FAPI-Nachrichten
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zuletzt aktualisiert am 28. November 2024
Patch Adams / Maureen Mylander: Gesundheit! Bringt auf einzigartige
Weise frischen Wind in die Segel Ihrer Gesundheit, ins Gesundheitswesen
und unser ganzes Gesellschaftssystem
Wer sich für den US-amerikanischen »Spaßdoktor«
interessiert, findet hier alles Wissenswerte. Kartoniert, 256 Seiten,
10 Abbildungen, Oberursel: 12 & 12 Verlag 1997. € 15.29 Peter Lehmann
Valentin Aichele / Deutsches
Institut für Menschenrechte (Hg.): Das Menschenrecht auf gleiche
Anerkennung vor dem Recht Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention
Herausgegeben ist das Buch von Valentin Aichele vom Deutschen Institut
für Menschenrechte. Dieses wurde 2009 damit betraut, die Funktionen
einer unabhängigen Monitoring-Stelle gemäß der UN-Menschenrechtskonvention
wahrzunehmen und zu kontrollieren, inwieweit Deutschland der Umsetzung
seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Die Autorinnen
und Autoren des Buches schauen also auf diejenigen menschenrechtlich
sensiblen Bereiche, in denen die deutsche Rechtsordnung Menschen mit
Behinderungen anders behandelt als nichtbehinderte. Im ersten Kapitel
über grundlegende Perspektiven setzen sich Valentin Aichele und Theresia
Degener mit der Auslegung des Artikels 12 aus völkerrechtlicher Sicht
auseinander. Klaus Lachwitz befasst sich mit der Unterstützung von Menschen
mit geistiger Behinderung und prüft, inwieweit dieser Personenkreis
rechtlich handlungsfähig ist und wie die Unterstützungsverschaffenspflicht
im Detail ausgestaltet ist, wobei er positive Beispiele aus dem Ausland
aufzeigt. Wie sich die UN-Konvention auf die rechtliche Handlungsfähigkeit
von Kindern mit ihren sich entwickelnden Fähigkeiten auswirkt, zeigt
Lothar Krappmann auf. Im Kapitel 2 geht es um die rechtliche Handlungsfähigkeit
von Behinderten in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, unter anderem
auch in Arbeitsgerichts- und Strafverfahren. Für Psychiatriebetroffene
am interessantesten ist sicher Kapitel 3 mit den Beiträgen »Unabhängige
Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft nach Artikel 19 UN-BRK
als Ausdruck rechtlicher Handlungsfähigkeit« von Minou Banafsche
und insbesondere »Menschen in Krisen: Unterbringung und Zwangsbehandlung
in der Psychiatrie« von Ralf Marschner, von Beruf Jurist und Diplom-Sozialpädagoge.
Verständlich erläutert er die Auswirkungen von Artikel 12 der UN-Behindertenkonvention
auf Unterbringung und Zwangsbehandlung und stellt auch den Zusammenhang
mit den jüngsten höchstrichterlichen Entscheidungen her, die erstmals
die UN-Behindertenkonvention berücksichtigen und das psychiatrische
Recht auf gewaltsame Verabreichung von Psychopharmaka stark einschränken.
Trotzdem plädiert er dafür, Psychiatern das Recht auf Zwangsbehandlung
zu belassen, da ansonsten nach Polizeirecht mit Menschen in emotionalen
Krisen verfahren werde. Gleichzeitig schließt er ein psychiatrisches
Recht auf Zwangsbehandlung aus für den Fall, dass die Behandlung nicht
mit einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden
verbunden ist. Dieser Widerspruch in der Argumentation und auch die
Tatsache, dass der Autor den Tatbestand traumatisierender Gewalterfahrungen
vollkommen außer Acht lässt, zeigt, wie wichtig es ist, trotz einer
wohlmeinenden Haltung auch erfahrungswissenschaftlich orientierten Vertretern
von Betroffenenorganisationen die Möglichkeit zur Artikulation zu geben.
Die Gefahr, dass sich die jahrhundertealte Bevormundung von Menschen
mit psychiatrischen Diagnosen im Gewand moderner Fürsprache fortsetzt,
bedarf ständiger Reflexion darüber, ob die erfahrungswissenschaftlich
orientierte Argumentation der weltweit gegen das psychiatrische Recht
auf gewaltsame Verabreichung von Psychopharmaka und Elektroschocks vereinten
repräsentativen Betroffenenverbände, die maßgeblich an der Entstehung
der UN-Behindertenrechtskonvention beteiligt waren, in angemessener
Weise aufgegriffen wurden. Weitere Beiträge innerhalb von Kapitel 3
betreffen fremdnützige Forschung und die Einwilligung Betreuender in
die Sterilisation geistig Behinderter als Verstoß gegen die UN-Menschenrechtskonvention.
Im letzten Kapitel versammeln sich Beiträge, die die Frage angehen,
ob das deutsche Betreuungsrecht konventionskonform ist und dem Problem,
dass Betreuer noch immer das von ihnen definierte »Wohl der betreuten
Person« über deren Wünsche stellen und somit gegen die Wunschbindungsverpflichtung
stellen können. Im abschließenden Kapitel 4 stellt Robert Northoff ein
Erwachsenenhilfegesetz vor, das wegführt von Betreuung und Psychiatrisierung
und hin zu einem System von Rechtsansprüchen auf Förderung von Hilfe
und unter anderem eine verstärkte Werbung für Vorsorgevollmachten und
im Endeffekt Geld einsparende verstärkte soziale Arbeit
und Betreuung durch die Kommunen beinhaltet. Fazit: Man merkt den Beiträgen
an, dass sich die Autorinnen und Autoren seit langem eingehend mit der
Materie auseinandergesetzt haben. Auch wenn man ihre Sichtweise und
Argumentation im Einzelnen nicht uneingeschränkt teilen muss, bietet
der Sammelband eine fundierte Basis für alle, die sich tiefgreifend
mit dem aktuellen Stand der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention beschäftigen
und versuchen wollen, auch die Stimme von Betroffenen zu Gehör zu bringen,
um mitzuhelfen, dem Monolog der Experten ein Ende zu setzen und gemeinsam
mit den bereits ernsthaft Engagierten das Undenkbare durchzusetzen:
das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht ohne Wenn und
Aber. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 398 Seiten, ISBN 978-3-8329-7153-3.
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013. € 86. Peter Lehmann
Miriam Akhtar: Mit Positiver
Psychologie aus der Depression. Selbsthilfe-Strategien für Resilienz
und mehr Lebensfreude
Die Journalistin Miriam Akhtar, die nach eigenen Angaben selbst einige
Jahre lang depressiv war, versteht sich als Vertreterin der Positiven
Psychologie, die sich im Gegensatz zur normalen Psychotherapie mit den
Stärken des Menschen beschäftige. Tätig als Referentin und Coach, plädiert
sie für einen positiven Umgang mit leichten und mittleren Depressionen,
Pflegen von Dankbarkeit, Genießen des Moments, Achtsamkeit, Optimismus,
Resilienz, positive Beziehungen, Vitalität und neue Wege im Leben. Das
kann nicht schaden und ist sicher besser als das Schlucken von Psychopharmaka.
Und wenn es hilft, umso besser. Englischsprachige Originalausgabe 2018.
Kartoniert, 207 Seiten, ISBN 978-3-432-10800-1. Stuttgart: Trias Verlag
im Thieme Verlag 2019. € 17.99 Peter Lehmann
Götz Aly: Die Belasteten "Euthanasie" 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte
Der Autor, Vater einer behinderten Tochter, bringt mit seinem neuesten
Buch eine Arbeit zu Ende, die er 1981 begann, seinerzeit jedoch nicht
beendete, da sein Antrag auf ein Habilitationsstipendium von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft abgelehnt worden war. Bestärkt von vielen Briefen
Angehöriger, die mittlerweile nach ihren ermordeten Familienmitgliedern
fragen, beschreibt Götz Aly mit großer Präzision, wie die »Euthanasie«-Morde
von Verrückten, Behinderten, Arbeitsunfähigen und -unwilligen, Hilfsbedürftigen
und anderen Menschen mit störender und unbequemer Lebens- und Sinnesweise
während der Zeit des deutschen Faschismus organisiert wurden und wie
sie konkret vor sich gingen, sowohl in Deutschland als auch in den überfallenen
Gebieten. Thema ist auch die flächendeckende Einführung von Elektroschockapparaten,
um Menschen rasch »symptomfrei« machen und nach ihrer Sterilisierung
an ihren Arbeitsplatz zurückschicken zu können. Der Autor verwendet
dabei viele Dokumente, die von »Euthanasie«-Betroffenen, Überlebenden
und Familienangehörigen verfasst wurden. Dabei macht er deutlich, wie
wesentlich die Haltung der Familien war: ob sie den Kontakt zu ihren
untergebrachten Angehörigen hielten, sich für ihre Belange einsetzten,
sie wieder zu sich holen wollten und gegen die befürchtete Ermordung
protestierten (was durchaus zur Freilassung der Betroffenen führen konnte),
oder ob sie froh waren, von einem als Belastung empfundenen Menschen
befreit zu werden. Dankenswerterweise macht Götz Aly Schluss mit der
verbreiteten Praxis, die Betroffenen durch die Verwendung von Initialen
unkenntlich und zu anonymen Unpersonen zu machen. Folgerichtig plädiert
er, in Gedenkstätten die Ermordeten namentlich zu ehren und ihre Lebensdaten
in einer allgemein zugänglichen Datenbank zu nennen. Durch die Tatsache,
dass der Autor die Betroffenen und nicht mehr die Täter in den Mittelpunkt
der Betrachtung stellt, hebt sich sein Buch deutlich von aller vorangegangenen
Literatur zum Thema ab und zeugt von einer neuen, betroffenenzentrierten
Qualität. Kein Buch für zarte Gemüter, aber (neben den Büchern von Ernst
Klee) die Grundlagenliteratur zum Verständnis der medizinisch-psychiatrischen
Massenmorde während des Faschismus und insbesondere der Leiden der psychiatrisch
Gequälten und Ermordeten. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzeinschlag, 348 Seiten, ISBN
978-3-10-000429-1. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2013. €
22.99 Peter Lehmann
Ingvar Ambjörnsen: Blutsbrüder
Der Autor, Sozialarbeiter, beschreibt literarisch aus seiner (professionellen)
Sicht den Versuch zweier Psychiatriebetroffener, wieder im bürgerlichen
Leben Fuß zu fassen. Wem »Ich hab dir nie einen Rosengarten
versprochen« gefiel, wird auch Freude an den »Blutsbrüdern«
finden. Nachdem den beiden Männern in der Anstalt (Roman!) offenbar
geholfen wurde, haben sie mit ihrem Sozialarbeiter einen hilfsbereiten,
unaufdringlichen und allen Problemen gegenüber aufgeschlossenen
Helfer, der sie beim Bestehen der sympathisch und leicht ironisch geschilderten
Anforderungen des bürgerlichen Lebens unterstützt. Roman.
Geb., 256 S., München: Fretz & Wasmuth Verlag 1997. DM 36.90 Peter Lehmann
Michaela Amering / Margit Schmolke:
Recovery Das Ende der Unheilbarkeit
Recovery ist ein relativ neuer Begriff im psychosozialen Bereich, den
sowohl psychiatriekritische als auch psychiatrische Kreise breit einsetzen.
»Recovery« kann man übersetzen mit Bergung, Besserung, Erholung,
Genesung, Gesundung, Rettung oder Wiederfindung. Die positive Konnotation
der Hoffnung ist allen Verwendungstypen gemeinsam, kann aber in völlig
unterschiedliche Richtungen zielen. Manche meinen mit Recovery die Erholung
von einer psychischen Krankheit, das Nachlassen der Symptome oder die
Gesundung. Andere denken dabei an die Erholung von unerwünschten Wirkungen
der verabreichten Psychopharmaka nach dem Absetzen, die Wiedergewinnung
der Freiheit nach Verlassen des psychiatrischen Systems oder die »Rettung
aus dem psychiatrischen Sumpf«. Im vorliegenden Buch geht es um
Recovery durch psychiatrische Behandlung, rasante Entwicklungen hätten
hierzu beitragen. Damit meinen die Autorinnen offenbar atypische Neuroleptika
à la Zyprexa, bekannt geworden durch seine Diabetes-auslösende Potenz.
Die Autorinnen informieren über viele psychiatrische Recovery-Programme
im In- und Ausland, von denen man sonst nie etwas hören würde (leider
ohne auf die Frage der Praxisrelevanz einzugehen). Manche Leser werden
sich freuen, dass eine Reihe von Publikationen Psychiatriebetroffener
aufgelistet werden, dass Forschung und Fortbildung aus der Perspektive
Psychiatriebetroffener thematisiert wird und ein Paradigmenwechsel des
psychiatrischen Glaubens an die sogenannte Unheilbarkeit von Geisteskrankheiten
gefordert wird. Mir allerdings gibt die Ausblendung psychiatriekritischer
(antipsychiatrischer) Erfahrungen von Leuten zu denken, die sich wieder
erholt haben, indem sie der Psychiatrie den Rücken kehrten. Pat Bracken
vom Internationalen Netzwerk für Alternativen und Recovery (INTAR
www.intar.org) schreibt in dem Buch »Statt
Psychiatrie 2«: »Die radikalste Folgerung der Recovery-Bewegung
(...) besteht in der Feststellung, dass es die Betroffenen sind, die
das größte Wissen und die meisten Informationen über Werte, Bedeutungen
und Beziehungen besitzen. Im Sinne der Recovery-Bewegung sind sie die
wahren Experten.« Man mag es eigentlich nicht mehr lesen, wenn
psychiatrisch Tätige sich selbst für die einzig wahren Experten halten.
Dass in diesem Weltbild noch nicht einmal INTAR einen Platz hat, ein
internationaler Zusammenschluss aller wesentlichen Alternativansätze
wie Soteria oder Windhorse, ist traurig. Kartoniert, 302 Seiten, ISBN
978-3-88414-421-3. Bonn: Psychiatrieverlag 2007. € 24.90 Peter Lehmann
Sue Anders: Blühe, wo du
gesät bist. Ein Rückblick auf 40 Jahre Psychiatrie-Erfahrung
Die Autorin hat so der Vorwortschreiber, der Klinikpsychiater
Hans-Jürgen Luderer aus der Psychiatrie in Weinsberg, mit Genugtuung
»... es durch lange, leidvolle Erfahrung gelernt, dass sie
nur dann ein gutes Leben führen kann, wenn sie die Krankheit und die
erforderliche Behandlung akzeptiert und ihr Leben nach dem ausrichtet,
was die Krankheit ihr erlaubt.« Diese Sichtweise hat die Autorin
(Sue Anders ist ein Pseudonym), die vier Jahrzehnte lang (1973-2013)
immer wieder in der Psychiatrie landet bzw. von sich aus dort hingeht,
ungebrochen übernommen. Die Autorin versteht sich offenbar als Objekt
äußerer Instanzen, die sie bestimmen, sie sozusagen »gesät«
haben, wie der Buchtitel präzise vermittelt. Innerhalb dieser gesetzten
Grenzen darf sie »blühen«. Sorgfältig dokumentiert sie ihre
Lebensgeschichte, auch ihre vielen Psychiatrieaufenthalte beschreibt
sie kurz. Diese wie auch die jeweils vorausgehenden teilweise
heftigen emotionalen Probleme passieren für sie immer wie
aus heiterem Himmel. In der Psychiatrie erhält sie über Jahrzehnte die
jeweils neuesten Psychopharmaka, von Dapotum über Haldol bis Zyprexa.
Auch wenn sie diese durchaus nicht immer mit Begeisterung schluckt,
wird sie dennoch (oder trotzdem) immer wieder rückfällig. Vollkommen
unkritisch, wie ich das bei Psychiatriebetroffenen noch nirgendwo erlebt
habe, und ohne Spur jedweder Reflexion fügt sie die psychiatrischen
Entlassberichte in die dreizehn Kapitel ein, in die sie ihre Lebensgeschichte
untergliedert hat. Sie scheint sich komplett mit der psychiatrischen
Bewertung ihres Lebens zu identifizieren. Aber offenbar ist sie eine
so unverwüstliche Frau, dass sie trotz ihrer schicksalsergebenen Haltung,
trotz ihrer langen Leidensgeschichte, trotz vieler Schicksalsschläge
im Leben, zu der auch eine schwere Krebserkrankung gehört, und trotz
der Vielzahl der ihr verordneten toxischen Psychopharmaka ihre Lebenskraft
noch nicht verloren und nun in Eigenregie dieses Buch publiziert hat.
Das nötigt Respekt ab. Erwähnt sein soll auch, dass sie es
im Gegensatz zu vielen anderen Psychiatriebetroffenen
unterlässt, anderen Ratschläge zu geben, ihre Probleme auf
dieselbe Art verstehen und lösen zu wollen. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 304 Seiten, illustriert mit 8 farbigen
Bildern von Karin Vollert, ISBN 978-3-943280-01-2. Wiernsheim: Druckfrey
Verlag 2015. € 19.90 Peter Lehmann
Christophe André: Alles über Angst Wie Ängste
entstehen und wie man sie überwinden kann Der Autor, ein Pariser Psychotherapeut und Psychiater, plädiert
darauf, die Ursachen von Ängsten aufzudecken, gleichzeitig jedoch
sich täglich darum zu bemühen, die Angstsymptome unabhängig
von den Ursachen zu beherrschen. Sorgfältig bearbeitet er in einzelnen
Kapiteln die Fragen, was normale Ängste von sogenannten pathologischen
Ängsten unterscheidet, woher Ängste und Phobien kommen, wie
ihr Mechanismus abläuft, wie man am besten beginnt, der Angst entgegenzutreten.
Es folgen Vorzüge der kognitiven Verhaltenstherapie, mit der sich
indirekt, aber dennoch wirksam auf das den Gedanken und Gefühlen
zugrunde liegende Nervensystem einwirken und so eine emotionale Aktivierung
und der Einsatz neuer synaptischer Verknüpfungen hervorrufen lasse.
In einem weiteren Kapitel werden alle möglichen speziellen Ängste
vorgestellt: Ängste vor Tieren, Flugangst, Schüchternheit,
Lampenfieber, die Angst rot zu werden. Es folgt ein Kapitel über
Angstattacken, Panikanfälle und Agoraphobie incl. Erste-Hilfe-Maßnahmen,
um sich nicht selbst verrückt zu machen, und zuletzt folgt ein
Kapitel zu Ängsten, die der Autor eher als selten betrachtet, beispielsweise
Angst vor Inkontinenz, Angst vor sexuellen Beziehungen und sexuellem
Versagen, Angst vor dem Tod. Das Buch ist geeignet für alle, die
sich einen Überblick über die Vielfalt von Ängsten und
psychotherapeutisches Herangehen verschaffen wollen und die daran Gefallen
haben, dass der Autor, ein Psychiater, seine mit dem Zeitgeist der Neurobiopsychologie
kompatiblen Ausführungen mit einer Vielzahl von Beispielen aus
der Geschichte und Belletristik sowie »Fall«-Geschichten illustriert,
ohne dass letztere je als Subjekte selbst zu Wort kommen. Gebunden mit
Schutzumschlag, 299 Seiten, ISBN 978-3-7831-3262-5. Stuttgart: Kreuz
Verlag 2009. € 19.95 Peter Lehmann
Marcia Angell: Der Pharma-Bluff Wie innovativ die Pillenindustrie
wirklich ist
Kritisches und lesenswertes Buch zu problemlos auf den deutschsprachigen
Raum übertragbaren üblichen und üblen Marketingstrategien
für Medikamente und psychiatrische Psychopharmaka. Über Arzneimittelprüfungen
an Freiwilligen, das Missverhältnis zwischen Ausgaben für
Forschung und Werbung sowie gefälschte Zahlen, Scheininnovationen,
Abzocke der Steuerzahler, Einseitigkeit bei Publikationen oder Unterdrückung
unangenehmer Erkenntnisse, Bestechung, direkte Verbraucherwerbung, als
Fortbildung, Forschung und Aufklärung getarntes Marketing, Fachtagungen
als Werbemaßnahmen, Dichtung und Wahrheit bei klinischen Prüfungen.
Ein Glossar hilft beim Verständnis der amerikanischen Begriffe,
Verbände und Verordnungen. Das Buch handelt auch von psychiatrischen
Psychopharmaka (u.a. dem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paxil [Wirkstoff
Paroxetin, hierzulande im Handel als Allenopar, Aroxetin, Deroxat, Ennos,
Euplix, Oxet, ParoLich, Paroxat, paroxedura, Paroxetin, Seroxat, Tagonis],
und Prozac [Wirkstoff Fluoxetin, hierzulande im Handel als Felicium,
Flox-ex, Fluctin, Fluctine, Fluneurin, Fluocim, Fluox, fluox-basan,
FluoxeLich, Fluoxemerck, Fluoxe-Q, Fluoxetin, Fluoxgamma, Fluoxibene,
Fluoxifar, FluoxiStad, Fluoxityrol, Flusol, Flux, Fluxet, Fluxil, FluxoMed,
Fysionorm, Mutan, Mutin, Positivum, Prozac], sowie dem auch aus psychiatrischen
Überlegungen heraus verwendeten Antiepileptikum Neurontin [Wirkstoff
Gabapentin). Der Verlag schreibt zwar, die deutschen Markennamen würden
nichts zum besseren Verständnis der geschilderten Sachverhalte
beitragen, aber wenn schon einzelne amerikanische Markennnamen genannt
werden, möchte man doch gerne wissen, wovon die Autorin konkret
spricht. Aus diesem Grund habe ich die aktuellen (Stand: Juli 2005)
Markennamen im deutschsprachigen Raum hier aufgelistet. Übersetzung
aus dem Amerikanischen, Originalausgabe 2004. Gebunden, 288 Seiten,
ISBN 3-9806621-9-5. Bonn / Bad Homburg: KomPart VerlagsGmbH 2005. €
24.80 Peter Lehmann
Peter Ansari / Sabine Ansari: Unglück auf
Rezept Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen
Zusammen mit seiner Ehefrau Sabine Ansari, einer Heilpraktikerin, hat
der Humanbiologie Peter Ansari ein wichtiges Buch über Antidepressiva
geschrieben. Zehn Jahre hat er über Depressionen geforscht. Jetzt betreiben
beide im niedersächsischen Coppenbrügge eine Gemeinschaftspraxis, wo
auch Menschen mit psychiatrischen Diagnosen betreut werden. In sechs
Kapiteln schreiben die Ansaris über die ungehemmte Verbreitung dieser
Substanzen, ihre gelegentlich suizidfördernde Wirkung und über die Qualen,
die beim Absetzen auftreten können. Im zweiten Kapitel geht es um die
nach wie vor unbekannten biochemischen Vorgänge, die mit Depressionen
einhergehen, um den Placebo-Effekt von Antidepressiva und die gerne
verschwiegenen unerwünschten Wirkungen. Kapitel 3 handelt betrügerische
Bewerbung von Antidepressiva und Milliardenstrafen für aufgeflogene
Herstellerfirmen ab, Kapitel 4 die Lüge vom niedrigen Serotoninspiegel
als Ursache von Depressionen. Im fünften Kapitel betrachten die Ansaris
die verquere Geschichte der Antidepressiva seit den 1950er-Jahren, und
im Schlusskapitel geht es um wirksame, "alternative" Behandlungsmöglichkeiten.
Das Buch ist übersichtlich, die Ausführungen sind auch für medizinische
Laien problemlos zu verstehen: also ein uneingeschränkt empfehlenswertes
Buch für alle, die sich einen Überblick über das Geschäft mit den Antidepressiva
(einschließlich den neueren Antidepressiva), deren Wirkungen und Risiken
verschaffen wollen. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 300 Seiten, ISBN 978-3-608-98060-8.
Stuttgart: Klett-Cotta 2016. € 16.95 Peter Lehmann
Rainer Appell (Hg.): Homöopathie, Psychotherapie und Psychiatrie.
Hahnemanns weiterwirkender Impuls
Sammlung von kritischen (und z.T. homöopathische Grundkenntnisse
voraussetzenden) Referaten der internationalen Hainsteintagung von 1992.
Wer sich für eine humane und verstehende Psychotherapie interessiert,
findet bei Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie,
die Vorwegnahme ihrer wesentlichen Elemente (Ganzheit, Gewaltlosigkeit,
Verstehen). Hahnemanns Erfahrungen, so im Buch nachzulesen, seien heute
von unverminderter Aktualität, da sie helfen könnten, dem
in der modernen Psychiatrie oft zum Schweigen verurteilten Menschen
seine Sprache wiederzugeben und ihm Gehör zu verschaffen. Das klingt
gut, wird auch durch Fallbeispiele beschrieben, die zeigen, wie homöopathische
Mittel Veränderungsprozesse bei Menschen einleiten, die
durch welche Umstände auch immer in Sackgassen ihrer Entwicklung
gelangt sind. Man darf gespannt sein, wie sich diese Menschen zu den
Berichten äußern, wenn sie die Gelegenheit haben, schriftlich
Stellung zu nehmen, denn letztlich können es nur die homöopathisch
Behandelten selbst sein, die optimistische Behandlungsberichte anderer
bewerten. Geb., 231 S., 31 Abb., Heidelberg: K.F. Haug Verlag 1993.
DM 68. Peter Lehmann
Tony Attwood: Leben mit dem Asperger-Syndrom.
