesundheitsschutzrecht, Heim-, Sozial-, Arbeits-, Arbeitsschutz-, Berufs-, Wohn-, Miet-, Haftungs-, Erb-, Staats- und allgemeines Verwaltungsrecht. Berücksichtigt sind Aspekte des Einigungsvertrags, des Betreuungsgesetzes und Entwürfe geplanter Gesetze, z.B. des Gesundheitsreformgesetzes oder des neuen Heimgesetzes. Betroffene & Angehörige, denen das Buch zu teuer ist, wissen nun, nach welchem Buch sie in der Bibliothek suchen müssen, wollen sie sich über den Wortlaut der Gesetzestexte informieren. Gebunden, 820 Seiten, Hannover: Curt R. Vincentz Verlag 1991. DM 76.–
Peter Lehmann

Andreas Knuf (Hg.): Gesundung ist möglich! Borderline-Betroffene berichten
20 Betroffene beschreiben ihre als »Borderline« diagnostizierten Probleme und Wege, wie sie damit fertig wurden oder zumindest ein überwiegend zufriedenes Leben führen können. Sie zeigen auf individuelle Weise, wie unterschiedlich die Bewältigungsstrategien sind. Die gemeinsame Botschaft lautet, dass es Hoffnung gibt. Im Abschlusskapitel reflektiert der Herausgeber als "Fachperson" über den Krankheits- und Gesundheitsbegriff, den Verlauf von Borderline über die Jahre hinweg, über Therapiemethoden und den eingeschränkten (und einschränkenden) Wert von Psychopharmaka und vor allem die Notwendigkeit der Betroffenen, Selbstverantwortung zu übernehmen und Selbsthilfe zu praktizieren. Da kann man nichts dagegen sagen. Kartoniert, 249 Seiten, ISBN 978-3-86739-034-7. Bonn: Balance Buch und Medien Verlag 2008. € 14.90
Peter Lehmann

Andreas Knuf (Hg.): Leben auf der Grenze. Erfahrungen mit Borderline
Zwanzig Betroffene und ergänzend einige Angehörige beschreiben ihre Erfahrungen von Lebensproblemen unter der Diagnose »Borderline«. Eine Reihe durchaus lesenswerter Beiträge, sicher lohnend für alle, die sich nicht vom Vorwort des Herausgebers abschrecken lassen, in dem er »Borderline als eine ganz normale psychische Erkrankung« apostrophiert ohne mit einem Wort zu bedenken, dass einige der AutorInnen sich vermutlich dafür bedanken, ihre Erfahrungen als krankhaft abqualifiziert zu sehen; dafür bedankt sich der Herausgeber für das Vertrauen, das die AutorInnen ihm »als Fachmann« entgegengebracht haben – als als Fachmann wofür? Für das Interpretieren interessanter Berichte von Borderline- und Psychiatriebetroffenen? Kartoniert, 210 Seiten, ISBN 3-88414-316-6. Bonn: Psychiatrieverlag 2002. € 12.90
Peter Lehmann

Kritisches Statement als Anhang zu P. Lehmanns Kurzrezension zur online-Veröffentlichung in den FAPI-Nachrichten
»Als Co-Autorin von ›Leben auf der Grenze‹ halte ich Peter Lehmanns Kurzrezension für durchaus treffend. Nicht dem Buch an sich gilt seine Kritik, sondern dem Intro des Herausgebers, wo dieser vorauseilend um ›Verständnis‹ wirbt und im selben Atemzug altbekannte Negativklischees bedient. Muss aber, wer einmal in der ›Borderline‹-Schublade war, es für immer bleiben? Wie steht's um Fehldiagnosen samt verschleppten Folgen, iatrogene Chronifizierung oder mit dem Ärgernis, dass Lebensäußerungen Psychiatrisierter pauschal als interpretationsbedürftig gelten? Und inwiefern hängen Modediagnosen mit beruflichen Existenzsicherungsinteressen zusammen? Leider spart Herr Knuf solche Fragen in seiner Aufklärungskampagne aus. Die Einsicht, dass Entstigmatisierung so nicht greift, hätte man dem Mitverfasser eines Titels zum Thema Empowerment eigentlich zutrauen können. Zum Trost lässt Herr Knuf keinen Zweifel, wo er Deutungskompetenz verortet – nämlich letztinstanzlich bei sich selbst. Fazit: Den Totalverzicht auf Entgelt für meinen Textbeitrag habe ich um anderer Prioritäten willen akzeptiert (wiewohl dies keineswegs selbstverständlich sein sollte). Gegen das Instrumentalisieren von Selbsterfahrung zum Zweck der Krankheitspropaganda verwahre ich mich jedoch ganz entschieden; diesbezüglich wurde mein Vertrauen in der Tat enttäuscht.« (Ivy Anger)

