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Amerikanisches Original unter dem Titel "Zyprexa: A prescription for diabetes, disease and early death", in: Street Spirit – A publication of the American Friends Service Committee (Eine Publikation des American Friends Service Committee) (San Francisco), 8. Jg. (2005), Nr. 8, S. 7 und 9. Originaltext siehe https://thestreetspirit.org/2005/08/01/zyprexa-a-prescription-for-diabetes-disease-and-early-death/

Leonard Roy Frank

Zyprexa: Ein Rezept für Diabetes, Krankheit und frühen Tod

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Thomas Gotterbarm

In der Zyprexa-Gruppe gab es 20 Todesfälle, darunter 12 Selbstmorde. Es ist skandalös, dass die wissenschaftliche Literatur diese Todesfälle jedoch gar nicht erwähnt. Auch in den Berichten über Ergebnisse aus Studien zu anderen Atypischen Neuroleptika wurden Todesfälle verschwiegen. Die Zulassung dieser Medikamente durch die amerikanische Arzneimittelbehörde Federal Drug Association (FDA) ist empörend, denn diese Todesfälle traten in den Studien schon nach sehr kurzer Zeit auf.

Leonard Roy Frank Leonard R. Frank

Am 8. Juni 2005 gab das Pharmaunternehmen Eli Lilly & Co. bekannt, man habe sich auf 690 Millionen Dollar Schadensersatz geeinigt zur Beilegung von rund 8000 Klagen vor Gericht, eingereicht von Menschen, die bei der Einnahme des Neuroleptikums Zyprexa Gewichtszunahme, Diabetes, andere Stoffwechselstörungen und Todesfälle beobachtet hatten.

Zyprexa, Lillys meistverkauftes Medikament, wird zur Behandlung von Schizophrenie und zur kurzzeitigen Therapie manischer Phasen bei einer bipolaren Störung eingesetzt. 2500 weitere Kläger weigerten sich, der Einigung mit Lilly zuzustimmen, vermutlich, weil sie den Betrag, den jeder Kläger erhalten sollte, durchschnittlich 62.500 Dollar, für zu gering hielten als Entschädigung für die durch Zyprexa erlittenen Schmerzen und Qualen.

Am 21. Juli veröffentlichte Eli Lilly seine Bilanz für das zweite Quartal 2005, aus der hervorging, dass man zur Deckung der aus diesen Klagen erwachsenen Verbindlichkeiten 1,07 Milliarden Dollar bereitgestellt hatte, 380 Millionen Dollar mehr als der Betrag, auf den man sich mit den Klägern geeinigt hatte. Diese zusätzliche Summe war zur Deckung der Verbindlichkeiten und Anwaltskosten aus jenen 2500 Klagen gedacht, wo es zu keiner Einigung gekommen war [Bericht auf Forbes.com, Ausgabe 21.7.2005]. Da die Meldungen über die außergerichtliche Einigung möglicherweise zu weiteren Schadensersatzklagen führen, kann es durchaus sein, dass Eli Lilly mehr Geld aufwenden muss, als diese vorgesehenen 1,07 Milliarden Dollar.

Seit seiner Markteinführung 1996 haben Eli Lilly zufolge etwa 17 Millionen Menschen in 86 Ländern Zyprexa eingenommen. Es ist zwar nicht möglich, die genaue Zahl der Opfer des Medikaments zu ermitteln, doch lässt sich mit Gewissheit sagen, dass Zyprexa bei Millionen von Patienten zu Diabetes und anderen Krankheiten geführt hat, und dass Zehntausende daran gestorben sind oder vorzeitig sterben werden.

Trotz dieser Fakten haben sich die Medien mit den Schadensersatzklagen kaum befasst. Trotz dieser Fakten war im Repräsentantenhaus oder in den Fernsehnachrichten keine einzige Stimme der Empörung und des Protestes zu hören. Und trotz dieser Fakten hat Eli Lilly nichts unternommen, um die Öffentlichkeit vor den möglicherweise verheerenden Folgen einer Zyprexa-Einnahme zu warnen, sondern scheffelt bis heute weiterhin Profite aus dem Verkauf des Medikaments.