Von Kindheit bis Erwachsensein alles was weiterhilft Der Autor, klinischer Psychologe in Australien, laut Verlagswerbung
einer der weltweit bekanntesten Asperger-Experten, hat ein Ratgeberbuch
geschrieben für Menschen mit der Diagnose "Asperger-Syndrom", das jetzt
in der 3. Auflage erschienen ist. Original wurde es 2007 in englischer
Sprache publiziert. Es soll die Logik und Perspektive von Menschen mit
Asperger-Syndrom erklären. Dazu erklärt er, was unter einem Asperger-Syndrom
zu verstehen ist, wie die Diagnose zu stellen ist, wie eine vom Verstehen
geprägte Kommunikation mit den sprachlichen Besonderheiten der Betroffenen
herzustellen ist, weshalb für sie das Versenken in Spezialgebiete entspannend
ist, wie sich ihre gelegentlich gestörte Bewegungsfähigkeit verbessern
lässt und wie sie es lernen können, mit starken und oft zu vielen Reizen
klarzukommen. Schule, Ausbildung, Beruf, Beziehungen auch langfristiger
Art und Psychotherapie beschließen das mit vielen Zitaten Betroffener
wie auch Hans Asperger versehene Buch. Etwas merkwürdig ist der Verweis
auf "Hinweise" wonach geringe Mengen von Psychopharmaka Erwachsenen
mit Asperger-Syndrom geholfen hätten. Die "Hinweise" beziehen sich auf
gerade mal eine Studie mit dem Neuroleptikum Risperdal. Laut Herstellerinformation
führt Risperdal sehr häufig zu Schläfrigkeit, Parkinsonismus, häufig
zu Depressionen, Agitiertheit, gelegentlich zu Aufmerksamkeitsstörungen
etc. Allerdings benennt der Autor auch negative Bewertungen von Neuroleptika,
wonach diese nicht das innere Erleben der Betroffenen verändern, sondern
lediglich die Energie einschränken, Gefühle wie beispielsweise Wut auszudrücken.
Kartoniert, 448 Seiten, ISBN 978-3-432-10979-4. Stuttgart: Trias Verlag
in Georg Thieme Verlag KG, 3. Auflage 2019. € 29.99 Peter Lehmann
Kurt Marc Bachmann / Wolfgang Böker (Hg.): Sexueller Missbrauch
in Psychotherapie und Psychiatrie
Ergebnis einer Tagung vom November 1991 in Bern, herausgegeben von zwei
Psychiatern. 5 PsychiaterInnen, 6 PsychologInnen, eine Sozialwissenschaftlerin
und eine Juristin geben Definitionen, Literatur und aktuelle Zahlen
wieder, stellen den Täterprofilen und -argumenten die erheblichen
Folgeschäden der betroffenen (meist) Frauen gegenüber und
äußern sich zu Prophylaxe und Sanktionen auf der einen und
zu Anlaufstellen und Folgetherapien auf der anderen Seite. Besonders
aufschlussreich fand ich den Artikel über sexuellen Missbrauch
in der Psychiatrie. Nach einer anonymen Befragung an zwei Schweizer
Anstalten gaben vom Pflegepersonal 16,8% der Männer
und 10,5% der Frauen (!) sexuelle Kontakte zu InsassInnen an. Ein nüchternes,
klares, informatives Buch, wissenschaftlich, aber gut zu lesen. Kart.,
168 S., Bern: Huber Verlag 1994. DM 39.80 Kerstin Kempker
Meinolf Bachmann / Andrada El-Akhras: Lust auf Abstinenz
Ein Therapiemanual bei Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit
Das Arbeitsheft beinhaltet Aufgabenmaterialien und Informationen rund
um die Psychotherapie substanzgebundener Abhängigkeitserkrankungen für
die Begleitung beim Entzug mit den Schwerpunkten Beziehungen und soziale
Kompetenzen, Gefühle, Geld, Rückfallverhütung und Alternativen zum Suchtverhalten.
Das übersichtlich gegliederte Manual beinhaltet auch Material für die
Patientenmaterial und behandelt Themen wie Wege aus der Sucht, Aufbau
von Krankheitseinsicht, besserer Umgang mit Gefühlen, Verminderung des
Rückfallrisikos speziell in der ersten Zeit nach der Therapie oder optimale
Gestaltung von Selbsthilfegruppen. Leider beziehen Bachmann und El-Akhras
in ihrem Arbeitsheft nur Menschen ein, die süchtig nach Alkohol, Schlafmittel
und Benzodiazepinen bzw. von ihnen abhängig sind; Abhängigkeit von Antidepressiva
und Neuroleptika scheint es für sie nicht zu geben. Insofern eignet
sich das Buch nur bedingt für Psychiatriebetroffene, die Hilfe wollen
beim Absetzen von Antidepressiva und Neuroleptika. Reflexion von Gefühlen
und sozialen Beziehungen, Rückfallverhütung und nichtpsychopharmakologische
Wege, ansonsten zur Wiedereinnahme psychiatrischer Psychopharmaka führende
Konflikte zu lösen, kann man aber durchaus aus diesem Handbuch ebenso
übernehmen wie alle anderen vernünftigen Vorschläge, Lust auf ein Leben
ohne persönlichkeitsverändernde Substanzen zu entwickeln. Kartoniert,
VIII + 179 Seiten, ISBN 978-3-540-89225-0. Berlin: Springer Verlag 2009.
€ 39.95 Peter Lehmann
Kurt Bader / Christian Elster / Hartwig Hansen / Birte Ludewig / Forschungsprojekt Lebenswelten: Zu Hause sein im Fragen Ein ungewöhnlicher
Forschungsbericht
Ein sehr lebendiger, offener und mit schönen farbigen Abbildungen
der Beteiligten und diverser Tätigkeiten illustrierter Bericht
von einem gemeinsam getragenen Forschungsprojekt zur Verbesserung der
Lebensqualität. Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen, mit ambulanten und
stationären Angeboten und Praktiken der Psychiatrie. Interessant für
alle, die sich mit dem aktuellen Thema der nutzerkontrollierten Forschung
bzw. Forschung unter aktiver Einbeziehung von Betroffenen beschäftigen.
Herausgegeben vom Forschungsprojekt Lebenswelten. Kartoniert, 202 Seiten,
farbige Abbildungen, ISBN 3-926200-68-5. Neumünster: Paranus Verlag
Die Brücke 2006. € 19. Peter Lehmann
Claudine Badey-Rodriguez / Rietje Vonk: Wenn alte Eltern schwierig
werden Für einen entspannten Umgang miteinander Lockerer, leicht und schnell lesbarer Ratgeber, geeignet für
Leute, die sich noch nicht Gedanken gemacht haben und sich plötzlich
verändert verhaltenden Eltern gegenüberstehen. Eigentlich
eher ein Psycho-Ratgeber im Umgang oder zur Abgrenzung, mangelt es dem
Buch an einer reflektierten Position hinsichtlich körperlichen
Veränderungen bei den Eltern, die ja in der Regel mit psychischen
beim Älterwerden einhergehen. Speziell wenn es dann um Depressionen
geht, die körperlich bedingt sein können, z.B. als psychische
Komponente der Parkinsonerkrankung oder als Folge eines Schlaganfalls,
ist der Verweis, mit dem Arzt zu reden, etwas dürftig, und angesichts
dessen Hang zu synthetischen Psychopharmaka (oder gar Elektroschocks,
wenn es zur Anstaltseinweisung kommt und die Depressionen zunehmen und
sich verstärken), etwas fahrlässig. Kartoniert, 127 Seiten,
ISBN 978-3-491-40103-7. Düsseldorf: Patmos Verlag 2007. €
14.90 Peter Lehmann
Argeo Bämayr: Psychische Gewalt im Berufs-
und Privatleben Ursache des Anstiegs von Arbeitsunfähigkeit
und Frühberentung aufgrund psychischer Erkrankungen
Argeo Bämayr arbeitete bis 2008 als niedergelassener Nervenarzt und
Psychotherapeut in Coburg mit der Schwerpunktbehandlung von Mobbing-Opfern,
jetzt ist er im Ruhestand und kann sich offenbar voll dem Verfassen
von Büchern widmen. Aus seiner Erfahrung plus wissenschaftlicher Einsicht
kommt er nun zum Ergebnis, dass die immer rigoroser durchgesetzte psychische
Gewalt in unserer Gesellschaft ursächlich für den Anstieg von Arbeitsunfähigkeit
und vorzeitigen Berentungen ist. Als psychische Gewalt versteht Bämayr
in Anlehnung an die Dublin-Studie der europäischen Stiftung zur
Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen die absichtliche
Anwendung von Macht gegen andere, aus der eine Schädigung in der körperlichen,
geistigen, seelischen, moralischen oder sozialen Entwicklung resultieren
kann.
Seine Aussagen belegt der Autor mit Fakten. Psychiatrische Diagnostik
(z.B. Kategorie F43 des ICD-10 "Reaktionen auf schwere Belastungen und
Anpassungsstörungen") greife viel zu kurz, da sie die Relevanz der Gewaltproblematik
für die Entstehung der vielfältigen körperlichen, zentralnervösen und
psychischen Symptomen der Patientinnen und Patienten nicht erkennen
könne. Bämayr nennt die Ursachen beim Namen: unüberschaubare Überreglementierung,
damit einhergehende Bevormundung, strikte Unterordnung im Arbeitsleben,
Klima der Kälte, Unsicherheit und Angst. All das mache die Menschen
krank, speziell diejenigen ohne Vermögen. Detailliert listet er strukturelle
Gewaltelemente in staatlichen Funktionsbereichen auf, im Arbeitsleben
und im medizinischen Bereich (unter den auch Ärzte und medizinisches
Personal leiden bzw. wodurch sich diese zu unethischem Verhalten gezwungen
sehen). Krankengeldfallmanager, psychiatrisch/psychologische Zwangsbegutachtungen,
Mobbing in all seinen Varianten, häusliche Gewalt, unbrauchbare Diagnostik....
das sind die Themen, mit denen sich der Autor kenntnisreich und detailliert
auseinandersetzt.
Mit neuen Diagnosen wie "Mobbingsyndrom" oder "Häusliches Gewaltsyndrom"
deutet er Lösungswege an, wie die Folgen zunehmender psychischer Gewalt
wenigstens korrekt diagnostiziert werden könnten. Für eine Neuauflage
wäre wünschenswert, dass er den aufgelisteten, dem Deutschen Institut
für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) vorgeschlagenen
neuen Diagnosen noch F43.33 "Psychiatrisches Gewaltsyndrom" hinzufügt.
Ebenso, dass er die Verbindung gestiegener Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger
Berentungen sowie ständig steigender Sozialausgaben mit der chronifizierenden
Wirkung von Antidepressiva und Neuroleptika, Toleranzbildung und Behandlungsresistenz
überprüft. Dank seiner überzeugenden und faktenreichen Arbeitsweise,
die auch dem vorliegenden Buch zugrunde liegt, wäre Argeo Bämayr mit
Sicherheit ein hervorragender Verfasser und Begründer einer solchen
gerade für Psychiatriebetroffene wichtigen Diagnose. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 107 Seiten, 14 Tabellen, ISBN 978-3-86515-075-2.
Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2018. € 19. Peter Lehmann
Argeo Bämayr: Das psychiatrische Gutachten
Eine subjektive unwissenschaftliche Werteinschätzung auf dem
Prüfstand der Menschenrechte
Argeo Bämayr arbeitete bis 2008 als niedergelassener Nervenarzt und
Psychotherapeut in Coburg. Jetzt ist er im Ruhestand und kann sich voll
dem Verfassen wissenschaftlicher Bücher widmen. »Das psychiatrische
Gutachten« ist das Ergebnis seiner langjährigen Erfahrungen als
Arzt, der offenbar voll auf Seiten seiner Patientinnen und Patienten
steht. Psychiatrische Gutachten (über medizinische und wirtschaftliche
Versorgung bei Arbeitsunfähigkeit, Frührente, Rehabilitation, Behinderung,
Pflege, Arbeitslosigkeit, Betreuung, Sorgerecht, gerichtliche Unterbringung
usw.), die seit Jahrzehnten in allen Lebensbereichen massiv überhand
nehmen, seien durch und durch subjektiv geprägt, unwissenschaftlich
und spekulativ, letztlich nur an den Interessen von Krankenkassen und
sonstigen Leistungserbringern orientiert. Und diese hätten hauptsächlich
ein Ziel: sich vor fälligen Leistungen zu drücken. Mustergültig und
anhand von Beispielen zeigt Bämayr, mit welch perfiden Methoden und
aufgrund welch schwammiger Rechtslage die Betroffenen genötigt werden,
»freiwillig« ihre Zustimmung zur Begutachtung zu geben, wie
die Gutachter sich das Vertrauen der Begutachteten erschleichen und
welche gesundheitlichen, psychischen und sozialen Folgen der »Seelenstriptease«
mit sich bringen kann. Bämayrs Resümee: Bei Eintritt des Versicherungsfalls
werde jeder Versicherungsnehmer grundsätzlich zum Gegner der Versicherungsgesellschaft
(oder anderer Leistungserbringer): »Jeder von einer Versicherungsgesellschaft
beauftragte psychiatrische Gutachter dient dabei primär nicht dem psychisch
Kranken, sondern vorrangig seinem Auftraggeber.« Einzig der engagierte
behandelnde Arzt oder Psychotherapeut sei in der Lage, ein korrektes
Gutachten zu erstellen. Zuletzt zeigt Bämayr, wie man sich als Betroffene/r
gegen die willkürliche und intensive Datenabsaugung durch psychiatrische
Gutachter wehren könne. Er hat ein Musterschreiben an den Gutachter
entworfen mit der Einforderung von schriftlichen Informationen
zu Risiken der Begutachtung, zu Informationen über den Auftraggeber,
zur Qualifikation des Gutachters, zur Rechtsgrundlage der Begutachtung
und zur eventuellen Begründung von Einwänden gegen eine als Schutz
mitgebrachte Begleitperson. Fazit: Ein längst überfälliges Buch, hoch
empfehlenswert für alle, die sich mit psychiatrischer Begutachtung herumschlagen
müssen, egal ob Betroffene, Ärzte, Therapeuten oder Angehörige. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 406 Seiten, 12 Tabellen, ISBN 978-3-86515-240-4.
Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2016. € 39. Peter Lehmann
Argeo Bämayr: Das Mobbingsyndrom
Diagnostik, Therapie und Begutachtung im Kontext zur in Deutschland ubiquitär
praktizierten psychischen Gewalt
Im Gegensatz zu Frankreich oder Schweden ist Mobbing in Deutschland
nicht strafbar, obwohl oder weil? ubiquitär, das heißt
überall praktiziert. Mobbing, so der Autor, »liegt vor, wenn im
Rahmen einer Täter-Opfer-Konstellation innerhalb einer sozialen Gemeinschaft
oder einem Abhängigkeitsverhältnis Täter mittels einer individuell praktizierten
psychischen und/oder körperlichen Gewalt systematisch und willkürlich
die Persönlichkeitsrechte eines Opfers so verletzen, dass das Opfer,
psychosozial destabilisiert, einen zunehmenden gesundheitlichen und
sozialen Schaden erleidet.« Die Opfer werden meist alleingelassen.
Reagieren sie mit Krankheitssymptomen auf die ihnen widerfahrene psychische
Gewalt in Form von Mobbing, gibt es weder eine Krankheitsdiagnose für
diesen Symptomenkomplex noch angemessene psychotherapeutische und parteiliche
Hilfen. Durch Unverständnis und Willkürakte der Obrigkeit und von Krankenkassen,
die im Krankheitsfall zum Feind der Betroffenen werden, sowie Jobcentern
und Arbeitsgerichte, die ebenfalls machtorientiert und ebenfalls
mit Anspruch auf absolute Deutungshoheit meist im Sinne machtausübender
Mobber agieren, wird das Leid der Gemobbten meist potenziert und chronifiziert,
wenn sie nicht gar in den Suizid getrieben werden.
Gegen dieses Unrecht schreibt Argeo Bämayr an. Bis 2008 arbeitete er
als niedergelassener Nervenarzt und Psychotherapeut in Coburg mit der
Schwerpunktbehandlung von Mobbingopfern. Er beschreibt die psychische
Gewalt in Form von Mobbing und entwickelt eine sinnvolle Diagnostik
für dessen gesundheitliche Folgen, die die verschiedenen Phasen des
Leidensprozesses in differenzierter Weise erfasst und dadurch ein vereinheitlichtes
Vorgehen für Therapeuten, Gutachter und die Justiz erlaubt. Gleichzeitig
zeigt er Fehl- und Differentialdiagnosen auf, um den Blick auf die Symptomatik
zu schärfen.
Anschließend legt er die Fallstricke bloß, die Krankenkassen und ihre
Krankengeldfallmanager auslegen, um Mobbingopfer um ihren Anspruch auf
Krankengeld und eine angemessene Therapie zu bringen, wodurch der Mobbingprozess
noch verschärft wird, bis die Betroffenen zu Hartz-IV-Empfängern, Frührentnern
und (häufig) Psychiatriepatienten werden und demoralisiert aufgeben.
Als Therapie nötig, so Bämayr, sei eine durch geltende Psychotherapierichtlinien
jedoch untersagte Kombination aus nicht-dirigistischer Verhaltenstherapie
mit bedarfsweiser Einflechtung tiefenpsychologischer Verfahrenstechniken
in Verbindung mit einer in der Psychotherapie unüblichen parteilichen
Unterstützung. Und er beschreibt, wie sie sich zur Wehr gegen die strukturelle
Gewalt von Krankenkassen setzen können und wie eine Begutachtung mobbingbedingter
Krankheiten nach Einführung der Diagnose »Mobbingsyndrom«
eine Vielzahl der rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Gemobbten
und Sozialversicherungsträgern reduzieren würde.
Ein hoch empfehlenswertes, logisch aufgebautes und leicht verstehbares
Buch für Betroffene, Ärzte, Therapeuten und Richter mit dem Appell,
psychische Gewalt genauso wie körperliche Gewalt zu sanktionieren und
den Opfern therapeutische Hilfe und juristische Unterstützung beim Widerstand
gegen Mobbing bzw. Entschädigung bei erlittener psychischer Gewalt in
Form von Mobbing zukommen zu lassen. Bämayrs Aussagen lassen sich übrigens
leicht übertragen auf Mobbing, das offenbar auch in Vereinen von Psychiatriebetroffenen
wie beispielsweise dem Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener stattfindet.
Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 282 Seiten, 9 Tabellen, ISBN 978-3-89966-514-7.
Bochum: Europäischer Universitätsverlag / Bochumer Universitätsverlag
2012. € 29. Peter Lehmann
Lee Baer: Der Kobold im Kopf. Die Zähmung der Zwangsgedanken
Lee Baer, Psychologe am Behandlungszentrum für Menschen mit Zwangsstörungen
am General Hospital von Boston und mittlerweile am McLean Hospital Leiter
einer Gesprächsgruppe für Menschen, die unter negativen Gedanken
leiden, beschreibt und kategorisiert anhand von Fallbeispielen Zwangsgedanken,
die als Mordgedanken, Fantasien von Missbrauch und Vergewaltigung sowie
blasphemische Sätze auftauchen können, um dann die Ursachen
ihres Auftretens zu untersuchen und wirksame kognitiv-psychotherapeutische
Wege zu beschreiben. Zuletzt kommt er auf die Grenzen psychotherapeutischer
Interventionen und Selbsthilfe zu sprechen und empfiehlt vor allem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer,
ohne aber vor Abhängigkeitsproblemen und vor allem der Gefahr suizidaler
und homozidaler Risiken zu warnen, was dem Buch einen negativen Beigeschmack
verleiht. Kartoniert, 183 Seiten, 978-3-456-84949-2. Bern: Verlag Hans
Huber. 3., unveränderte Neuauflage 2011. € 19.95 Peter Lehmann
Tim Bärsch / Marian Rohde:
Kommunikative Deeskalation. Praxisleitfaden zum Umgang mit aggressiven
Personen im privaten und beruflichen Bereich
Buch mit vielen Vorschlägen zum Umgang mit aggressiven Personen von
Marian Rohde, Kommunikationstrainer und Leiter einer geschlossenen psychiatrischen
Station, und Tim Bärsch, Deeskalationslehrtrainer für die
Gewalt-Akademie Villgst. Die beiden Autoren empfehlen beispielsweise
aktives Zuhören, den Gegenüber ausreden lassen, Gesprächspausen ertragen,
nachfragen, Blickkontakt halten. Ihre Ratschläge gelten auch für Patientinnen
und Patienten, die von psychiatrischer Gewalt bedroht sind, sowie für
sie unterstützende Angehörige und Freunde oder für Mitglieder
von Besuchskommissionen. Wer wissen will, welche Maßnahmen sinnvoll
sind, um sich von psychiatrisch Tätigen nicht provozieren zu lassen
(zum Beispiel, wenn man vermeiden will, dass wehrlose Zwangsuntergebrachte
hinterher den Schlamassel ausbaden müssen), dem sei dieses Buch
empfohlen. Natürlich gilt die Empfehlung auch für Menschen,
die aus anderen Anlässen mit aggressiven Personen zu tun haben,
zum Beispiel innerhalb normaler Familien, im Selbsthilfebereich, in
alternativen Einrichtungen, in Vereinen........ Kartoniert, 144 Seiten,
ISBN 978-3-8423-4164-7. Norderstedt: Books on Demand GmbH, 4. Auflage
2013. € 9.99 Peter Lehmann
Martin Baierl: Herausforderung Alltag
Praxishandbuch für die pädagogische Arbeit mit psychisch gestörten Jugendlichen
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an alle mit Erziehungsaufgaben
betrauten professionellen Helferinnen und Helfer, unabhängig von deren
Ausbildung oder Arbeitsauftrag, und vermittelt ihnen ungebrochen das
psychiatrische Mainstream-Wissen. Die Leser werden vertraut gemacht
mit der (schubladenhaften) Diagnostik verschiedener psychischer Probleme
und vor allen Dingen mit psychiatrischen Interventionsmöglichkeiten.
Es ist nicht erkennbar, dass die Risiken und unerwünschten Wirkungen
psychiatrischer Psychopharmaka für den Autor eine Rolle spielen; Entscheidungen
über deren Einsatz sowie die davor liegende Diagnosenstellung sollen
grundsätzlich dem »erfahrenen« Kinder- und Jugendpsychiater
überlassen bleiben. Positiv gesehen, kann das Buch als Nachschlagewerk
für Personen dienen, die wissen sollen, welchen Ideologien und Unterwerfungsmustern
systemkonforme Menschen folgen, die mit Jugendlichen arbeiten, die als
psychisch gestört gelten. Und für Personen, die nachlesen wollen,
wie einfach es gemacht werden soll, die Verantwortung für wesentliche
Entscheidungen im pädagogischen Bereich an Psychiater zu delegieren.
Gebunden, 448 Seiten, 54 Tabellen, ISBN 978-3-525-49134-8, Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht, 2. Auflage 2010. € 39.90 Peter Lehmann
Borwin Bandelow / Stefan Bleich
/ Stefan Kropp: Handbuch Psychopharmaka
Bandelow, Bleich und Kropp, drei leitende Psychiater, haben ein ausgesprochen
übersichtliches Buch über alle möglichen Arten von Psychopharmaka
geschrieben, zudem auch Elektroschocks, Transkranielle Magnetstimulation
und Lichttherapie abgehandelt. Dargestellt werden alle Substanzklassen
von Psychopharmaka: Antidepressiva, Neuroleptika, Antiparkinsonmittel,
Tranquilizer, Phasenprophylaktika, Psychostimulanzien, Antidementiva,
triebdämpfende Substanzen, illegale Drogen, Mittel zur Raucherentwöhnung
und Suchtbehandlung, pflanzenheilkundliche Substanzen und sonstige wie
beispielsweise Hormone. Je nach Substanzklasse erfolgt eine Unterteilung
in Untergruppen oder Substanzen, die keinen spezifischen Gruppen zuzuordnen
sind. Zu den einzelnen Klassen, Gruppen und Substanzen gibt es Informationen
über die angestrebte Wirkungsweise, Markennamen, Indikationen,
Pharmakologie, Dosierungsempfehlung, Abbau der Substanzen im Organismus,
Art und Dauer der Anwendung, sogenannte Nebenwirkungen (aufgesplittet
nach den einzelnen Bereichen von Körper und Psyche), Absetzphänomene,
Kontraindikationen, Anwendungsbeschränkungen, Überdosierung,
Besonderheiten bei der Verabreichung an Kinder, Jugendliche und ältere
Menschen, Wechselwirkungen etc. Eine Fundgrube für alle, die sich
näher mit psychiatrischen Psychopharmaka beschäftigen. Gelegentlich,
aber nicht übermäßig, wird auch ein Fremdwörterbuch
nötig sein. Das Werk ist ringgebunden im DIN-A4-Querformat, lässt
sich also leicht benutzen. Soweit zum Positiven. Aber Achtung: Das Buch
enthält auch nicht zugelassene Indikationen, und zwar ausdrücklich
zwecks Stimulierung von Untersuchungen über ihre Verwendung jenseits
der zugelassenen Indikationen und zwecks Behandlungsversuchen in "therapieresistenten"
Fällen. Die Richtung ist also vorgegeben. Entsprechend werden kritische
unerwünschte Wirkungen im Buch relativiert: sind "noch nicht
vollständig geklärt", noch "nicht zweifelsfrei nachgewiesen",
werden "kontrovers diskutiert". Auf alle Fälle soll tüchtig
weiterverabreicht und "bei Bedarf" zusätzlich elektrogeschockt
werden, und wenn sich Toleranzen oder Entzugssymptome einstellen, dann
eben höher dosiert werden. Das Buch liefert eine der theoretischen
Grundlagen für die Verabreichung von Substanzen, die wesentlich
beteiligt sind an der um durchschnittlich zwei Jahrzehnte verringerten
Lebenserwartung psychiatrischer Patienten ein Skandal, der den
Autoren keine weitere Bemerkung wert ist. Rezension
im BPE-Rundbrief. Ringgebunden, 466 Seiten, ISBN 978-3-8017-2323-1.
