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in: Kerstin Kempker / Peter Lehmann (Hg.): Statt Psychiatrie, Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1993, S. 449-482 / PDF

Peter Lehmann, Peter Stastny, Don Weitz

Wege zum Ausstieg aus der Psychiatrie

Psychiatrie, Gemeindepsychiatrie, Antipsychiatrie, Nichtpsychiatrie

Psychiatrie bedeutet vieles: Umwertung von sozial und politisch unbequemen Handlungsweisen, Gefühlen und Entwicklungen zu psychischen Krankheiten; Abstempelung der Betroffenen als kranke, heilungsbedürftige, minderwertige Menschen; Aussonderung aus der Gemeinschaft von – mehr oder weniger – Gleichen und Einschließung in psychiatrische Gefängnisse oder Abschiebung in andere Sondereinrichtungen; Vorenthaltung psychischen und sozialen Beistands, sofern gewünscht, statt dessen Behandlung des Körpers zur Unterdrückung unerwünschter ›Krankheitszeichen‹, derzeit meist mittels Psychopharmaka (chemischen Knebeln).

Aufgrund der extrem schädlichen Wirkung moderner psychiatrischer Behandlungsmaßnahmen (Elektroschock; Neuropsychopharmaka, speziell Neuroleptika) muss die Diskussion über neue Wege der Psychiatrie-Entwicklung auch eine kritische Bestandsaufnahme sozialpsychiatrischer, d.h. auf Neuroleptika-Dauerverabreichung basierender, Reformversuche leisten. Es wäre zynisch, die Anwendung von Neuroleptika gegen DissidentInnen in totalitären Ländern als Folter anzuprangern und dieselbe Behandlung hierzulande als therapeutische Hilfe ausgeben zu wollen. Dem widerspricht nicht, dass es eine Reihe von Menschen gibt, die sich aus eigenem Entschluss in psychiatrische Psychopharmaka-Behandlung geben.

Menschliche Hilfeleistung in psychischen und sozialen Notlagen kann nicht mit (sozial-)psychiatrisch-medizinischen Maßnahmen auf Grundlage entrechtender Eingriffe geleistet werden, sondern nur in Form von psychischem und sozialem Beistand, basierend auf dem Recht auf freie Wahl der Hilfe sowie dem Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Betroffene, gegen deren Selbstbestimmungsrecht die Psychiatrie verstößt, sollten sich zusammenzuschließen, ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen und (unter Berücksichtigung ihres Rechts auf psychopharmakafreie Hilfe) an den Aufbau selbstverwalteter und nutzerkontrollierter alternativer Einrichtungen machen.

Körperverletzung Psychiatrie

Habe leider auch eine Nervenklinik kennengelernt – und zwar die in Berlin-Spandau. Man hat mich dort unter dem Vorwand hingeschickt – weil im Krankenhaus kein Bett frei sei. Ich hatte das Ende einer Ehe hinter mir, und ich bat das Gesundheitsamt Spandau, mich ein paar Tage ausruhen zu dürfen in einem Krankenhaus. Ich wollte nur ein paar Tage ausruhen und nachdenken – weil ich kein Bett zum Schlafen hatte. Ganz allein bin ich dort ahnungslos in diese Nervenklinik reingegangen. Nach ein paar Minuten merkte ich, was los war, und bat, dass man mich nach Hause gehen lassen mochte. Ich wollte lieber zurück zu einem Ehemann, der mir mit Prügeln gedroht hat, als in eine Nervenklinik. Da ich Schwester und Arzt angeschrieen habe und mit dem Gericht gedroht habe, hat mich dieser Dr. G. mundtot gemacht. Ich musste mich nackt ausziehen – dieser Dr. G. hat mir irgendeinen Paragraphen vorgelesen und wörtlich zu mir gesagt, dass er innerhalb von 24 Stunden mit mir machen kann, was er will. Danach bekam ich eine herrliche K.o.-Spritze, von der ich über 15 Stunden schlief. Darauf bekam ich Augenkrämpfe und Ohnmachtsanfälle. Unter Zwang musste jeder Tabletten nehmen (ansonsten vom Arzt Spritze). Ich durfte erst nach Hause, als ich sagte, dass ich zum Ehemann zurückkehre. Es gab eine Gerichtsverhandlung auf der Station – ich spielte eine glückliche Ehefrau – war ja alles wieder o.k. Bin inzwischen geschieden, habe meine erste Reise nach Ibiza hinter mir. Wenn man die Norm unserer Gesellschaft durchbricht, ist man verrückt. Leider konnte ich diesen Dr. G. nie vor Gericht bringen, da unsere Gesetze ihm Recht geben. Ich hoffe, da drinnen (Nervenklinik Spandau) jagt mal jemand dem Arzt seine eigene Spritze in den Arsch. Dann möchte ich ihm seine blöde Visage in einem Spiegel zeigen – Kinder, können wir den nicht mal fragen, ob er sich zur Verfügung stellt!
Mit allerbesten Grüßen
Hannah Trieper

Diesen Leserbrief (Trieper 1987) erhielt die Selbsthilfegruppe von Psychiatriebetroffenen, in der ich einige Jahre aktiv war. Unter einem Pseudonym spricht die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Autorin alle wesentlichen Bestandteile der institutionellen Psychiatrie an: Vorgabe von Hilfe, gewalttätige Bestrafung von Normbrüchen, Sexismus, Rechtlosigkeit, körperschädigende Behandlung, aber auch die Notwendigkeit des Widerstands.

Über die Schädlichkeit psychiatrischer Maßnahmen wie Elektroschock und Neuroleptika liegt mittlerweile eine Vielzahl eindeutiger Literatur vor; MedizinerInnen, Psychiater und Betroffene schreiben von schweren körperlichen, geistigen und psychischen Folgeschäden sowohl der Elektrokrampf-›Therapie‹ (EKT) als auch der Neuroleptika. Mit diesen ›antipsychotischen Medikamenten‹ behandelt werden ca. 95% der psychiatrisch Untergebrachten sowie in steigender Zahl in Altenheimen Menschen mit störender und unbequemer Lebens- und Sinnesweise.

In meinem Buch »Der chemische Knebel – Warum Psychiater Neuroleptika verabreichen« (1990) stellte ich psychiatrische Publikationen über die Neuroleptika-Behandlung zusammen. Deren Wirkungsweise wird – von den Psychiatern selbst – charakterisiert als (Lebensvorgänge hemmende) Verringerung der Sauerstoffaufnahme des Hirngewebes, als Beeinträchtigung der Hirnanhangdrüse und somit des gesamten Hormonsystems, als künstliche Herstellung einer Parkinsonkrankheit (aufgrund der Blockade des Dopamin-Stoffwechsels) sowie als Schaffung eines hirnlokalen Psychosyndroms (S. 83ff.). Damit übereinstimmend, wenn auch mit anderer Bewertung, sprach der Schweizer Psychiater Hans Walther-Büel (1955) die Tatsache aus, dass Neuroleptika, von manchen Psychiatern auch Neuroplegika (Nervenlähmungsmittel) genannt, keine harmlosen und froh machenden Glückspillen sind, sondern Substanzen, die eine erhebliche Beeinträchtigung des Zentralnervensystems mit sich bringen:

Die neuroplegisch wirkenden Substanzen an sich erzeugen ein Zustandsbild (Schlafsucht, Apathie, Stumpfheit, später eventuell Rastlosigkeit...), das als hirnlokales Psychosyndrom bzw. in der Regel als Stammhirnsyndrom anzusprechen ist (...). Dass die Erzeugung eines solchen (neben der Schockwirkung) einen praktisch-therapeutischen Nutzen haben kann, haben wir durch die Erfahrung mit der Leukotomie (Durchtrennung der Stirnhirn-Thalamus-Nervenbahnen) gelernt (...). Nicht zu Unrecht sprechen französische Autoren von einer pharmakologischen Lobotomie. (S. 292f.)