Andreas Knuf: Empowerment in der psychiatrischen Arbeit
Der Autor, Psychologe und Therapeut, bringt konzentriert, übersichtlich und durchaus selbstkritisch auf den Punkt, was psychiatrisch Tätige tun (und nicht tun) können, um Betroffenen zu einem selbstbestimmteren Leben zu verhelfen. Ressourcenorientierter Arbeit, Betroffenen-Mitbestimmung, Selbsthilfe- und Recovery-Förderung steht in der Praxis vieles entgegen: Stigmatisierung, institutionelle Hierarchien, Wunsch nach Compliance, Zwang, Psychopharmaka und nicht zuletzt die Tradition defizitorientierter 'Fürsorge'. Ein nützliches Buch für psychiatrisch Tätige. Kritische Betroffene dürfte es stören, dass die Frage der Psychopharmaka allzu grob abgehandelt wird, das Psychiatrische Testament keine Erwähnung findet, Selbsthilfe nur zu "Störungsbildern" vorgestellt wird und die Internetadressen oft fehlerhaft sind. Kartoniert, 141 Seiten, ISBN 3-88414-409-X. Bonn: Psychiatrieverlag 2006. € 14.90
Kerstin Kempker

Andreas Knuf / Anke Gartelmann (Hg.): Bevor die Stimmen wiederkommen
Ein zwiespältiges, in mancherlei Hinsicht ärgerliches Buch. »Stimmenhören« ist in, deshalb haben die Herausgeber sich für einen entsprechenden Titel entschieden, auch wenn die Buchbeiträge nahezu nichts mit Stimmenhören zu tun haben. Durchweg gute Beiträge Psychiatriebetroffener, die ihre durchdachten Vorstellungen zu einem selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Verrücktwerden zu Papier brachten, werden missbraucht, um Stimmung für ein gemeindepsychiatrisches Szenarium zu machen: für den in der Regel verständnisvollen niedergelassenen Psychiater und sein richtiges Medikament in der richtigen Dosis sowie den hilfreichen und vertrauenswürdigen Sozialpsychiatrischen Dienst. Dass die Wirklichkeit so nicht aussieht und sich viele Psychiatriebetroffene längst an die Beantwortung der Frage gemacht haben, was ihnen im Falle des Falles – statt Psychiatrie – hilft, blenden die Herausgeber aus, womit sie ihre heile gemeindepsychiatrische Welt retten wollen. Auch die Beiträge der Psychiatriebetroffenen, die etwa ein Drittel des Buches ausmachen, werden von den Herausgebern mit einer ideologischen Brille betrachtet. Egal ob etwa der psychiatriekritische Pirmin von Reichenstein resümiert, alle wahre Hilfe sei Hilfe zur Selbsthilfe, ob Wolfgang Voelzke klarstellt, dass es die Betroffenen selbst sein müssen, die über die Frage der Psychopharmakaeinnahme entscheiden, oder ob die Selbst-CheckerInnen ihre Probleme teilweise gerade nicht als Krankheit verstehen und sich so unbefangen und ohne diagnostische Scheuklappen mit ihnen auseinandersetzen können: Die Herausgeber, zwei Diplompsychologen, psychoedukativ ausgebildet, wissen alles besser. »Pillen. Wir stehen ihnen äußerst zwiespältig gegenüber, was aber bedeutet, dass wir sie in vielen Fällen für unverzichtbar halten müssen.« Müssen? Geht es denn nicht um die Betroffenen als Subjekte ihres Lebens und ihrer Entscheidungen? Aber es ist vielleicht gar nicht die persönliche Meinung der Herausgeber, die wiedergegeben wird, sondern das Ergebnis der immer wieder zitierten Studie zweier britischer Psychiater, die allerorten verbreiten, dass mit dem Absetzen der Psychopharmaka das Rückfallrisiko steige. Dass die beiden ›Fachmänner‹ die Möglichkeit neuroleptikabedingter Rezeptorenveränderungen, Rebound- und Supersensibilitätspsychosen, die beim Absetzen und in der ersten Zeit danach mächtig zu schaffen machen können, außer Acht gelassen und somit eine aussagelose Studie geliefert haben, interessiert die psychiatriegläubigen Herausgeber nicht. »Medikamente bieten vielen Betroffenen in Zeiten hoher Anforderungen eine Möglichkeit, ihr Gleichgewicht zu bewahren.« So steht es auch in der Werbung. »Wer ›auf Nummer sicher‹ gehen möchte, ist mit einer Dauermedikation am besten beraten.« Dito. »Häufig werden die negativen Wirkungen der Neuroleptika, Lithiumpräparate und Antidepressiva auch überbewertet und mit der Eigendynamik der Erkrankung verwechselt.« Häufig wird einfach nur Mist (nach-)erzählt.
»Vor allem Vorsorge- und Selbsthilfebemühungen sollten von professioneller Seite stärker als bisher gewürdigt und unterstützt werden.« Sie haben es gemerkt, der Zug der Selbsthilfebewegung würde ohne sie abfahren, sollten sie nicht noch schnell aufspringen – und das Steuer übernehmen. Von dieser Strategie der mehr oder weniger subtilen Beeinflussung der Schritte, die zur psychiatriefernen Selbstbestimmung führen könnten, legt das Buch unfreiwillig Zeugnis ab. Das Buch des Psychiatrieverlags endet mit dem Krisenpass: für Einträge zur »aktuellen Medikation« und zu Erfahrungen mit ›Medikamenten‹ stehen 180 mm zur Verfügung, für »Besonderes (z.B. besondere Wünsche an die Behandlung)« ganze 21 mm. Kart., 221 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1997. DM 24.80
Peter Lehmann