Göttingen usw.: Hogrefe Verlag, 3., vollständig überarbeitete
Auflage 2012. € 59.95 Peter Lehmann
Franco Basaglia: Die Entscheidung des Psychiaters Bilanz
eines Lebenswerks Als Direktor einer Psychiatrischen Anstalt habe Basaglia gespürt,
wie ein »symbolischer Scheißgeruch in der Luft lag. Ich war
mir sicher, mich in einer völlig absurden Institution zu befinden,
die nur dazu diente, daß der Psychiater am Monatsende sein Gehalt
bekam.« Allein dieser Satz Basaglias, den Klaus Hartung in seinem
einleitenden Beitrag zitiert, macht deutlich, weshalb die deutsche Psychiatrie
so wenig Existenzielles von der demokratischen Psychiatrie Italiens übernehmen
wollte zu wohl fühlten und fühlen sich deutsche Psychiater
in ihren Einrichtungen jedweder Coleur. Die Ablehnung psychiatrischer
Krankheitsbegriffe als Grundlage der Etikettierung und Behandlung, statt
dessen die Zurückverwandlung des psychiatrischen »Patienten«
in ein Subjekt mit eigenen Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten....
dies war Basaglias Entscheidung als Psychiater. »Der Psychiater weiß
nichts, kompensiert diesen Mangel durch seine Macht.« Sein Anspruch
an sich und seine Kollegenschaft, von der psychiatrischen Macht abzugeben
und Menschen bei der Bewältigung ihrer psychischen Probleme sozialer
Natur zu unterstützen und ihnen zu erträglichen (Über-)Lebensbedingungen
zu verhelfen, bleibt sein Vermächtnis. Und dieses Vermächtnis
mit erstmals publizierten Texten (über Psychiatrie mit ihrem Doppelcharakter
als Befreiung oder Unterdrückung, über Psychiatrie und ihr Verhältnis
zur Politik usw.) aus den 1970er-Jahren als Ansporn für die Kritik
an der heutigen psychiatrischen Praxis vor dem Vergessen bewahrt zu haben,
ist das Verdienst dieses Buches. Kartoniert, 256 Seiten, ISBN 3-88414-259-3.
Bonn: Psychiatrieverlag 2002. € 22.90 Peter Lehmann
Lucinda Bassett: Angstfrei
leben Das erfolgreiche Programm gegen Stress und Panik
Durch Umdenken Angst und Panikattacken überwinden, so lautet die
Botschaft dieses sehr amerikanischen (und einfältigen) Buches.
Die Autorin, eine ehemalige Betroffene, appelliert unentwegt an den
Leser umzudenken und daran zu glauben, wovon sie selbst überzeugt
ist. Je nach Bedarf schüttelt sie Erlebnisse mit Einzelpersonen,
die ihre Aussagen stützen sollen, aus dem Ärmel (»Ein
Mann kam eines Tages in unsere Gruppe und erzählte.....«,
»Viele Menschen haben mir folgendes gesagt.....«, »Eines
Tages kam eine erfolgreiche Geschäftsfrau zu uns ins Midwest Center
und erzählte uns.....«). Schließlich empfiehlt sie den
Lesern, Ärzte entscheiden zu lassen, ob sie für Antidepressiva
und Beruhigungsmittel »geeignet« seien, und zuallerletzt wird
noch der liebe Gott zur Problemlösung bemüht. »Denk daran
für ein glückliches Leben braucht es nicht viel«,
lässt die Autorin Marc Aurel am Ende ihres Buches sagen. Ob es
zum glücklichen Leben ihres Buches bedarf? Kartoniert, 259 Seiten,
ISBN 978-3-407-22819-2. Weinheim & Basel: Beltz Verlag, 9. Auflage
2009. € 15.95 Peter Lehmann
Ruth Baumann / Charlotte Köttgen / Inge Grolle: Arbeitsfähig oder unbrauchbar? Die Geschichte
der Kinder- und Jugendpsychiatrie seit 1933 am Beispiel Hamburgs
»Ruth Baumann hat Gutachten der furchtbaren Jugendpsychiater
vor und nach 1945 untersucht und verglichen. Während die Diagnosen
vor 1945 viele Kinder ins Abseits oder in den Tod führten, machten
die Psychiater nach 1945 Karriere und prägten auch dann noch die
Kinder- und Jugendpsychiatrie.« (Ernst Klee) Kart., 213 S., ISBN 9783925499760. Frankfurt/Main:
Mabuse-Verlag 1994. DM 42. Peter Lehmann
Josef Bechter: Neue Wege zu Gesundheit durch erfolgreiche Medizin
Laut dem Autor Bechter, einem ehemaligen Polizeibeamten, werden im Buch
die Ursachen der Krankheitsflut erörtert und naturheilkundliche,
effektive und wissenschaftlich fundierte Behandlungsmethoden zu den häufigsten
Zivilisationskrankheiten verständlich gemacht. Ebenfalls wird die
Problematik der Alleinherrschaft der Schulmedizin, die wirtschaftlichen
Interessen und Verflechtungen zwischen Pharmazie Ärzteschaft
Gesundheitsbehörden Politik angerissen. Ein Buch für
alle, die den Glauben an die moderne Medizin (Notfallmedizin ausgenommen)
völlig aufgegeben haben (und vice versa) und es statt dessen mit
orthomolekularer Medizin, Kohlehydraten, Ölen und Fetten versuchen
möchten. In Sachen Psychiatrie bietet der Autor außer Nährstofftherapie
leider nichts. Chemische Medikamente könnten im Einzelfall
dauerhaft erforderlich sein, bei einer ergänzenden Naturheiltherapie
könne die Dosis aber oft wesentlich (und zum Teil sogar auf Null)
reduziert werden. Wie sich naturheilkundliche Mittel und psychiatrische
Psychopharmaka vertragen sollen, vergisst der Autor allerdings zu begründen.
»Die Inanspruchnahme der richtigen Therapien« sei zur Gesundung
nötig, dazu eine harmonische Umgebung für die Patienten und
deren gute psychologische Betreuung. Mit richtiger Behandlung meint der
Autor die bereits erwähnte Nährstofftherapie, die die seiner
Meinung nach offenbar ausschließlich organisch und/oder genetisch
bedingten psychischen Störungen ausgleicht. Psychiatriebetroffene
als Subjekte, die sich mit Therapie oder in Selbsthilfe zur Aufarbeitung
und Überwindung ihrer psychischen Probleme sozialer Natur machen,
kommen in diesem biologisch geprägten Weltbild leider nicht vor,was
das Buch für Psychiatriebetroffene wenig interessant macht und was
die Aussagen auch nicht neu machen. . Wer sich mit orthomolekularer und
Nährstofftherapie näher beschäftigen möchte, dem bzw.
der sind »Burgersteins Handbuch Nährstoffe« oder das »Handbuch
der Orthomolekularen Medizin« (Dietl / Ohlenschläger) ans Herz
gelegt. Gebunden, 424 Seiten, 3-932576-70-5. Kernen: Sensei Verlag 2005.
€ 22.90 Peter Lehmann
Kirsten Becken (Hg.): Ihre Geister
sehen Seeing Her Ghosts
Anfang 2017 meldete sich eine junge Frau bei mir und fragte, wen ich als
Geleitwortschreiber für ihr Buch empfehlen könnte. Sie wolle
sich mit dem Schicksal ihrer stimmenhörenden Mutter, deren Psychose
und psychiatrischen Behandlung auseinandersetzen. Ich empfahl ihr Dorothea
Buck. Sofort rief sie Dorothea an, besuchte sie in Hamburg und bekam von
ihr einen Buchbeitrag. Diese Entschlossenheit beeindruckte mich, und so
schrieb ich auch einen Artikel für das Buch, und zwar über die
BeMAPPs, die vielen Beratungsstellen für Menschen mit Abhängigkeitsproblemen
von psychiatrischen Psychopharmaka, wo man ambulante und stationäre
Angebote kompetenter Begleitung beim Absetzen genannt bekommt und wo man
vor der Kontaktaufnahme zu Organisationen, die der Pharmaindustrie nahe
stehen und die Entzugs- und Abhängigkeitsprobleme herunterspielen,
ausdrücklich warnt. Man könne die BeMAPPs auch im Internet finden,
einer vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten nutzerorientierten
Website. Leider nur ein Traum, für uns, für Mainstream-Psychiater
eher ein Alptraum, bisher zumindest.
Kirsten Becken, so hieß die junge Frau, wolle ihr Buch mit Crowdfunding,
also im Internet geworbenen Zuwendungen finanzieren, noch so ein Traum.
Dieser ist jedoch offenbar rasch in Erfüllung gegangen, und im September
2017 erschien ihr mit Familienfotos, Aquarellen und anderen Abbildungen
darstellender Kunst farbig bebildertes Werk. Im Eingangskommentar schreibt
die US-amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt, Ehefrau von Paul
Auster: "Seeing Her Ghosts ist ein gewaltiges, kraftvolles Zeugnis
der Komplexitäten, des Schmerzes, aber auch der Schönheit psychotischer
Zustände sowohl in Worten als auch in Bildern. In der Eile,
der Eile zu erklären, zu diagnostizieren, zu behandeln, geraten die
individuellen Dramen, das einzigartige Narrativ der Betroffenen zumeist
in den Hintergrund. Kein Mensch ist seine Diagnose und kein gefühlter,
subjektiver Zustand kann auf die technischen Informationen eines MRT-Scans
reduziert werden. Das visuelle Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter
das Herzstück dieses Buchs erinnert uns daran, dass
nicht nur dynamische, kreative Werke aus quälender, menschlicher
Erfahrung entstehen, sondern vielmehr Kunst, die immer eine Suche nach
dem Anderen, immer ein Greifen danach, gesehen und gehört zu werden
als eine Form der Heilung dienen kann."
Im Oktober erlebte ich Kirsten Becken, wie sie in Berlin ihr Buch öffentlich
vorstellte. Sie ist keine Betroffene, sondern "nur" Angehörige.
Doch solche wünscht man sich: Menschen, die ihre Kinder, Väter
oder in diesem Fall Mütter nicht auf Diagnosen reduzieren und als
psychisch krank abtun. Sondern sich neugierig auf ihren Schmerz einlassen,
sie mutig darin unterstützen, seelische Krisen offenzulegen, besser
sich auseinandersetzen als untätig hinnehmen, dass die Krisen im
Innern brodeln und sich erst nach jahrelanger Unterdrückung der eigenen
Bedürfnisse explosionsartig ihren Weg an die Oberfläche bahnen.
Über einen bildlichen, künstlerischen und textlichen Zugang
dient das Buch als Gesprächsanreiz und Plattform für Familien
zum Einstieg in das Thema seelische Krisen, zu Austausch und Dialog. Wie
die Autorin mitteilte, hatte die gemeinsame Arbeit mit ihrer Mutter und
die intensive Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte zudem einen therapeutischen
Effekt. Nicht nur ihre Mutter wurde viel wacher und bereit für einen
Neustart, auch die Autorin fühlte sich, als sei ihr ein Schleier
von ihren Augen gefallen.
Das Buch hat 84 Seiten im Großformat, 28 x 31,5 cm, ist gebunden
und enthält teils englische und teils deutschsprachige Beiträge,
unter anderem auch von Gerd Glaeske, David Shrigley und Robert Whitaker.
Einzig Siri Hustvedts Geleitkommentar ist in beiden Sprachen enthalten.
Für alle, die auch einigermaßen Englisch verstehen, eignet
sich das Buch insbesondere als Weihnachtsgeschenk. Auch wenn ich nicht
als Co-Autor drin vertreten wäre: Ich würde es trotzdem absolut
empfehlen.
Rezension im BPE-Rundbrief. Hardcover, 84 Seiten, viele farbige und
schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-903153-31-8. Wien: Verlag
für moderne Kunst 2017. € 30. Peter Lehmann
Marty Becker: Heilende Haustiere. Wie Hund, Katze und Maus Sie seelisch
und körperlich gesund halten
Haustiere bei Herzleiden, Hunde zur Traumabewältigung und Krebsfrüherkennung,
große Hunde für hyperaktive Kinder, ehrenamtliche Arbeit
im Tierheim oder persönliche Beziehungen zu Wellensittichen gegen
Depressionen, Gesundheitschecklisten für die gesunde Mensch-Tier-Beziehung
ein aus dem Amerikanischen stammendes, in seiner Struktur etwas
unübersichtliches Buch, aufbauend auf einem ziemlich veralteten
biologischen Medizin- und vor allem Psychiatrieverständnis und
durchsetzt mit Massen von Anekdoten. Insofern wäre ein Register
extrem hilfreich gewesen. Wer das Buch aber wie ein Roman liest, kommt
sicher auf seine Kosten, insbesondere wenn er oder sie nach Beispielen
sucht, weshalb Tiere allemal besser sind als beispielsweise synthetische
Psychopharmaka und andere Chemikalien. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzeinschlag, 361 Seiten, 12 x
21,5 cm, ISBN 978-3-936994-24-7. München: riva Verlag 2007. €
22. Peter Lehmann
Monika Becker-Fischer / Gottfried
Fischer: Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie
Orientierungshilfen für Therapeut und Klientin Das Buch ist eine Orientierungshilfe für alle Psychotherapiepatientinnen
und -patienten, die auf der Suche nach einem integren Psychotherapeuten
sind, sowie für alle interessierten Helfer. Täterprofile,
Vorbeugung, juristische Gesichtspunkte, Hilfen das sind einige
der Stichworte, um die es in acht logisch gegliederten Kapiteln geht:
»Sexuelle Übergriffe als Problem der psychotherapeutischen Profession«,
»Epidemiologie sexueller Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie«,
»Das Professionale Missbrauchstrauma: Vertrauensbruch und Machtmissbrauch
der Tätertherapeuten«, »Ergebnisse der Online-Nachfolgeuntersuchung
2006«, »Was hilft beim Professionalen Missbrauchstrauma?«,
»Juristisches Vorgehen gegen Tätertherapeuten nach sexuellen Übergriffen«,
»Aufklärung der psychotherapeutischen Berufsgruppen und Folgerungen
für die Ausbildung« und »Herstellung von Öffentlichkeit: Informationen
und Hinweise für Betroffene und Angehörige«. Welcher Teufel die
Autoren allerdings geritten hat, als Anlaufstelle für Betroffene
ausgerechnet eine holländische und keine deutschsprachige Website
zu nennen, bleibt mir schleierhaft. Abgesehen von diesem Lapsus und
dem Glauben der Autoren, die Lösung des Problems liege in einem
Paradigmenwechsel, der durch die landläufige Forderung nach mehr
Wissenschaftlichkeit und leider nicht nach prinzipieller Ausrichtung
an den Erfahrungen der Betroffenen als der zentralen Kategorie),
charakterisiert ist, lässt sich das Buch dennoch als zeitgemäßes
Standardwerk zum Thema Sexueller Missbrauch in Psychotherapie und Psychiatrie
für Betroffenen und Profis empfehlen. Kartoniert, 222 Seiten, ISBN
978-3-89334-460-4. Heidelberg: Asanger Verlag, 3., völlig neu bearbeitete
Auflage 2008. € 25.50 Peter Lehmann
Bernd Behrendt: Meine persönlichen
Warnsignale: Ein psychoedukatives Therapieprogramm zur Krankheitsbewältigung
für Menschen mit Psychoseerfahrung. Arbeitsbuch für Gruppenteilnehmer
Wer im Original nachlesen möchte, wie Psychiatriebetroffene in der Psychoedukation
für dumm verkauft werden, für den dürfte dieses Arbeitsbuch
interessant sein aber nur zu diesem einzigen Zweck. Ansonsten ist
das Buch hundsmiserabel. Ideologisch einseitig werden die Betroffenen
auf die Einnahme von Psychopharmaka, speziell Neuroleptika getrimmt. Darüber
hinaus wird das primitive Modell der genetisch mitbestimmten Stoffwechselentgleisung
als Ursache sogenannter Psychosen propagiert. Die Risiken von Neuroleptika
werden im plumpester Weise verharmlost, die Abhängigkeitsgefahr, schon
seit den 1960er-Jahren durch viele psychiatrische Publikationen bekannt,
schlichtweg abgestritten, und wenn man auf S. 40 liest, dass bei sog.
atypischen Neuroleptika wie Risperdal Muskel- und Bewegungsstörungen »so
gut wie nie« auftreten, beschleicht einen das Gefühl, der promovierte
Diplom-Psychologe, der in der Uni-Psychiatrie in Homburg arbeitet, könnte
sein Wissen einzig aus den Waschzetteln der Pharmamultis haben. Da aber
selbst dort Beispiel der Vermerk über Risperdal in der Roten Liste:
»gelegentl.: EPS (Tremor, Rigidität, Hypersalivation, Bradykinesie,
Akathisie, akute Dystonie). B. Pat. m. akuter Manie traten in klin. Stud.
sehr häufig EPS auf« vor Muskel- und Bewegungsstörungen gewarnt
werden, kann man über die Motive des Autors nur spekulieren. Eines scheidet
nach meiner Meinung grundsätzlich aus: Verantwortungsbewusstsein. Fazit:
Ein übles und in seiner Gefährlichkeit für das Wohlergehen von Psychiatriebetroffenen
nicht zu unterschätzendes Machwerk. Leider wirft eine solche Publikation
nicht gerade ein gutes Licht auf den Verlag (Deutsche Gesellschaft für
Verhaltenstherapie DGVT), in dem es erschienen ist. Mit CD-ROM.
Materialie 51. Kartoniert, 136 Seiten, ISBN 978-3-87159-311-6. Tübingen:
DGVT, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2009. € 18.80 Peter Lehmann
Bernd Behrendt: »Meine
persönlichen Warnsignale«. Ein psychoedukatives Therapieprogramm
zur Krankheitsbewältigung für Menschen mit Psychoseerfahrung. Arbeitsbuch
für Gruppenleiter
Bernd Behrendt beschreibt das Konzept der Psychoedukation. Gehirnwäsche
wäre ein angemessener Begriff. Den Betroffenen wird das reaktionäre
biomedizinische Krankheitskonzept eingetrichtert. Der an sich vernünftige
Ansatz, bewusst zu leben, Warnsignale aufziehender Krisen wahrzunehmen
und sich entsprechend zu schützen, wird von Behrendt jedoch umgemünzt
in das Herstellen von Compliance, d.h. die Unterordnung unter das psychiatrische
Behandlungsregime, und das brave, vorbeugende und langfristige Schlucken
von Psychopharmaka. Studien (Soteria, Diabasis, Offener Dialog usw.
usf.), die belegen, dass die Konfliktverarbeitung ohne Psychopharmaka
langfristig zur Stärkung der Betroffenen und zur Senkung der Psychiatrisierungsrate
führt, werden schlichtweg ignoriert, das von der Pharmaindustrie und
von ihr gesponserten Psychiatern geschaffene heile Weltbild der psychopharmakologischen
Psychiatrie soll keine Sprünge bekommen. Deshalb vermeidet es der Autor,
die Existenz abweichender Meinungen auch nur zu erwähnen. Das Ergebnis
der Psychoedukation zeigt sich dann in der bis zu durchschnittlich drei
Jahrzehnte verminderten Lebenserwartung der Behandelten. Für Behrendt
natürlich kein Thema, darüber muss man sich an anderer, seriöser
Stelle informieren. Wem Gesundheit und Leben lieb sind, sollte auf den
Kauf, das Lesen und das Sich-Unterziehen der Gehirnwäsche à la Behrendt
besser verzichten. Materialie 50. Kartoniert, 200 Seiten, ISBN 978-3-87159-310-9.
Tübingen: DGVT, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2009. €
16.80 Peter Lehmann
Miguel Benasayag / Gérard
Schmit: Die verweigerte Zukunft Nicht die Kinder sind krank,
sondern die Gesellschaft, die sie in Therapie schickt
Mental erfrischend, fundiert, lebendig und auch leidenschaftlich plädieren
hier zwei erfahrene Analytiker von Kindern, Familien und Gesellschaft
für einen neuen Blick. Wo Zukunft Angst macht, Wirtschaftlichkeit oberstes
Gebot ist, Freiheit aus Macht und Bindungslosigkeit erwächst und Kinder
gewappnet werden müssen, ist eine ganze Gesellschaft in der Krise. Psychologen
u.ä. müssen sich entscheiden, ob sie diesem System zuarbeiten und junge
Menschen symptomfrei funktionieren machen wollen, oder ob sie sich ohne
diagnostische Etikettierung einlassen auf ihr eigenes Nichtwissen und
eine gemeinsame Suche. »Es gibt Leiden existenzieller Art, die
auf die Intoleranz der Gesellschaft zurückzuführen sind. Ist der Therapeut
damit konfrontiert, dann ist er auch als Bürger gefragt, und es steht
ihm nicht zu, zu 'psychologisieren' und zu 'pathologisieren'.«
Weil sie die ihnen Anvertrauten ernst nehmen und nicht allein lassen,
geht es ihnen darum, »zu entdecken, dass man das Leben nicht 'heilen',
sondern ganz einfach 'leben' muss ...« Ein Buch gegen Enge und
Zaudern, das ermutigt und Raum schafft, Spielraum. Gebunden mit Schutzumschlag,
160 Seiten, ISBN 978-3-88897-492-2. München: Verlag Antje Kunstmann
2007. € 16.90 Kerstin Kempker
Otto Benkert / Hanns Hippius
(Hg.): Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie
Ziel der Herausgeber ist es laut ihren eigenen Worten, gesichertes Wissen
ausgewogen in ihr Kompendium einzubringen. Neue Erkenntnisse würden
auf Grundlage einer evidenzbasierten, das heißt auf Grundlage der an
den (angeblich) besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen und Daten
orientierten Medizin gesichtet und kritisch hinterfragt. Allerdings
bleiben die Herausgeber und Autoren in ihrem geschlossenen System der
biologischen, pharmafirmenorientierten Psychopharmakologie gefangen
einer Blase, die bei einem kritischen und betroffenenorientierten
Blick platzt. Übrig bleiben Bruchstücke, aus denen die »Fakten«
über Psychopharmaka und Elektroschocks sichtbar werden, an die die Anwender
glauben. Hat man mit Letzteren zu tun, kann es hilfreich sein, ihre
Denkmuster zu kennen, wie auch die im Buch bei den einzelnen Anwendungsformen
aufgelisteten Wirkmechanismen, Indikationen, Kontraindikationen, Interaktionen,
Routineuntersuchungen und Dosierungshinweise. Übernimmt man die Denkmuster
der Autoren um die Psychiater Benkert und Hippius, dann sitzt man dem
Krankheitsmodell der Stoffwechselstörung auf, die die langfristige Verabreichung
von Psychopharmaka und Elektroschocks notwendig macht. Natürlich stehen
nicht nur ideologisch geprägte Auslegungen im Buch. Beim aufmerksamen
Lesen springen einen Erklärungen ins Auge, wonach die neurologischen
Ursachen etwa von Depressionen nicht hinreichend geklärt seien und psychiatrische
Erklärungsansätze bloße Modelle darstellen, letztlich Glaubensvorstellungen.
Doch wenn man diese nicht teilt, möglicherweise die traurige Wirklichkeit
schädlicher Wirkungen psychiatrischer Behandlungsmaßnahmen
am eigenen Leib erlebt oder im Familien- und Freundeskreis erfahren
hat, dann stehen die Anwender von Psychopharmaka und Elektroschocks
nackt vor uns: in ihrer ganzen Gefährlichkeit und eiskalten Gleichgültigkeit
gegenüber den Schäden, die ihre Behandlungen verursachen. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, XXIX + 995 Seiten, ISBN 978-3-662-50332-4.
Berlin / Heidelberg: Springer Verlag, 11. Auflage 2017. € 44.99
Peter Lehmann
Jens Bergmann: Der Tanz ums
Ich Risiken und Nebenwirkungen der Psychologie
Der Autor, ein Journalist mit abgeschlossenem Psychologiestudium, der
früher für den Spiegel, Bild der Wissenschaft, Merian und die Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung schrieb, analysiert jetzt den Mythos der
Psychologie, ihre intellektuelle Genügsamkeit, Geschäftstüchtigkeit,
Kontextblindheit und Übergriffigkeit. Insgesamt fehle ihr das organische
Fundament, schreibt er, es handele sich eher um Glaubenslehren und Spekulationen.