Manche Psychiater ziehen den nicht minder treffenden Ausdruck »Einsteifung« (Dreher 1982, S. 132) vor. Die anhand psychiatrischer Veröffentlichungen und Herstellerinformationen gemachten Angaben zu den schädlichen Auswirkungen (›Neben‹-Wirkungen) der Neuroleptika lassen sich wie folgt zusammenfassen: Durchschnittlich 90% aller Behandelten leiden unter atrophischen, d.h. eine Schrumpfung des Gehirns beinhaltenden Zuständen; 90% Bewegungsstörungen, häufig irreversibler Art; 30% Fieberanfälle; bis zu 100% krankhafte EKG-Veränderungen; 50% Zahnfleischentzündungen, oft mit Zahnausfall verbunden; (bei fortdauernder Behandlung) 80% Lebererkrankungen; 40% Diabetes; 43% Fettleibigkeit. Weiter sind zu nennen: Sterilität, Ausbleiben der Menstruation, Impotenz; Farbstoffablagerungen im Auge und im Herzmuskel; signifikant erhöhte Zahl von Chromosomenbrüchen und -rissen, die zu Mutationen führen; seelische Abstumpfung – (»Zombie-Effekt«, Willenlosigkeit, Verzweiflungszustände mit Selbsttötungsgefahr, Verwirrtheit und Delir. In den USA müssen seit September 1978 Informationszettel über Neuroleptika einen Warnhinweis erhalten, dass diese bei Nagetieren Neoplasmen (Geschwulstbildungen), die in Krebs übergehen können, in den Brustdrüsen hervorrufen können, wenn sie langzeitig in der Dosierung verabreicht werden, die heute in der Dauerbehandlung üblich ist (»Transparenz-Telegramm« 1983, S. 490); im deutschen Sprachraum wird diese nicht uninteressante Information den Betroffenen und ihren Angehörigen vorenthalten. An einer anderen Schädigung, an Neuroleptika-bedingter tardiver Dyskinesie (einer veitstanzförmigen, nicht behandelbaren Muskelerkrankung, auch Späthyperkinese genannt) litten nach Berechnungen des englischen Psychologen David Hill 1985 weltweit bereits 38,5 Millionen Menschen irreversibel (Lehmann & Hill 1989). In einer 1991 veröffentlichten Studie über eine Stichprobe gemeindepsychiatrisch behandelter und z.T. in ›betreutem‹ Einzelwohnen oder ›therapeutischen‹ Wohngemeinschaften lebender Berliner spricht die Autorengruppe von einem durchschnittlichen Vorkommen von 59% tardiven Dyskinesien: Von den untersuchten ›Betreuten‹ wurden 265 von niedergelassenen Nervenärzten behandelt und verließen deren Praxen mit einer Wahrscheinlichkeit von 96,2 zu 100 unter Neuroleptika-Einfluss; die Institutsambulanz der Nervenklinik Berlin-Spandau verabschiedete ihre 108 Stichproben in 94% aller Fälle mit Neuroleptika. Ergebnis: 21% der ›langzeitbetreuten psychisch Kranken‹ entwickelten eine tardive Dyskinesie leichter Form, 18% dieselbe Erkrankung in mittlerer und 20% gar in schwerer Ausprägung (Kaiser et al. 1991).

Alle bekanntgewordenen Neuroleptika-Schäden einschließlich tödlicher Komplikationen treten bei allen Neuroleptika auf, auch den sogenannten schwachpotenten, auch schon nach kurzer Dauer, auch bei geringer Dosis. Nicht zuletzt Hanfried Helmchen, Chef der Berliner Uni-Anstalt und ehemaliger Führer des deutschen Psychiatervereins DGPN, warnt in einer internen Diskussion unter Psychiatern vor der gefährlichen Illusion, es gebe einen prinzipiellen Unterschied zwischen gefährlichen und ungefährlichen Verabreichungsmengen. Er beschreibt einen Erstickungsanfall, der in einer Vielzahl von Fällen tödlich endet (siehe Lehmann 1990, S. 136ff.). Tonoquil ist ein Misch-Psychopharmakon, das u.a. das Neuroleptikum Thiopropazat enthält:

In der Berliner Klinik trat bei einem Staatsexamenskandidaten in der Prüfungssituation ein Zungenschlundsyndrom auf. Nach genauem Befragen war herauszufinden, dass der Betreffende eine Tablette Tonoquil eingenommen hatte; hier scheint die These, dass Minidosen völlig unschädlich seien, doch widerlegt. (1983)

Zuletzt will ich hervorheben, dass Neuroleptika den Behandelten bleibende Nervenerkrankungen einbringen können, die sie erst richtig verrückt machen. Wie Laborversuche der Forschergruppe um Angus Mackay in Schottland zutage brachten, können Neuroleptika zu einer spezifischen Veränderung des Nervensystems führen, nämlich zu einer unnatürlichen Erhöhung der Zahl der Rezeptoren, d.h. der Empfangsstellen für die Nervenimpuls-Überträgerstoffe an den Nervenspalten, und damit zu ›Schizophrenie‹-artigen Zuständen, auch wenn der Behandlungsgrund keine psychiatrische Diagnose war (Mackay et al. 1982). Der schwedische Arzt Lars Martensson setzt deshalb die Neuroleptika-Behandlung mit dem Einbau künstlich psychotisch machender Substanzen gleich (Martensson 1988). Alle Erfahrungen mit psychiatrischer Langzeitbehandlung gehen in dieselbe Richtung. Die Erstbehandlung ist es, die unbedingt zu verhindern ist, da sie, wie dies auch bei harten Drogen der Fall ist, die Weichen zur Abhängigkeit vom psychiatrischen System stellt, der psychiatrischen Industrie bleibenden Absatz verspricht. Dabei spielt es keinerlei Rolle, ob die Anbehandlung, so der psychiatrische Fachbegriff, ohne spezielle Nötigung oder gewaltsam stattfindet.

Klaus Dörner, einer der Chefideologen der Deutschen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (DGSP), lehrt den Elektroschock, eine andere zeitgemäße Form psychiatrischer Behandlung:

Wir verwandeln den seelisch leidenden vorübergehend in einen hirnorganisch kranken Menschen, bei der EKT nur globaler, dafür kürzer als bei der Pharmako-Therapie. (Dörner & Plog 1992, S. 545)

Vor der hirnschädigenden Wirkung des Elektroschocks warnen der amerikanische Neurologe John Friedberg (1976, 1977) und sein Landsmann, der Psychiater Peter Breggin (1980). Dieser stellt die Zerstörungen der Nervenzellen in den Mittelpunkt seiner Kritik; die Schäden kommen durch die epileptischen (Grand mal-) Anfälle zustande, ausgelöst durch die Stromstöße, die durch das Gehirn gejagt werden. Aber auch die psychischen und geistigen Folgeschäden bringt Breggin eindrucksvoll in Erinnerung, wenn er z.B. den ›therapeutischen‹ Ansatz zweier Elektroschocker kritisiert, die im Kreise ihrer Kollegenschaft ihr Erfolgsprinzip offenbaren:

Nach unserer Ansicht war die Regression des Patienten ausreichend fortgeschritten, wenn er einnässte und einkotete und sich wie ein vierjähriges Kind verhielt bzw. so sprach. Diese Patienten waren verwirrt, konnten sich nicht um ihre persönlichen Belange kümmern und nahmen ab, obwohl sie aßen – in einigen Fällen die übliche Menge. Häufig mussten sie gefüttert werden... Manchmal klingen die Verwirrtheitszustände schnell wieder ab. Die Patienten verhalten sich dann, als wären sie aus einem Traum erwacht. Ihr Gemüt wirkt wie ein unbeschriebenes Blatt, auf dem wir nun schreiben können. Im allgemeinen sind sie kooperativ und sehr leicht zu beeinflussen und damit offener für Psychotherapie. (Kennedy & Anchel 1948; zit.n. Breggin 1980, S. 191)

Eine exakte Beschreibung von Gehirnwäsche, der nichts hinzuzufügen ist außer der Tatsache, dass seit 1948, dem Jahr ihrer Veröffentlichung, die Stromstärke des Elektroschocks und die jeweilige Dauer seines Vollzugs ständig gestiegen sind.

