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abgedruckt in: Psychosoziale Umschau (BRD), 20. Jg. (2005), Nr. 1, S. 40-41

Hannelore Klafki

Für alle Fälle e.V.

Seit Anfang 2002 gibt es in Berlin den Verein "Für alle Fälle e. V.", kurz FaF genannt. Er wurde von Psychiatriebetroffenen und Nichtpsychiatriebetroffenen gegründet, die sich im psychosozialen Bereich engagieren. Der Verein wendet sich insbesondere an Menschen, die Insassen und Insassinnen in psychiatrischen Anstalten waren oder sind oder von psychiatrischer Behandlung bedroht sind. Die Arbeit des unabhängigen Vereins ist an den vielfältigen und unterschiedlichen Interessen der Betroffenen orientiert. Die Förderung von Beratung, Information und Selbsthilfe ist ein zentrales Anliegen. Der Verein FaF ist nutzerkontrolliert, ihm gehören mehrheitlich Psychiatriebetroffene an. Darüber hinaus ist das Mitbestimmungsrecht der psychiatriebetroffenen Vereinsmitglieder in der Satzung besonders abgesichert. Der Verein ist durch das Finanzamt anerkannt gemeinnützig und mildtätig sowie Mitglied des DPW.

Der Name unseres unabhängigen psychiatriekritischen Vereins "Für alle Fälle" ist Programm. Möglichst viele verschiedene Aktivitäten und Angebote von und für Psychiatriebetroffene und ihre UnterstützerInnen sollen unter dem Dach von FaF realisiert werden können. Da sich viele Psychiatriebetroffene nicht nur mit der Psychiatrie befassen wollen und auch nicht über sie definieren, haben wir einen offenen Namen gewählt, in dem auch das Jenseits-der-Psychiatrie Platz findet: Arbeit, Alter, Kultur, Kinder, Migration, Umwelt, Wohnen, Reisen ... Es gibt mehr Themen als die Psychiatrie, als Krankheit, Gesundheit und Therapie.

Information, Beratung und Forschung in Eigenregie

Ziele des Vereins sind der Aufbau und Betrieb einer Beratungs-, Informations- und Selbsthilfestelle (BISS) sowie die Erarbeitung und Begleitung von anderen neuartigen Angeboten für Psychiatriebetroffene. Gleichzeitig soll die Öffentlichkeit zu den Belangen von Psychiatriebetroffenen informiert werden z.B. durch Fortbildungen, Fachkongresse, Vorträge usw. Als Ort für diese Aktivitäten hat FaF seit Anfang 2003 in Berlin-Mitte zentral gelegene eigene Räangemietet. Neben FaF werden diese auch von der Berliner Organisation Psychiatrie-Erfahrener und Psychiatrie-Betroffener e.V. (i.Gr.) (LAG Berlin) dem Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V. und dem Gesundheitsladen e.V. genutzt.

Schwerpunkte der Aktivitäten sind zur Zeit Fortbildungen für Psychiatriebetroffene und deren UnterstützerInnen und betroffenenkontrollierte Forschung

Fortbildungen finden zu folgenden Themen statt:

  • Alternativen zur Psychiatrie

  • Beratung von Gewalt und Psychiatrie betroffenen Frauen

  • Umgang mit Psychopharmaka

  • Antipsychiatrie und Betroffenenbewegung

  • Vorausverfügungen

  • Selbsthilfe, Empowerment, Projektaufbau, Moderation & Präsentation

Mit diesem Angebot sollen besonders Psychiatriebetroffene angesprochen werden. Denn ihnen fehlen in aller Regel grundlegende Informationen über ihre Rechte und Möglichkeiten, über Alternativen zur psychiatrischen Versorgung, über bestehende Selbsthilfeverbände und Mitwirkungsmöglichkeiten. Wir wenden uns aber auch an professionelle und nicht professionelle HelferInnen und UnterstützerInnen, um ihnen zu vermitteln, wo die Chancen und Gefahren professioneller Unterstützung liegen können und wie sie helfen können, eine (weitere) Psychiatrisierung Betroffener zu vermeiden. Die Fortbildungen sind in erster Linie nicht Theorie bezogen, sondern basieren auf eigenen Erfahrungen. Ausgehend von unserer Sicht als Betroffene liegt der Schwerpunkt auf der Vermittlung von Instrumenten und Strategien, die anderen Betroffenen helfen sollen, sich aus ihrer Opferrolle zu befreien. Selbstverständlich bietet FaF Fortbildungen auch außerhalb von Berlin an. Bitte nehmen Sie bei Interesse Kontakt mit FaF auf.

Unser aktuelles Forschungsvorhaben ist ein Evaluations- und Praxisprojekt zur NutzerInnenbeteiligung – "Personenzentrierte Hilfe aus Sicht der NutzerInnen".

Die in Berlin vereinbarte Umstellung des Hilfesystems nach §§ 93 ff BSHG sieht auch einen verstärkten Einbezug der KlientInnen in die Hilfeplanung und -gestaltung vor. Das gut zweijährige Evaluations- und Praxisprojekt wird mit einer Evaluation der personenzentrierten Hilfepraxis und des eingeführten Behandlungs- und Rehabilitationsplanes aus der Sicht der Hilfeempfänger beginnen. Die Perspektiven und Erfahrungen der NutzerInnen werden als ein wesentlicher und bis jetzt stark vernachlässigter Aspekt der Qualitätssicherung angesehen. Das Projekt geht über die Evaluation hinaus und hat einen direkten Praxisbezug. Gemeinsam mit NutzerInnen und Projekten/Einrichtungsträgern sollen Strategien zur Einbeziehung der KlientInnen erarbeitet und eine modellhafte Erprobung angeboten werden. Neben der inhaltlichen Bereicherung der Arbeit, möchten wir dazu beitragen, dass die Hilfen gezielter am tatsächlichen Bedarf der KlientInnen ausgerichtet und die vorhandenen Ressourcen effektiver genutzt werden können. So möchten wir Vorschläge zu Qualitätssicherungsinstrumenten aus NutzerInnensicht entwickeln. Dieser Forschungsantrag wird bisher inhaltlich unterstützt: vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, von mehreren Universitäten und vom Berliner Senat.