Dasselbe könnte er über die psychiatrische »Wissenschaft«
sagen sage ich. Aber er hat sich entschieden, sich mit der Psychoanalyse
und Sigmund Freud zu beschäftigen, mit der experimentellen Psychologie
und William Stern, der humanistischen Psychologie und Carl Rogers und
vielen Psychologen mehr. Weitere Themen: Der vorauseilende Gehorsam
von Psychologen in Deutschland gegenüber den Nazis und die daraus erfolgende
offizielle Anerkennung ihres Berufstandes; Coaching; Selbstverbesserungsindustrie;
NLP; Hellinger und seine Familienaufstellungen; Bhagwan; Intelligenztests;
Rorschachtest; Burnout; DSM; Online-Partnerwahl; Verneinung des freien
Willens (bei dem Gegenüber) u.v.m. Eine Ausnahmestellung nimmt bei Bergmann
Klaus Holzkamp ein, der zu einer konstruktiven Grundlegung einer anderen
Psychologie beigetragen habe mit seinem Konzept der Handlungsfähigkeit,
die auf der Wahrnehmung der objektiven Welt in Form von Bedeutungen,
welche wiederum die ökonomischen, kulturellen und sozial geprägten Erscheinungen
der Welt seien, die den Menschen umgeben und die er selbst geschaffen
habe. Durch die Abspaltung von der Philosophie habe die Psychologie
das Wesen des Menschen aus dem Blick verloren, Erkenntnisfortschritte
habe es in der Psychologie in den vergangenen Jahrzehnten kaum gegeben,
statt dessen viel alter Wein in neuen Schläuchen. Und mit ihrer Hinwendung
zur Hirnforschung würden sich Psychologen überflüssig machen und von
Neurologen, den besseren Hirnforschern, ersetzt werden. Für alle, die
den Überblick über die Psychologie verloren haben, hilft dieses sehr
gut verstehbare Buch, einen neuen Überblick zu bekommen und deren Heilsversprechen
kritisch zu bewerten. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 240 Seiten, ISBN 978-3-570-55267-4.
München: Pantheon Verlag 2015. € 14.99 Peter Lehmann
Heike Bernhardt: Anstaltspsychiatrie und »Euthanasie«
in Pommern 1933 bis 1945. Die Krankenmorde an Kindern und Erwachsenen
am Beispiel der Landesheilanstalt Ueckermünde
Etwas seelenlose Fleißarbeit und Dissertation einer Kinder- und
Jugendpsychiaterin in Berlin-Lichtenberg. Sie behandelt die Massenmorde
an Psychiatrisierten, die in Pommern ihren Ausgangspunkt hatten und
in diesem abgelegenen Winkel an der Grenze zu Polen von SS-Mördern
im Auftrag von Psychiatern besonders brutal durchgeführt wurden.
Kritisch anzumerken an dem Buch ist seine unhistorische Herangehensweise:
die Entstehung der braunen Pfeiler der todbringenden Sozialpsychiatrie
bleibt außen vor. Unkritisch wird von »psychisch Kranken«,
»chronischen und abgelaufenen Fällen«, »Schizophrenen«
usw. geredet, wobei der soziale und politische Hintergrund dieser diffamierenden
Diagnosen ständig im Raum steht. Brav trennt die Autorin zwischen
schlechter Spezialbehandlung (Mord) und guter psychiatrischer Behandlung
wie z.B. Insulinschock: eine unglaublich brutale Folter, schlimmer als
Elektroschock, wie dieser auch im Faschismus entwickelt und heute immer
noch praktiziert. So ist es kein Zufall, dass einmal mehr der Elektroschocklehrer
Dörner ein Dutzendvorwort schrieb, in dem er sich lautstark von
den Morden seiner psychiatrischen Vorgänger distanziert, jedoch
wie auch die Autorin noch lauter schweigt zu den strukturellen
Menschenrechtsverletzungen in der heutigen »sauberen« Psychiatrie.
Ein bitterer Geschmack bleibt so zurück. Wie kann eine Autorin
ein Buch schreiben gegen Verbrechen der Psychiatrie während der
Nazizeit und gleichzeitig einen Mann ein Vorwort schreiben lassen, der
in seinen eigenen Büchern nach wie vor für die vielen
praktischen und theoretischen Erfahrungen vom Menschen in Dankbarkeit
schwelgt gegenüber seinem Lehrer: dem früheren SA-Mann Bürger-Prinz,
der im Faschismus ein wahres Schreckensregiment gegen alle Kriegsneurotiker
(mittels Elektro- und Insulinschocks) und Verschärfung der psychiatrischen
Foltermaßnahmen praktizierte und Tausenden von Betroffenen ein
zur Verzweiflung treibendes unendliches Leid zugefügt hat; einem
Psychiater, der von Anfang an in die Psychiatriemorde eingeweiht war,
von ihnen zu profitieren suchte und in der Nachkriegszeit einen der
Hauptakteure, den in Kiel tätigen Heyde (alias Sawade), wissentlich
deckte. So jedenfalls Aussagen von Karl Heinz Roth und Götz Aly
Buchautoren, die auch von Heike Bernhardt zitiert werden, deren
Aussagen als bekannt vorauszusetzen sind. Kart., 168 S., viele Tabellen,
Frankfurt/Main: Mabuse-Verlag 1994. DM 31. Peter Lehmann
Klaus Bernhardt: Depression
und Burnout loswerden. Wie seelische Tiefs wirklich entstehen, und was
Sie dagegen tun können
Für den ehemaligen Journalisten und jetzigen
Heilpraktiker für Psychotherapie sind falsche Ernährung, falsche Medikamente
und falsches Denken die Ursachen für die meisten Formen von Depressionen
und Burnout. Weshalb er die am meisten depressiv machenden Substanzen,
nämlich Neuroleptika, aus seinen Überlegungen ausschließt, geht aus
seinem Buch allerdings nicht hervor, dabei ist er Mitglied der Akademie
für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement. Er gibt Ratschläge,
was Betroffene tun können, um sich seiner Meinung nach schnell und dauerhaft
von ihren Leiden zu befreien. Kartoniert, 252 Seiten, ISBN 978-3-424-20205-2.
München: Ariston Verlag 2019. € 18. Peter Lehmann
Roland Bettschart / Gerd Glaeske / Kurt Langbein u.a.: Bittere Naturmedizin.
Wirkung und Bewertung der alternativen Behandlungsmethoden, Diagnoseverfahren
und Arzneimittel
Zuerst als »Bittere Pillen der Naturmedizin« angekündigt,
soll das Buch auf der kommerziellen Erfolgswelle von »Bittere Pillen«
schwimmen. Wer die dort durchweg ziemlich kritiklose Betrachtung nahezu
aller Neuroleptika als »therapeutisch zweckmäßig«
noch im Ohr hat, tut gut daran, die »Bittere Naturmedizin«
mit Vorsicht in die Hand zu nehmen. Zudem wird hier den meisten Alternativverfahren
lediglich der Stellenwert einer Komplimentärmedizin eingeräumt,
also einer Ergänzung der Schulmedizin. Maßstab der Bewertung
bleibt deren Ausrichtung an der Symptomunterdrückung. Andererseits
gibt es längst eine Vielzahl, für die AnwenderInnen oft äußerst
lukrativer und für die BenutzerInnen kaum überschaubarer alternativer
medizinischer Verfahren, oft recht zweifelhafter Art, so dass das Handbuch
kritisch denkenden LeserInnen einen zusätzlichen Anhaltspunkt liefert,
sich eine eigene Meinung zu bilden. Kart., 925 S., Köln: Kiepenheuer
& Witsch 1995. DM 49.80 Peter Lehmann
Ulrich Biechele / Philipp
Hammelstein / Thomas Heinrich (Hg.): anders ver-rückt?! Lesben und Schwule
in der Psychiatrie. Jahrbuch Lesben Schwule Psychologie
2006
anders ver-rückt? Diese Dokumentation eines Kongresses vom November
2003 in Mannheim ist das erste Buch zum Thema im deutschsprachigen Raum.
Die 12 männlichen und 9 weiblichen Autoren Psychologen, Therapeuten,
Psychiater widmen sich neben etwas Geschichte (Homosexualität
wurde erst 1980 entpathologisiert und 1989 [DDR] bzw. 1994 [BRD] entkriminalisiert)
und Theorie den praktischen Besonderheiten von Therapie und Beratung
für Lesben und Schwule, speziell auch Jugendliche. Neue Projekte wie
RISPE (Rehabilitation und Integration für Schwule mit Psychiatrie-Erfahrung)
Rhein-Neckar und psychART (Selbsthilfegruppe für Lesben und Schwule
mit psychischer Erkrankung) in Köln werden vorgestellt, und es verwundert
schon, wie unkritisch psychiatrische Diagnosen übernommen und Psychopharmaka,
wenn überhaupt Thema, empfohlen werden. Wenig Psychiatrie also und hier
kaum Kritisches. Wer aber mehr erfahren will über Ignoranz und Diskriminierung,
auch in der Szene, über die spezifischen Fehler, die schwule und lesbische
Therapeuten und Therapeutinnen machen, wer einen englischen Artikel
über Homophobie und eine hübsche Parodie lesen möchte, in der die Problematik
der Heterosexualität psychologisch beleuchtet wird, für den lohnt sich
das Buch allemal. Kartoniert, 153 Seiten, ISBN 3-89967-305-0. Lengerich:
Pabst Science Publishers 2006. € 15. Kerstin Kempker
Stefan Bienenstein / Mathias Rother: Fehler in der Psychotherapie
Theorie, Beispiele und Lösungsansätze für die Praxis Ziel des von Psychotherapeuten für Psychotherapeuten verfassten
Buches ist es, dass Fehlergeschehen reflektierend in die Therapie integriert
und dadurch zu nutzbringenden Faktoren werden. Es geht allerdings nicht
um sexuellen Missbrauch, der ein Fall für die Justiz ist, sondern um
Alltagsfehler: Elemente der therapeutischen Arbeit, die in der ersten
Reaktion des Therapeuten von diesem als unerwünscht wahrgenommen werden.
Die erste Hälfte des Buches besteht aus einer theoretischen Auseinandersetzung
mit dem Begriff des Fehlers in der Naturwissenschaft, der Pädagogik
und der Betriebswirtschaft, Strategien im Umgang mit Fehlern und deren
Entstehung. Im zweiten Teil folgen Fehler in der praktischen Arbeit,
dargestellt an inhaltlich geordneten Fallbeispielen, die sich aus Interviews
mit Kollegen aus den unterschiedlichsten therapeutischen Richtungen
ergaben, deren Interpretation und die Klärung der Frage, wie die Fehler
jeweils den weiteren Therapieverlauf beeinflusste. Resümee der Autoren:
Es ist sinnvoll, gegenüber den Klienten Fehler zuzugeben; dies fördere
gleichzeitig die Offenheit auf Seiten der Klienten und trage zur Entmystifizierung
der Therapeutenschaft bei. Dem kann man nur zustimmen. Gebunden, XVIII
+ 197 Seiten, 1 Abbildung, 22 Tabellen, ISBN 978-3-211-75602-7. Wien:
Springer Verlag 2009. € 34.95 Peter Lehmann
Bettina Blass: Richtig vorsorgen!
Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung rechtssicher
verfassen
Der Bundesanzeiger Verlag, in dem diese Vorsorgemappe erschienen ist,
informiert: "Plötzliche Krankheit, Schlaganfall, Unfall
das sind die Anlässe, in denen eine richtige Vorsorge dem Betroffenen
hilft, ein Höchstmaß an Selbstbestimmung zu erhalten. Denn nur, wer
rechtzeitig vorsorgt, kann sicher sein, dass im Ernstfall seine ganz
persönlichen Wünsche, Vorstellungen und Planungen Beachtung finden.
Mit dieser Mappe erhalten Sie rechtssichere Vorlagen und Muster für
alle wichtigen Vorsorgedokumente Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht,
Betreuungsverfügung in doppelter Ausführung. So können
Sie sicher sein, dass Sie für sich und Ihre Angehörigen alles geregelt
und nichts vergessen haben." Allerdings ist die Vorsorge, die mit dieser
Mappe geregelt werden soll, beschränkt auf unheilbare Krankheiten. Bestimmungen,
wie für den Fall der Psychiatrisierung oder altersbedingte Abbauprozesse
medizinisch behandelt oder nicht behandelt werden soll, sind leider
ausgespart. Im Europäischen Notfallausweis im Brieftaschenformat, der
im In- und Ausland lebensrettend sein könne, soll man Psychopharmaka
reinschreiben, die der Arzt verordnet hat; Platz für Bemerkungen, welche
Verabreichungen man gegebenenfalls ablehnt und wieso, ist allerdings
nicht vorhanden. Für Psychiatriebetroffene, die in Krisenzeiten Wert
darauf legen, dass ihr Selbstbestimmungsrecht gewahrt bleibt, ist diese
Vorsorgemappe deshalb nicht empfehlenswert. Formularmappe mit 6-seitiger
Infoschrift, 2 Vorsorgevollmachten, 2 Patientenverfügungen (für den
sich ankündigenden Sterbefall), 2 Betreuungsverfügungen für alle Angelegenheiten
und 3 Betreuungsverfügungen für einzelne Aufgabenbereiche. 72 DIN-A-4-Seiten,
ISBN 978-3-8462-0293-7. Köln, Bundesanzeiger Verlag 2014. € 9.90
Peter Lehmann
Bettina Blaß / Hans Schilder:
Das große Vorsorge-Handbuch. Vorsorgen mit System. Informationen
Praktische Tipps Formulare für alle persönlichen Daten
Checklisten
Dieses in neun Kapitel untergliederte Vorsorge-Handbuch hilft, sein
Leben umfassend zu ordnen jedenfalls fast. In "Familie"
werden Besitzverhältnisse und Erbangelegenheiten in Ehe, Lebenspartnerschaft
und nicht-ehelichen Partnerschaften geregelt. In welchen Vereinen und
Verbänden bin ich Mitglied, wann kann ich kündigen? Wer sorgt im Notfall
für mein Haustier? In "Zuhause" geht es um meine Wohnung, Miet- und
Pachtverträge, Schlüssel, Internetkonten, Versicherungen. "Wichtige
Personen" sollen benannt werden, die gegebenenfalls zu benachrichtigen
sind. In "Arbeits- und Berufsleben" dokumentiere ich alle wichtigen
Informationen über Arbeitsverhältnisse, eigene Firmen, Versicherungen
und Ehrenämter. Unter "Finanzen" fallen die Vermögensübersicht, Schulden,
Kredite, Abos, Geldanlagen, Bankkonten, Daueraufträge und Einzugsermächtigungen.
"Sicher ins Alter" betrifft Rente, eventuell nötiger Hausumbau und eine
Checkliste für ein mögliches Seniorenheim. In "Gesundheit" geht es um
Versicherungen, Krankenkasse, Krankheiten, Allergien, Blutgruppe, Impfungen,
Organspende, Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung.
"Fahrzeug und Reisen" fragt nach der ADAC-Mitgliedschaft, Versicherungen
und bietet einen ADAC-Kurzcheck für Gebrauchtwagen (Werden die Bodenteppiche
im PKW feucht?) In "Letzter Wille" regele ich Testament, Erbvertrag,
Bestattung, Grabschmuck, Trauerfeier samt Einladungsliste und Text für
die Traueranzeige. Ergänzt wird das Vorsorgehandbuch durch Musterformulare.
Wie die im gleichen Verlag erschienene Vorsorgemappe [Bettina
Blass: Richtig vorsorgen! Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung
rechtssicher verfassen] ist die Vorsorge, die mit diesem Ordner
geregelt werden soll, allerdings beschränkt auf unheilbare Krankheiten.
Bestimmungen, wie für den Fall der Psychiatrisierung oder im Alten-
und Pflegeheim medizinisch behandelt oder nicht behandelt werden soll,
sind leider komplett ausgespart. Jede Kleinigkeit wird geregelt, selbst
der Grabschmuck, aber sämtliche inhaltlichen Fragen der Gesundheitsfürsorge
sind auf diesen Satz reduziert: "Wie soll die Gesundheitsfürsorge aussehen? "
Umfangreiche Vorgaben gibt es für Demenzprozesse, irreversible Hirnschädigungen
und den Sterbeprozess. Mehrere Jahre nach der Betreuungsrechtsänderung
von 2009 ist diese komplette Ausblendung medizinischer Behandlung im
Krisenfall, der nichts mit Sterben zu tun hat, völlig unverständlich.
Für Psychiatriebetroffene, die in Krisenzeiten Wert darauf legen, dass
ihr Selbstbestimmungsrecht geachtet wird, oder für Menschen, die damit
rechnen, alt zu werden und möglicherweise im Altenheim unerwünschte
Psychopharmaka verabreicht zu bekommen, ist diese Vorsorgemappe deshalb
nicht empfehlenswert. Diese Kritik betrifft auch den beiliegenden Europäischen
Notfallausweis im Brieftaschenformat, der im In- und Ausland lebensrettend
sein könne, so der Verlag. Hier soll man Psychopharmaka reinschreiben,
die der Arzt verordnet hat; Platz für Bemerkungen, welche Verabreichungen
man gegebenenfalls ablehnt und wieso, ist allerdings nicht vorhanden.
Rezension
im BPE-Rundbrief. Ordner mit Ringbindung, 338 Seiten, plus CD mit
Musterformularen, plus Europäischer Notfallausweis, ISBN 978-3-89817-951-5.
Köln, Bundesanzeiger Verlag 2013. € 39.80 Peter Lehmann
Jörg Blech: Die Psychofalle Wie die Seelenindustrie uns zu
Patienten macht
Jörg Blech, Redakteur im Wissenschaftsressort des Spiegel, schreibt
über die ständig fortschreitende Psychiatrisierung des Alltags, die
Verflechtung vieler Psychiater, Psychologen und Neurologen mit der Pharmaindustrie,
die zunehmende Psychiatrisierung von Kindern und Alten, die Erfindung
immer neuer Diagnosen, die Medizinalisierung sozialer Probleme und über
Auswege aus der Psychofalle. Das Buch ist feuilletonistisch geschrieben,
ähnlich wie eine Zusammenstellung diverser Spiegel-Artikel, wobei
sich der Autor auf teils umstrittene Leute wie Klaus Dörner, Thomas
Bock oder gar den Elektroschockbefürworter Manfred Lütz als Kronzeugen
seiner Einschätzungen bezieht. Thema des gut lesbaren und unterschiedlichste
Themenbereiche umfassenden Buches sind unter anderem Gustl Mollath;
satirisch wie auch ernsthaft gemeinte Diagnosen (zum Beispiel Prämenstruelle
dysphorische Störung, Posttraumatische Verbitterungsstörung, Sissi-Syndrom,
Testosteronmangelsyndrom [bei älter werdenden Männern], Leichte neurokognitive
Störung [bei normaler Altersvergesslichkeit], Demenz vom Typ präklinische
Alzheimer-Erkrankung; das abgeschwächte Psychosesyndrom als Vorstufe
richtiger Psychosen); der Boom leichter Befindlichkeitsstörungen; Psychiater
wie Peter Falkai, die Gelder von der Pharmaindustrie nehmen; von pharmagesponserten
Psychiatern entwickelte Behandlungsleitlinien; Ausbreitung von ADHS
und Risikofaktoren für die Ritalin-Verschreibung (Geburtsmonat, Geschlecht,
Entfernung zur nächsten Kinderpsychiatrie); Hirnschwund bei Menschen
und Affen nach Neuroleptika-Konsum; die zunehmende Diagnostik bipolarer
Störungen schon bei Kleinkindern; die Medikalisierung sozialer Ängste
und Schüchternheit; die Utopie der Selbstoptimierung mit Pillen; u.v.m.
Unter Verzicht auf eine Fundamentalkritik an der biologischen Psychiatrie
plädiert Blech für saubere psychiatrische Diagnosen, ohne allerdings
zu erklären, wie psychische Probleme maßgeblich sozialer Natur mit einer
medizinisch-naturwissenschaftlichen Herangehensweise »sauber«
diagnostiziert werden sollen. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden, 288 Seiten, ISBN 978-3-10-004419-8.
Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2014. € 19.99 Peter Lehmann
Erika Blitz: Wenn die Seele aus dem Takt gerät. Depressionen im
höheren Lebensalter bewältigen
Hände weg von diesem Buch! Es empfiehlt neben verschiedenen psycho-
und anderen therapeutischen Maßnahmen Antidepressiva, Neuroleptika
und Elektroschocks, und das ohne ernstzunehmende Warnung vor unerwünschten
Wirkungen dieser Behandlungsmaßnahmen. Insbesondere die abhängig
machende sowie depressionsverstärkende Eigenwirkung von Neuroleptika
wird den Behandlungskandidaten und ihren Angehörigen verschwiegen.
Gebunden, 132 S., zahlr. farb. Abb., ISBN 978-3-87159-502-8. Tübingen:
dgvt-Verlag Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie
2008. € 24.80 Peter Lehmann
Ursina Blum: Patientin durchleuchtet
psychiatrische Behandlungen. Patientenerfahrungen vorwiegend aus den
Jahren 2007 bis 2012
Ursina Blum ist eine Schweizer Psychiatriebetroffene aus dem Umfeld
von Psychoseseminaren und der psychiatrienahen Stiftung Pro mente sana.
Sie war fast ein Dutzend Mal in der Psychiatrie und beklagt sich, dass
Psychopharmaka die Menschen emotional taub, kraftlos und handlungsunfähig
machen und ihre Lebensqualität stehlen. Um die Situation von Psychiatriebetroffenen
zu verbessern, hat sie einen Bericht geschrieben, der zwischen Anprangerung
patientenfeindlicher Zustände in der Psychiatrie und der Übernahme psychiatrischer
Ideologie hin und her schwankt. Vereinnahmend will die Autorin »die
Seite der Patienten« aufzeigen, denen es allen gleich gehe, dabei
schreibt sie im Satz zuvor, dass jeder Patient angetanes Leid als einzigartig
erlebe. Psychopharmaka seien ein Geschenk der Forschung, die viel Leid
verkürzten und wieder zur Gesundheit führten, und Schäden entstünden
durch »Über«-Dosierung, fährt sie fort, völlig im Widerspruch
zu ihrer eingangs erwähnten eigenen Erfahrung und der bekannten Tatsache,
dass alle Schäden von Psychopharmaka auch unter sogenannten therapeutischen
Dosierungen entstehen. Dass das Charakteristikum von Psychopharmaka,
insbesondere Neuroleptika, nicht unbedingt die Verkürzung des Leids
von Patienten, sondern ihrer Lebenserwartung ist, ist für sie kein Thema
angesichts des propsychiatrischen Umfelds, in dem sie sich bewegt,
wenig überraschend. »Nach meinen Erfahrungen ist das Wesen eines
Psychiaters stabil, robust, interessiert an Menschen. ... Überlastete
Psychiater brauchen mehr Anerkennung. ... Es gibt Krankheitsbilder,
da macht es absolut Sinn, gegen Willen des Patienten vorzugehen«,
schreibt sie weiter, ohne sich auch nur ansatzweise bewusst zu sein,
wie bedenkenlos sie die übliche psychiatrische Verletzung des Menschenrechts
auf körperliche Unversehrtheit und auf Schutz der Menschenwürde unterstützt.
Wer bereit ist, solche Lobhudelei von Psychiatern und Zwangsbehandlung
zu ertragen, kann in Ursina Blums auch andere Aussagen finden: Beschreibung
des Beduseltseins und Vergiftung des Körpers durch Psychopharmaka, Geschäftemacherei
der Pharmaindustrie und der Psychiater durch Dauerverschreibung von
Psychopharmaka, Nötigung zur Einwilligung in die Behandlung, Missstände
in der Jugendpsychiatrie, Benutzung von Patienten zur Bedürfnisbefriedigung
von Psychiatern, Wertschätzung alternativer Behandlungsformen, usw.
usf. Als Leser des Berichts habe ich den Eindruck, als ob die Autorin
ständig zwischen dem, was sie erlebt hat, und dem, was Psychiater und
Psychologen interpretieren, hin und her gerissen ist, ohne sich darüber
klar zu sein. Es wäre interessant zu wissen, wie ihr Bericht klänge,
würde er in einem psychiatriekritischen Umfeld wie PSYCHEX oder dem
Schweizer Netzwerk der Benutzer und Überlebenden der Psychiatrie (NUSP)
geschrieben. Leider sind solche betroffenenorientierten Gruppen in Ursina
Blums Umfeld tabu. Broschüre, 28 A4-Seiten, ringgebunden. sFr 10.
/ € 11. (inkl. Versandkosten). Bestelladresse: Ursina Blum,
Postf. 3042, 6002 Luzern, Schweiz, blum.berichte@gmx.ch. Bezahlung für
Bestellungen aus Deutschland kann auf ein deutsches Bankkonto erfolgen. Peter Lehmann
Nellie Bly: Zehn Tage im Irrenhaus.
