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des Antipsychiatrieverlags
In: Soziale Psychiatrie (BRD), 23. Jg. (1999), Nr. 4, S. 17 /
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Peter
Lehmann
Wünsche Visionen Hoffnungen
Visionen zur Psychiatrie 2019
Ich bin ein Gründungsmitglied der
Irren-Offensive e.V. (Berlin) 1980, habe diese Gruppe aber bereits 1989 gemeinsam
mit anderen aktiven, an Alternativen zur Psychiatrie interessierten antipsychiatrischen
MitstreiterInnen verlassen, um den Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt
e.V. (Trägerverein des Weglaufhauses Berlin) zu gründen. Als bereits
seit zwei Jahrzehnten antipsychiatrisch Aktiver wünsche ich mir, dass im
Jahre 2019 die 1997 an die WHO übermittelten Forderungen des Europäischen
Netzwerks von Psychiatriebetroffenen, in dem Betroffenen-Organisationen aus ca.
30 Ländern auf demokratischer Basis zusammengeschlossen sind, längst
erfüllt sind.
Wünsche
Hierzu gehört
vor allem der Schutz des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit von
Menschen mit psychischen Problemen bzw. Menschen, denen psychische Probleme nachgesagt
werden. Als Form der Nutzerkontrolle sind Psychiatriebetroffene auf Basis einer
normalen Bezahlung in die Ausbildung und Prüfungskommissionen von Ärzten,
PsychologInnen, Krankenschwestern, SozialarbeiterInnen und BeschäftigungstherapeutInnen
einbezogen. Für jedes psychiatrische Bett gibt es ein Bett in einem anti-
oder nichtpsychiatrischen Weglaufhaus (vielleicht heißt diese Einrichtung
mangels psychiatrischer Gewalt jetzt Hinlaufhaus?), jedes zweite psychiatrische
Bett soll in einer Soteria-artigen Einrichtung stehen. Psychiater (so es sie noch
gibt), die ohne informierte Zustimmung behandeln, verlieren ihre ärztliche
Zulassung. Folgendes ist in psychiatrischen Einrichtungen vorhanden: Patienten-Telefone
in einer Kabine auf jeder Station; Münzkopierer deutlich sichtbar im Eingangsbereich
jeder Anstalt; deutlich sichtbarer Anschlag auf jeder Station, dass auf Wunsch
Briefpapier, Briefumschläge und Briefmarken zur Verfügung gestellt werden;
Möglichkeiten zum Aufhängen von Informationsschriften von lokalen, regionalen
und nationalen Selbsthilfegruppen; Angebot eines täglichen Spaziergangs unter
freiem Himmel von mindestens einer Stunde Dauer; Teeküche auf jeder Station,
damit man sich rund um die Uhr etwas zu essen und zu trinken machen kann. Psychiatrische
Akten sind den Betroffenen jederzeit und ohne Begründungszwang zugänglich.
Diese haben das Recht auf Kopien, Korrekturen und Kommentierungen.
Visionen
Auf
den Arbeitsämtern sitzen Psychiater herum, die ihre Approbation verloren
haben, indem sie willkürlich ohne informierte Zustimmung behandelt haben.
Einige schämen sich sogar angesichts ihres andauernden Verstoßes gegen den
hippokratischen Eid. Sie erhalten jedoch aufgrund der Selbstverschuldung des Arbeitsplatzverlustes
keine finanziellen Hilfen. Eine Reihe besonders hartnäckiger Zwangsbehandler
sitzt noch im Gefängnis. Psychiatriegeschädigte werden inzwischen mit
großzügigen Schadenersatzzahlungen bedacht. Krankenkassen und Regierungen
finanzieren Alternativen zur Psychiatrie, da die Erkenntnis nicht mehr zu unterdrücken
ist, dass sich mit medizinisch-pharmakologischen Methoden psychosoziale Probleme
nur um den Preis der Chronifizierung kurzfristig unterdrücken lassen. Den
Hauptteil der Finanzierung tragen jedoch Pharmaunternehmen, die nach dem Vorbild
US-amerikanischer Tabakfirmen Milliarden DM in einen vom BPE verwalteten Pool
einbringen.
Hoffnungen
2019 unterstützt
die DGSP aktiv die 1999 in Santiago/Chile beim Weltkongress der World Federation
for Mental Health angenommene Resolution gegen die drohende Ausbreitung ambulanter
Zwangsbehandlung. Außerdem werden Themen wie psychopharmakabedingte Schäden
(z.B. tardive Dyskinesien oder chronifizierte Psychosen) nicht weiter tabuisiert
und bei Kongressen in AGs abgeschoben (von der Schlachthausmethode des Elektroschocks
ganz zu schweigen). Bereits zu Beginn des dritten Jahrtausends wird der BPE-Vorstand
gebeten, bei DGSP-Kongressen jährlich einen qualifizierten Hauptredebeitrag
zu Behandlungsschäden zu halten, um endlich mal etwas für den Rückgang
der behandlungsbedingten Hirnschäden zu tun.
Auch im Selbsthilfebereich
setzt sich nach der Jahrtausendwende eine Qualitätsdiskussion eigener Gruppen
und Dienste durch. Demokratische Verhältnisse sorgen für eine Respektierung
auch abweichender Meinungen; schillernde Figuren, die ihre Finanzmittel einsetzen,
um andersdenkende Psychiatriebetroffene zu beschimpfen oder beleidigen zu lassen,
verschwinden daraufhin von der Bildfläche.
Ausblick auf
meine eigene Zukunft
Mein Antipsychiatrieverlag und -versand heißt im Jahre
2019 »Ohnepsychiatrieverlag« und hat 120 feste MitarbeiterInnen,
die mit Rechnungschreiben und Versenden nicht mehr nachkommen.
Bücher über Psychopharmaka- und Elektroschockschäden
sind nur noch als Reprints erhältlich; neue Bücher zu
diesen Themen sind nicht mehr nötig, da die schädlichen
Methoden nicht mehr praktiziert werden. Dafür gibt es ein
breites Spektrum an Büchern über ein ebenso breites
Spektrum nichtpsychiatrischer nutzerbetriebener oder nutzerkontrollierter
Hilfeeinrichtungen.
Ich selbst nähere mich dem 70. Geburtstag, wohne abwechselnd am Meer
und in der Stadt und schaue ab und zu mal, ob in meinem Verlag alles wie gewünscht
läuft.
Copyright by Peter Lehmann 1999