Zyprexa, generische Bezeichnung: Olanzapin, gehört zu einer Kategorie von Psychopharmaka, die als Atypische Neuroleptika bekannt sind. Andere Mittel dieser Gruppe sind Clozapin von Novartis (deutschsprachige Handelsnamen Clopin, Clozapin, Elcrit, Froidir, Lanolept, Leponex, Olansek - P.L.), Risperidon von Janssen (Risperdal), Quetiapin von AstraZeneca (Seroquel), Aripiprazol von Bristol-Myers Squibb (Abilify) und Ziprasidon von Pfizer (Zeldox).

Das erste Atypische Neuroleptikum, Clozapin, kam 1990 auf den Markt (in Deutschland erstmals 1972, Anm. d. Übs.). Die Hersteller werben für diese Medikamente mit der Behauptung, sie seien wirksamer und sicherer als die herkömmlichen Neuroleptika wie Chlorpromazin (deutschsprachige Handelsnamen Chlorazin, Chlorpromazin, Propaphenin - P.L.) oder Haloperidol (deutschsprachige Handelsnamen Haldol, Haloper, Haloperidol, Sigaperidol - P.L.), die seit den 1950er Jahren erhältlich sind.

Dank einer gewaltigen Werbekampagne durch die Atypika-Hersteller setzte sich der Glaube an diese unbewiesenen Behauptungen überall durch, mit dem Ergebnis, dass die Pharmafirmen für die neuen Medikamente wesentlich mehr Geld verlangen können als für die alten. Eine Monatsration Zyprexa kostet heute etwa 380 Dollar, 10-30mal so viel wie die Monatspackung eines herkömmlichen Neuroleptikums.

Der weltweite Neuroleptika-Umsatz ist von 500 Millionen Dollar im Jahr 1993 (fast alles herkömmliche Neuroleptika) auf mehr als 14 Milliarden Dollar im Jahr 2004 angestiegen (13 Milliarden davon entfallen auf die Atypika).

Seit mehr als zehn Jahren verharmlosen die Pharmahersteller beharrlich einige der mit der Einnahme von Atypika verbundenen schwerwiegenden Gefahren. Der Psychiater E. Fuller Torrey, einer der entschiedensten Befürworter der medikamentösen Behandlung von Schizophrenie, berichtete über eine der Methoden, mit der Ärzte und Öffentlichkeit getäuscht werden:

"Die Psychiater, die versuchen, ein Schizophrenie-Medikament zu beurteilen, erfahren nicht, dass der Experte, der die Nebenwirkungen von Zyprexa verharmlost, von Eli Lilly 10.000 Dollar Honorar erhält und außerdem Lilly-Aktien in beträchtlichem Umfang besitzt." [American Prospect, 15.7.2002]

Angesichts der Häufung von Hinweisen auf die Schädlichkeit dieser Medikamente verpflichtete die FDA schließlich 2003 alle Atypika-Hersteller dazu, die Arzneimittelpackungen wegen des erhöhten Diabetes-Risikos mit einem entsprechenden Warnhinweis zu versehen.

Die Anwaltskanzlei Hersh and Hersh aus San Francisco, die etwa 400 Kläger gegen Eli Lilly vertritt, warf dem Pharmaunternehmen vor, es habe bis zum Jahr 2003 ""potentiell mit Zyprexa behandelten Patienten in betrügerischer Weise wichtige Informationen vorenthalten"." Eli Lilly habe Ärzte und Patienten wider besseren Wissens nicht davor gewarnt, dass Zyprexa zu schädlichen und unter Umständen sogar tödlichen Nebenwirkungen durch Gewichtszunahme und Diabetes führen könne.

Eine solche Warnung hätte viele Ärzte dazu veranlasst, geringere Zyprexa-Dosierungen zu verschreiben und regelmäßig den Blutzuckerspiegel ihrer Patienten zu messen. Möglicherweise hätten manche Ärzte auch ganz damit aufgehört, das Medikament zu verordnen.