Undercover in der Psychiatrie Die junge Reporterin Elizabeth Jane Cochran lässt sich im Jahre
1887 (kein Tippfehler) in New York City zwangseinweisen, und zwar undercover,
das heißt zu Ermittlungszwecken und mit gefälschter Identität unter
dem Namen Nellie Bly. Sie soll eine Reportage über die Zustände in der
Frauenpsychiatrie auf Blackwell's Island schreiben, einer Anstalt mit
zweifelhaftem Ruf. Die Insel heute heißt sie Roosevelt Island
ist im East River zwischen den Stadtteilen Manhattan und Queens. Wer
in jener Zeit in die dortige Anstalt verbracht wird, hat kaum mehr eine
Chance, je wieder in Freiheit zu gelangen. Für Nellie Bly überraschend
einfach wird sie von den untersuchenden Psychiatern, denen sie stereotype
Sätze vorsagt unter anderem, sie habe Angst und suche
ihre Koffer und auf deren Fragen sie nicht eingeht, als
eindeutig Geisteskranke diagnostiziert und zwangsuntergebracht. Nach
ihrer Entlassung, die von einem Anwalt bewirkt wird, der von ihren sich
sorgenden Freunden eingeschaltet wurde, ist sie wieder in Freiheit und
kann in der aufstrebenden Tageszeitung Joseph Pulitzers, der New
York World, in zwei Teilen am 9. und 16. Oktober 1887 von den zeitgemäßen
Formen psychiatrischer Demütigungen und Gewaltausübungen berichten,
inklusive der zwangsweisen Verabreichung des damals gebräuchlichen und
als modern geltenden Chloralhydrat. Sie kann es nach der Verabreichung
wieder herauswürgen. Dieses Schlafmittel war 1832 entwickelt worden,
es war das erste synthetisch hergestellte Schlafmittel. Außerdem berichtet
Nellie Bly von den verrückt machenden Zuständen in der Psychiatrie,
von Schlägen und anderen Misshandlungen, von der Faulheit, Brutalität
und Gleichgültigkeit der meisten, wenn auch nicht allen Pflegerinnen,
von der medizinische Inkompetenz der meisten Psychiater, von den sich
einstellenden Krankheiten der untergebrachten Frauen und der Verschlechterung
ihres geistigen und psychischen Zustands, auch bedingt durch die katastrophalen
äußeren Bedingungen in der Einrichtung, von den auftretenden, auch damals
konsequenzlosen Todesfällen, von sinnlosen Beschäftigungen oder beschäftigungslosem
Dahinvegetieren u.v.m.
Nellie Blys Reportage gilt als Meilenstein des investigativen Journalismus
und wichtiges Dokument der Psychiatriegeschichte. Es zeigt, was sich
verändert hat und was über die Jahrhunderte hinweg gleich geblieben
ist. Ergänzt wird die Reportage durch ein informatives Nachwort des
Germanisten Martin Wagner. Es wird nur leicht getrübt durch seine pauschale
Kritik "der Antipsychiatrie-Bewegung", mit der er die akademische Antipsychiatrie
der 1960er-Jahre (Cooper, Foucault, Laing, Szasz) meint; sie habe die
Fortschritte und Erfolge der psychiatrischen Forschung aus dem Blick
verloren. Ob Wagner mit den "Fortschritten" kleinere und moderne psychiatrische
Stationen meint sowie die neuen synthetischen Neuroleptika und Antidepressiva
sowie Lobotomie und Elektroschocks, was von der Mainstream-Psychiatrie,
deren Vertreter er als Quelle für seine Behauptung nennt, als historischer
Fortschritt betrachtet wird? Abgesehen von diesem offenbar ideologisch
begründeten oder aus Ahnungslosigkeit erfolgten Tritt ins Fettnäpfchen,
der zum Glück nur eine halbe Buchseite einnimmt, ist das Buch ausgesprochen
lesenswert.
Dem AvivA Verlag gebührt Respekt, dass er dieses Buch 127 Jahre nach
der US-amerikanischen Originalveröffentlichung in deutscher Erstausgabe
2014 publiziert hat. Angesichts moderner toxischer Psychopharmaka und
hirnschädigender Elektroschocks wird heutzutage vermutlich kein Journalist
mehr ein ähnliches Experiment wagen, kein Zeitungsverleger mehr ein
vergleichbares Projekt zur Aufdeckung psychiatrischer Menschenrechtsverletzungen
ins Auge fassen. Während Nellie Bly zu ihrer Zeit noch ihren Finger
in den Hals stecken und das Chloralhydrat erbrechen konnte, werden in
modernen Zeiten bei Widerstand lähmende Substanzen von gewaltbereiten
psychiatrisch Tätigen zwangsweise per Spritze verabreicht. Eine neue
Undercover-Publikation im Stile der mutigen Nellie Bly ist also in absehbarer
Zeit nicht mehr zu erwarten. Rezension
im BPE-Rundbrief.
Taschenbuch, 191 Seiten, ISBN 978-3-932338-62-5. Berlin: AvivA Verlag,
3. Auflage 2018. € 16. Peter Lehmann
Thomas Bock: Lichtjahre Psychosen ohne Psychiatrie. Krankheitsverständnis
und Lebensentwürfe von Menschen mit unbehandelten Psychosen
Informatives Buch über die Vielfalt psychologischer Psychosetheorien.
Auch Betroffene kommen zu Wort, als Lieferanten von O-Tönen zur
Illustration der unterschiedlichen Krankheitskonzepte. Selbst wenn sie
sich massiv gegen psychiatrische Deutungen ihrer Lebensgeschichte wehren,
wie der Autor freimütig bekennt, sind sie seinem Interpretationsdrang
schutzlos ausgeliefert. Es wird Zeit, dass Psychiatriebetroffene eine
Ethik entwerfen, die Anforderungen an ihre nichtverletzende und nichtausbeutende
Einbeziehung in Publikationen formuliert. Kart., 375 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag
1997. DM 39.80 Peter Lehmann
Thomas Bock / J. E. Deranders / I. Esterer: Stimmenreich. Mitteilungen
über den Wahnsinn
Ergebnis eines sogenannten Psychose-Seminars der Hamburger Uni-Anstalt
1989 mit Betroffenen (Diagnose musste nicht nachgewiesen werden!), sprich
»Psychose-Erfahrenen«, Angehörigen und Tätigen.
Der Psychiatrie-Verlag wirbt auf der Klappe: »Die drei beteiligten
Gruppen suchen nach einer gemeinsamen Sprache.« Das liest sich
dann in der Einleitung der Herausgeber so: »Als sichere Erkenntnis
kann gelten, dass Psychosen nicht unmittelbar vererbt werden, dass sie
sich nicht zwangsläufig verschlechtern und dass es von den Umständen
des Lebens und der Versorgung abhängt, ob auch bei langfristigem
Verlauf ein eigenständiges Leben möglich ist.« In dem
Kapitelchen »Erleben und Verarbeiten« dürfen die Betroffenen
von ihren »Psychose-Erfahrungen« sprechen, um dann im Kapitel
»Wissen und Erklären« auf haarsträubende Weise interpretiert
zu werden: »Mit einer gewissen Berechtigung empfinden sie die psychotischen
Symptome als Teil ihrer selbst«, na immerhin! Ergebnis des Seminars?
Ein »Mensch in einer Psychose« will: »Hilfe ohne Abstempelung:
Wenn schon Diagnosen, dann mit Erklärung. Nicht sofort eingeordnet
werden. ... Nicht nur unter dem Vorzeichen krank gesehen
werden. Nicht nur zur Ware Patient werden.« Zum Schluss
wird die Gründung des Bundesverbands der Psychiatrie-Erfahrenen
vorweggenommen von Dorothea Buck, die für den zweiten Gründungstag
vorsieht, dass »den Teilnehmern der Tagung die vorher zugeschickte
Satzung erläutert, (dass sie, Kerstin Kempker) abgestimmt
und beschlossen « wird. (Etwas anders kam's dann doch, es wurde
auch diskutiert und verändert.) Sind wir am Ziel, »wenn auch
die Öffentlichkeit erkannt hat, dass wir entgegen der Prognose
gar nicht so unfähig zur Kommunikation und Solidarität
sind, wie schizophrene Menschen von Psychiatern gerne dargestellt werden.«?
Ich finde dies Buch, das so offen und selbstkritisch, hübsch, lesbar
und preiswert daherkommt, besonders gefährlich, weil es einzelne
Erfahrungen und Erwartungen absolut setzt und damit mich als auch Psychiatrie-Betroffene
gleichzeitig einverleibt und abwertet. Kartoniert, 231 Seiten, Bonn:
Psychiatrie-Verlag 1992. DM 19.80 Kerstin Kempker
Thomas Bock / Andreas Heinz:
Psychosen Ringen um Selbstverständlichkeit
Gefreut habe ich mich über den Titel des Buches "Ringen um Selbstverständlichkeit",
da er mehr versprach, als normalerweise Psychiatrie-Bücher zu beinhalten
versprechen. Beim Aufschlagen wunderte ich mich über sieben Seiten Inhaltsangabe.
Teils sind Kapitel auf einer ganzen oder einer knappen Seite abgehandelt,
nur wenige Kapitel haben mehrere Seiten. Nach jeder größeren Überschrift
folgt am Ende jedes Kapitels ein Fazit. Gut und schön ist auch das rote
Bändchen als Lesezeichen denn die 336 Seiten sind inhaltlich
nicht ohne Pause lesbar. Ich gehöre zu den behäbigeren Lesern und brauchte
zwei Monate, in denen ich mich immer wieder auf Reisen und Denkpausen
führen ließ. Mit Lust las ich die Aussagen der Ordinarien und die fast
30 Seiten Literaturquellen, die übrigens bis ins 19. Jahrhundert zurück
gehen. Dieses Buch ist erfreulicherweise kein Schnellschuss der Autoren.
Es ist gut recherchiert, jedoch fehlen leider die Literaturangaben von
Psychiatrie-Erfahrenen, die in den letzten 20 Jahren von subjektiven
Empfindungen des Sozialraums berichteten, die objektiv später bestätigt
wurden. Lediglich zwei Psychiatrie-Erfahrene (Gwen Schulz und Dorothea
Buck) sind zu Wort gekommen. (Gwen Schulz hat ohne Verweis auf
Literaturangaben die beeindruckenden Texte "Auf der Suche
nach dem Sinn meiner Psychose" und "Zur Bedeutung der Peerarbeit"
geschrieben. Dorothea Buck glänzt mit zehn Thesen "Zum subjektiven
Verständnis von Psychosen". Beide Frauen lassen das Herz des Psychiatrie-Erfahrenen
intensiver schlagen und jubeln.) Der Sinn der menschlichen Psychiatrie
ist in den Schlussbemerkungen mit 19 Leitsätzen zusammengefasst. Diese
Leitsätze gehen von "Den ganzen Menschen sehen" über "Toleranz
und Abbau von Vorurteilen" bis hin zu "Ringen um Selbstverständlichkeit".
Freuen können wir Psychiatrie-Erfahrene uns über die geringe Bedeutung,
die in dem Buch den Psychopharmaka beigemessen wird, und die im Gegensatz
hierzu stärkere Beachtung des Sozialraums und sich daraus ergebende
Behandlungskonsequenzen. Im Literaturverzeichnis wird dann unter anderem
die Literatur von Luc Ciompi (Soteria Bern) und Volkmar Aderhold gelistet,
darunter auch dessen Dissertation "Die akute Schizophrenie als
Prozess der Selbstgestaltung". Home-Treatment, Soteria, Milieutherapie,
regionales Budget, gemeindenahe Versorgung, integrierte Versorgung usw.
werden ausführlich als "nötige Strukturveränderung im psychiatrischen
System" gesehen. Fazit: Die kleinschrittige Hinführung auf den
Ausblick "Dilemmata der Psychosenbehandlung und ihre Potenziale"
ist sehr positiv für das Buch. Der Preis von 49.95 € und die vielen
nicht üblichen Fachbegriffe schrecken viele Psychiatrie-Erfahrene ab
trotzdem kann ich das Buch ALLEN Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen
und Professionellen des psychiatrischen Systems nur empfehlen! Gebunden,
335 Seiten, ISBN 978-3-88414-602-6. Köln: Psychiatrie Verlag GmbH 2016.
€ 49.95 Franz-Josef Wagner
Thomas Bock / Kristin Klapheck /
Friederike Ruppelt: Sinnsuche und Genesung Erfahrungen und Forschungen
zum subjektiven Sinn von Psychosen
Jahrzehnte nachdem unabhängige Psychiatriebetroffene sich mit dem Sinn
von Psychosen auseinanderzusetzen begonnen haben, haben nun psychosozial
Professionelle das Thema entdeckt. Das ist schön. Schöner wäre natürlich,
wenn diese nicht so täten, als hätten sie es erfunden, sondern sich
mit der vorliegenden Literatur auseinandersetzen. Mit »Suche nach
dem Sinn des Wahnsinns, Selbstfindung und Selbstbefreiung« war
beispielsweise schon 1983 ein Kapitel in Tina Stöckles Buch »Die
Irren-Offensive Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von
Psychiatrie-Überlebenden« überschrieben. »Der
Sinn meiner Psychose Zwanzig Frauen und Männer berichten«
lautet ein von Hartwig Hansen 30 Jahre später herausgegebenes Buch.
In diesen beiden Büchern interpretieren die Betroffenen ihre Psychosen
und sonstigen Verrücktheitszustände selbst.
Das vorliegende Buch, herausgegeben von Thomas Bock und zwei jungen
Psychologinnen, handelt vom sogenannten SuSi-Projekt. Dieses Hamburger
Projekt zum subjektiven Sinn von Psychosen habe »... sich zur Aufgabe
gemacht, Subjektivität empirisch erfahrbar zu machen und die im Trialog
erlebbare Bedeutung der subjektiven Sinngebung bei psychischen Krisen
auch in anderen Kontexten wissenschaftlich zu untersuchen.« Hier
werden Betroffene mit ihrer Subjektivität der Interpretation unterzogen,
sie werden zu Objekten degradiert. Schade, dass so von den HerausgeberInnen
Lustlosigkeit produziert wird, sich das Buch genauer anzuschauen. Am
liebsten möchte man es hinten ins Regal stellen und auf eine revidierte
Neuauflage warten, in der unabhängige Psychiatriebetroffene einbezogen
sind in den Entwurf, die Durchführung und die Auswertung der Studie.
Dadurch, dass Psychiatriebetroffene wieder nur beforscht werden, sie
Objekt der Studie bleiben, wird jedoch das Subjekt-Objekt-Verhältnis
zwischen ForscherInnen und Beforschten festgeschrieben, der Expertenmonolog
fortgesetzt. Wenn sich die Auswahl der Beforschten willkürlich auf eine
kleine Gruppe trialogbefürwortender Betroffener beschränkt und wenn
deren Aussagen von Expertenseite interpretiert und damit notwendigerweise
auch fehlinterpretiert werden, so steht die Gültigkeit der Aussagen
des Buches von Anfang an im Zwielicht. Nicht unbegründet sah der Geschichtswissenschaftler
Lutz Niethammer in seinen Reflexionen zu Zeitzeugenberichten (1980)
die Gefahr, dass diejenigen, die von früheren gesellschaftlichen Machtverhältnissen
als Objekte definiert wurden, durch solche Praktiken in ihrem Objektstatus
belassen werden, anstatt dass es zur Rekonstruktion ihrer Subjektivität
kommt. Die Geschichte der Herrschenden werde verlängert und Blindstellen
der Subjektivität würden mit geschichtsphilosophischen Konstruktionen
aufgefüllt, was die Erkenntnis der Wirklichkeit vorschnell verstelle;
den Subjekten werde auf benevolente, das heißt wohlwollende Weise erneut
Gewalt angetan.
Wohlwollend sind in der Tat die meisten Artikel, sehen wir ab von einer
psychopharmakabefürwortenden Angehörigen, die die »Perspektive
einer Mutter« wie eine Fackel hoch hält, als wolle sie für alle
Mütter der Welt sprechen (dass andere Mütter eine andere Perspektive
und Meinung als sie haben könnten, ist für sie kein Thema), und sich
als allererstes daran macht, nach der Bedeutung der Suche nach dem Sinn
einer Psychose zu fragen. »Ich glaube nicht, dass ein Sinn (kursiv
im Original, P.L.) in dem Ausbruch der Krankheit meiner Tochter lag«
schreibt sie. Der Wunsch, eine Erklärung für schlimme Dinge zu finden,
die einem widerfahren, sei menschlich in anderen Worten: psychologisch
zu verstehen, aber nicht ernst zu nehmen. Man fragt sich, was solch
ein Beitrag in dem Buch zu suchen hat.
Die SuSi-ProjektmitarbeiterInnen kommen zum Schluss, dass die TeilnehmerInnen
ihrer Studie Psychosen in einem biografisch-sinnstiftenden Zusammenhang
und teilweise als bereichernde Erfahrung sehen, wenn auch verbunden
mit der Angst vor sozialem Abstieg. Dem subjektiven Sinnerleben der
Betroffenen man könnte besser sagen: ihren teilweise traumatischen
Erfahrungen und Erlebnissen Beachtung zu schenken und sich in
der Therapie auf die wirklichen Probleme des einzelnen Menschen einzulassen.....
Wenn das SuSi-Projekt hilft, dieser humanistischen Grundforderung näherzukommen,
dann kann ich in der Hoffnung, dass zukünftig Betroffene wirksam beteiligt
werden an Studien über sie selbst, erst mal mit dem Buch leben. (Die
Hoffnung stirbt zuletzt.)
Kognitive Verhaltenstherapie erhalte geradezu den Auftrag, die Sinnsuche
des Patienten zu unterstützen, schreiben die Psychologinnen Evelyn Gottwalz-Itten
und Maike Hartmann in ihrem lobenswerten Beitrag, und diese Forderung
kann man getrost auf die gesamte Psychotherapie ausweiten. Die nach
Ende einer akuten Phase ob Verrücktheit oder Depression
aufgenommene Suche nach dem Sinn des Wahnsinns hat vorbeugenden Charakter,
stellte Regina Bellion schon 1998 in ihrem Beitrag in dem Buch »Psychopharmaka
absetzen« fest: »Wer sich danach mit seinen psychotischen
Erlebnissen auseinandersetzt, läuft anscheinend nicht so bald in die
nächste psychotische Phase.« Schön, wenn diese Botschaft irgendwann
einmal bei den Profis ankommt. Gebunden, 320 Seiten, ISBN 978-3-88414-577-7.
Bonn: Psychiatrieverlag 2014 . € 29.95 Peter Lehmann
Christopher Bollas: Wenn die
Sonne zerbricht. Das Rätsel Schizophrenie Das Buch ist ein lobenswertes Plädoyer für ein psychotherapeutisches
Eingehen von Psychiatern auf Menschen, die sich in Situationen befinden,
die als "Schizophrenie" bezeichnet werden. Christopher Bollas ist Psychoanalytiker,
arbeitet jetzt in Kalifornien, entsprechend beruft er sich abgesehen
von Sigmund Freud hauptsächlich auf englischsprachige Literatur. Im
ersten Teil des Buches berichtet er von seinen frühen Erfahrungen der
Arbeit mit "schizophrenen" Kindern und Erwachsenen, im zweiten Teil
stellt er theoretische Erwägungen an, und zuletzt diskutiert er Grundfragen
der Psychotherapie der "Schizophrenie" Etwas unangenehm ist, dass man
im Text ständig den Begriff "die Schizophrenen" liest, als gebe es eine
solche einheitlich klassifizierbare Gruppe von Menschen. Dabei ist selbst
unter Psychiatern völlig umstritten, ob es so etwas wie Schizophrenie
überhaupt gibt. Original erschien das Buch 2015 in den USA. Gebunden,
259 Seiten, ISBN 978-3-608-98151-3. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2019.
€ 28. Peter Lehmann
Ingo Bonde / Moritz Gerhardt / Tina Kaiser / Kerstin Klein / Stephan Kolb / Caroline Wolf (Hg.): Medizin und Gewissen
Im Streit zwischen Markt und Solidarität. Dokumentation des internationalen
IPPNW-Kongresses, 20.-22. Oktober 2006 in Nürnberg
Wo steht die Medizin 60 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess? Wo müssen
sich Ärztinnen und Ärzte wehren gegen die Vereinnahmung durch Politik
und gesellschaftlichen »Mainstream«? Im Mittelpunkt des größten
medizinethischen und gesundheitspolitischen Kongresses stand die Frage
nach der wachsenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens
und der Gefahr der moralischen Korrumpierbarkeit der Beschäftigten.
In den Hauptkapiteln »60 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess«,
»Aktuelle Bestimmung zum Gesundheitssystem«, »Ethische
Erwägungen zur Ressourcenverteilung«, »Ökonomisierung
in Krankenhaus und Arztpraxis«, »Patientenautonomie und Bürgerpartizipation«
und »Internationale Erosion öffentlicher Gesundheitsfürsorge«
versammelt der Band die wichtigsten Kongressbeiträge u.a. von Hans-Ulrich
Deppe, Gerd Glaeske und Thomas Gebauer. Der in meinen Augen beste Artikel
steht gleich am Anfang: »Der Mord an psychisch kranken und behinderten
Menschen« von Hans-Walther Schmuhl. Der Autor erklärt überzeugend,
dass die »Euthanasie«-Morde den Holocaust vermutlich entscheidend
bedingten, sozusagen Katalysator-Wirkung hatten. Wie kann die Medizin
in der gegenwärtigen Gesellschaft ihre Verantwortung für Gesundheit
und Leben gegen korrumpierende Einflüsse beherzigen?, frage Horst-Eberhard
Richter in seinem Geleitwort. Die Frage ist angebracht, und angesichts
der enormen neuroleptikabedingten Mortalitätsraten in der Psychiatrie,
angesichts ihrer fast totalen Abhängigkeit von den Pharmakonzernen,
und speziell angesichts der flächendeckenden Ignoranz der daraus
folgenden Probleme ist die Bedeutung der Fragen nach dem Gewissen von
Medizinern, speziell Psychiatern, höchstaktuell. Ich schreibe diese
Zeilen kurz nach dem Kongress des World Psychiatric Association in Prag
vom 20. bis 25. September 2008, wo ich einen Büchertisch betrieb
und auch das hier besprochene Buch feilbot. Obwohl deutschsprachige
Teilnehmer sich zur Genüge am Stand blicken ließen, war dieses
Buch das einzige, das nicht von einem einzigen Büchertischbesucher
angefasst wurde. Gebunden, 587 Seiten, Geleitworte von Margarete Mitscherlich-Nielsen
und Horst-Eberhard Richter, ISBN 978-3-938304-63-1. Frankfurt am Main:
Mabuse Verlag 2008. € 48. Peter Lehmann
Helmut Bonney: ADHS na und? Vom heilsamen Umgang mit handlungsbereiten
und wahrnehmungsstarken Kindern
Illustriert an vielen Fallbeispielen zeigt der Kinder- und Jugendpsychiater
Bonney vielfältige pädagogische und therapeutische Lösungsansätze,
wie in Kooperation zwischen Elternhaus, Schule und Therapeuten handlungsbereiten
und wahrnehmungsstarken Kindern (Kindern mit sogenannter Aumerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung)
wirksam geholfen werden kann. Ein übersichtliches und praxisorientiertes
Plädoyer, Kindern achtsam zu begegnen, anstelle sie mit schädlichen
Psychopharmaka künstlich ruhigzustellen und auf diese Weise an
wenig kindgerechte Lebensbedingungen anzupassen. Kartoniert, 140 Seiten,
ISBN 978-3-89670-834-2. Heidelberg: Carl Auer Verlag 2012. € 16.95 Peter Lehmann
Helmut Bonney (Hg.): ADHS Kritische Wissenschaft und therapeutische
Kunst
Über die ADHS-Forschung aus medizinisch-pharmakologischer Sicht,
aber auch aus der Perspektive von Neurobiologie, Genetik und Epigenetik,
Pädagogik und Psychotherapie unter Einschluss neuester wissenschaftlicher
Erkenntnisse, z. B. zur Hirnplastizität und den Konsequenzen für eine
wirksame Hilfe. Das Buch liefert eine fundierte Basis, über den
Tellerrand der (behaupteten) neurobiologischen Erkenntnisse von einem
angeborenen Neurotransmittermangel als Ursache von ADHS hinauszublicken
und somit die tatsächlichen Probleme der betroffenen Kinder zu
erkennen und hilfreiche therapeutische Ansätze zu entwickeln. Mit
Beiträgen von H. Brandau, K. Gebauer, G. Glaeske, T. Grund, H. H.
Hopf, Hüther, H. von Lüpke, J. Rosenkranz, H. Rühling, A. Schäfers,
G. Teuchert-Noodt, E. Würdemann. Kartoniert, 272 Seiten, 13,5 x 21,5
cm, ISBN 978-3-89670-630-0. Heidelberg: Carl Auer Verlag 2008. €
24.95 Peter Lehmann
Anne Boos: Traumatische Ereignisse
bewältigen Hilfen für Verhaltenstherapeuten und ihre Patienten
Das Buch richtet sich nicht an Personen, die wegen einer psychotischen
Erkrankung in psychiatrischer Behandlung waren oder sind so die
Autorin eingangs ihres Buches. Diesem Personenkreis rät sie generell,
bei Problemen ihr Buch nicht anzurühren, sondern sich statt dessen
in psychiatrische Behandlung oder in Therapie zu begeben und evtl. diverse
Antidepressiva zu nehmen, auch wenn diese für die Indikation Posttraumatische
Belastungsstörung noch nicht zugelassen sind. Schnelles Fazit somit
einer Rezension, die sich maßgeblich an Personen wendet, die schon
einmal als psychotisch diagnostiziert wurden: dieses Buch ignorieren.