Drehtürpsychiatrie und gemeindenahe Abschiebeeinrichtungen

Gemeindepsychiatrie gilt immer noch vielen als fortschrittlich. Die Frage stellt sich, in welche Richtung diese Psychiatrie schreitet, ob sie eher im Interesse der an Selbstbestimmung orientierten Betroffenen handelt als die gewöhnliche Anstaltspsychiatrie. Sind Gemeindepsychiater potentielle Bündnispartner kritischer Psychiatriebetroffener?

Gemeindenahe Außenstellen in Anlehnung an die Psychiatrische ›Außenfürsorge‹ vor 1945 hatte schon 1961 der deutsche Psychiater Harald Neumann herbeigesehnt, um durch Überwachungsmaßnahmen das ›Halten von Schizophrenen‹ außerhalb von Anstalten pflegeleicht gestalten zu können:

Die frühere Möglichkeit, im Rahmen der nachgehenden Anstaltsfürsorge verlässliche Unterlagen zu sammeln, ist ja noch nicht wieder möglich, da man gerade eine Außenfürsorge aufzubauen beginnt. Im Vorgriff auf die weiteren Ausführungen sei vermerkt, dass in Zukunft wahrscheinlich die Hauptaufgabe jeder nachgehenden Fürsorge der Psychiatrischen Landeskrankenhäuser sein wird, die Dauermedikation entlassener schizophrener Kranken zu überwachen, um möglichst viele Kranke draußen halten zu können. (1961, S. 328f.)

Tages- und Nacht-›Kliniken‹ sind der bewährte nächste Schritt nach der Anstalt im System der pharmakologischen und sozialen Totalüberwachung:

Nachtkliniken geben dem tagsüber außerhalb schon voll arbeitenden Kranken die Möglichkeit, abends oder morgens mit dem Arzt zu sprechen, der wiederum die Medikation gut überwachen kann. Auch können sich die Rekonvaleszenten hier in einer verständnisvollen Umwelt von den Tagesspannungen entlasten. Durch Nachtkliniken lassen sich frühzeitige Entlassungen ermöglichen. Mit Hilfe von Tageskliniken lassen sich hingegen Krankenhauseinweisungen vermeiden. So können Tagespatienten (z.B. geriatrische [alte] Patienten) über Nacht in ihrer Familie verbleiben, während sie tagsüber in der Tagesklinik betreut werden. In Spezialambulanzen wird der psychopathologische Befund der Kranken überwacht und die Medikation gesteuert. Vor diesem Hintergrund können Arzt und nachgehende Fürsorge die weiteren Hilfen für den Kranken etwa seitens der öffentlichen Gesundheitsämter oder der Arbeitsämter oder bestimmter Betriebe koordinieren. Vor allem aber können sie in engem Kontakt mit dem weiterbehandelnden Hausarzt den psychosozialen Leistungsbereich des Patienten gut abschätzen und dementsprechend einen wirklichkeitsgerechten Gesamtbehandlungsplan aufstellen. Ein wesentliches Fundament dieses ganzen Systems ist nun die psychiatrische Pharmakotherapie. (Helmchen et al. 1967, S. 329)

Depot-Neuroleptika spielen in diesem Kalkül die wesentliche Rolle, so Otfried Linde aus der Pfalz-›Klinik‹ Landeck:

Da aber die Schizophrenie in der Regel chronisch exazerbierend (verschlimmernd) oder progressiv verläuft und die Exazerbationsquote direkt mit abhängig ist von einer anhaltenden neuroleptischen Medikation, ist eine verlässliche depotneuroleptische Behandlung die conditio sine qua non (unerlässliche Voraussetzung) für eine extramurale (außerhalb der Anstaltsmauern vollzogene) Therapie. (1976, S. 21)

Der Wiener Psychiater Raoul Schindler kann aufgrund seiner langjährigen Erfahrung, in die auch eine fünfjährige Verlaufsstudie an über 500 ›Schizophrenen‹, die von konventionellen Neuroleptika auf Depot-Präparate ›umgesetzt‹ wurden, eingeflossen ist, stolz berichten: »Der Vormarsch der Depot-Neuroleptika ermöglicht grundsätzlich eine fast 100%ige Nachbehandlungsdisziplin...« (1976, S. 347)

Wie es zu einer nahezu totalen Dauerbehandlung mit Neuroleptika kommt, auch wenn sich einzelne Betroffene nach der Anstaltsentlassung weiterer neuroleptischer Behandlung entziehen wollen, berichtete Schindler auf dem Kongress der DGPN 1974 in München in seinem Bericht über die in seinen Augen vorbildliche Tätigkeit der sozialpsychiatrischen Organisation ›Pro Mente Infirmis‹ (›Für die Geisteskranken‹). Innerhalb seiner vier über das Wiener Stadtgebiet verteilten Sozialpsychiatrischen Beratungsstellen bietet Schindler den Betroffenen, die er mit Neuroleptika niederspritzen will, ein ›intimes‹ Zusammensein an, das, soweit die Betroffenen dieser psychiatrischen Intimität durch Fernbleiben ein Ende machen wollen, durch die Nachstellungen bezahlter LaienhelferInnen bis in die Privatwohnungen der ›Schizophrenen‹ ausgeweitet werden kann, wobei der vollen Entfaltung dieser Intimität durch die Gesetze in Österreich allerdings noch letzte Grenzen gesetzt sind:

In den Beratungsstellen des Referates Psychohygiene bieten wir regelmäßige Gruppengespräche an, die den oft fehlenden Intim-Gruppenbezug (von entlassenen Schizophrenen haben 36% gar keinen Familienbezug, 14% einen offen ablehnenden) zwar nicht ersetzen, aber doch annähern. Wer aus inneren oder äußeren Motiven daran nicht teilnehmen kann, kann einen Kontakthelfer der Gesellschaft Pro Mente Infirmis bekommen, der ihn zweimal pro Woche aufsucht. Das sind durch einen Kurzlehrgang vorbereitete Laienhelfer (Studenten, Hausfrauen, Pensionisten), deren Tätigkeit entlohnt und durch die Fachkräfte des Referates Psychohygiene supervidiert (überwacht) wird. Dadurch können immerhin 83% zu einigermaßen regelmäßiger ärztlicher Kontaktnahme bewogen werden. 56% halten die ihnen vorgeschriebene Medikation auch glaubhaft ein, 17% variieren weiterhin in der Dosis oder lassen einzelnes weg. Mit Depot-Neuroleptika lässt sich die Medikationsverlässlichkeit auf nahezu 100% steigern, sofern der Arzt, für ihn ungewohnt, die Wiederbestellung des Pat. vormerkt und sein Fernbleiben registriert. Er kann in solchem Fall wiederum die zuständige Beratungsstelle anrufen, worauf ein Sozialarbeiter den Patienten einlädt oder auch aufsucht. Er kann natürlich weder die Medikation noch den Arztbesuch erzwingen, versucht aber die Gegenmotivation zu erheben und gegebenenfalls aufzulösen... (ebd., S. 350)