Mit solchen Vorsichtsmaßnahmen hätte es zweifellos weniger durch Zyprexa bedingte Diabetes- und Todesfälle gegeben. Ehrlichkeit zählt jedoch nicht zu Eli Lillys Stärken, wenn der Profit auf dem Spiel steht. Die Veröffentlichung der entsprechenden Fakten hätte ganz gewiss den Umsatz des Kassenschlagers Zyprexa gemindert (auf Platz 5 der Liste der weltweit am häufigsten verkauften rezeptpflichtigen Arzneimittel), der 2004 mit einem Ertrag von 4,4 Milliarden Dollar ein Drittel des Gesamtgewinns von Eli Lilly ausmachte.

Für Eli Lillys Umsätze ist das Medikament von überragender Bedeutung. Die Firma scheint eine regelrechte Zyprexa-Abhängigkeit entwickelt zu haben, aus der sie nur schwer wieder herausfinden wird. Aus den Zyprexa-Umsätzen erwirtschaftet Eli Lilly auch indirekt Profit. Es ist eine grausame Ironie, dass das Unternehmen mit dem Verkauf eines Medikaments, das zu Diabetes führen kann, Geld scheffelt, während gleichzeitig vier seiner meistverkauften Arzneimittel Diabetes-Therapeutika sind, darunter die Insulin-Präparate Humulin und Humalog, die jeweils einen Jahresgewinn von einer Milliarde Dollar abwerfen. Auf diese Art schafft sich Lilly einen treuen Kundenstamm.

Patienten, Ärzte und Öffentlichkeit haben von Zyprexas beschämender Geschichte praktisch keine Ahnung. Auf Grundlage der Ergebnisse einer durch Eli Lilly finanzierten sechswöchigen Studie erteilte die FDA am 27.9.1996 der Firma die Genehmigung, das Medikament herzustellen und zu vertreiben. An der Zyprexa-Studie hatten 2500 Probanden teilgenommen, von denen zwei Drittel die Studie nicht einmal erfolgreich abgeschlossen hatten. Von denen, die an der Studie bis zum Ende teilgenommen hatten, erlitten 22% "ernsthafte" Nebenwirkungen, verglichen mit 18% in der Vergleichsgruppe der Haldol-Probanden.

Die FDA fand heraus, dass es während der sechswöchigen Studie bei den Probanden zu einer Gewichtszunahme von durchschnittlich einem halben Kilogramm pro Woche gekommen war. Die Versuchspersonen, die an der Langzeitstudie teilnahmen, nahmen pro Jahr um 13 kg zu. Zu den weiteren Nebenwirkungen zählten Zittern, Krämpfe, Müdigkeit, Blutzucker-Komplikationen, erhöhter Puls, Unruhe, Verstopfung, epileptische Anfälle, Probleme mit der Leber, Störungen der weißen Blutkörperchen und Blutdruckabfall.

In der Zyprexa-Gruppe gab es zudem 20 Todesfälle, darunter 12 Selbstmorde. Es ist skandalös, dass die wissenschaftliche Literatur diese Todesfälle jedoch gar nicht erwähnt. Auch in den Berichten über Ergebnisse aus Studien zu anderen Atypischen Neuroleptika wurden Todesfälle verschwiegen.

Die Informationen über diese Todesfälle stammen aus FDA-Dokumenten, die der Wissenschaftsjournalist Robert Whitaker ausgewertet hat. Ihm zufolge kam auf 145 Probanden, die an Studien zu Zyprexa, Risperdal, Seroquel und Serdolect teilgenommen hatten, je ein Todesfall [s. "Mad in America: Bad Science, Bad Medicine, and the Enduring Mistreatment of the Mentally Ill" von Robert Whitaker].

Angesichts dieser Todesfälle ist die Zulassung von 3 der 4 getesteten Medikamente (Serdolect wurde nicht genehmigt) durch die FDA empörend, denn die Todesfälle traten in den Studien schon nach sehr kurzer Zeit auf. Nicht nur das Zulassungsverfahren der FDA wird dadurch fragwürdig, sondern auch die Unparteilichkeit der Behörde.