Und ein Rat an die Autorin: sich mit traumatischen Erfahrungen durch
psychiatrische Behandlung und suizidalen Wirkungen diverser Psychopharmaka
auseinandersetzen, möglichst vor dem Verfassen des nächsten
Buches. Kartoniert, 172 Seiten, ISBN 978-3-8017-2066-7. Göttingen:
Hogrefe Verlag 2007. € 16.95 Peter Lehmann
Antoinette Borri: Schritte aus
der Depression. Anleitung zur Selbsthilfe
Der Verlag kündigt das Buch der Schweizer Psychiaterin Borri mit
diesen Worten an: »Ein lebensnahes Lern- und Übungsbuch, das Betroffenen
Hoffnung macht und Zutrauen in die eigenen Heilungskräfte schenkt.«
Lebensnah fängt die Autorin das Buch auch an, wenn sie gleich im
ersten Satz schreibt, was voll aus dem (Gedanken-)Leben eines typischen
Psychiaters entnommen sein dürfte: »Der Psychiater hat Antworten
auf Ihre Fragen.« An dieser Stelle möchte ich das Buch schon
in die Ecke werfen, wieso soll ich mich mit den Ausführungen einer
sich allwissend vorkommenden Psychiaterin abgeben, die alle Antworten
weiß, bevor man eine Frage gestellt hat? Zum Glück wird Frau
Borri dann wieder etwas vernünftiger, beschreibt, woran man Depressionen
erkennt, welche Formen sie annehmen können, nennt Mut machende
Übungen, zum Beispiel Affirmationen, und empfiehlt, sich vor Überforderung
zu bewahren. Man sollte der Autorin sagen, auch sie selbst sollte sich
vor Überforderung und vor allem vor Selbstüberschätzung
bewahren. Taschenbuch, 156 Seiten, ISBN 978-3-451-05586-7. Freiburg
/ Basel / Wien: Herder Verlag, 4. Auflage 2009. € 8.95 Peter Lehmann
Karin Bothe / Alexa Köhler-Offierski / Ernst-Ulrich Vorbach
(Hg.): Alternative Therapieansätze in der Psychiatrie. Über
gewohnte und ungewohnte psychiatrische Behandlungsformen
Psychiater, Therapeuten, Heilpraktiker und andere Profis berichten aus
ihrer Sicht und ohne es nötig zu haben, Betroffene zu Wort
kommen zu lassen über den Einsatz von mehr oder weniger
exotischen Therapieformen wie Klangschalenmassage, Lichttherapie, Bach-Blüten,
Musiktherapie, Johanniskraut, Kava-Kava, Homöopathie usw. Ein leider
wenig interessantes Buch. 194 Seiten, Frankfurt/Main: Mabuse Verlag
2000. DM 34.80 Peter Lehmann
Christoph Braendle / Theodor Cahn
/ Bruno Gasser: Buntes Haus. Ein Kunstprojekt mit Menschen in der Psychiatrie
Im Kanton Basel-Land steht 2002 in der Psychiatrie ein großes altes
Anstaltsgebäude ein Jahr lang leer und wird genutzt für ein Projekt,
das offen ist für alle Patienten und alle Ideen. Platz ist reichlich,
alles kann bemalt und gestaltet werden, Decken, Türen, Fenster, Schränke,
Wannen. Beeindruckende Bilder von Unterwasser- und Blumenwelten, Wald
und Traum, Schwarzem und Weißem Raum, Kitsch und Chaos zeigen neben
tagebuchartigen Skizzen, was in begrenzter Zeit alles möglich wird,
wenn der Raum zum Treiben und Übertreiben nur weit genug ist. (Die begleitenden
Texte und Befragungen verblassen daneben.) Gebunden, 228 Seiten, 4 schwarz-weiße
und 175 farbige Abbildungen, ISBN 3-7965-2094-4. Basel: Schwabe Verlag
2004. € 24.50 Kerstin Kempker
Peter Bräunig / Stephanie Krüger
/ Yvette Rosbander: Kinder bipolar erkrankter Eltern Wie sich
die bipolare Erkrankung eines Elternteils auf die Kinder auswirkt
Die Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen
e.V. »Kinder bipolar erkrankter Eltern« hat mich sehr bestürzt,
denn dieses Buch, das sich an die Eltern und das Helfersystem aus der
nicht medizinisch gebildeten Richtung wendet (z.B. SozialpädagogInnen
und FamilienhelferInnen, JugendamtsmitarbeiterInnen und Pflegeeltern,
evtl. auch an die Großeltern usw.) vermittelt in meinen Augen auch eine
sehr gefährliche Botschaft. Dieses zur Zeit seines Erscheinens Ende
2005 massiv beworbene Buch rät dazu, in jeder Unpässlichkeit der betreffenden
Kinder ein mögliches Krankheitssymptom der bipolaren Erkrankung zu vermuten,
obendrein werden schon Vorschläge für die medikamentöse Behandlung,
z.B. mit Lithium, gemacht und der deutschen Ärzteschaft viel Unwissenheit
vorgeworfen. Vor dem Hintergrundwissen, dass z.B. in einer öffentlichen
Sitzung im Münchner Stadtrat 2006 darüber gestritten wurde, wie mit
den vorhandenen Geldern die Kinder von substituierten Müttern davor
geschützt werden können, dass sie im schlimmsten Fall von ihren überforderten
Müttern mit Substitutionsmitteln ruhig gestellt werden, dass auch immer
öfter Doppeldiagnosen vorliegen und psychisch kranke Mütter oft in ähnlichen
Schwierigkeiten stecken wie drogenabhängige Mütter, sehe ich die Gefahr
einer unkontrollierten Medikamentengabe an die Kinder, die sich dann
sogar noch auf diese Publikation stützen könnte. Im nur etwas weniger
schlimmen Fall werden KinderärztInnen oder die ÄrztInnen von den Eltern
gedrängt oder fühlen sich berufen, zum Rezeptblock zu greifen. Wirklich
qualifizierte Kinder- und JugendpsychiaterInnen und TherapeutInnen sind
rar, ganze Regionen sind nicht versorgt. Ob der Autor und die Autorinnen
in dieser Hinsicht ausreichend qualifiziert und erfahren sind, weiß
ich nicht. Kartoniert, 172 Seiten, ISBN 978-3-8334-2584-4. Hamburg:
Books on Demand 2005. € 17.50 Elisabeth Haap
Peter R. Breggin: Giftige Psychiatrie. Band 1: Was Sie über
Psychopharmaka, Elektroschock, Genetik und Biologie bei »Schizophrenie«,
»Depression« und »manisch-depressiver Erkrankung«
wissen sollten!
Übersetzung des Buches »Toxic Psychiatry« des Psychiaters
Peter Breggin aus dem Amerikanischen. Umfangreiche, an der US-amerikanischen
Psychiatrie orientierte, aber dennoch sehr ausführliche und kompetente
Darstellung der Wirkungsweise, Risiken und Schäden von Neuroleptika,
Antidepressiva, Lithium und Elektroschocks. Ein Rundumschlag gegen die
Selbsttäuschungen, Halbwahrheiten und Lügen der Psychiatrie.
Kt., 345 S., Heidelberg: C. Auer Verlag 1996. DM 39.80 Peter Lehmann
Fritz Bremer / Hartwig Hansen / Jürgen Blume: Wie geht's uns
denn heute! Sozialpsychiatrie zwischen alten Idealen und neuen Herausforderungen Der Paranus Verlag hat (mehr oder weniger) engagierte Menschen gebeten,
deren Name mit der Idee der Psychiatriereform verbunden ist, ihre Sicht
der historischen und aktuellen Entwicklungen aufzuschreiben. Die zumeist
sozialpsychiatrischen Autoren berichten aus ihrer sozialpsychiatrischen
Sicht ohne diese kritisch zu reflektieren. Kartoniert, 241 Seiten,
Neumünster: Paranus Verlag 2001. DM 36. Ulrike Burgstaller
Dunja Breur: Ich lebe, weil du dich erinnerst. Frauen und Kinder
in Ravensbrück
Die holländische Künstlerin und Widerstandskämpferin
Aat Breur-Hibma dokumentierte ihre Zeit im Frauen-KZ Ravensbrück
in zahlreichen einzigartigen Zeichnungen, die sie im Lager heimlich
auf der Rückseite von Karteikarten machte und die ihre Tochter
Dunja erst Jahre nach der Zerschlagung des Faschismus entdeckte. Heute
werden die Originale im Amsterdamer Reichsmuseum aufbewahrt. Die Erlebnisse
der Mutter, die wie durch ein Wunder überlebte, sind durch Dunja
Breur bekannt geworden, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität
das Schicksal ihrer Mutter und das vieler Gefangener dem Vergessen entriss.
Emotional bewegende Probleme und Thematiken anzugehen hatte die Autorin
beim Clientenbond gelernt, der niederländischen Vereinigung von
Psychiatriebetroffenen. Die sorgfältig reproduzierten Kohlezeichnungen,
die authentischen Berichte über verrückt gewordene und über
ermordete Frauen sowie die späteren Interviews mit Überlebenden
sind eindrucksvolle Zeugnisse einer Welt des Terrors und der Gewalt,
aber auch über den Widerstand, durch den es einigen mutigen Frauen
gelang, andere vor dem Untergang zu retten und ihre Würde zu bewahren.
Ein mitreißendes Buch. Geb., 256 S., 51 Abb., 4 Photos, Berlin:
Nicolai Verlag 1997. DM 48. Kerstin Kempker
Karl-Ernst Brill: Psychisch Kranke im Recht Ein Wegweiser
Leider ein undifferenziertes und unbrauchbares Buch. Beispiel Thema
»Vorausverfügungen« (S. 23): entgegen der Angabe des
Autors braucht es im Prinzip keines Prüfvermerks eines Notars oder
Anwalts, denn die Erklärung ist grundsätzlich vom Psychiater
zu beachten. Beispiel »Behandlungsvereinbarungen« (S. 23):
der Hinweis auf die fehlende Rechtsverbindlichkeit fehlt. Beispiel Thema
»Weitergabe von Daten« (S. 26): jeder Hinweis auf die grundsätzliche
Schweigepflicht fehlt. Thema »Akteneinsicht, Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts«: komplette Fehlanzeige. Ein Wegweiser?
Höchstens auf die juristische Schleuderbahn. Kart., 156 S., Bonn:
Psychiatrie-Verlag 1998. DM 19.80 Peter Lehmann
Kelly Brogan / Kristin Loberg:
Die Wahrheit über weibliche Depression Warum sie nicht im
Kopf entsteht und ohne Medikamente heilbar ist
Für die US-amerikanische Ärztin und Psychiaterin Kelly Brogan (und
ihre Co-Autorin Kristin Loberg) haben Depressionen körperliche
Ursachen; gesellschaftliche Aspekte blenden sie aus. Angesichts des
qualitativ minderwertigen Essens in den USA (selbst Brot ist gezuckert
und für unsereins kaum genießbar) und einer Vielzahl synthetischer
Stoffe in der Umwelt verständlich, empfiehlt Kelly Brogan eine
Entgiftung des Körpers durch eine Veränderung des Lebensstils, gesunde
Ernährung und eine Beseitigung von Umweltgiften und Belastungsfaktoren
in Wohn- und Arbeitsräumen. Wer wie sie Entzündungen im Darm, erhöhten
Blutzucker, hormonell bedingte und sonstige Störungen im Körper für
die ausschließlichen Ursachen von Depressionen hält oder
Depressionen einzig über Einwirkungen auf den Körper bekämpfen
will, findet in dem Buch viele Handlungsansätze. Vor Antidepressiva
warnt sie, das sie die Selbstheilungsmechanismen des Körpers schwächen,
an den Ursachen von Depressionen vorbeizielen, schädlich für
den Körper sind und abhängig machen. Dafür gibt Kelly
Brogan eine Vielzahl von Ernährungsempfehlungen, legt Meditation,
geregelten Schlaf und körperliche Bewegung nahe sowie die Beseitigung
schädlicher Substanzen aus der Wohnung. Auch schädliche Körperpflegemittel
listet sie auf, die frau besser nicht anwendet. Stattdessen erläutert
sie ausführlich die Möglichkeiten, die Nahrungsergänzungsmittel,
Vitamine, Mineralstoffe, Fettsäuren und andere Substanzen bieten,
listet Kochrezepte auf (ihre Mutter ist italienische Köchin) und
schlägt ein 30-Tage-Selbsthilfeprogramm vor mit dem Motto: "Heißen
Sie Ihr neues, wunderbares Selbst willkommen!" Das Buch ist eine
Übersetzung aus dem Amerikanischen, 2016 im Original erschienen,
und dementsprechend ist mit US-amerikanischen Besonderheiten zu rechnen:
Erkenntnisse und Literatur aus dem nichtenglischen Sprachraum bleiben
ausgeblendet, die einzelnen Kapitel sind ständig mit Beispielen
und Anmerkungen aus dem Leben der Hauptautorin durchsetzt, all die Daten
beziehen sich auf Zustände in den USA. Erfahrungswissen von Psychiatriebetroffenen
ist Mangelware, psychotherapeutische Verfahren und organisierte Selbsthilfe
kommen aufgrund der biologisch-individualistischen Sichtweise von Kelly
Brogan nicht vor. Wen dies alles nicht stört, findet in dem Buch
eine Vielzahl lesenswerter Informationen. Diese sind zwar an Frauen
adressiert, können jedoch bis auf wenige Ausnahmen auch für
depressive Männer interessant sein. Kartoniert, 432 Seiten, ISBN
978-3-407-86412-3. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2016. €
18.95 Peter Lehmann
Thomas Bronisch (Hg.): Psychotherapie der Suizidalität. Krankheitsmodelle
und Therapiepraxis erklärungsspezifisch und schulenübergreifend
Der Herausgeber ist Oberarzt der geschlossenen Station an der Anstalt
des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Alle
seine AutorInnen sind Kollegen aus psychiatrischen Anstalten, entsprechend
bevorzugen alle mehr oder weniger deutlich eine parallele Psychopharmakaverabreichung
als »Therapie«. Der Sinn einer Psychotherapie unter persönlichkeitsveränderndem
Psychopharmaka-Einfluss wird dabei ebensowenig diskutiert wie die mögliche
und häufige suizidale Wirkung sedierender Neuroleptika. Kart.,
XI + 133 156 S., ISBN 3-13-130021-3. Stuttgart: Thieme 2002. €
39.95 Peter Lehmann
Brückenschlag 25: Wahn Sinn Wirklichkeit
Ein neuer Brückenschlag Zeitschrift für Sozialpsychiatrie
ist erschienen. Wie der Zeitschriftentitel sagt: Es ist ein Heft für
die Sozialpsychiatrie, insofern sind die meisten Beiträge, insbesondere
diejenigen der Profis, ausnahmslos sozialpsychiatrisch geprägt, d.h.
sie schließen eine kritische Betrachtungsweise der eigenen Weltsicht
von vornherein aus, da sie Sozialpsychiatrie an sich für kritisch genug
halten. Dennoch sind in dem Heft einige Beiträge enthalten jenseits
dieser ideologischen Grenzen: u.a. Dorothea Bucks Rede bei der Gedenkveranstaltung
für die Opfer der »Euthanasie« und Zwangssterilisation während
des Nationalsozialismus vom 8. September 2008 in Berlin; Brigitte Richters
»Meine Psychose gehört mir«, in dem sie auf 33 Jahre Erfahrung
als Psychiatriebetroffene, dann psychosozial Tätige und Ehrenamtliche
zurückblickt und sich vehement gegen die in dem Band ansonsten
gerne verwendete Schublade »des Psychotikers« wendet;
Christine Wiedemanns Bericht von ihrer Ex-In-Ausbildung, die ihr zur
Reflexion, Stärkung des Selbstwertgefühls, Stelle auf 400-€-Basis
und Lehrauftrag verhilft; Karsten Kirschkes mit sehenswerten Zeichnungen
bebilderte kurze und prägnante Beschreibung, wie er mit künstlerischen
Zeichnungen seine Paranoia fixiert und gleichfalls entzaubert; Marina
Gerdes' »Wirklich wahnsinnig« ein Artikel, in dem sie
auf ihre katastrophale Kindheit mit Missbrauch und religiöser Indoktrination,
nachfolgender Psychose und deren Überwindung eingeht, indem sie .......
Aber lesen Sie doch besser selbst. Kartoniert, 238 Seiten, viele farbige
Abbildungen, ISBN 978-3-940636-03-4. Neumünster: Paranus Verlag Die
Brücke, Band 25/2009. € 15. Peter Lehmann
Brückenschlag 21: Stimmen Welten
Schon immer hörten die Weisen und die Heiligen Stimmen. Dann verstummten
die Götter, und das Unhörbare verschwand in der Psychiatrie.
Fallbeispiele, Erfahrungsberichte, Gedichte, viel Himmel und Hölle,
wenig Witz und Selbstironie. Stimmenhörer sind nicht verrückt,
»man kann mit ihnen reden«. Aha. Kartoniert, 218 Seiten, 20
farbige und 1 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 3-926200-63-4. Neumünster:
Paranus Verlag 2005. € 15. Peter Lehmann
Brückenschlag 9: Natur, Zerstörung, Seele Von Umwelten
und Innenwelten
Wie die Herausgeber mitteilen, spielt die innere Haltung zwischen Empfinden,
Verdrängen und Hilflosigkeit angesichts der wachsenden globalen
Bedrohung eine wichtige Rolle in diesem Brückenschlag. Fragen
werden gestellt wie: Ist das Ozonloch das Loch in uns? Wieviel Verdrängung
braucht der Mensch, um angesichts der täglich wachsenden Bedrohung
morgens noch das Bett verlassen zu können? Wie halten wir das aus?
Dazu haben die beiden Herausgeber, Fritz Bremer und Michael Kruhl, Meinungen,
Ängste, Vorschläge, Befürchtungen, Hoffnungen, Zweifel
und Ideen zusammengetragen, Texte, Prosa wie Lyrik, und Bilder von Psychiatriebetroffenen
und anderen Verrückten, von Psychiatern, Literaten und Literatinnen,
in der Summe weder pro- noch antipsychiatrisch, ein wildes Gemisch,
ich zähle 71 Urheber und Urheberinnen. Ein Pendent zum tendenziell
sehr intellektuellen »Wahnwelten im Zusammenstoß Die
Psychose als Spiegel der Zeit«, herausgegeben von Rudolf Heinz,
Dietmar Kamper und Ulrich Sonnemann (Berlin 1993). Obwohl sozialpsychiatrische
Zeitschrift, haben die Herausgeber doch auf jegliche Kommentierung der
Texte verzichtet, dankenswerterweise. So wirken zwei Texte des unsäglichen
Psychiaters Navratil, der nichts anderes kann als verrückte und
psychiatrisierte Literaten auszuschlachten und zu pathologisieren, als
Fremdkörper im Band. Wie gesagt, Ausnahme, und so bietet sich der
Brückenschlag für all die noch unbekannten Autorinnen
und Autoren, die vergeblich Publikationsmöglichkeiten für
kurze Texte suchen, möglicherweise als Veröffentlichungsorgan
an, jedenfalls solange, wie es noch keine Zeitschrift für Antipsychiatrie,
Literatur und Kunst gibt. Andererseits wird es höchste Zeit, dass
solch eine Zeitschrift entsteht, denn all das liebe sozialpsychiatrische
Miteinander dient auch dazu, Grenzen zu verwischen, sozialpsychiatrische
Gewalttäter und deren Opfer, Menschen mit Neuroleptika-bedingten
tardiven Dyskinesien oder Elektrogeschockte, als scheinbar Gleiche in
ein Boot zu setzen, und dabei ist von vornherein klar, wer wen bei nächster
Gelegenheit über Bord gehen lässt. Kart., 260 S., 28 Abb.
Neumünster: Paranus Verlag 1993. DM 19.50 Peter Lehmann
Burkhart Brückner: Geschichte
der Psychiatrie
Als erstes fällt mir beim Lesen auf, dass der Autor Versuchung
widersteht, der so viele zeitgemäße Autoren erliegen: es
allen recht machen zu wollen, auch die Perspektive von Betroffenen einzubeziehen.
Sein Buch versteht er als Ressource für die professionelle Identitätsbildung
und Selbstreflexion im kollegialen Gespräch, es geht ihm
einzig um die Perspektive von psychiatrisch Tätigen. Störende
und unbequeme Lebens- und Sinnesweisen inkl. Verrücktheit und Krisen
mitsamt ihrem Veränderungspotenzial sind für ihn »schweres
psychisches Leid«, Psychiatriebetroffene, also auch solche, denen
beispielsweise ohne Zustimmung Elektro- und Insulinschocks verabreicht
oder die mit neurotoxischen Psychodrogen zwangsgespritzt werden, nennt
er »Nutzer psychiatrischer Einrichtungen«. Diese realitätsfremde,
unter Psychiatern und ihren Freunden allerdings verbreitete Sichtweise
überrascht. Manch kritischer Psychiatriebetroffene wird das Buch
deshalb schon bei der Einleitung wieder zurück ins Verkaufsregal
stellen. Liest man über die einleitende Vorbemerkung hinaus, findet
man komprimierte Erläuterungen zum frühen Umgang mit Verrücktheit
im Altertum (Ägypter, Griechen, Römer), im Mittelalter (es
geht u.a. um die mystischen Erfahrungen der Margery Kempe und die Kräutermedizin
der Hildegard von Bingen), das belgische Geel, das sich verändernde
Menschenbild in der Renaissance, barocke Tollhäuser und die aufkommende
Hirnforschung, die immer mehr Mediziner störende und unbequeme
Lebens- und Sinnesweisen kurzschlüssig als Störungen des Nervensystems
verstehen lässt. Hier bietet das Buch intelligente übersichtliche
Einheiten. Der Autor kommt dann im 18. Jahrhundert und seinen Zucht-,
Arbeits- und Tollhäusern an, in die »psychisch beeinträchtigte
Personen« abgeschoben werden, und dann der Anstaltspsychiatrie
des beginnenden 19. Jahrhundert sowie Psychiatern, die menschenunwürdige
Wegsperren kritisieren, psychologisch aufbauende Behandlungsverfahren
einführen, dennoch nicht auf auch brutale Zwangsmaßnahmen
verzichten mögen, wenn sie diese für nötig halten. Allerdings,
und das liest man gerne, gab es schon ab Mitte des 18. Jahrhunderts
Stimmen unter Psychiatern, die nahezu generell Zwangsmaßnahmen
ablehnten und Behandlungserfolge mit humanen Methoden nachwiesen, ohne
dass dies allerdings ihre Kollegenschaft groß interessiert hätte.
Schließlich landen wir bei der biopsychosozialen Psychiatrie des
beginnenden 20. Jahrhunderts und Emil Kraepelin, dem der Autor auch
seine reaktionäre psychiatriepolitische Haltung vorhält, leider
verzichtet er darauf, ihn, Kraepelins verheerende Rolle in der deutschen
Psychiatriegeschichte herauszustreichen, ist dieser Psychiater doch
immer noch auch nach den Erfahrungen mit dem Hitlerfaschismus
hochgeschätzt, obwohl er schon Ende des zweiten Jahrzehnts
des 20. Jahrhunderts für einen rücksichtslos in die Lebensgewohnheiten
der Menschen eingreifenden Herrscher plädierte, um eine Abnahme
des »Irreseins« zu erreichen. Über Bleuler, Jaspers und
die Psychiatrie der Weimarer Republik stößt der Autor zum
Cardiazol- und Elektroschock vor; letzterer werde heute noch durchgeführt,
allerdings in modifizierter Weise und strenger Indikation. Die Begründung,
weshalb ein mit einem »modifizierten« Stromschlag ausgelöster
epileptischer Anfall unter »strenger« Indikation im konkreten
Fall weniger Hirnschäden verursachen soll als derselbe epileptische
Anfall, der mit einem unmodizifierten Stromschlag und nicht »strenger«
Indikation ausgelöst wird, fehlt allerdings. Das folgende Kapitel
befasst sich mit den psychiatrischen Massenmorden während der Nazizeit,
und zuletzt folgt das Kapitel der psychiatrischen Psychopharmaka und
ihren Risiken und Schäden, bei Neuroleptika im »Einzellfall«
irreversible chronische Muskelstörungen. Betrachtungen zur Sozial-
und Gemeindepsychiatrie schließen das Buch ab, wobei hier Protagonisten
aller Couleur von Basaglia über Dorothea Buch bis hin zu
Dörner, Foucault und selbst Vertreter der humanistischen
Antipsychiatrie eingemeindet sind; unterschiedliche Folgen aus deren
teilweise entgegengesetzten Denk- und Handlungsstrategien sind nicht
mehr zu erkennen. Was hat beispielsweise die Gemeindepsychiatrie (als
Weiterentwicklung der Psychiatrie) mit ihrer Überwachung der Langzeitverabreichung
psychiatrischer Psychopharmaka und die in deren Folge zu verzeichnende
um durchschnittlich zwei bis drei Jahrzehnte reduzierte Lebenserwartung
auf Seiten der Behandelten (vom Autor leider nicht erwähnt) in
gleichen Kapitel zu suchen wie die Organisierung der Betroffenen, die
in der bundesdeutschen (Gemeinde-)Psychiatriereform systematisch ausgeschlossen
waren und verzweifelt Alternativen zur Gemeindepsychiatrie fordern?