Andreas Knuf / Ulrich Seibert: Selbstbefähigung fördern. Empowerment in der psychiatrischen Arbeit
Empowerment, so steht es im neuen Buch des Psychiatrieverlags von Andreas Knuf und Ulrich Seibert, komme aus der Befreiungsbewegung der Schwarzen und Frauen und heiße eigentlich Auflehnung gegen Unterdrückung und Machtlosigkeit (gemeinsame Einleitung, S. 6). Empowerment im psychosozialen Bereich heißt Selbstbemächtigung, gemeint – so eine der bekanntesten Personen der Selbsthilfe- und Befreiungsbewegung von Psychiatriebetroffenen, Judi Chamberlin aus den USA in dem Buch »Statt Psychiatrie« – ist unter anderem: »mit der eigenen Stimme sprechen, die eigene Identität neu definieren, die eigenen Möglichkeiten und das Verhältnis zu institutionalisierter Macht neu definieren«. Was machen psychiatrisch Tätige mit dieser Aussage? Der Psychologe Wolfgang Stark aus München ignorierte in seinem Buch »Empowerment«, erschienen 1996 im Lambertus-Verlag, Publikationen von Psychiatriebetroffenen ausnahmslos. Knuf und Seibert lassen sie zwar einige zu Wort kommen, kommen aber bereits mit einer eigenen Definition von Empowerment: Neben verstärkter Einflußnahme auf der politischen Ebene sehen sie Empowerment als »Bewältigung der psychischen Krankheit« und als »vermehrte Mitbestimmung bei der Behandlung«, und neben den Betroffenen als den Subjekten des eigentlichen Empowerments sehen sie professionell Tätige als Menschen, die von (omni)potenten Helfern zu Beratern und Förderern eines zunehmenden Emanzipations- und Partizipationsprozesses werden. Schön gesagt. Aber was ist mit den Menschen, die die Denunzierung einer störenden und unbequemen Lebens- und Sinnesweise und unzivilisiert ablaufender emotionaler Prozesse als krank und damit als grundsätzlich und zudem medizinisch behandlungsbedürftig zurückweisen? Was ist mit den Menschen, die es schlicht ablehnen, das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit als Verhandlungsmasse zur Disposition zu stellen? Was ist mit Medizinern, die aufgrund ihrer naturwissenschaftlich orientierten Ausbildung ständig von Stoffwechselentgleisungen träumen und deshalb gar nicht in der Lage sein können, Menschen mit psychischen Problemen sozialer Natur helfen zu können? Hatte nicht auch das 1995 in der Zeitschrift ›Sozialpsychiatrische Informationen‹ publizierte Ergebnis einer Umfrage des BPE eine als »vernichtend« zu bezeichnende Absage an die Psychiatrie erbracht, als nur 10% der Antwortenden angegeben hatten, dort Hilfe zur Lösung der Probleme gefunden zu haben, die zur Psychiatrisierung geführt hatten? Was ist mit diesen psychiatrisch Tätigen, die z.B. Jugendliche aus nichtigem Anlass mit Elektroschocks, Insulinkoma-Behandlungen und multiplen Pharmacocktails traumatisieren und mit dieser energischen Behandlungsattitüde Leitfiguren psychiatrischer Berufsverbände werden? Was ist mit den Psychiatriebetroffenen, die die Anwendung des Strafrechts auch im psychiatrischen Bereich fordern bei dem Straftatbestand, der da heißt »fortwährende strafbare Körperverletzung durch Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit ohne wirksame Aufklärung über Behandlungsrisiken und Alternativen«? Was ist mit den sozialpsychiatrisch Tätigen, die nicht einmal in der Lage sind, massivste Vorschädigungen ihrer PatientInnen durch brutale biologische Behandlungsmaßnahmen zu erkennen? Löst die Verwendung des Modebegriffs Empowerment all diese Probleme? Oder soll die Vielzahl der Psychiatriebetroffenen inner- und außerhalb des BPE, die unter der Losung »Geld und Rechte« nach einem wirksamen Schutz vor willkürlichen psychiatrischen Übergriffen und nach selbstverwalteten nichtpsychiatrischen Alternativen streben, wieder einmal ausgegrenzt werden? Viele Fragen, die sich nach Lektüre des Buches aufdrängen, und die leider allesamt unbeantwortet bleiben. Kartoniert, 300 Seiten, Bonn: Psychiatrie-Verlag 2000. DM 39.80
Peter Lehmann