Auch die Psychiatrie-Enquête, Bibel der bundesdeutschen Reformpsychiatrie, nannte es unbedingt erforderlich, »... den zu Behandlungen nicht oder nicht mehr von selbst erscheinenden Patienten durch hierzu geeignete Methoden nachzugehen.« (Bosch & Pietzcker 1975, S. 360)

Diese sind u.a. im Nervenarzt nachzulesen; genauestens wird hier die psychiatrische Mitarbeiterschaft instruiert, um ihrem Chef zur Verwirklichung seiner ›therapeutischen‹ Wünsche zu verhelfen, z.B. durch ›Patientenclubs‹:

Unser Patientenklub hatte ferner in vielen Fällen eine wesentliche Funktion als Vehikel eines persistierenden (anhaltenden) Dauerkontaktes zur Abteilung. Der Klub war ursprünglich aus einer Idee der Patienten heraus entstanden und ging auch in den Einzelheiten seiner Gestaltung auf Anregungen und Beschlüsse der Kranken in unseren Versammlungen zurück. Er hat durch Jahre hindurch trotz allen Wechsels im einzelnen bezüglich einiger wesentlicher Aspekte eine erstaunliche Konstanz bewahrt. Zunächst stellte er ein ausgezeichnetes Mittel zur Ergänzung oder zum Ersatz formalisierter Ambulanzbesuche dar. Es haben sich unter unseren Kranken immer eine Reihe von Fällen gefunden, die aus verschiedenen Gründen – von mangelnder Krankheitseinsicht und Widerstand gegen eine Medikation bis zur objektivierbaren Unmöglichkeit, die Zeiten der ambulanten Sprechstunden einzuhalten – in den eigentlichen Ambulanzbetrieb zumindest nicht regelmäßig hineingenommen werden konnten oder einfach nicht mehr in der Sprechstunde erschienen. Manche dieser Patienten kamen aber gleichwohl in den Klub. Die eingespielte Zusammenarbeit der Teammitglieder, die bei den Klubabenden regelmäßig vertreten waren, ermöglichte es – oft über Zwischenstufen eines Gesprächs mit einer Schwester oder gleich mit der Sozialarbeiterin –, auch zu einem ärztlichen Gespräch zu kommen, welches dann sehr oft in einem dafür bereitgehaltenen Nebenzimmer fortgeführt werden konnte und sich von einem normalen Ambulanzbesuch einschließlich der Regelung von Medikationsverhältnissen nicht mehr unterschied. (...) Mit der Kennzeichnung solcher Bindungen als Identifikation mit der Institution selbst scheint uns jenes Moment umrissen zu werden, das wir für das entscheidendste halten. (...) Die bei jedem Patienten angelegte Ambulanzkarte ließ sämtliche stationären Aufenthalte mit einem Blick erfassen und enthielt als Einsteckblatt eine nach einem bestimmten Schema teilformatisierte Epikrise (abschließende Beurteilung der ›Krankheit‹) bezüglich jeden Aufenthaltes. Zu deren wesentlichem Bestandteil gehörte die schriftliche Fixierung und Begründung aller vor der Entlassung des Patienten getroffenen Entscheidungen über sein weiteres soziales Schicksal wie über Medikationsfragen. (Bosch 1971, S. 526-528)

Psychiater schrecken auch nicht vor Hausbesuchen zurück, um das dauerhafte Niederspritzen zu gewährleisten. Hans-Joachim Haase fordert eine konsequente Haltung vom psychiatrischen Therapeuten‹:

Jeder Therapeut sollte den Patienten beim vereinbarten Termin persönlich sprechen und den Patienten sogleich aufsuchen bzw. für einen Hausbesuch Sorge tragen, falls er zum Termin nicht erscheint. (1976, S. 112)

In seinem Bericht über die Sozialpsychiatrische Beratungsstelle (BS) in Hannover-Linden geht der Mitarbeiter Gunther Kruse, ein Schüler des DGSP-Ideologen Asmus Finzens, ebenfalls auf den Vollzug psychiatrischer Gefälligkeiten wie Kaffeerunden ein:

Dienstags und donnerstags werden Kaffeerunden durchgeführt. Persönlich halte ich diese Angebote für die wichtigsten und therapeutisch erfolgreichsten Maßnahmen der BS. Die Gruppenmitglieder sind zumeist sehr gestört, sowohl was ihre sozialen Fertigkeiten betrifft, als auch ihre psychiatrisch relevante (wichtige) Symptomatik mitsamt den sehr unangenehmen Langzeitnebenwirkungen der Neuroleptika (Schmatzbewegungen, Schleuderbewegungen der oberen Extremitäten). Nachdem man gemeinsam Kaffee und Kuchen zu sich genommen hat, werden Spiele veranstaltet. (...) Etliche erhalten während der Kaffeerunde Medikamente, hauptsächlich orale (zu schluckende) Depotneuroleptika. (1980, S. 198f.)

Kommt es zur kritischen Verweigerung der Krankheitseinsicht, wird der ›Krisendienst‹ mobilisiert. Dann werden »... nötigenfalls Hausbesuche durchgeführt, einschließlich Einkaufen, Ernähren, Waschen und Medikamentenverabfolgung.« (ebd., S. 198)

Finzen, inzwischen Anstaltsleiter der Psychiatrischen Anstalt in Basel, dem Mekka der Pharmaindustrie, warnt seine Kollegen davor, neuroleptische Dauerbehandlung etwa nur als eine Variante psychiatrischer Behandlungstechnik zu betrachten. Sie ist deren Fundament, und nur auf ihrer Grundlage könne sich der behandelnde Psychiater in beruhigender Sicherheit wiegen (1979, S. 107). Und, weiter Finzen, auch dem ›Patienten‹ würde durch die in einem besonderen ›therapeutischen‹ Rahmen, nämlich in ›Nachsorgesprechstunden‹, verabreichten Depot-Spritzen eine bestimmte Sicherheit geboten:

Sie garantiert ihm den regelmäßigen Kontakt mit dem Therapeuten, der die Spritze verabreicht. (...) Dieser Kontakt hat im günstigen Fall zugleich einen soziotherapeutischen und psychotherapeutischen Charakter. In England und an zahlreichen Orten der Bundesrepublik sind spezielle Depot-Sprechstunden eingerichtet worden. Diese haben nicht nur den Vorteil, dass der Patient immer wieder auf denselben erfahrenen Therapeuten trifft. Er trifft in dieser Sprechstunde zugleich auf zahlreiche Leidensgenossen... (ebd.)

Zentrales Hilfsmittel solcher ›beruhigender‹, clubartiger Niederspritz-Stunden sei die mit Signalcharakter versehene Kalenderkartei der Empfänger der Depot-Neuroleptika, wie Finzen seiner Kollegenschaft einschärft:

Um Behandlungsabbrüchen vorzubeugen, ist es notwendig, eine sorgfältige, übersichtliche Kalenderkartei zu führen. Dem Sprechstundenpersonal muss auffallen, wenn ein Patient nicht kommt. Er muss noch am gleichen Tag angeschrieben oder am darauffolgenden Tag angerufen werden. Kommt er auch dann nicht, ist bei Problempatienten ein Hausbesuch erforderlich. (ebd., S. 109)

In seinem Lehrbuch »Medikamentenbehandlung bei psychischen Störungen – Leitlinien für den psychiatrischen Alltag« erläutert Finzen auch sein Rezept, durch welche Tricks er gemeinsamen ›therapeutischen‹ Depotspritzen-Behandlungen den Anschein gemütlicher Clubtreffen verleiht:

In verschiedenen Depot-Sprechstunden wird diese informelle Clubsituation durch die Verabreichung von Kaffee und Gebäck sowie die Anwesenheit von Therapeuten in der informellen Situation bewusst gefördert. (ebd., S. 108)

Zum Konzept psychiatrischer Reformen zählen die bereits erwähnten Hausbesuche. In Hannover führten Psychiater exemplarische Untersuchungen durch, die zeigen, dass 87,6% der Hausbesuche nicht auf Veranlassung der Betroffenen, sondern gegen deren Willen und oft genug auf Initiative von Nachbarn, Polizei, Sozialamt, Vermieter, Hauswart und anderen gerade in psychischen Ausnahmezuständen angsteinflößenden Instanzen der Obrigkeit zustande kommen (Stoffels 1988).