Am Schluss stellt der Autor offene Fragen u.a. zur Versorgung von Wohnungslosen,
Alten, Heimbewohnern, zum Einfluss der Pharmaindustrie, zur Zunahme
psychiatrischer Diagnosen, zur psychotherapeutischen Unterversorgung
und schreibt, das geschichtliche Wissen helfe, für eine sozial
gerechte Kultur des psychiatrischen Helfens die Fragen »richtig«
zu stellen. An seiner Stelle würde ich mir eine Reflexion der notwendigen
Grenzen einer einseitigen Betrachtungsweise (aus der Sicht eines Professionellen
wünschen) und die Frage, wie Psychiatriebetroffene bzw. deren Verbände
wirksam in Reformstrategien miteinbezogen werden können, wenn es
um die Stellung der »richtigen Fragen« zur Psychiatrieentwicklung
geht. Ansonsten besteht die Gefahr, dass aus einer wohlmeinenden, auch
kritische Momente einschließenden Darstellung der Psychiatriegeschichte
von Professionellen für Professionelle doch wieder die ewig gleiche
wohlmeinende Bevormundung folgt und das Motto »Nothing about us
without us!« (»Nichts über uns ohne uns!«) weiterhin
bloße Worte bleiben. Kartoniert, 159 Seiten, 16 schwarz-weiße
Abbildungen, ISBN 978-3-88414-494-7. Bonn: Psychiatrie-Verlag 2010.
€ 16.95 Peter Lehmann
Claudia
Brügge: Wohin mit dem Wahnsinn? Ausgewählte Aspekte der Kontroverse
um Anstaltspsychiatrie und mögliche Alternativen Kritischer
Überblick über psychiatrische, antipsychiatrische und feministische
Positionen am Beispiel der Konzeptionen von Soteria (Bern), vom
Weglaufhausprojekt Berlin und vom Therapieansatz Polina Hilsenbecks (München)
Jenseits von Scheinalternativen und politischer Utopie? »...Niemals
hatte ich mit jemandem über das sprechen können, was für
mich ein so wesentliches und sinnvolles Erleben war, auch wenn ich es
nicht verstehen konnte. Es galt als geisteskrank und wurde nur mit Schocks
bekämpft; es zu verstehen oder auch nur danach zu fragen, schien
keinem Psychiater der Mühe wert....« Dreißig Jahre nach
ihrem Anstaltsaufenthalt hat Dorothea Sophie Buck-Zerchin (Auf der Spur
des Morgensterns) mit diesen Worten den bis heute unerhörten Anspruch
derjenigen auf den Punkt gebracht, die von der Gesellschaft, ihren Mitmenschen,
Freunden und Zufallsbegegnungen, Fremden und Bekannten als verrückt
angesehen werden. Während im Zentrum der gesellschaftlichen Reaktion
auf verrückte Äußerungen heute wie gestern
die psychiatrische Anstalt und ihre Zwangsmittel stehen, verklingt der
Anspruch einer humanen Umgangsweise, der Anspruch auf Verständnis
und gleichberechtigter Verständigung weitgehend ungehört. In
»Wohin mit dem Wahnsinn« liefert Claudia Brügge eine dezidiert
wissenschaftlich argumentierende Untersuchung des Umgangs der Anstaltspsychiatrie
mit »psychotischen« Verhaltensweisen und alternativer Vorgehensweisen
jenseits des etablierten psychiatrischen Versorgungssystems. Dabei lässt
sie keinen Zweifel daran, was ihre Forschungen motiviert hat, wenn sie
betont, dass »ein entscheidender Motor« ihrer Arbeit »Wut
und Entsetzen über Gewaltmaßnahmen der Psychiatrie, psychische
Folgewirkungen und gesellschaftliche Ausgrenzung von Psychiatriebetroffenen«
war. Im Zentrum ihres Interesses steht dabei der Umgang mit dem Wahn,
also dem Verhalten, das im psychiatrischen Jargon als »psychotisch«
bezeichnet wird. Ihre Untersuchung versteht sich konsequent als Plädoyer,
»sich mit dem subjektiven Erleben von 'Wahnsinn' zu beschäftigen,
sich verstärkt seinen Inhalten zuzuwenden.« Die Frage, ob es
alternative Umgangsweisen mit sogenanntem psychotischem Verhalten gibt,
oder die Anstaltspsychiatrie und ihre extremen Zwangsmechanismen weiterhin
als ultima ratio angesehen werden müssen, wird von der Autorin keineswegs
rein theoretisch oder gar mit philosophischen Mitteln untersucht (dafür
wäre die Lektüre von Denkern, wie Robert D. Laing, Foucault
oder Deleuze ohnehin besser geeignet). So räumt sie der Darstellung
ganz konkreter psychiatriekritischer und antipsychiatrischer Institutionen
in ihrer Arbeit viel Platz ein: Können diese Einrichtungen der Subjektivität
der Betroffenen wirklich besser gerecht werden; bringen sie es fertig
einen qualitativen Unterschied ihrer Strukturen zu etablieren? Wie wirkt
sich das andere/neue Verständnis wahnhaften Verhaltens in der Praxis
aus? Nicht zuletzt wurde Claudia Brügge dabei von der Frage geleitet,
ob sie selbst eine dieser Einrichtungen einem Betroffenen, einem nach
landläufigem Verständnis »Behandlungsbedürftigen«,
weiterempfehlen würde. Der erste Teil des Buches ist einer allgemeinen
Diskussion von psychiatrischen und »antipsychiatrischen« Positionen
zur Anstalt und ihren Zwangsmitteln gewidmet, während sich der zweite
Teil mit den in der »Soteria Bern«, dem »Frauentherapiezentrum
München« und dem »Weglaufhaus Berlin« etablierten
Alternativen zu herkömmlichen Institutionen befasst. In einem Anhang
gibt es ausführliche Interviews mit Vertretern dieser Einrichtungen.
In einem extra Kapitel hat Claudia Brügge (die selbst für Wildwasser
Bielefeld einer Anlauf- und Beratungsstelle für Frauen, die
in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erlebt haben gearbeitet hat)
sich mit der feministischen Psychiatriekritik beschäftigt. Ein Blickwinkel,
der für die ganze Studie prägend geblieben ist. Um noch einmal
die Autorin selbst zur Sprache kommen zu lassen: »Ausgehend von der
Tatsache, dass hier und heute keinesfalls strukturelle Umwälzungen
dieses Gesellschaftssystems (zum Besseren hin) zu erwarten sind«,
bietet Claudia Brügge eine lesenswerte Einführung in aktuelle
alternative Konzepte zur etablierten Psychiatrie, die von der Theorie
in die Praxis gefunden haben. Allerdings scheint zumindest das Interview
mit Vertretern des Berliner Weglaufhauses erneuerungsbedürftig, da
es vor dessen Eröffnung geführt worden ist (zur Praxis im Weglaufhaus:
Kerstin
Kempker (Hg.) Flucht in die Wirklichkeit). Lesenswert ist dieses
Buch für alle, deren Interesse an Alternativen zur Psychiatrie nicht
bei der bloßen Theorie halt macht. Für Leute also, die der
fundierte wissenschaftliche Hintergrund dieses Buches nicht abschreckt,
die aber außerdem wissen wollen, wie die Wirklichkeit hinter den
Konzepten aussieht. Kartoniert, 275 Seiten, 6 Abbildungen, ISBN 978-3-925931-29-1.
Berlin: Antipsychiatrieverlag, korrigierte Neuausgabe 2004. € 29.90 Lucinda Bee
Rolf Brüggemann: Pharmawerbung. Bilderbuch einer Drogenideologie
Klappentext des Mabuse-Verlags: »Pharmawerbung befasst sich mit
der Arzneimittelwerbung speziell in den Printmedien. Eine umfangreiche
Dokumentation und kritische Analyse macht die Zusammenhänge zwischen
Pharmaindustrie, Marketing und pervertiertem Gesundheitsbetrieb deutlich.«
Gut lesbares, mit viel einschlägiger Anzeigenwerbung angereichertes
Buch, geeignet zum ersten Einstieg in die Thematik, enthält das
Heilmittelwerbegesetz. Da der Autor als Psychologe in der Anstalt arbeitet,
beschränkt sich seine Psychiatriekritik auf die Forderung: Personal
statt Pharmaka. Kartoniert, 180 Seiten, Frankfurt/M.: Mabuseverlag 1990.
DM 29.80 Kerstin Kempker
Rolf Brüggemann / Gisela Schmid-Krebs: Verortungen der Seele
Locating the Soul / Psychiatrie-Museen in Europa Museums
of Psychiatry in Europe
Zweisprachige &Uml;bersicht über 100 europäische Psychiatriemuseen, Ausstellungen,
Gedenkstätten und verwandte Einrichtungen, die »das schwierige
Thema der Psychiatrie« beleuchten sollen, so die beiden AutorInnen.
Sie sprechen von »Zeugnissen einer therapeutischen Kultur«,
die die Museen mitsamt der Weiterentwicklung ihrer Intentionen präsentieren
will. Dass Fixiergurte, Zwangsjacken und Elektroschockgeräte in
im ersten Kapitel aufgelisteten Museen gezeigt werden und so
der Eindruck entsteht, es handele sich um aus dem Gebrauch gekommene
psychiatrischen Mittel zur Freiheitsberaubung und Körperverletzung,
stört die Autoren eher nicht, sicher auch nicht die Sponsoren, zu denen
u.a. die Pharmamultis Janssen-Cilag, Pfizer Pharma und Wyeth Pharma
gehören. Zweites Kapitel im Buch: Gedenkstätten des psychiatrischen
Massenmords, von den Autoren etwas irritierend als Euthanasie (aus dem
Griechischen, deutsch: »sehr schöner Tod«) bezeichnet; irritierend,
da sie durchaus deutlich die Mordtaten während der NS-Zeit benennen,
die in den Gedenkstätten dokumentiert sind. Anschließend folgen exemplarische
Kunstinitiativen zu »künstlerischen Werken psychisch kranker Menschen«.
Eine »Kunst der Psychiatrie« (damit meinen die Autoren Kunst
von Menschen mit psychiatrischen Diagnosen) gebe es zwar kaum, wie es
Verweis auf Jean Dubuffet auch keine Kunst der Kniekranken
gebe, nichtsdestotrotz werden sie dargestellt. Zu aller Letzt (»Nach
der Pflicht folgt die Kür«) kommen noch eine Handvoll Orte, die
auch irgendwie mit der Seele zu tun haben, das Berliner Erotik-Museum
des Beate-Uhse-Konzerns beispielsweise oder der katholische Wallfahrtsort
Lourdes. Kartoniert, 205 Seiten, viele farbige und schwarz-weiße
Illustrationen, ISBN 978-3-938304-48-8. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag
2007. € 29.90 Peter Lehmann
Georg Bruns: Ordnungsmacht Psychiatrie? Psychiatrische Zwangseinweisung
als soziale Kontrolle
Obwohl auch Psychiater, bringt Bruns, Soziologe, eine Vielzahl präziser
Daten zur Psychiatrie-Entwicklung im gesamten Deutschland. Bruns im Vorwort:
»In den 1970er- und 1980er-Jahren war ich engagierter Mitarbeiter
der Reformpsychiatrie und an der Planung und Verwirklichung mancher sozialpsychiatrischer
Konzepte in der als liberal und sozial geltenden Freien Hansestadt Bremen
beteiligt. Im Jahre 1984 begann ich erstmals, Zahlen über die Entwicklung
der Zwangseinweisungen in Bremen zusammenzustellen, damals in der festen
Überzeugung, ihren Rückgang im Gefolge einer Öffnung der
Psychiatrie und der Einrichtung sozialpsychiatrischer Dienste in der Stadt
belegen zu können. Desto größer war meine Erstaunen, dass
die Entwicklung genau gegenläufig war. Dieses Ergebnis verlangte
nach Aufklärung. Die systematische empirische Untersuchung von Zwangseinweisungen,
z.T. auch in Regionen und Kliniken außerhalb Bremens, zeigte, dass
Bremen mit dieser Entwicklung nicht alleine stand.« Ohne Vorwort
von Dörner. Kart., 263 S., Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1993.
DM 48. Peter Lehmann
Tom Bschor: Antidepressiva.
Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte
Tom Bschor, Chefarzt der Psychiatrischen Abteilung der Schlosspark-Klinik
in Berlin-Charlottenburg und Mitautor der Behandlungsleitlinie für
Depressionen, hat ein interessantes Buch über Antidepressiva geschrieben.
Der Autor gesteht ein, dass »die Wissenschaft« bezüglich
der Entstehung von Depressionen im Dunkeln tappe, wobei er mit Wissenschaft
vermutlich die Neurobiologie meint; sozialwissenschaftliche Erklärungen
von Depressionen sind schon etwas weiter. Anschaulich erklärt er
die Geschichte der Antidepressiva und Erklärungsversuche deren Wirkungsweise.
Dabei verwendet er viele sinnvolle Metapher und eine ausgesprochen gut
verständliche Sprache, so dass auch Nichtmediziner seinen Aussagen
ohne das Wälzen von Fremdwörterbüchern problemlos folgen
können. Anhand von Studien zum Placebo-Effekt erklärt er die
nicht vorhandene oder nur eingeschränkte biochemische Wirkungsweise
von Antidepressiva, und anders als seine Kollegen verquickt er ihre Wirksamkeit
mit den unerwünschten Wirkungen, um dadurch zu alles anderem als
einer positiven Einschätzung von Antidepressiva zu kommen. Unstrittig
sei, so Bschor, dass der größte Anteil an der Wirkung von Antidepressiva
auf den Placebo-Effekt zurückgehe. Insofern sei die Bezeichnung »Antidepressiva«
für diese Substanzen irreführend, eher ein Marketing-Zweck.
Weitere wichtige Themen sind die gelegentliche suizidale Wirkung von Antidepressiva,
vor der er in deutlichen Worten warnt, sowie Entzugssymptome und Reboundphänomene,
d.h. die beschleunigte Rückkehr von Depressionen nach möglicherweise
zu schnellem Absetzen. Da aber keine Sucht nach Antidepressiva entstehe,
könne man von einer Abhängigkeit nicht sprechen, so seine allerdings
nur für Mainstream-Psychiater logische Verquickung von Sucht und
Abhängigkeit. Nichtsdestrotrotz sei die Befürchtung besorgniserregend,
dass Rebounds nach dem Absetzen drohen und die eventuelle Besserung einer
aktuellen Depression damit erkauft werde, dass nach dem Absetzen eine
womöglich stärkere Depression einsetzt. Hier fehlt mir ein Verweis
auf die Studien des Psychiaters Giovanni Fava von der Universität
Bologna oder die Informationen des Humanbiologen Peter Ansari (in seinem
Buch »Unglück auf Rezept«, gemeinsam mit Sabine Ansari)
zu den Themen Toleranzbildung, mit der Zeit nachlassende oder verschwindende
pharmakologische Wirkung, Veränderung der Depression in Richtung
bipolare, das heißt manisch-depressive Störung, Chronifizierung
von Depressionen durch Antidepressiva sowie Bildung von Behandlungsresistenzen
und beschleunigten Rückfällen auch unter Antidepressiva. Leider
geht Tom Bschor (noch) nicht so weit. Insofern kommt er im zweiten Buchteil
zum Ergebnis: auch wenn die Hälfte der Betroffenen nicht auf die
Antidepressiva »anspreche«, seien Antidepressiva insgesamt doch
wirksamer als Placebos, und bei ernsten Depressionen oder wenn die Betroffenen
es wünschen oder wenn kein Psychotherapieplatz verfügbar sei,
solle in jedem Fall ein Behandlungsversuch gewagt werden. Zudem böten
Antidepressiva einen besseren Rückfallschutz, je länger man
sie einnehme; Belege für eine solche umstrittene Aussage nennt er
allerdings nicht. Wer sich für Antidepressiva entscheide, solle sich
allerdings zuvor damit beschäftigen, was passiere, wenn eines Tages
das Antidepressivum wieder abgesetzt werde, weshalb die Entscheidung pro
Antidepressiva sehr zurückhaltend ausfallen und auf schwerste Depressionen
beschränkt bleiben sollte. Nach diesen Bedenken folgen eine Reihe
sinnvoller Alternativen zu Antidepressiva, Regeln für einen guten
Schlaf, Selbsthilfe, Bewegung, Therapie etc. Dies liest sich alles prima,
bis Tom Bschor ohne auf die Ursache von Behandlungsresistenzen
einzugehen, nämlich den mit der Zeit eintretenden Wirkungsverlust
von Antidepressiva bei »therapieresistenten« Depressionen
Elektroschocks anpreist: als gut bewährte, sichere und verträgliche
Maßnahmen. Dass er dabei Aussagen zum Beispiel des US-amerikanischen
Psychiaterverbands APA komplett ignoriert, wonach Elektroschocks zu langanhaltendem
oder dauerhaftem Gedächtnisverlust führen können, wie auch
betroffenenorientierte Studien, die eine hohes Ausmaß von Langzeitschäden
zutage förderten, hinterlässt einen äußerst bitteren
Nachgeschmack. Rezension
im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 223 Seiten, ISBN 978-3-517-09736-7.
München: Südwest Verlag 2018. € 20. Peter Lehmann
Dorothea Buck: Mit meinen herzlichen Grüßen! Ihre Dorothea Buck. Der Gartenhaus-Briefwechsel
Das Buch ist eine Dokumentation von Briefwechseln: Briefe an Dorothea
Buck, Gründerin und Ehrenvorsitzende des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener
e.V., als Reaktion unter anderem auf ihr Buch "Auf der Spur des Morgensterns"
sowie auf Fernseh- oder Rundfunkauftritte. Die Herausgeber Hartwig Hansen
und Fritz Bremer haben 20 Ordner mit gesammelten Briefen von Betroffenen,
Angehörigen und Profis sowie Durchschlägen der Antworten durchforscht
und nach Themengebieten geordnet, mit Schwerpunkt auf lebenspraktische
Anliegen und eigenem Psychoseverständnis. Mit beeindruckender Klarheit,
Ausführlichkeit, Integrität und Geduld geht Dorothea Buck auf
eine kaum überschaubare Palette von Themen ein: Deutung von Wahninhalten,
familiäre Probleme, Berufs- und Studienwahl, Faschismus, Psychopharmaka,
Schlafstörungen, naturheilkundliche Mittel, Fußbäder,
Vorausverfügungen, Chaostheorie, Psychoseseminare, Selbstdiskriminierung
durch Übernahme psychiatrischer Diagnostik, Vorenthalten von Gesprächen
in der Psychiatrie, Soteria, Veränderung der Psychiatrie etc. All
ihre Briefe sind getragen von Hoffnung, Zuversicht und Ermutigung zur
Selbsthilfe, sie kommentiert, erklärt, macht konkrete Ratschläge.
Wenn man sich fragt, wo sie all die Kraft und Zeit hergenommen hat, so
ausführlich und individuell auf all die Briefe voller existenzieller
Problemen einzugehen, ergibt sich der Großteil der Antwort sicher
aus ihrer Einsicht der Gabe und Berufung, andere Psychiatriebetroffene
ermutigen zu können, und aus ihrem Gottvertrauen und christlichen
Glauben, den sie wohltuend ohne jegliches pastorale Brimborium äußert.
Und dann ist da noch die zusätzliche, Kraft gebende Wertschätzung
ihrer Einsichten und Äußerungen, die in den Briefen an sie
enthalten ist. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 205 Seiten, ISBN 978-3-940636-37-9.
Neumünster: Paranus Verlag 2016. € 19.95 Peter Lehmann
Martina E. Büchel: Ich mach auch mein Ding. Wer Träume leben
will, muss Ängste bekämpfen
Krankheitseinsichtig und Psychopharmaka im Bedarfsfall durchaus zugetan,
will Martina Büchel, von 2008 bis 2010 Psychiatriepatientin, Informationen
über die Wurzeln der Depression und ihren Zusammenhang mit der heutigen
Arbeitswelt geben, ebenso über herkömmliche und alternative Methoden
der Psychiatrie sowie über die Bedeutung von Glauben und Kreativität
für die Heilung. Sie will Angehörigen und Betroffenen Mut machen. Das
ist löblich. In lose zusammenhängenden Kapiteln listet sie eigene Gedanken
auf, Zitate, Gedichte, Berichte ihres Suizidversuchs, spricht Inhalte
von Artikel oder Fernsehsendungen an, die sie interessant fand. Ob sich
auch andere dafür interessieren, ist eine andere Sache. Hildegard von
Bingen, Robert Enke, Prinzhorn-Sammlung, Soteria, Vincent van Gogh,
Hermann Hesse, Gustl Mollath, Zwangsbehandlung, DSM-V, ICD-10, Burnout,
DGSP, Ex-In, Gärtnern, Theaterspielen, Kunsttherapie, Singen, Schreiben,
Bene-Dekrete, Oma, Sinn von Krisen ... eine wilde Mischung von Themen
greift die Autorin auf, oft nur mit einem Satz, und leicht fällt ihr
der Übergang von ihren individuellen Erfahrungen zur Verallgemeinerung.
»Wie fühlt sich eine Betroffene in der Psychiatrie« hat den
Unterton, als würden sich alle Betroffenen ähnlich fühlen. »In
Akutphasen ist der Einsatz von Medikamenten notwendig, um die Symptome
zu bekämpfen.« Sie setzt ihre persönliche Erfahrung und Haltung
absolut, die darin enthaltene Bevormundung anderer Psychiatrie-Betroffener
wäre bei einem Lektorat des Buches besser entfernt worden. In einem
Kapitel teilt sie mit, was ihr nach der Psychiatrie in einer Tagesstätte
gut getan und wie sie dort den Weg zu Stärke und Selbstbewusstsein gefunden
hat, um frei nach Udo Lindenberg auch ihr Ding zu machen.
Und das hat sie gemacht. Sie hat ihr Buch geschrieben, den psychosozialen
Bereich verlassen und geht jetzt ihre eigenen Wege. Rezension
im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 173 Seiten, 14 farbige Abbildungen,
ISBN 978-3-938266-13-9. Steinfeld: Bernd Reimer Edition 2014. €
15.60 Peter Lehmann
Huub Buijssen: Depression. Helfen
und sich nicht verlieren. Ein Ratgeber für Freunde und Familie
Laut Klappentext will der Autor, ein Psychologe aus den Niederlanden,
Angehörigen zeigen, wie man depressiven Menschen helfen kann, ohne
sich selbst zu verlieren. Neben Pflege der Partnerbeziehung, Psychotherapie,
Bewegung u.v.m. empfiehlt Bujssen auch Antidepressiva und Elektroschock,
der »kaum Nebenwirkungen« habe und eine Effektivität
habe, die »verblüffend hoch« sei. Einleitend will der
Autor Haftungsansprüche im Falle von Personen-, Sach- und Vermögensschäden
für den Fall ausschließen, dass jemand infolge seiner Ratschläge
zu Schaden kommt, da seine Ratschläge »mit größter
Sorgfalt« geprüft worden seien. Auch der Verlag könne
keine Garantie übernehmen. Eine Garantie zu verlangen für
irgendwelche Ratschläge wäre sicher absurd. Aber wer die Risiken
von Elektroschocks derart bagatellisiert und all die Publikationen von
Experten (John Friedberg, Peter Breggin, Marc Rufer, Leonard Frank u.v.m.)
verschweigt und damit Betroffene und ihre Familien möglicherlicherweise
dazu verleitet, die Zustimmung zu dieser Methode zu geben, die aus der
Auslösung eines epileptischen Anfalls besteht und zu irreversiblen
Hirnzellschäden führen kann, sollte früher oder später
mit Haftungsansprüchen rechnen. Gebunden, 187 Seiten, ISBN 978-3-407-85919-8.
Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2011. € 17.95 Peter Lehmann
Antje Bultmann / Friedmann Schmithals (Hg.): Käufliche Wissenschaft.
Experten im Dienst von Industrie und Politik
Vorwort von Carl Amery. U.a. über die Rolle von Gutachtern vor
Gericht. Und mit einem 34seitigen Beitrag Marc Rufers über einen
verhängnisvollen psychiatrischen Kunstfehler: Dieser
hatte Carl W. eine 23 Jahre währende Psychiatrisierung eingebracht
und der Psychiatrie schließlich eine Klage auf Schmerzensgeld
in Höhe von 130.000 sFr wegen jahrelanger auch formal ungerechtfertigter
Unterbringung sowie wegen Behandlungsschäden (tardive Dyskinesie).
Am 22.1.1994 gewann Carl W. die Klage in letzter Instanz und erhält
nun mit Zins und Zinseszins 190000 sFr. Kart., 413 S., München
1994: Knaur Taschenbuch Nr. 77115. DM 16.90 Peter Lehmann
Carola Burkhardt-Neumann: Wegweiser Psychopharmaka. Wirkstoffe für
die Seele
Hat die Psychiaterin Burkhardt-Neumann ihr Buch siehe die Links
auf den empfohlenen Websites für die pharmafirmengesponserten
Psychiatrieverbände, z.B. Lichtblick oder BApK, geschrieben? Insbesondere
die neueren Psychopharmaka, speziell die »atypischen« Neuroleptika,
behandelt sie nicht gerade kritisch, sondern versteht sie in ihrer speziellen,
subjektiv vermeintlich verträglicheren Wirkung als positives Ergebnis
antipsychiatrischer Proteste welch schlimmes Verständnis
von Antipsychiatrie. Zu Risperdal schreibt sie beispielsweise, es habe
sich bei vielen Patienten bewährt. Heute, am 17.3.2006, wo ich
diese Rezension schreibe, las ich in der Mailingliste des Bundesverbands
Psychiatrie-Erfahrener (BPE) die Botschaft von »Martin«: »Hallo
liebe Liste, mein Freund Uwe ist in der Nacht zu gestern verstorben.