Koehler, Karl: Gumpelmann – Eine psychiatrische Groteske

  • »... es ist nahezu unmöglich, Psychiater und gleichzeitig ein anständiger Mensch zu sein« schreibt eine Patientin an den Leiter der (fiktiven) Mandelburger Klinik. Diesen Satz belegt Koehler in seinem Buch ausgiebig und genüßlich. Die Lektüre macht gleichzeitig ungeheuren Spaß und furchtbar wütend. Der Leser wird, hoffentlich, diesem unglaublichen Pandämonium durchgeknallter Psychiater und Psychologen nie ausgeliefert sein. In der Mandelburger Leitungsebene regieren Karrieregeilheit, Drogensucht, Sexbesessenheit und die unheilvollsten gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Patienten bleiben in diesem Getriebe unbedeutende Schachfiguren, unterworfen einer nie durchschaubaren Willkür der Ärzte.
    Besonders spannend macht dieses Buch die Tatsache, dass mit Koehler ein hervorragend informierter Insider über das gnadenlose psychiatrische Treiben schreibt. Der Leser kann also davon ausgehen, dass zwar einige Versatzstücke der Groteske fiktiv sein mögen, der größte Teil aber aus dem richtigen Leben gegriffen ist. Die Geschichte um die äußerst zweifelhafte Erprobung eines riskanten neuen Medikaments an unwissenden Patienten offenbart, dass es in der heutigen Psychiatrie nicht um das Wohl und Wehe der Patienten, sondern nur noch um Geld, Macht und persönliche Eitelkeiten geht.
    Lesevergnügen und Entsetzen durchdringen sich gegenseitig. Ein böses, ein wichtiges Buch.
    Wolf Buchwald, in: BVVP-Magazin (Zeitschrift des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten e.V.), 4. Jg. (2005), Nr. 1, S. 38

  • Auf ein Buch wie dieses haben wir schon lange gewartet: unterhaltend, spannend wie ein Krimi und zugleich fachlich informativ. Auch wenn das Dargestellte kräftig überzogen wirkt, bekommt der Leser einen Einblick in die Welt der akademischen psychiatrischen Krankenhäuser und wird über Pharmastudien und die Pharmaindustrie informiert.
    Der Autor beschreibt stets auf witzige Weise, wie der Chef seine Macht ausnutzt und wie die hierarchischen Verhältnisse sind. Immer wieder bereitet es Schwierigkeiten passende PatientInnen für die Studie des neuen Psychopharmakons »Oneirin« zu gewinnen, da nicht immer eine hundertprozentige Compliance besteht. Die PatientInnen haben leider manchmal Symptome, die doch eigentlich Ausschlusskriterien für die Studie sind.
    Das Sexualleben der Hauptfiguren des Romans kommt nicht im Mindesten zu kurz. Ich vermute, der Autor wollte damit ausdrücken, dass Sexualität häufig benutzt wird, um Menschen – vor allem Frauen – zu kontrollieren, zu beherrschen und auszubeuten. Die Hauptbotschaft des Buches kommt meiner Ansicht nach klar durch: Professor Gumpelmann, der großen Respekt für Menschen mit der Diagnose Schizophrenie hat und an ihrem Wohlergehen interessiert ist, ist der Lichtblick des Buches – er verkörpert den Psychiater, der sich tatsächlich noch auf die PatientInnen einlässt. Als Gumpelmann sich entscheidet, zwei Monate früher in den Ruhestand zu gehen, schreibt er einen Abschiedsbrief an den Direktor – Dieser Brief ist für Psychiatrie-Erfahrene ein wahres Goldstück!
    Die Haupthandlung des Romans ist die »Oneiron-Studie«. Wird es genug Probanden geben? Spuren die Ärzte? Wie verhalten sich die Probanden? Geht es um transparente oder geheime Forschung? Wird dabei das Selbstbestimmungsrecht der Teilnehmer beachtet? All diese Fragen halten die Spannung – der eigentliche Genuss aber liegt in den Zwischenzeilen und Zwischeninformationen. Ich will nicht zu viel verraten, nur so viel, dass wir dabei viel über Doo-Wop und das Verhalten von Mäusen erfahren. Wer Sinn für Humor hat, freut sich sehr über dieses Buch und wünscht sich, dass Karl Koehler bald ein neues schreiben möge.
    Vicky Pullen, in: Rundbrief des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener, 2005, Nr. 1, S. 20