Den Einfluss zunehmender sozialpsychiatrischer Einrichtungen auf das Niveau von Zwangseinweisungsraten (ZE-raten) untersuchte der Bremer Psychiater und Soziologe Georg Bruns. Er belegt für die drei Musterbezirke Stadt Bremen, Land Hamburg und Landkreis Osterholz-Scharmbeck folgende alarmierende Korrelation, d.h. wechselseitige Bedingtheit:

Das unterschiedliche Niveau und der Anstieg der ZE-raten in den drei Regionen korrelieren gleichsinnig mit der ambulanten psychiatrischen Versorgungsdichte. (S. 121)

Je mehr Gemeindepsychiater, desto mehr Zwangseinweisungen. Bruns ist dennoch nicht zufrieden: durch eine zu geringe personelle Ausstattung Sozialpsychiatrischer Dienste ist (für ihn und für seine nach Tätigkeit drängende Kollegenschaft) die Möglichkeit noch immer nicht ausgeschaltet, dass sich ›zwangseinweisungsbedürftige Zustände‹ innerhalb weniger Stunden entschärfen, ohne dass die BürgerInnen psychiatrisch beobachtet, erfasst und behandelt werden (ebd.).

Die beste Kontrolle findet natürlich in direkt psychiatrisch betriebenen Einrichtungen statt, z.B. in sogenannten beschützten Einrichtungen wie ›Therapeutischen Wohngemeinschaften‹ (TWGs) oder Übergangseinrichtungen. Wer oder was in solchen psychiatrischen Wohnungen geschützt werden soll, geht beispielhaft aus dem Berliner Psychiatrieplan hervor, wo es zu solchen TWGs oder auch zu ›im Verbund betreuten Einzelwohnungen‹ heißt: »Im Anschluss an eine Akutbehandlung (...) wird in der Wohngemeinschaft die ›Lebensschule‹ fortgesetzt« (»Mitteilung« 1984, S. 27); festgesetzt als typische ›Betreuungsaufgabe‹ ist die »Überwachung der Medikamenteneinnahme« (ebd.).

In der Zeitschrift Psychiatrische Praxis vermittelt Manfred Bauer seine beruflichen Erfahrungen mit der Drehtürpsychiatrie, die er nach der Einführung der Sektorpsychiatrie in Hannover sammelte; das Anliegen der Sozialpsychiater, die Betroffenen schon frühzeitig, vorbeugend und ohne grosses Aufsehen, womöglich noch mit deren Zustimmung, zur Anbehandlung in die Anstalt zu schaffen, wird in diesem Bericht besonders deutlich: Die Aufnahmeziffer seiner Psychiatrischen Anstalt schnellte nach Einrichtung der Sektorpsychiatrie besonders bei ›Schizophrenen‹ abrupt nach oben – ›trotz‹ gut ausgebauter ambulanter Dienste (1980, S. 263):

Eine stationäre Aufnahme gewinnt in einem gemeindenahen Versorgungssystem jedoch eine ganz andere Bedeutung; sie verläuft – weil Krisen eher erkannt und ihnen sehr bald begegnet werden kann – sehr selten noch dramatisch. Der insgesamt hohen Aufnahmerate entspricht andererseits eine relativ niedrige Verweildauer, die bei etwa 6 Wochen liegt, wobei bereits nach 20 Tagen die Hälfte aller Patienten wieder entlassen ist. Dies bedeutet gerade für chronische Patienten, dass ein Klinikaufenthalt ein unter Umständen häufiges, aber kurzes Ereignis darstellt im Laufe einer in vielen Fällen sicher jahrzehntelangen ambulanten Betreuung. (ebd.)

Konkrete Aussagen über das Ausmaß der Drehtürpsychiatrie dringen nur selten an die Öffentlichkeit. Eine Ausnahme stellen die Zahlen dar, die der Vorsitzende der Bayerischen Bezirke, Georg Simnacher, auf einer Hauptausschusssitzung seines Verbands nannte:

Nach einer Untersuchung des Bezirkskrankenhauses Haar bei München kehren 77 Prozent der Patienten innerhalb eines Jahres wieder in die Kliniken zurück, 30 Prozent seien bereits innerhalb von vier Wochen nach ihrer Entlassung wieder in stationärer Behandlung. In den übrigen Bezirkskrankenhäusern seien die Verhältnisse ähnlich, klagte Simnacher. (»Bezirke« 1989)

Laut Psychiatrie-Enquête soll die Psychiatrische Anstalt »... nur einen Knotenpunkt innerhalb eines weitgespannten Netzes vielfältiger Dienste darstellen...« (»Bericht« 1975, S. 63) Je näher die Orte psychiatrischer Behandlung in den Wohngebieten liegen, desto schneller erfahren Psychiater von neuen Behandlungsmöglichkeiten. Unauffällige Klein-›Kliniken‹ und Sonderabteilungen in normalen Krankenhäusern erleichtern den psychiatrischen Zugriff, wie Finzen begründet:

Wenn Kranke zu weit von dem für sie zuständigen Krankenhaus entfernt zuhause sind, besteht die Gefahr, dass sie nicht rechtzeitig aufgenommen werden oder dass kein Kontakt zwischen ihren Angehörigen und den behandelnden Ärzten zustandekommt... (1971, S. 23)

Ein Charakteristikum der italienischen Reformpsychiatrie ist die Verwendung des Ausdrucks ›demokratische Psychiatrie‹. Die Zürcher Psychiaterin Cécile Ernst schildert die gemeindenahe Behandlung speziell in der Modellregion Triest:

Über die Wirklichkeit der reformierten italienischen Psychiatrie gibt es zahlreiche Berichte und sogar einen Versuch zu einer statistischen Erfassung. (...) In den Stadtquartieren waren ambulante Zentren entstanden. Übereinstimmend melden verschiedene Beobachter in diesen einen hohen Psychopharmaka-Verbrauch (...). Die wenigen psychiatrischen Betten in den Allgemeinspitälern stehen unter extremem Aufnahme- und Entlassungsdruck, wobei letzterer wieder eine höchst intensive psychopharmakologische Medikation notwendig macht... (1981, S. 24)

Bei einem Besuch in Triest machte ich mir 1988 selbst ein Bild von der Situation und fand die Berichte Cécile Ernsts bestätigt. Dem Psychiater Karl Beine, fürwahr kein Neuroleptika-Gegner, ging es nicht anders; er teilt mit, »dass er nirgendwo gesehen habe, wie so sehr mit Haldol ›geaast‹ würde wie in Triest.« (Böttjer 1989, S. 9) 1986 desillusionierte das Psychiater-Ehepaar Ernst erneut alle Hoffnungen, dass ›demokratische Psychiatrie‹ etwas mit Selbstbestimmung der Betroffenen zu tun haben könnte. Gemäß seinen Beobachtungen in der norditalienischen Provinz Lombardei unterscheidet sich die Situation der Psychiatrie (die Art der Psychopharmaka-Behandlung, die Dosierung und die hohe Wiedereinweisungsrate) in den neuen Ambulatorien nicht von der Situation in der Schweiz – mit einer Ausnahme:

