in: Der Bunte Spleen (Berlin), Nr. 55 (Juni 2004), S. 31 – 32

Vertrauens- und Beschwerdestelle Neukölln

Ein Bericht von Hannelore Klafki

Ein Jahr lang war ich die Ansprechpartnerin der Vertrauens- und Beschwerdestelle für den ambulanten Bereich der Psychiatrie in Neukölln. Ich habe diese ehrenamtliche Arbeit aus mehreren Gründen zum Ende des Jahres 2003 wieder aufgegeben. Nachfolgend meine Kritik und Verbesserungsvorschläge.

Bild aus: Der bunte SpleenUnabhängig von dem Engagement der damaligen Psychiatriekoordinatorin Frau Dr. Anne Hörning-Pfeffer, eine Vertrauens- und Beschwerdestelle in Neukölln einzurichten, habe ich im Laufe meiner Arbeit leider feststellen müssen, dass eine so konzipierte Beschwerdestelle an sich ein Widerspruch ist: Sie soll eine Interessenvertretung der Betroffenen sicherstellen, und gleichzeitig versteht sie sich als Teil der gemeindepsychiatrischen Versorgung und arbeitet mit der bezirklichen Psychiatriekoordinatorin zusammen. Auch wenn ich persönlich ein sehr gutes Verhältnis zu Frau Dr. Hörning-Pfeffer habe und vor einer Einmischung sicher sein konnte, ist so eine Zusammenarbeit problematisch und deshalb prinzipiell nicht zu befürworten.

Mehrere AnruferInnen erfragten vorab telefonisch diesen Zusammenhang und sind deshalb nicht zu einem persönlichen Gespräch in der Uthmannstraße zu bewegen gewesen. Des Weiteren war es für einige AnruferInnen enttäuschend, dass ich ihnen mitteilen musste, dass eine Rechtsberatung nicht erfolgen kann.

Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V., in dessen geschäftsführenden Vorstand ich Mitglied bin, organisierte im September 2000 eine Tagung in Kassel: "Modelle für Recht und Transparenz in der Psychiatrie". Hier wurde ein Rechtsanspruch auf die Vertretung der Betroffenen durch Patientenvertrauenspersonen gefordert:

"Psychiatriebetroffene sind die einzigen Menschen in rechtsstaatlichen Demokratien, denen die Freiheit entzogen werden darf, ohne eine Straftat begangen zu haben und die behandelt werden dürfen, ohne dass sie einverstanden sind.
Diese Verletzung der Persönlichkeitsrechte erfordert einen Ausgleichfaktor in Form einer unabhängigen, kompetenten und legitimierten Beschwerdeinstanz für Menschen in psychischen Notlagen, denen Unrecht widerfahren ist oder widerfährt."

Vom PARITÄTISCHEN wurde übrigens eine Projektuntersuchung der bezirklichen Beschwerdestellen in Auftrag gegeben – durchgeführt wurde diese im Rahmen eines Praktikums von der Psychologin Jasna Russo. Diese Arbeit kann beim PARITÄTISCHEN angefordert werden und ist inzwischen auch im Internet nachzulesen. Aus der Summe ihrer Forderungen, die ich zum großen Teil wortwörtlich übernehmen konnte und meiner Erfahrungen habe ich folgende Thesen für die künftige Arbeit von Beschwerdestellen formuliert:

  • Die Beschwerdestellen sollen in erster Linie ein Angebot für die Betroffenen zur Stärkung ihrer Kräfte und Sicherstellung ihrer Souveränität und Selbstbestimmung sein. Dieses Angebot muss so konzipiert werden, dass die Betroffenen sich gesehen und eingeladen fühlen.

  • Unabhängige Beschwerdestellen mit einer gezielten und ausreichenden konzeptionellen Beteiligung der Betroffenen können auch zu einem Korrektiv für die Psychiatrie werden und den notwendigen Beitrag zu ihrer Qualitätskontrolle leisten.

  • Beschwerdestellen dürfen kein Teil der Gemeindepsychiatrie sein. Eine deutliche strukturelle, das heißt räumliche und personelle Trennung muss vorhanden sein.

  • Beschwerdestellen müssen unabhängige Träger haben, die sich von öffentlichen Geldern, Spenden und Stiftungsgeldern finanzieren (keine Pharmagelder!).