  • Der Leser erlebt hautnah mit, wie machtbesessen, korrupt und skrupellos die Psychiater einer deutschen Uniklinik sind und ihre Patienten als Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie missbrauchen. Dem Autor, einem pensionierten Professor für Sozialpsychiatrie, ist ein spektakulärer Roman gelungen, gespickt mit deftigem Sex und beißendem Humor. (Constance Dollwet)

Taschenbuch, 317 Seiten, ISBN 978-3-925931-36-9, Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2004. € 9.95

Klaus Köhler: Kindesmissbrauch – Gewalt ver-rückt die Seele. Zur Rekonstruktion der Lebensgeschichte von psychisch Kranken
Der Pädagoge Köhler hat eine als »chronisch schizophren« geltende langjährige Anstaltsinsassin zu ihrer Geschichte befragt und ist dabei auf frühkindlichen Inzest gestoßen, dessen Andeutungen vom Anstaltspersonal nie ernstgenommen wurden. Die Interviews haben dem Autor zur Dissertation verholfen und Frau F. möglicherweise vor einer endgültigen Ausmusterung als unverständliche Irre bewahrt. So verhalten die Psychiatriekritik Köhlers ist, der vier Jahre in der Anstalt arbeitete, so klar ist er aber in der Einschätzung der Lage von Frau F.: »Das Ergebnis dieser bis dahin achtjährigen Behandlung liegt darin, dass Frau F. fähig wird, sich einer weiteren, realen und gewalttätigen Wirklichkeit anzupassen.« Reichlich Theorie drumrum, der Titel verspricht etwas zu viel, die Anonymität der Frau F. scheint mir – bei dem detaillierten Lebenslauf – nur eine relative. Insgesamt aber ein selbstkritischer Versuch, »Krankheit als ›gesunde Reaktion‹« verstehbar zu machen. Kartoniert, 360 Seiten, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1991. DM 66.–
Kerstin Kempker

Alexander Koenig: Das verhängnisvolle Irren – Wirklichkeit oder Verkennung der Realität
"Was sind wir, warum sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir? Was ist Zufall, was ist Schicksal?" Der Autor, ein Psychiater, stellt wichtige Fragen auf der Suche nach Ursprung und Sinn des menschlichen Seins, er will Natur und Kosmos verstehen und falsche Auslegungen, egoistische Denkweisen, nicht erkannte psychische Störungen, religiöse und ideologische Besserwisserei sowie Irrmeinungen widerlegen, die im Laufe der Geschichte zu dramatischen Ereignissen führten, wie er schreibt. Das versucht er mit einem 383seitigen, kleinschriftigen und auf mich einen recht chaotischen Eindruck machenden Buch – besser gesagt einem Konvolut von Artikeln und Ausführungen über Gott und die Welt; eine Ordnung ist für mich kaum nachvollziehbar. Zudem schlägt sein monokausales neuropsychiatrisches Denken voll durch. Nicht Menschen morden, lerne ich gerade, es sei das Gehirn und seine Stoffwechselstörung, die dies tun. Neuroleptika heilen Stoffwechselstörungen – um so etwas, was nicht einmal von der Pharmaindustrie in Werbeanzeigen verbreitetet wird, zu glauben, muss man sich wahrscheinlich nicht nur "Facharzt" nennen können, sondern wie der Autor auch "wissenschaftlicher Mitarbeiter an verschiedenen Universitätskliniken". Ich blättere weiter zwischen Türkenkriegen, amerikanischen Präsidenten, der Definition von Leben, der Definition von Eisenbahn ("... ein schienengebundenes Verkehrsmittel zum Transport von Personen und Gütern ..."), der Definition von Straßenverkehr, Luftverkehr, Schiffsverkehr, dem Vertrag von St. German, Perikles, Alzheimer, Rita Hayworth und der Beschreibung von Raketentriebwerken, und mich beschleicht das Gefühl, das hier jemand Wikipedia geplündert, die Textbausteine gelegentlich mit psychiatrischen Bemerkungen versehen, neu zusammengewürfelt und in Buchform gegossen hat. Eine Frage ist leider ausgespart: Wen bloß, außer den Autor selbst und seinen engsten Freundeskreis, soll das alles interessieren? Broschur, 383 Seiten, ISBN 978-3-939337-58-4, Passau: Schenk Verlag 2008. € 18.90
Peter Lehmann