Er war PE, bekam Risperdal und starb an plötzlichem Herztod. Ich bin
sehr traurig.« Vermutlich würden solche Warnungen und Hinweise
die Leser irritieren, so unterbleiben sie besser, obwohl fürwahr
nicht neu. Wenig überraschend, dass die Autorin auf der von ihr
betreuten Internetseite www.wegweiser-psychopharmaka.de, die sie im
Buch nennt, den von einer Reihe von Psychiatriebetroffenen ganz
und gar nicht als übermäßig kritisch eingeschätzten,
allerdings von Pharmageldern unabhängigen BPE als »sehr
psychiatriekritisch« herausstreicht. Einen entsprechenden Hinweis
zu den gleichfalls gelisteten Verbänden, die von Pharmafirmen gesponsert
werden (z.B. »sehr psychiatrieunkritisch«) sucht man vergeblich.
Konsequenterweise ordnet die Autorin selbst ihr Buch in den Formenkreis
der herrschenden biologischen Psychiatrieliteratur ein; ob sie das Allerweltsmotto
»So viel wie nötig, so wenig wie möglich«
an sich eine Selbstverständlichkeit in der Medizin als kritische
Losung versteht? Pharmakogene Suizidalität z.B. kommt in ihrem
Wegweiser nicht vor, Abhängigkeit wird nur bei Benzodiazepinen
eingestanden, Literaturhinweise zum Thema, wie die empfohlenen Psychopharmaka
wieder abgesetzt werden können, sind ebenso Mangelware. Wohin der
gewiesene Weg führt, kann man sich so an allen 10 Fingern abzählen.
Schade, dabei hätte Carola Burkhardt-Neumann, Autorin des Artikels
»Neuroleptika absetzen Eine Nebenwirkung klassisch-homöopathischer
Behandlung« in dem Buch »Psychopharmaka
absetzen«, durchaus auch andere Wege zur Disposition stellen
können. Paperback, 269 Seiten, ISBN 3-928316-23-0. München:
Zenit Verlag 2005. € 18. Peter Lehmann
Jens Burmester (Hg.): Schlucken und ducken. Medikamentenmissbrauch
bei Frauen und Kindern
Beiträge von Ingrid Füller, Gerd Glaeske, Reinhard Voss u.a.,
vor allem über Psychopharmaka und Schmerzmittel. Kurz, übersichtlich,
sachlich, mit Tabellen und Zahlen. Kartoniert, 72 Seiten. Geesthacht:
Neuland Verlags GmbH 1994. DM 15.80 Peter Lehmann
Bonnie Burstow: Radical Feminist Therapy: Working in the Context
of Violence
The first feministic book about psychotherapy with clear antipsychiatric
direction. By an antipsychiatric activist, psychotherapist and former
Assistance Professor for Social Work. With clear, practical suggestions
on what to do and how to do it when working with women on different
problems. Paperback, 320 pp., Newbury Park: Sage Publications 1992.
$ 17.95 Peter Lehmann
Willi Butollo: Die Angst ist
eine Kraft Über die konstruktive Bewältigung von Alltagsängsten
Die zentrale These von Butollos besagt, dass Angst ein wichtiges, lebenserhaltendes
Gefühl sei, das den Menschen zur Bewältigung von realen Bedrohungen
antreibe. Deshalb komme es darauf an, die in den Ängsten noch ungerichtete
Angst so einzusetzen, dass sie der Bewältigung des Problems diene.
Es gelte, zur Auseinandersetzung mit Ängsten Energie zur Persönlichkeitsreifung
und zur Reflexion problematischer gesellschaftlicher Verhältnisse
freizusetzen. Beispiele von Menschen, die sich in ihrem Leben mit verschiedenen
Formen von Ängsten auseinandersetzen mussten, zeigen die Vielfalt
an Lösungsmöglichkeiten in diesem aufschlussreichen, wissenschaftlich
fundierten und dennoch ausgesprochen verständlichen Buch auf. Kartoniert,
201 Seiten, ISBN 978-3-407-22077-6. Weinheim & Basel: Beltz Verlag
2000. € 11. Peter Lehmann
Ursula Caberta: Schwarzbuch Scientology
Informatives Buch über die Gefahren, die von Scientology-Organisationen
ausgehen: Über das Ködern und Beeinflussen von Menschen und den Umgang
mit Kritikern, mit innerhalb der Organisation verrückt werdenden Menschen,
mit Kindern und Frauen. Allerdings will die Autorin die Psychiatriekritik
von Scientology mit dem naiven Argument abtun, bei den verabreichten
Psychopharmaka handele es sich doch um zugelassene Medikamente, Kritik
sei also von vornherein nicht angebracht. Sie ignoriert dabei die allgemein
bekannte Verabreichung ohne informierte Zustimmung und teilweise unter
körperlichen Zwang. So drängt sich der Eindruck auf, dass solcherart
Bücher, die aus der Sicht der Obrigkeit Frau Caberta ist beim
Hamburger Innensenat angesiedelt geschrieben sind, sich nur sehr
eingeschränkt eignen, den Scientologen das Wasser abzugraben. »Wer
auf die Gefahren, die von der Scientology-Organisation ausgehen, hinweist
oder sich gar von ihr löst, gerät unweigerlich in das Visier dieser
Organisation. Kritiker werden diffamiert, öffentlich bloß...«,
so der CSU-Mann Günther Beckstein in seinem Vorwort. Dass es Psychiatriekritikern
andersrum ebenso geht ein Blick in die von Caberta als (nicht
gerade als seriös zu bezeichnende) genannte Internetquelle des Ingo
Heinemann genügt , lässt einen leicht bitteren Geschmack aufkommen:
Mit den Scientologen und ihren Jägern haben sich zwei Instanzen gefunden,
die alles Mögliche bieten, nur eines nicht: Hilfe und Orientierung für
Menschen, die an der Psychiatrie leiden. Englisch Broschur, 207 Seiten,
ISBN 978-3-579-06974-6. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. €
17.95 Peter Lehmann
Filip Caby / Andrea Caby: Die
kleine Psychotherapeutische Schatzkiste Tipps und Tricks für
kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter
Für Professionelle und Betroffene interessante und systemisch orientierte
Tipps und Tricks für die Gesprächsführung, spezielle Fragetechniken
sowie ungewöhnliche Lösungen für alltägliche und weniger alltägliche
psychische Probleme und/oder Verhaltensauffälligkeiten, getragen von
Respekt und Wertschätzung für Fähigkeiten und die bisherigen Lösungsversuche
der Beteiligten. Spiralbindung, 169 S., ISBN 978-3-938187-47-0. Dortmund:
verlag modernes lernen Borgmann 2009. € 19.95 Peter Lehmann
Heide-Marie Cammans: Betroffen durch Sekten? Ein Ratgeber
Allgemeine Aussagen über Techniken der Anwerbung, der Beeinflussung,
des Umgangs mit Betroffenen und des Ausstiegs, wenig Informationen über
spezielle Sekten (mit Ausnahme von Scientology, auf die die Autorin
etwas näher eingeht). Kart., 189 S., Düsseldorf: Patmos Verlag
1997. DM 29.80 Peter Lehmann
Dorrit Cato Christensen: Dear Luise.
A story of power and powerlessness in Denmark's psychiatric care system
In Denmark, there is an association called "Død i psykiatrien" (Dead in
Psychiatric Care). It consists of bereaved ones and friends of young people
who have died while in psychiatric treatment. These families are left
alone with their grief, loss and hopelessness. Together, as an association,
they created a forum to share their experiences and demand changes to
the treatment modalities that led to the death of their loved ones.
Dorrit, the author of Dear Luise, is the Chair of Død i psykiatrien
and the mother of Luise. In 2005, Luise died at the age of 32 after a
period of 21 years with administration of different psychiatric drugs:
first, anti-epileptics, then more and more other drugs to suppress adverse
effects, finally neuroleptics only hours after the first injection of
a depot neuroleptic. Luise foresaw that the neuroleptics would kill her
and presciently told her mother her tombstone should read, The medication
killed me.
Different from her daughter, the author calls the cause of death overdoses
of medicine. This is correct because the drug doses were too much for
Luise. But deaths caused by psychiatric drugs, especially neuroleptics,
happen after administration in all doses, low and recommended ones. To
speak of overdoses signals, that there are safe doses. In general, psychiatric
drugs are "Unsafe at Any Dose", as Bob Johnson, member of the Royal College
of Psychiatrists, says in his homonymous book.
Apart from this different assessment, I fully share Dorit's assessment
of her and her daughter's struggle in the psychiatric system in Denmark
and of the "experts'" unwilling to listen to both parents and child. From
the age of 11, Luise displayed signs of adjustment problems and unusual
creativity, which would today be called "Asperger's Syndrome". Doctors,
psychiatrists included, administered anti-epileptics, and with the years,
a cascade of other psychiatric drugs to suppress their adverse effects.
A typical deadly spiral.
Dorrit outlines the sequence of events that brought her daughter to death.
She does it in short and understated vignettes, interspersed with actual
letters she wrote Luise when she was out of reach as it were in slow
motion. How much energy and strongth is needed to describe such a tragedy.
How much pain must it be for the mother to witness the loss of the daughter
again and again virtually. But it happened, and writing the book surely
is a form of coming to terms with the catastrophe. And it is a productive
form, not only a touching one, but also an educational one. The foreword
to both the Danish and English editions is by Poul Nyrup Rasmussen, former
Prime Minister of Denmark and Member of the European Parliament dealing
with psychiatric issues.
Although the tragedy happened in Denmark, such incidents are happening
everyday in all countries with modern drug-based psychiatry. Therefore
the book is not only for the information of psychiatric workers, but also
a warning for patients' relatives. Because the reduction of life expectance
goes along with the epidemic spread of modern so-called atypical neuroleptics,
the book, originally published in Denmark in 2011, becomes more newsworthy
each day. Review in: Journal
of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy, Vol. 19 (2019),
No. 3, p. 205. Soft cover, VI + 210 pp., ISBN 978-0988412200. Portland,
Oregon: Jorvik Press $ 15.25 Peter Lehmann
Garuth Chalfont: Naturgestützte
Therapie Tier- und pflanzengestützte Therapien für Menschen
mit einer Demenz planen, gestalten und ausführen
Fundiertes Buch eines Pflegeassistenten und Forschers an der Schule für
Architektur an der Universität von Sheffield, der von einem Menschenrecht
vom Zugang zur Natur ausgeht; die Abkopplung von ihr bedeute auch die
Abkopplung vom ursprünglichsten und wesenhaftesten Zug unseres Menschseins.
Sein Buch ist geprägt von der Hoffnung, sein Konzept der naturgestützten
Therapie möge sich ausgehend von zarten Anfängen nach und nach in Pflegeheimen
etablieren und irgendwann einmal völlig normal sein. Das Buch ist übersichtlich
gegliedert: Teil 1 enthält die Kapitel »Mit der Natur leben«,
»Aktivitäten, die Natur einbeziehen« und »Ethische Probleme
der Einbeziehung der Natur im Innenbereich«. Speziell das letztgenannte
Kapitel besticht durch seine Praxisorientierung; in Blumenkübel urinierende
Menschen mit Demenz werden ebenso angesprochen wie sture Heimordnungen,
die nicht die Person in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, sondern
die Pflegeleichtigkeit der Heimroutine. Dabei, das zeigen die immer wieder
eingestreuten pflegewissenschaftlichen Ergebnisse, bringt die Einbeziehung
»der Natur« (gemeint: ihr wohltuender und anregender Anteil)
tendenziell erhebliche Vorteile für die Betroffenen. In Teil 2 geht es
um »Die natürliche Umwelt«, »Aktivitäten im Freien«
und wieder ein Kapitel, das sich mit offenen ethischen Fragen befasst
sowie Vorschlägen, nach welchen Prinzipien diese beantwortet werden können.
Die stete Reflexion des Machbaren und Wünschenswerten und der Versuch
des Ausgleichs eines Interessenskonflikts aller Beteiligter ergibt sich
aus der Tatsache, dass der Autor betroffener Familiengehöriger, professionelle
Pflegekraft und humanistisch orientierter Wissenschaftler in einer Person
ist. Eine weitere Stärke des eigentlich aus dem angloamerikanischen Sprachraum
stammenden Buches ist die ausgezeichnete Übersetzung, die die Erläuterung
von Fachbegriffen ebenso einschließt wie die Zurverfügungstellung von
Informationen, die sich auf die Übertragung der Vorschläge und Erkenntnisse
Chalfonts auf den deutschen Sprachraum beziehen. Kartoniert, 245 Seiten,
Abbildungen, Tabellen, ISBN 978-3-456-84748-1. Bern: Hans Huber Verlag
2010. € 29.95
Peter Lehmann
Fritz Christoph / Horst Illiger (Hg.): Notwehr. Gegen die neue Euthanasie
Hochaktuelle Auseinandersetzung mit der modernen sachwertorientierten
Ethik in der Medizin. Mit historischen Rückblicken und Einschätzungen
der heutigen »Euthanasie«-Bedrohung von AutorInnen (u.a. Fritz
Niemand, Klara Nowak, Dorothea Buck), die im Rahmen vorbeugender Sozialpsychiatrie
während des Faschismus zwangssterilisiert wurden. Ein Buch, das
die Augen öffnet auch denen, die sich noch nie mit diesen
Themen auseinandersetzen mussten. Kart., 301 S., Neumünster: Paranus
Verlag 1993. DM 24.50 Peter Lehmann
Burkhard Ciupka: Zwänge Hilfe für ein oft
verheimlichtes Leiden In Burkhard Ciupkas Buch fehlen wesentliche Zwangserkrankungen wie
z.B. Putzzwang usw. Dieses Buch erweckt den Eindruck, als seien dem
Autor Vorgaben für die psychopharmakaorientierte Sichtweise gegeben
worden. Für Betroffene, Angehörige, Profis und Laien ist dieses
Buch völlig unbrauchbar, weil Ciupka seine persönliche Sicht
unreflektiert verallgemeinert. Kartoniert,152 Seiten, Zürich: Walter
Verlag 2001. DM 29.80 Ulrike Burgstaller
Anouk Claes: Angst Beschützer
rund um die Uhr. Wie Sie Ihren Ängsten wirkungsvoll begegnen
Die sich als Medium verstehende Belgierin erklärt neu, dass Angst durchaus
einen Sinn in unserem Leben haben kann, indem uns Angst vor Gefahren
schützt. Man redet mit der Angst, begegnet ihr liebevoll, freundet sich
mit ihr an, versteht sie. Und mit den geeigneten übersinnlichen Maßnahmen
(Einfluss auf das Energiefeld, Geistiges Reisen) werde man dauerhaft
frei von den Folgen unerwünschter Ängste. Ein Buch ausschließlich für
Freunde der Esoterik. Kartoniert, 90 Seiten, ISBN 978-3-905836-03-5.
St. Gallen: Allinti Verlag 2008. € 11.90 Peter Lehmann
Günther Cloerkes / Jörg Michael
Kastl (Hg.): Leben und Arbeiten unter erschwerten Bedingungen Menschen
mit Behinderungen im Netz der Institutionen Ein Buch, das sich mit einer Vielfalt von Problemen der institutionalisierten
Behindertenhilfe auseinandersetzt, sowohl bei Menschen mit körperlichen
Behinderungen als bei Menschen, die als psychisch oder geistig behindert
gelten. Dabei wird der Spagat zwischen Teilhabe und Selbstbestimmung
auf der einen Seite und Handlungszwängen und Etikettierungen auf der
anderen reflektiert. Die Hilfen erleichtern und schaffen zugleich »erschwerte
Bedingungen« des Lebens und Arbeitens von Menschen mit Behinderungen.
Ein Artikel bezieht sich direkt auf sogenannte psychisch Behinderte:
»Deinstitutionalisierung durch Persönliche Budgets? Am Beispiel
der Situation von Menschen mit psychischen Behinderungen« von Jörg
Michael Kastl und Thomas Meyer. Sie referieren Fallbeispiele aus dem
2005 in Baden-Württemberg abgeschlossenen Modellprojekt und erörtern
das Problem notwendiger und nicht notwendiger Reinstitutionalisierungen
sowie institutioneller Verankerungen dieses eigentlich auf Deinstitutionalisierung
angelegten Instruments der Behindertenhilfe. Artikel zur Geschichte
der Behindertenhilfe seit dem Mittelalter, zum Leben mit Behinderung
in einer alternden Gesellschaft, zu spezifischen Arbeitsproblemen behinderter
Frauen sowie zum Recht auf Teilhabe im europarechtlichen Rahmen runden
die Textsammlung ab. Originalausgabe. Kartoniert, 250 Seiten, 5 Tabellen,
ISBN 978-3-8253-8335-0. Heidelberg: Carl Winter Verlag 2007. €
24. Peter Lehmann
Clozaril Patient Monitoring Newsletter, Nr. 5 siehe unter Sammelrezension
Alison Cobb: Older Women & ECT
Eine Studie, die einmal mehr sorgfältig nachweist, dass es Frauen
und vor allem Ältere sind, die man elektroschockt, selbstverständlich
ohne rechtswirksame Aufklärung. Geheftetes Manuskript, 23 S., London
1995. Ca. GPD 2. Bestelladresse: MIND Policy Department, 15
19 Broadway, London E 15 4BH, England Peter Lehmann
Katharina Coblenz: Katharina Katharina. Ein Fragment
Unter dem Leitmotiv, der Besteigung des Katharinenbergs im Sinai (wobei
sie sich in einen Beduinen verliebt), erinnert sich Katharina Lenz,
die Protagonistin des Buches, ihrer eigenen Geschichte, die durch die
Überwachung durch die Stasi in der DDR charakterisiert ist. Widerständige
Pastorin auf Rügen und im Umfeld Friedrich Schorlemmers, hat sie
den Verdacht, dass es nicht Entfremdungsprozesse von ihrem Ehemann waren,
die sie in die Psychiatrie brachten, sondern üble Tricks der Stasi.
Die dritte Ebene wird durch Reflexionen über die namensgleiche
Katharina von Alexandrien gebildet, eine heilig gesprochene Märtyrerin
des Mittelalters, die ihre Widerspenstigkeit mit dem Foltertod bezahlte.
Drei unterschiedliche Schrifttypen ermöglichen es, die unterschiedlichen
Erzählebenen auseinanderzuhalten. Geb., 158 S., Stuttgart: Radius
Verlag 1997. DM 36. Peter Lehmann
David Cohen (Ed.): Challenging the Therapeutic State. Part 2: Further
Dysquisitions on the Mental Health System
With the articles "Environmental failure oppression is the
only cause of psychopathology" by David H. Jacobs, "Limitations
of the ciritique of the medical model" by Ken Barney, "Something
is happening: the contemporary consumer and psychiatric survivor movement
in historical context"; by Barbara Averett, "The myth of the
reliability of DSM" by Stuart A. Kirk and Herb Kutchins, "Caseness
and narrative: contrasting approaches to people who are psychiatrically
labeled" by Michael A. Susko, "Blaming the victims":
silencing women sexually exploited by psychotherapists« by Catherine
D. Nugent, "Neuroleptic drug treatment of schizophrenia: the state
of the confusion" by David Cohen, "Determining the competency
of the neediest" by Jonathan Rabinowitz and "ECT: sham statistics,
the myth of convulsive therapy, and the case for consumer misinformation"
by Douglas G. Cameron. Allone by reading the titles of these articles
it is (not) easy to understand, why the journal is not be available
by the most university libraries. At the same time it is together
with the English Changes (International Journal of Psychology
and Psychotherapy). 198 p., Journal of Mind and Behavior, Vol. 15 (1994), No. 1/2. Order-adress:
Journal of Mind and Behavior, P.O.Box 522, Village Station, New York,
NY 10014, USA Peter Lehmann
Clemens Cording / Wolfgang Weig (Hg.): Zwischen
Zwang und Fürsorge. Die Psychiatriegesetze der deutschen Länder
Die kompletten Texte der Unterbringungsgesetze aller 16 Bundesländer
das älteste von 1952 (Hessen), das jüngste von 2001 (Bremen)
ihre Charakteristika und angedeutet ihr Konfliktpotential, dargestellt
von Psychiatern und einem Anwalt, gefördert von der Firma Astra Zenica
(Hersteller z.B. von Seroquel). Aber besonders zum Aufspüren
der Unterschiede zwischen den Ländergesetzen unentbehrlich für
alle, die sich mit dieser Art der 'Gefahrenabwehr' befassen. Kartoniert,
396 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Tabellen, ISBN 3-935176-25-2.
Baden-Baden: Deutscher Wissenschaftsverlag (DWV) 2003. € 38.90 Kerstin Kempker
Johan Cullberg: Therapie der Psychosen
Ein interdisziplinärer Ansatz Johan Cullberg, ein Psychiater aus Schweden, im Vorwort zum Buch
schreibt, er wolle ein umfassendes Bild psychotischer Menschen als menschliche
Wesen aus der Perspektive eines einzigen Klinikers entwerfen, spricht
er vermutlich unbewusst eine Vielzahl von Problemen an,
die ihm und seinem Buch zum Verhängnis wurden. Er entwirft ein Bild,
ein Konstrukt sein Bild, mit dem er die Masse der als psychotisch
geltenden Menschen ohne Einschränkung abgebildet und katalogisiert haben
möchte. Auf dem Papier kann er diesen Anspruch erheben. Papier ist geduldig,
es begehrt nicht auf, wenn er das Erfahrungswissen Psychiatriebetroffener,
deren eigenen Deutungen und deren Anspruch, sogenannte Psychosen individuell
zu definieren, ignoriert. Es wird auch nicht zu Asche, wenn Menschen
mit der psychiatrischen Diagnose »Psychose« erst zu menschlichen
Wesen gemacht werden müssen; offenbar sind sie für Cullberg ohne seine
definitorischen Fähigkeiten nichtmenschliche Wesen. Das tut weh angesichts
der Erwartungen, die mit seinem lobenswerten Ansatz verbunden sind,
die Erstvergabe von Neuroleptika bei psychotischen Diagnosen zu reduzieren
oder gar vermeiden. Von diesem positiven Ansatz abgesehen ist es schwer
herauszufinden, wodurch sich Cullberg von normalen Psychiatern unterscheidet.
Menschen mit der Diagnose »Schizophrenie« gelten für ihn als
Behinderte mit genetischer Prädisposition, denen oft Neuroleptika zur
Rückfallverhütung zu verordnen sei. Er sieht sich einig mit den Forscherinnen
und Forschern, »dass viele Gene, etwa 15 bis 20 oder auch mehr,
in verschiedenen Kombinationen interagieren und so in komplexer Weise
die Anfälligkeit für psychotische Erkrankungen mitbedingen.« (S.
70) Vielleicht dürfen es ja auch ein bisschen mehr sein, 100 oder 1000
oder 5000, die »mitbedingen«? Gene hat ja unzweifelhaft jeder
Mensch, auch psychiatrisch Diagnostizierte, wer will also dieser Beliebigkeit
etwas entgegensetzen? Von dieser durchsetzt ist das gesamte Buch. Cullberg
sammelt alle möglichen theoretischen Behauptungen, lässt sie alle
mehr oder weniger oder überhaupt gelten oder auch nicht. Seine Art der
Darstellung ist alles andere als klar, und so werden die einen in ihm
ähnlich Klaus Dörner einen neuen psychiatrischen Messias
sehen; die anderen werden sein Buch gelangweilt in die Ecke legen, denn
(wie bei Klaus Dörner) ist der Elektroschock akzeptabel, noch nicht
einmal kritische Positionen zur Zwangsbehandlung finden sich; wo soll
also ein Ansatz begründet sein für eine psychosoziale Versorgung, die
die Menschenrechte beachtet und den Betroffenen vor behandlungsbedingten
Schäden schützt? »Ist der Patient nicht fähig zu kooperieren und
droht eine gefährliche Situation, dann müssen die Medikamente zwangsweise
verabreicht werden. Diese sollte 'sanft, aber bestimmt' erfolgen und
von einer Erklärung begleitet sein, warum die Zwangsmedikation notwendig
ist.« (S. 264) Auch im Buch enthalten sind kleinere Absätze über
die »bedürfnisangepasste Behandlung der Psychose«, allerdings
in der Interpretation von Cullberg, über Soteria (beides lässt sich
anderswo besser nachlesen) oder das schwedische Fallschirmprojekt. Projekte
Psychiatriebetroffener lässt Cullberg unter den Tisch fallen, Psychiatriebetroffene
gibt es für ihn nur als Fallbeispiele psychischer »Erkrankungen«;
deren Erfahrungen, Literatur und Programme ignoriert er mit allergrößter
Selbstverständlichkeit. Abgeschlossen wird das Buch mit dem knapp sechsseitigen
Kapitel »Chancen für eine integrative Psychosentherapie in Deutschland«
von Nils Greve und Volkmar Aderhold, das den Stand der außerordentlich
bescheidenen und den grundsätzlichen Bedürfnissen der Betroffenen kaum
gerecht werdenden Reformbemühungen hierzulande wiedergibt in Richtung
sozialpsychiatrischer bedürfnisangepasster Behandlung und Home-Treatment,
Krisendienste, Soteria- und Krisenstationen sowie Rückzugsräume. Gebunden
317 Seiten, 32 schwarz-weiße Abbildungen, 9 Tabellen, ISBN 978-3-88414-435-0.
Bonn: Psychiatrieverlag 2008. € 49.95 Peter Lehmann
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