  • Beschwerdestellen können keine Neutralität anstreben. Partei für die betroffene Person ergreifen heißt aber nicht, ihr immer Recht zu geben. Das Prinzip der Parteilichkeit basiert auf dem Bewusstsein über die Machtverhältnisse in der Psychiatrie. Die Vertrauenspersonen der Beschwerdestelle müssen den Betroffenen zur Seite stehen und können nicht so tun, als ob ihre Gleichberechtigung im psychiatrischen System vorhanden wäre.

  • Die Beschwerdestelle muss für die Betroffenen leicht zugänglich sein. Sie muss z.B. auch eine eigene Klingel haben – Betroffene wussten oft nicht, wo sie klingeln sollten, wenn sie zu mir kommen wollten. Außerdem muss sie behindertengerecht sein und darf nicht, wie in der Uthmannstraße, im zweiten Stock liegen.

  • Alle Beschwerden müssen aufgenommen werden und dies muss immer unbürokratisch und unkompliziert passieren. Komplizierte Fragebögen, wie z.B. in Reinickendorf entwickelt, sind eher abschreckend.

  • Der Betroffene braucht keine Bedingungen zu erfüllen oder Kosten zu tragen damit seine Beschwerde aufgenommen wird.

  • Die Arbeit der Beschwerdestelle muss eine bezahlte und kann keine ehrenamtliche Arbeit sein. Ich habe zwar nachträglich eine Aufwandsentschädigung erhalten, doch diese reicht nicht aus, denn nur die Beschwerdestellen mit genug Finanz- und personellen Ressourcen haben die Voraussetzungen für eine wirklich unabhängige und qualitativ gute Arbeit.

  • Die Arbeit der Beschwerdestelle muss eine Team- und darf keine Einzelarbeit sein. Einzelne, gerade auch einzelne Betroffene, werden hier verheizt und sind hoffnungslos überfordert. Außerdem sollten künftige BewerberInnen für die Beschwerdestellenarbeit unbedingt die Möglichkeit erhalten, an einen Fortbildungskurs für Gesprächsführung kostenlos teilzunehmen. Viele Betroffene erzählen ihr schweres Schicksal, deshalb sollten die MitarbeiterInnen auch die Möglichkeit einer Supervision erhalten.

  • Mindestens die Hälfte der MitarbeiterInnen der Beschwerdestelle muss eigene Erfahrung mit der Psychiatrie haben.

  • In der Beschwerdestelle muss die Möglichkeit vorhanden sein, nach Wunsch der Betroffenen geschlechtspezifisch beraten zu werden.

  • Rechtsberatung darf nicht ausgeschlossen werden. Daher muss den Betroffenen in den Räumen der Beschwerdestelle ein Rechtsanwalt zur Verfügung stehen. Die Kosten der Rechtsberatung müssen von der Beschwerdestelle getragen werden und müssen für die Betroffenen kostenlos sein.

  • Die Beschwerdestelle sollte nach Interesse unabhängige Informationen und Informationsveranstaltungen anbieten – unter anderen gerade auch zu solch problematischen Themen wie Haupt- und Nebenwirkungen von Psychopharmaka.

  • Die Räume der Beschwerdestelle sollten auch Gruppen der Betroffenen und ihrer UnterstützerInnen zur Verfügung stehen, die sich zu bestimmten Themen und Anliegen bilden.

Auffallend ist für mich, wie wenig sich die Neuköllner Betroffenen engagieren und sich für ihre Rechte einsetzen. Aus meiner Sicht sollten die einzelnen Träger deshalb erst einmal bei sich selber anfangen. Das bedeutet, sie sollten sich fragen, inwieweit sie die Ressourcen ihrer KlientInnen kennen und welche Unterstützungsstrukturen sie aufbauen könnten, um ihre KlientInnen zu ermuntern, ihre Bedürfnisse und Interessen einzufordern. Sie könnten zum Beispiel Klientenbeiräte, Projektsprecher oder ähnliches einführen und damit die Mitsprache der Betroffenen in den Projekten aufbauen und fördern. Aus all den oben genannten Gründen werde ich die Arbeit in der Beschwerdestelle nicht mehr ausüben können.