Frank König / Wolfgang P. Kaschka (Hg.): Interaktionen und Wirkmechanismen ausgewählter Psychopharmaka
Eine Vielzahl von Psychopharmaka haben, wenn man sie miteinander kombiniert, unangenehm potenzierende Wirkungen, d.h. unerwünschte Wirkungen zum Beispiel auf Herz und Kreislauf verdoppeln sich. Andere Kombinationen führen zu verzögertem bzw. beschleunigtem Abbau einzelner Substanzen. Da man davon ausgehen muss, dass verordnende Ärzte und Psychiater im konkreten Fall und bei Substanzen, die nach Abschluss ihrer Studien auf den Markt kamen, wenig über solche Zusammenhänge wissen oder aber ihr Wissen gezielt einsetzen, um (für die Betroffenen unerwünschte) Wirkungen zu verstärken, sollte man sich als Objekt der Behandlung ebenfalls dieses Wissen aneignen, um in Entscheidungen (zumindest wissensmäßig) einigermaßen dagegenhalten zu können. Allerdings ist das Buch in medizinisch-psychiatrischer Fachsprache geschrieben. Hinzu kommt die dazu passende nonchalante Haltung zu besonderen Gefahren psychiatrischer Behandlung. Beispiel: Kombination von Lithium und »Nichtmedikamentösen antidepressiven Verfahren«, in diesem Fall Elektroschocks. So lesen wir auf S. 82: »Obwohl nach kasuistischen [Einzelfall-]Berichten verstärkte zentrale Nebenwirkungen wie delirante Zustände oder ausgeprägte Gedächtnisstörungen unter dieser Kombination beobachtet wurden, empfehlen andere Autoren durchaus die Durchführung einer EKT unter laufender Lithium-Medikation.« Wo unsereins den Approbationsentzug und eine strafrechtliche Verfolgung fordert, geht der Autor Kaschka, Mitherausgeber und Psychiater an der Unianstalt Ulm und am Zentrum für Psychiatrie Weissenau, cool zum nächsten Punkt weiter. Möglicherweise bin ich als Rezensent durch das tausendfache Lesen medizinischer und psychiatrischer Literatur abgebrüht; so freue ich mich, wenn ich nebenbei lese, dass der Autor Walter Müller, Professor am Biozentrum der Uni Frankfurt/Main, in seinem Artikel über Wirkungsmechanismen älterer und neuerer Neuroleptika einen relativ klaren Blick auf die breitgestreute Rezeptorenblockade moderner »atypischer« Neuroleptika behalten hat und zum Schluss kommt, hier sei man pharmakologisch »im Prinzip wieder einen Schritt zurückgegangen« und habe Substanzen entwickelt, »die neben dem primär für die Wirkung relevanten Mechanismus noch zusätzliche Mechanismen beeinflussen. Im Gegensatz zu den Altsubstanzen hat man«, so der Autor weiter, hier versucht, gezielt »... solche Mechanismen in die Molekülstruktur einzubauen, die bestimmte Nebenwirkungsqualitäten (besonders EPS [extrapyradmidale, d.h. bei Bewegungsabläufen im Muskelsystem auftretende Störungen] abdämpfen. Damit sind die Substanzen aus der neuesten Generation der Neuroleptika im pharmakologischen Sinne ›dirty drugs‹, also Substanzen mit mehr als einem Wirkungsmechanismus.« (S. 54) Geradezu sensationell schätze ich die Überlegung der beiden Psychiater Max Schmauß und Thomas Messer aus der Psychiatrischen Anstalt Augsburg ein, bei vielen als therapieresistent beurteilten Betroffenen liege »keine echte Therapieresistenz« vor, sondern möglicherweise ein hirnorganischer Krankheitsprozess, eine neurologische oder internistische Krankheit oder – man höre und staune – eine psychopharmakabedingte Depression. Fazit: Für die Betroffenen, die Kombinationen von Psychopharmaka einnehmen, und insbesondere der älteren unter ihnen ist dies ein notwendiges Buch, auch wenn seine Produktion durch die Pharmafirma Lundbeck gesponsert wurde. Kartoniert, XV + 177 Seiten, 14 Abbildungen, ISBN 3-13-105452-2. Stuttgart / New York: Thieme Verlag, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2003. € 24.95
Peter Lehmann

Rudolf Köster: Das seelische Tief überwinden – Ein Leben frei von Depressionen
Freundliches Büchlein mit einfachen Tips, wie man sich selbst vor seelischen Tiefs schützen kann: negative Einstellungen überprüfen, Veränderungen zulassen, Probleme lösen (statt verdrängen), menschlich leben, Lebensfreude wachsen lassen, loslassen und gelassener werden, körperlich in Bewegung kommen, lachen, das Gute sehen, mit Ärger konstruktiv umgehen, konfliktfähig werden, miteinander sprechen lernen, Kontaktstörungen beseitigen, fair streiten, jeden Tag ein bißchen Liebe... All diese Ratschläge klingen einfach, sind aber für einen Autor, der Arzt und Psychiater ist und dennoch nicht mit Psychopharmaka herumwirbelt, eine bemerkenswerte Leistung. TB, 143 Seiten, 2. Auflage, Freiburg: Herder Verlag 1999. DM 16.80
Peter Lehmann