Im Falle von Zyprexa sind Eli Lillys Verbindungen mit den beiden Bush-Administrationen öffentlich dokumentiert. Der frühere amerikanische Präsident George H. W. Bush saß einst im Vorstand von Eli Lilly. Im Jahr 2000 leistete Lilly Wahlkampfspenden von insgesamt 1,6 Millionen Dollar, von denen 82% an George W. Bush und andere Republikaner gingen. 2001 ernannte Präsident Bush Lillys früheren stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Mitch Daniel zum Leiter der Bundesbehörde Office of Management and Budget (Amt für Management und Haushalt). Ein Jahr später wurde Lillys gegenwärtiger Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer von Präsident Bush in den neu eingerichteten Homeland Security Council (Heimatsicherheitsrat) berufen.

Die Tatsache, dass diese Todesfälle in den in der Fachliteratur veröffentlichten FDA-Prüfberichten über Atypika-Studien, auf die Psychiater und andere Ärzte als Richtlinie für ihre Verschreibungen angewiesen sind, nicht erwähnt wurden, ist ein Beweis für die Komplizenschaft der beteiligten Pharmafirmen mit den Psychiatern, die für diese Unternehmen Artikel verfassten, und den Chefredakteuren der Fachpresse, die diese Artikel veröffentlichten.

In jüngster Zeit erschienen in den Medien einige Berichte über Todesfälle durch Atypika, doch waren dies zumeist einmalige Meldungen in einigen wenigen Zeitungen, die zu keinen Reaktionen führten. Die gemeldeten Todesfälle waren in der Regel auf Gewichtszunahme und/oder Diabetes zurückzuführen.

So starb z. B. im Februar 2001 der Fernfahrer Frank Olenick aus Ohio im Alter von 40 Jahren, nachdem er in ein Diabetes-Koma gefallen war. Aus der Klage seiner Witwe Christine Olenick gegen Eli Lilly geht hervor, dass er Zyprexa zur Therapie von Depressionen und Entzugssymptomen eines Schmerzmittels, mit dem er nach einem Arbeitsunfall behandelt worden war, eingenommen hatte. Zwei Monate nach Beginn der Zyprexa-Behandlung brachte Frau Olenick ihren kranken Ehemann in die Klinik, wo sie von einer Krankenschwester erfuhr, dass dessen Blutzuckerspiegel um das 15fache erhöht war, obwohl der Mann gar keine Diabetes hatte. Eine Stunde später fiel er Frau Olenick zufolge ins Koma und starb. [Indianapolis Star, 16.3.2003]

Der 39jährige Rob Liversidge aus Maryland wiederum hatte durch eine Zyprexa-Behandlung seiner Manischen Depression mehr als 50 kg zugenommen. Die durch das Übergewicht ausgelösten gesundheitlichen Probleme beendeten seine Beamtenlaufbahn. Eine Woche bevor er nach langer Arbeitslosigkeit eine neue Stelle antreten sollte, brach er zusammen und wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo er trotz sofortiger Behandlung ins Koma fiel und vier Tage später starb. [Baltimore Sun, 19.3.2003]

Diese beiden Fälle gelangten in die Presse. Die meisten der durch Zyprexa verursachten Komplikationen und Todesfälle wurden jedoch vertuscht oder als solche gar nicht anerkannt. Eine Ausnahme bildet P. Murali Doraiswamys Bericht über Komplikationen bei Zyprexa-Konsumenten, die er sechs Jahre lang aus eigenem Antrieb an die FDA gemeldet hatte.

Doraiswamy, Leiter der Abteilung für Biologische Psychiatrie an der Duke University, schrieb:

"Unter den 289 Diabetes-Fällen, die mit der Einnahme [von Zyprexa] in Zusammenhang standen, waren 225 Neuerkrankungen. 100 Patienten erkrankten an einer Ketosis (einer schweren Diabetes-Komplikation), 22 an einer Pankreatitis, einer lebensgefährlichen [Bauchspeicheldrüsen-]Störung. Es gab 23 Todesfälle, darunter der eines 15jährigen Jugendlichen, der an einer Pankreas-Nekrose starb, einer Erkrankung, bei der die Bauchspeicheldrüse abstirbt. Die meisten Fälle (71%) traten innerhalb der ersten sechs Monate nach Beginn der medikamentösen Behandlung auf und standen mit einer leichteren Gewichtszunahme in Zusammenhang." [Pharmacotherapy, Juli 2002]

Bei älteren Menschen mit einer Demenz bestehen bei der Einnahme von Zyprexa und anderen Atypika zusätzliche Risiken. Anfang 2005 analysierte die FDA die Befunde aus 17 placebokontrollierten Studien zu Atypika, darunter Zyprexa. Die Behörde fand heraus, dass ältere Patienten mit einer Demenz eine 1,6- bis 1,7fach höhere Sterblichkeitsrate hatten als die, die Placebos erhielten. Die meisten starben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Infektionen wie einer Lungenentzündung.