In einer Hinsicht sind die lombardischen Ambulatorien aktiver als die schweizerischen: sie führen in weit höherem Maß Hausbesuche durch. 1984 wurde in der Lombardei ein Viertel der Behandelten zuhause aufgesucht, der einzelne Kranke im Mittel neunmal. Vor allem Schwestern und Pfleger gehen in die Familien der Patienten. Dabei handelt es sich am häufigsten um jüngere chronische Schizophrene, welche mit einem Depotneuroleptikum behandelt werden. Die Hausbesuche sichern eine kontinuierliche Medikation... (Ernst & Ernst 1986)

Paolo Crepet, Gemeindepsychiater in Rom, klärt im British Journal of Psychiatry über die Folgen der italienischen Psychiatriereform auf:

Die wachsende Ausbreitung gemeindenaher Dienste wurde offenbar in keiner Weise von zurückgegangenen Klinik-Aufnahmezahlen begleitet: Es steigen die Zahlen von Aufnahmen in Psychiatrische Abteilungen von Allgemeinkrankenhäusern, in private Pflegeheime sowie in Universitätskliniken. Und es steigt die Gesamtzahl der in der Klinik verbrachten Tage. Dafür sinken die Zwangseinweisungsrate und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Klinik. (1990, S. 34)

Wie es den Betroffenen innerhalb gemeindepsychiatrisch ›betreuter‹ Einrichtungen geht, beschrieb Tanja Cierpka (1988) in Pro Mente Sana Aktuell. Nach einem Selbsttötungsversuch unter Einfluss des Neuroleptikums Flupentixol (Fluanxol) hatte sie den Glauben an psychiatrisch-psychopharmakologische Hilfeleistung verloren, lüftete den Schleier und gab den Blick auf das psychiatrische Übergangswohnheim frei, in dem sie untergebracht war:

Die Eindrücke, die ich in dieser Zeit gesammelt habe, verdichten sich zu einem schaurigen Bild. Da gibt es Menschen, die man nur still auf einem Stuhl sitzen sieht und die über den ganzen Tag einen Haufen Zigarettenkippen vor sich auftürmen und ansonsten keine Lebensregung zeigen. Auf Nachfrage habe ich erfahren, dass diese Leute seit Jahren Neuroleptika verabreicht bekommen und Dauerinsassen in der Psychiatrie sind. Oder der junge Mann, den ich in einem der Wohnheime kennengelernt habe. Der saß den ganzen Tag in einem verdunkelten Zimmer, seit Jahren, ohne auf die Straße zu gehen. Sicher, diese Leute sind unauffällig und sie sind bequem zu betreuen.

Tanja Cierpka bestätigte damit Berichte in psychiatrischen Zeitschriften, die ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen steigender Psychopharmaka-Verabreichung und abnehmender sozialer Aktivität der Insassen und Insassinnen psychiatrisch ›betreuter‹ Wohnheime sprachen (Schmidt et al. 1977; Lamb 1979).

Durch die Phrasen von Rehabilitation, die die Klinikentlassung psychiatrischen Patienten ermöglicht habe, hat die gemeindepsychiatrische Ideologie das Schicksal dieser Patienten und das Ausmaß ihrer Probleme verborgen, denn ein gegenüber den vorherigen Einrichtungen qualitativ unterschiedliches Programm gab es nicht. Auf vielfältige Art setzt sich mit der Rückkehr von Patienten die kustodiale (Aufseher-) Haltung in der Gemeinde fort, als dass sie an den Toren der Landesanstalten zurückbliebe. Rehabilitation ist leider mehr Mythos als Realität geworden. (Kirk & Therrien 1975, S. 212)

Die unter Neuroleptika-Einfluss stehenden Betroffenen können zwar aufgrund der sie behindernden körperlichen, psychischen und geistigen Auswirkungen kaum einer geregelten und schon gar nicht einer anspruchsvollen Arbeit nachgehen. Die psychiatrische Industrie muss deshalb aber nicht auf deren ganzheitliche Verwertung verzichten. Nachdem ihre Körper schon als lebendiger Absatzmarkt für die Ware Neuroleptikum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen für psychiatrisch Tätige dienen, bekommen auch alle möglichen SozialwissenschaftlerInnen ein Stück vom Kuchen ab. Eine Untersuchung in England mit Anstalts-entlassenen ›Schizophrenen‹ unter Depot-Neuroleptika kam im März 1973 zu folgendem Ergebnis:

Als Schlussfolgerung hebt der Nutzen dieser Behandlung den Bedarf für angemessene Gemeindedienste hervor, um mit den zurückbleibenden chronischen Behinderungen umzugehen, die für diese Patienten charakteristisch sind. (Hirsch et al. 1973, S. 633)

Klar formuliert die bundesdeutsche Psychiatrie-Enquête unter dem Stichwort ›Gemeindepsychiatrie‹ das wesentliche Problem von ›Behinderten‹-Einrichtungen: Angehörigen soll abgenommen werden, rund um die Uhr durch die (Qualen erleidenden und dahinvegetierenden) ›Patienten‹ belastet zu sein, und diese sollen eine ihren – aufgrund der Neuroleptika-Behandlung behinderten – Fähigkeiten angemessene Arbeit verrichten:

Das Problem besteht also nicht so sehr darin, ob der Patient Insasse eines psychiatrischen Krankenhauses ist, als vielmehr darin, ob die Umgebung, in der er lebt, (...) dem Patienten die Möglichkeit gibt, trotz seiner Behinderungen ein Leben von angemessener Qualität zu führen. (...) Daher wird sich der Gedanke einer gemeindenahen psychiatrischen Betreuung nur dort in optimaler Weise verwirklichen lassen, wo eine genügende Anzahl von Vorsorge-, Übergangs- und Nachsorgeeinrichtungen vorhanden ist und wo es durch geeignete Hilfsangebote gelingt, die Belastungen der Angehörigen zu verringern. (»Bericht« 1975, S. 63)

Es versteht sich von selbst, dass die Wiener Psychiatrie mit ihrer hohen Nachbehandlungsdisziplin auch führend in der Beschäftigung gemeindepsychiatrischen ›Krankenguts‹ ist. Hier dürfen die Betroffenen des Wiener Modells beispielsweise in der ›Tagesklinik Karl-Wrba-Hof‹ gemeinsam Kugelschreiber montieren, und zwar orangefarbene, wie in einem Bericht in der bundesdeutschen Zeit extra vermerkt wird, offenbar um die eminent große Lebensfreude zu demonstrieren, die von dieser leuchtenden Farbe in der Psychiatrie gespendet wird (»Guss« 1985).

In Deutschland propagiert Dörner erfolgreich sein Modell der ›Selbsthilfefirmen‹, was ihm viel Bewunderung ansonsten arbeitsloser AkademikerInnen einbringt. Unverblümt und exemplarisch ist im DGSP-Rundbrief vom August 1984 das arbeitsplatzschaffende Potential des sozialpsychiatrischen Naturkostladens Koriander in Berlin beschrieben, in dem zwei unter neurotoxischen Psychodrogen stehende ›Langzeitkranke‹ ökologische Produkte verkaufen dürfen:

Mit den Behinderten werden eine Arbeitstherapeutin und ein Psychologe vollzeitlich sowie eine weitere Arbeitstherapeutin und eine Psychologin auf Teilzeit-/Honorarbasis zusammenarbeiten. Die psychologische Betreuung wird darüber hinaus die bereits angesprochene Planung arbeitspsychologischer Maßnahmen, die therapeutische Betreuung sowie Kontakte zu Behörden, Ärzten und sonstigen Betreuern (z.B. aus therapeutischen WGs) umfassen. (Hertrampf & Schneider 1984)

Neuroleptika-Opfer, die in ›Behinderten‹-Werkstätten noch nicht einmal die Primitivstarbeit wie z.B. Wäscheklammern- oder Kugelschreiber-Zusammenbauen ausführen können, kommen zur Vervollständigung des beruflichen ›Rehabilitationsangebots‹ in sogenannte Beschäftigungstagesstätten, wo dann zumindest einige PsychologInnen, Beschäftigungs-›TherapeutInnen‹ und SozialarbeiterInnen anspruchsvoll beschäftigt werden und ihnen Aschenbecherleeren und andere Kunststücke beibringen können (Hogarty 1982; vgl. Lehmann 1990, S. 272f.).