Charlotte Köttgen: Ausgegrenzt und mittendrin – Jugendhilfe zwischen Erziehung, Therapie und Strafe
Ausgesprochen informatives Buch über positive wie auch negative Folgen von Fallkonstruktionen und -bewertungen in Jugendhilfe, Therapie, Psychiatrie und Justiz und der Zusammenhang zwischen Armut, sozialen Verhältnissen und psychischen Problemen. Die jeweils detailliert dargestellten Fallschilderungen unterlegen die Forderungen der Autorinnen und Autoren, die Hände von ausgrenzenden, freiheitsberaubenden und entmündigenden "Hilfe"-Formen zu lassen. Besser sollten integrierende, die sozialen Lebensbedingungen der Betroffenen berücksichtigende und die Mitwirkung der Hilfeadressaten und -adressatinnen fördernde hierarchiefreie Hilfesysteme geschaffen werden. Eines der Fallbeispiele betrifft Vera Stein, die aufgrund familiärer Probleme in der Jugendpsychiatrie landete und dort und in der Folgezeit massiv gesundheitlich geschädigt und emotional verletzt wurde (siehe Trotzdem. Behindert ist man nicht – behindert wird man, Abwesenheitswelten – Meine Wege durch die Psychiatrie und Diagnose »unzurechnungsfähig«). Im Rahmen ihrer Schadenersatzklage wurde sie u.a. von Charlotte Köttgen begutachtet. Die Tatsache, dass die Begutachtete mir, dem Rezensenten, das Buch empfahl, zeigt die Stichhaltigkeit der kritischen Aussagen Köttgens hinsichtlich der verantwortungs- und gedankenlosen Praxis in der Jugendpsychiatrie. Deutlich wird in dem Buch auch das von wenig Verantwortungsbewusstsein geprägte Verhalten vieler Sozialarbeiter kritisiert: "Die eigentlichen 'Experten sozialer Problemlagen', die Sozialarbeiter, verweisen gern auf ihre Nichtzuständigkeit, besonders wenn sie Dank einer Diagnose auf die 'höhere Kompetenz' von Ärzten verweisen können." Kartoniert, 235 Seiten, ISBN 978-3-925146-63-3. Frankfurt am Main: IGfH-Eigenverlag 2007. € 19.50
Peter Lehmann

Jolien Kok-van Esterik: Clozapine: Benefits and Risks of a Controversial Drug siehe unter Sammelrezension

Peter D. Kramer: Glück auf Rezept. Der unheimliche Erfolg der Glückspille Fluctin
Ein Buch, das aus den USA (»Talking about Prozac«) kommt und voll auf der Welle der biologischen Psychiatrie schwimmt. Wer, wie der Psychiater Kramer, glaubt, dass Elektroschocks und Haldol dem Menschen zu Glück und Wohlbefinden helfen, der wird auch von dessen Buch begeistert sein: dank Verabreichung der chemischen Substanz Fluoxetin, einem Serotoninwiederaufnahmehemmer, komme die wahre Natur des Menschen zum Vorschein; zuvor sei sie lediglich stoffwechselbedingt abhanden gekommen, Ursache von Depressionen. Kein Wort im Buch von all den Klagen wegen schwerer Zwischenfälle unter Prozac, wie Fluctin in den USA heißt, über Filmrisse und Gewaltakte gegen andere unter Fluoxetineinfluss, über Suizide usw. Wer etwas erfahren will über die Gefahren der gelegentlich mörderischen Substanz Fluoxetin und über das primitive Menschenbild, das ihren Einsatz favorisiert, dem bzw. der seien folgende zwei Bücher empfohlen: a) Peter Breggin / Ginger Ross-Breggin: »Talking back to Prozac«, New York: St. Martin's Press 1994; b) Marc Rufer: »Glückspillen. Ecstasy, Prozac und die Rückkehr der Psychopharmaka«, München: Knaur Verlag 1995. Geb., 384 S., Stuttgart: Kösel Verlag 1995. DM 48.–
Peter Lehmann