Nach dieser Analyse verpflichtete die FDA die Atypika-Hersteller, diese Medikamente mit einem sog. Black-Box-Warnhinweis für ältere Patienten mit Demenz zu versehen. Black-Box-Warnhinweise sind jenen Arzneimitteln vorbehalten, die die schwerwiegendsten Nebenwirkungen haben. [New York Times, 12.4.2005]

Für Kinder und Jugendliche gibt es bei Zyprexa jedoch keinen solchen Warnhinweis, und das Medikament wird jungen Menschen immer häufiger verschrieben. Für Kinder hat das Mittel gar keine FDA-Zulassung, doch verordnen viele Ärzte Zyprexa und andere Atypika bei Autismus, Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, Hyperaktivität, sozialem Rückzug und aggressivem Verhalten. Vor allem Kinder in Pflegeheimen sind dieser Form des medizinischen Missbrauchs ausgesetzt.

Gewichtszunahme ist die in vieler Hinsicht beunruhigendste Nebenwirkung, denn sie verursacht viele andere Probleme. Diese Gewichtszunahme darf man nicht verharmlosen, wie es Dr. Alan Breier tat, der stellvertretende Vorsitzende von Eli Lillys Verkaufsabteilung und Leiter der Zyprexa-Arbeitsgruppe. Am 16. April 2003 erklärte er im Indianapolis Star, Zyprexa führe, wie einige andere Neuroleptika auch, bei etwa der Hälfte der Patienten zu Gewichtszunahme. Die richtigere Formulierung wäre gewesen: zu extremer Gewichtszunahme.

Zudem nimmt praktisch jeder, der Zyprexa erhält, zumindest etwas an Gewicht zu. Breier meinte auch, Übergewicht sei zwar ein Risikofaktor für Diabetes, führe jedoch nicht zwangsläufig dazu. Das ist nicht ganz falsch, auch Rauchen löst nicht zwangsläufig Lungenkrebs aus, doch verursacht extreme Gewichtszunahme eben extremes Übergewicht, und gesundheitsgefährdendes Übergewicht hat in den USA inzwischen das Ausmaß einer Epidemie angenommen. Die Korpulenz erhöht das bei Zyprexa ohnehin schon bestehende Diabetes-Risiko. In Amerika gibt es heute 18 Millionen Diabetiker. Mit mehr als einer halben Million Patienten, die Zyprexa erhalten, wird diese schon gefährliche Situation noch verschärft.

Der folgende Auszug aus dem am 11.3.2002 in Newsweek erschienenen Artikel von Sharon Begley, in dem Zyprexa in vieler Hinsicht positiv gesehen wird, veranschaulicht das Übergewichtsproblem und schildert die Wirkungen des Medikaments:

"Obwohl die Stimmen und Visionen nicht immer verschwinden, ermöglichen es die neuen Medikamente [d. h. die Atypika] den Schizophrenie-Betroffenen, einem Beruf nachzugehen und eine Familie zu gründen. Dennoch verstärken sie den Appetit und verändern möglicherweise auch den Stoffwechsel, was zu dem führt, das [Richard Wyatt, Leiter der Abteilung Neuropsychiatrie am National Institute of Mental Health] das 'riesige Problem' der extremen Gewichtszunahme nennt. [Donna Willey, eine für den Artikel interviewte Patientin] nimmt mit Zyprexa pro Jahr um 10 kg zu. Wog sie vor der Behandlung 60 kg, so sind es gegenwärtig 140. Dies hält manche Patienten davon ab, die Medikamente zu nehmen. Eine weitere Nebenwirkung ist benebeltes Denken, ein Gefühl, als ob die Gehirnsignale sich durch Karamel kämpfen müssten. Viele Patienten verlieren zudem Libido und Potenz. So wirksam die neuen Medikamente auch sein mögen, sie behandeln die Symptome, sie heilen nicht."