Die neuroleptische Dauerbehandlung wird, wie aus dem Psychiatrie-Lehrbuch Finzens hervorgeht, bereits seit Beginn des psychiatrischen Neuroleptika-Einsatzes ›erfolgreich‹ vollzogen:

Die Erfahrungen mit der Dauermedikation reichen bereits in die Anfänge der Neuroleptika-Therapie zurück. Sie ist geeignet, in der Genesungsphase Restsymptome zu unterdrücken. (Finzen 1979, S. 103)

Das Problem der völligen Entsorgung der von ihren ›Restsymptomen‹ entledigten Dauerbehandelten ist allerdings noch nicht zufriedenstellend gelöst. Notfalls müssen die Betroffenen, wenn ihren Anblick außerhalb der Anstalten niemand mehr ertragen will, zurück in die Anstalt gebracht werden; Rudolf Degkwitz, auch ein Ex-Vorsitzender der DGPN, zeigt einen möglichen Lösungsweg auf:

Dauernde Schmatzbewegungen, dauerndes Herausstrecken der Zunge oder Wackelbewegungen mit dem Unterkiefer sind für die Patienten und oft noch mehr für die Umgebung recht störend. Einer unserer Fälle wurde von den Eltern wieder in die Klinik gebracht, da das ununterbrochene Schmatzen und die Schaukelbewegungen mit dem Oberkörper in der Familie unerträglich waren. (Degkwitz et al. 1966, S. 277f.)

Psychiatrische Zukunft

In den letzten Jahren werden nun vermehrt Stimmen von SozialwissenschaftlerInnen, MedizinerInnen und sogar von einzelnen Psychiatern laut, die die nonchalante Haltung ihrer Kollegen zu den unübersehbaren Schäden der Neuroleptika kritisieren. Sie betonen die Unmöglichkeit von Psychotherapien unter Neuroleptika-bedingter emotionaler Vereisung, enthüllen die Behauptung der frühzeitigeren Anstaltsentlassung aufgrund der Neuroleptika-Behandlung als Mythos, berichten von der Überlegenheit von Placebos über Neuroleptika hinsichtlich ›Rückfall‹-Vermeidung und von besseren Arbeitsmöglichkeiten für das Team bei Verzicht auf Neuroleptika. Zuallerletzt fordern sie ein striktes Verbot der Zwangsbehandlung mit Neuroleptika, ja sogar das Verbot von Neuroleptika und Schockmaßnahmen überhaupt. JournalistInnen fiel inzwischen sogar unangenehm auf, dass Neuroleptika, mit denen Schweine auf Transporte in Schlachthäuser betäubt werden, in die Nahrungskette eindringen (und damit auch sie selbst und andere Nichtbehandelte schädigen könnten); der Spiegel zitiert die bundesdeutsche Tierarzneimittel-Zulassungskommission, die vor dem Einsatz von Chlorpromazin, dem Neuroleptika-Prototyp, warnt: »Chlorpromazin steht im Verdacht, zellverändernd, krebserzeugend und fruchtschädigend zu sein.« (»Leben« 1992, S. 183) (1)

Psychiater, haben sie doch »eine Art feudaler Pfrundherrschaft« (Mazenauer 1984, S. 90) errichtet, so die Schweizer Juristin Beatrice Mazenauer, reagieren lediglich taktisch auf Kritik. Ein übliches Reaktionsmuster auf Kritik an Behandlungsschäden durch Neuroleptika ist die Forderung nach noch mehr Stellen und Finanzmitteln: Neuroleptika würden nur aus Gründen eines Pflegenotstands eingesetzt, um Untergebrachte dämpfen und auf überfüllten Stationen halten zu können (»Ärzte« 1987; Reimer 1987). Oft genug sind es dieselben Psychiater (wie z. B. der ehemalige DGPN-Chef Fritz Reimer aus Weinsberg), die in der normalen Presse den Einsatz chemischer und anderer biologischer Behandlungsmethoden verbal bedauern und mit Personalmangel begründen, intern in Verbandszeitschriften jedoch gleichzeitig Mitstreiter für den verstärkten Vollzug beispielsweise des Insulin-Schocks fordern (Heckel & Reimer 1986), einer der brutalsten Behandlungsmethoden (s. Kalinowsky & Hoch 1954, S. 22-98) Es sollte bekannt sein, dass in den personell besonders gut ausgestatteten psychiatrischen Einrichtungen, den Uni-Anstalten, am massivsten auf biologische Behandlungsmittel gesetzt wird und dass normale Psychiatrie-›Pfleger‹ schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Regel pro Schicht nur zwei Stunden zum Austeilen von Neuroleptika, Handtüchern und Essen benötigen und die restliche Zeit – anders als die überstrapazierten Krankenschwestern und -pfleger in Krankenhäusern – meist kaffeetrinkend und schwatzend in ihren Stuben und Wachkabinen sitzen.

Die Psychiater, die bei Kritik an ihrer Behandlung auf den angeblichen Pflegenotstand in ihren Anstalten verweisen, stört es auch wenig, dass sie gleichzeitig in allen psychiatrischen Zeitschriften Neuroleptika als angemessene Mittel der ersten Wahl bei ›Schizophrenie‹ und ähnlichen Diagnosen oder als vorteilhafte Medikamente anpreisen. (2) Luc Ciompi verblüffte im Schweizer Fernsehen (»Zyschtigs-Club« am 24. November 1992) gar mit der Behauptung, die Kritik an Neuroleptika-Schäden sei überholt, da zu alt, und jetzt gebe es völlig neue Neuroleptika. Dass sich die Durchschnittsdosis an Neuroleptika in den letzten zwei Jahrzehnten verzehnfacht hat (Finzen; vgl. Eichenbrenner 1990, S. 17), dass in der Zeitschrift Fortschritte der Neurologie – Psychiatrie sogar schon die Überlegenheit »standardisierter Haloperidolbehandlungen im Vergleich zur ›adäquaten individuellen Dosierung‹« (Klieser & Lehmann 1992) angepriesen wird, veranlasst keinen aktiven Psychiater zu einem öffentlichen Wort der Kritik.

Wirkungsvoll, da er bei Laien weitverbreitete Ängste anspricht, ist auch der Hinweis auf die pharmakologische Behandlungsbedürftigkeit von angeblich gewaltbereiten ›Schizophrenen‹, besonders nach politischen Attentaten; würden alle psychisch Kranken unter ›eine angemessene Dosierung wahndämpfender Medikamente‹ gestellt, so der Psychiater Heinz Häfner nach den Attentaten auf die Politiker Lafontaine und Schäuble, wäre das Gewalttaten-Risiko wesentlich geringer (s. »Warnsignale« 1990). Dass sogar, wie im Fall Häfner, die eigenen psychiatrischen Studien immer wieder zum Ergebnis kommen, dass die Kapitalverbrechensrate von ›psychisch Kranken‹ unter dem Durchschnitt der Normalbevölkerung liegt (Häfner & Böker 1972; Lindqvist 1986 u. 1989) und die Psychiatrisierten lediglich – weshalb wohl? – in der ersten Zeit nach der Behandlung in einer Psychiatrischen Anstalt vermehrt Straftaten begehen, spielt bei Interviews durch Psychiatrie-gläubige JournalistInnen keine Rolle.