Alfred Kraus / Christoph Mundt (Hg.): Schizophrenie und Sprache
In diesem teuren Band aus der »Sammlung psychiatrischer und neurologischer Einzeldarstellungen« machen ein Dutzend Psychiater ihren Kotau vor ihren geistigen Vätern Kraepelin und E. Bleuler und vor ihrem Anführer Peters, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde, und legen wortreich dar, wie sie mit linguistischen Mitteln die Diagnose »Schizophrenie« zementieren wollen. Ausgehend davon, dass die »organische Läsion« als Ursache des irgendwie anderen wohl nicht gefunden wird, machen sie sich nach der Medizin nun noch eine andere Wissenschaft zunutze, die Sprachwissenschaft. Es werden fleißig »Sprachregelverstöße« gesammelt, wie »Weitschweifigkeit« oder »Verdichtung«, »Konkretismus« oder »abnorme Symbolbildung«, »Bizarrerie« und »Eigenbezüglichkeit«. Es werden Briefe von InsassInnen, sog. »Pseudotexte«, zerpflückt, Sprichwörter sind im »konventionell verbindlichen Sinn« zu interpretieren und Textlücken ebenso zu schließen. Aus alledem ergibt sich zwar, dass die einander oft widersprechenden »Sprachregelverstöße« nicht nur von »Schizophrenen« und auch nicht von allen und auch nicht regelhaft begangen werden (s. Peters), dass aber mit einem kleinen Schlenker, bei Peters ist das die Hinzuziehung von »Kontext und Kotext«, doch noch alle erwischt werden, weil die »Schizophrenie« schon durch die Interpretation eines einzigen Satzes dingfest gemacht werden kann. Denn solche »Sprachstörungen« entsprechen in ihrer »diagnostischen Wertigkeit dem Symptom ersten Ranges«. So lassen sich Ferndiagnosen aufgrund von Textproben stellen oder auch postum, wie Peters und sein Wiener Kollege Navratil das mit Hölderlin taten.
Mehr oder weniger gut verdeckt wird dieses Interesse psychiatrischer Machtabsicherung und -bereicherung durch die immer wieder einmal eingestreute Floskel von der durch die Sprachzerpflückung zunehmenden Verstehbarkeit und den daraus erwachsenden therapeutischen Möglichkeiten. »Der Firma Janssen sei herzlich gedankt« heißt es im Vorwort, und die Firma Janssen dankt sicher herzlich zurück, sie vertreibt die »therapeutischen Möglichkeiten« (Haldol usw.) mit Gewinn, der »großzügige Druckkostenzuschuss« ist da ein Klacks. Kartoniert, 156 Seiten, Stuttgart/New York: Georg Thieme Verlag 1991. DM 80.–
Kerstin Kempker

Anja Krebs (Hg.): Die wiedergewonnene Freiheit – Angstbetroffene erzählen ihren Weg
Buch einer jungen Frau, die nach vielen vergeblichen Anläufen für sich die Lösung ihrer Angstprobleme in Hypnosetherapie gefunden und daraufhin mit Dr. E. Reinhold ein professionelles Selbsthilfeprogramm entwickelt hat, um anderen Betroffenen die Gelegenheit zu geben, denselben Weg zu gehen. Mit 14 Berichten von Klientinnen des von Anja Krebs gegründeten Instituts für Angstbefreiung incl. ihrer eigenen Geschichte über die durchweg positiven Effekte der von ihrem Institut für Angstbefreiung angebotenen Hypnosetherapie. Allerdings wird diese Therapieform kombiniert mit Familienaufstellungen à la Hellinger und dessen Ideologie, was zur Folge hat, dass sich geschlagene und gequälte Kinder bei ihren Peinigern für ihre Erziehung auch noch bedanken dürfen. Kartoniert, 243 Seiten, ISBN 978-3-937844-15-2. Vechta-Langförden: Geest-Verlag, 7. Auflage 2008. € 12.50
Peter Lehmann

Matthias Krisor / Kerstin Wunderlich (Hg.): Vom Kopf auf die Füße – Der Mensch ist nicht nur krank, wenn er krank ist
Reader zu den 7. Herner Gemeindepsychiatrischen Gesprächen von 2001. Bürgerladen Halle, Herner Ateliers, Aktuelles aus dem Berliner Weglaufhaus, ein Blick nach England, ein Pilgerprojekt und ein Pilotprojekt zu geistig-energetischem Heilen; der Band bietet ein erstaunlich breites Spektrum an teilweise neuen, oft von Betroffenen initiierten und vorgestellten und immer gewaltfreien Wegen im Umfeld der Psychiatrie. Wo gibt es das: Ein Baseler Psychiater beschreibt sachlich, aber sichtlich beeindruckt die Wirkkraft einer Heilerin. PsychiatriepatientInnen pilgern wochenlang mit ihren MitarbeiterInnen auf dem Jakobusweg, und ein "Verein der Freunde und Förderer gewaltfreier Psychiatrie" setzt sich öffentlich gegen die "Aktion Psychisch Kranke" zur Wehr. Ein Buch, das Herz und Verstand anspricht und Neugier weckt. Kartoniert, 295 Seiten, ISBN 3-89967-000-0. Lengerich: Pabst Science Publishers 2003. € 20.–
Kerstin Kempker


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