Reduzierte Leben, verkürzte Leben, zerstörte Leben! Welchen Nutzen hat so viel Qual und Leid überhaupt? Eine Analyse von 52 Studien, an denen 12.649 Patienten teilgenommen hatten, kam zu dem Schluss:

"Es gibt keine eindeutigen Belege dafür, dass die Atypischen Neuroleptika wirksamer oder verträglicher sind als die herkömmlichen Medikamente." [John Geddes et al., British Journal of Psychiatry, Dezember 2000]

Eli Lillys Geschäftsführung übernimmt jedoch keine Verantwortung für die verursachten Schäden. Man entschuldigte sich nicht, man bedauerte nichts, man leugnete lediglich weiter. Die außergerichtliche Einigung kommentiere Eli Lillys Vorstandsvorsitzender Sidney Taurel wie folgt:

"Wir halten die Schadensersatzforderungen zwar für unbegründet, doch haben wir uns zu diesem schweren Schritt entschlossen, weil wir denken, dass es im Interesse der Firma, der auf dieses Medikament angewiesenen Patienten und der Ärzte liegt. Wir wollten die erhebliche Verunsicherung aus der Welt schaffen, die mit solchen komplexen Gerichtsverfahren verbunden ist."

Dies waren keine beiläufigen Bemerkungen, die Aussage findet sich in Eli Lillys Presseerklärung zu der Einigung. Eine solche Reaktion wäre lachhaft, wäre das Thema für die Öffentlichkeit und die Eli-Lilly-Aktieninhaber nicht so ernst. Was mögen die Aktieninhaber wohl denken über einen Vorstandsvorsitzenden, der die Zahlung von 690 Millionen Dollar anordnet als Schadensersatz, der seiner Meinung nach "unbegründet" ist?

In Anbetracht der Rentabilität von Zyprexa werden sich die Eli-Lilly-Aktieninhaber jedoch kaum beschweren. Die Schadensersatzzahlung fällt einfach unter die Geschäftskosten. Was sind schon 690 Millionen oder gar 1,07 Milliarden Dollar im Vergleich zu den vielen Milliarden Dollar Gewinn, die Zyprexa seit seiner Markteinführung vor neun Jahren abgeworfen hat, ganz zu schweigen von den zu erwartenden künftigen Profiten?

Wie haben sich diese jüngsten Rechtsstreitigkeiten auf den Absatz von Zyprexa und den Eli-Lilly-Aktienkurs ausgewirkt? Im zweiten Quartal 2005 ist der weltweite Absatz von Zyprexa im Vergleich zum selben Quartal im Vorjahr um 10% gefallen, während er in den USA um 21% abgenommen hat. Wichtiger für die Aktieninhaber ist jedoch, dass der Eli-Lilly-Kurs um rund 16% gefallen ist, von 67,30 Dollar Höchststand in den letzten zwölf Monaten auf 56,32 Ende Juli 2005.

Durch die betrügerischen Geschäftspraktiken des Energiekonzerns Enron haben viele Menschen ihre Ersparnisse verloren. Durch Eli Lillys betrügerische Arzneimittelinformation haben noch mehr Menschen ihre Gesundheit oder ihr Leben eingebüßt. Anders als beim Enron-Skandal jedoch wurde keiner der Verantwortlichen von Eli Lilly verhaftet oder eines Vergehens angeklagt. Dass der Vorstand von Eli Lilly vor Gericht steht, wird in absehbarer Zeit kaum geschehen.

Was kann nun getan werden? Ob man es Verbrechen nennt oder Tragödie, die Angelegenheit ist auf jeden Fall ein Problem der öffentlichen Sicherheit von gewaltigem Ausmaß und erfordert das Eingreifen der Regierung. Eine bloße Warnung der Patienten vor den schweren Nebenwirkungen von Zyprexa reicht als Schutzmaßnahme nicht aus.

Als das Medikament Thalidomid (Contergan) Anfang der 1960er Jahre zu schrecklichen Missbildungen bei Tausenden von Neugeborenen führte, wurde es von der FDA verboten. Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis die Regierung sich entschließt, die Bürger durch ein Verbot von Zyprexa zu schützen?