Strategisches Ziel von Psychiatern ist, wie sie sich 1989 auf der internationalen »Consensus-Konferenz über Richtlinien zur neuroleptischen Rezidivprophylaxe (Rückfallverhütung)« im belgischen Brügge gegenseitig versicherten, die nie endende Neuroleptika-Verabreichung:

Bei Patienten, bei denen es im Rahmen einer früheren Erkrankung zu Fremd- oder Selbstgefährdung kam, ist an eine zeitlich nicht begrenzte, möglicherweise lebenslange neuroleptische Rezidivprophylaxe zu denken. (... Deshalb müssen Psychiater, P.L.) rasch durch die Schaffung einer entsprechenden Gebührenposition in die Lage versetzt werden, die beschriebene Motivationsarbeit in Form psychoedukativer (psycho-erzieherischer) Gruppen für Patienten und eventuell auch für deren Angehörige anzubieten. (Budde 1992, S. 208 & 211)

Einig sind sich psychiatrisch Tätige schon lange, dass den Betroffenen die Neuroleptika-Auswirkungen lebenslänglich zugemutet werden sollen. Unter Einbeziehung weiterer psychiatrischer ›Medikamente‹ kündigt Bruno Müller-Oerlinghausen von der Berliner Uni-Anstalt an:

Neuroleptika, Antidepressiva und Lithiumsalze verursachen bei der oft lebenslangen Therapie die verschiedensten Nebenwirkungen, von denen viele als mehr oder minder lästige Begleitwirkungen entsprechend den herrschenden, therapeutischen Usancen (Gewohnheiten) in Kauf genommen werden und keinesfalls zum Absetzen des Medikamentes, ja oft auch nicht einmal zu einer Dosisreduktion führen müssen. (1980, S. 248)

Die lebenslängliche Behandlung kann möglicherweise durch neue Psychiatrie-Gesetze sichergestellt werden (Reichel 1980, S. 300f.). Aus den USA ist seit längerer Zeit bekannt, welcher Art diejenigen Nötigungen (›Hilfen‹) sind, die den Betroffenen von Richtern auf Wunsch von Psychiatern auferlegt werden; David Oaks berichtet:

Es kommt heutzutage vor, dass Richter in der Gemeinde lebenden Personen befehlen, sich regelmäßig bei ihren Sozialpsychiatrischen Diensten zu melden, um dort gespritzt zu werden, und zwar speziell mit Prolixin (Fluphenazin; Dapotum, Lyogen, Omca), dessen Wirkung länger als einen Monat anhalten kann. (1982/83, S. 12)

Wenn Psychiater Kritik einmal zur Kenntnis zu nehmen und darauf zu reagieren scheinen, kommen sie über ewig gleiche Leerformel nicht hinaus: Behandlungsschäden ließen sich mit ›strenger‹ Indikation, ›kritischer‹, ›richtiger‹ und ›bewusster‹ Verordnung, ›weiser‹ Anwendung und ›zurückhaltender‹ Dosierung durch den ›vernünftigen Therapeuten‹ verhindern, so Finzen in seiner Scheinauseinandersetzung mit PsychiatriekritikerInnen (1990, S. 232ff.). Fällt dem Psychiater dann gar kein Argument mehr ein zur Glaubhaftmachung seines Altruismus, d.h. der Ausrichtung seiner Tätigkeit am Wohle der Mitmenschen, so sollen zuallerletzt die Betroffenen selbst zur Absegnung der unerwünschten Behandlungsauswirkungen herhalten: »Sollen sie etwa bei körperlichen Krankheiten erlaubt sein, bei psychischen aber verboten? Vielleicht fragen wir doch einmal den Kranken selber!« (Finzen 1990, S. 241) Exakt dieselbe Begründung benutzen Finzens Kollegen Hans Bräutigam und Rainer Tölle, die just zum richtigen Zeitpunkt einen begeisterten ›Patienten‹ aus dem Hut zaubern, um den Elektroschock wieder hoffähiger zu machen. Bräutigam zitiert den britischen Schauspieler Philip Toynbee, der nach drei Jahren schwerer Depression durch Elektroschocks ›von seiner Verdämmerung erlöst‹ worden sei (»Wie absurd erscheint mir das ganze humane Geschrei gegen die Elektroschockbehandlung« [zit.n. Bräutigam 1992]), und Rainer Tölle stellt sich selbstlos an die Spitze einer ›Patienteninitiative‹, bestehend aus einem anonymen Melancholiker, und gibt ihm im Mitteilungsblatt der DGPN Raum, um unter Verweis auf »den Mut und die Noblesse« (zit.n. Tölle 1992, S. 127) elektroschockender Psychiater die Stiftung eines Preises »für wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Elektrokrampftherapie« (ebd.) zu fordern. Dass Kritiker, von denen es sicher mehr als eine/n anonyme/n gibt, bei Psychiatern grundsätzlich nicht zu Wort kommen, bedarf keiner näheren Erläuterung.

Von welchen Gesellschaftsstrukturen Psychiater bei der Planung der Zukunft der Betroffenen ausgehen, ist u.a. in der Psychiatriezeitung Eppendorfer nachzulesen, wo dem Anführer der Elektroschocker, dem US-Amerikaner Max Fink, Raum zur Werbung für den weltweit verstärkten Elektroschockvollzug (EKT) gegeben wird: »In China sei die EKT weit verbreitet...« (»Wiedergeburt« 1992), S. 28), lesen wir – und sind wenig überrascht, in Anbetracht der dortigen politischen Verhältnisse.

Einen nicht minder interessanten Ausblick auf die ›Zukunft der Pharmakotherapie‹ gibt Finks Landsmann Frank J. Ayd im Vorwort zu dem von ihm selbst herausgegebenen gleichnamigen Buch (»The Future of Pharmacotherapy«), das sich mit Depot-Neuroleptika befasst:

Dieses Buch ist einer Form neuer Zuführungssysteme von Medikamenten gewidmet, aber ich möchte Sie gerne für einen Moment in die Zukunft führen, wie ich sie voraussehe. In anderen Bereichen der Medizin werden bei uns Medikamente bereits implantiert (eingepflanzt) – außer in der Psychiatrie. In manchen Gebieten der Welt wird eine implantierbare Form von Antabus zur Behandlung von Alkoholismus benutzt. Dies setzt die Medikation allmählich über eine Dauer von sechs bis acht Monaten frei, bevor ein neues Implantat notwendig wird. Ich glaube, dass es in naher Zukunft andere, neue Wege der Medikamenten-Verabreichung geben wird. Vielleicht wird es möglich sein, Silikon (eine Kunststoffart) mit einigen Neuroleptika zu imprägnieren (durchtränken). Wenn eine intrauterine (in die Gebärmutter einführbare) Vorrichtung oder ein Pessar mit einem Neuroleptikum imprägniert werden könnte, wäre eine Minidosis vielleicht wirksam. Von der Erfahrung mit Prostaglandinen wissen wir, dass die Absorption (Aufsaugung) von der Vagina und dem Uterus sehr gut ist. Mehr und mehr würdigen wir auch, dass die Verabreichung von Medikamenten durch das Auge, die Wangen- und Nasenschleimhaut und das Rektum (Mastdarm) bestimmt eintretende metabolische Wege (Bahnen im Stoffwechsel, auf denen die Neuroleptika verändert und abgebaut werden) vermeidet. (...) Somit könnten wir in den nächsten Jahren einspritz- oder einpflanzbare Psychopharmazeutika mit möglicherweise einer Wirkungsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr haben sowie die Verabreichung hoher Dosen durch solche Wege für jene Patienten, die sie benötigen könnten. (1973, S. 8f.)

Nicht nur an neuen Verabreichungsformen, auch an immer neuen Psychopharmaka arbeiten Herstellerfirmen und Psychiater. Ob es sich dabei um die Ausbreitung des Neuroleptika-verwandten Risperidon oder des vegetativ ausgesprochen riskanten Clozapin (Leponex) handelt, um die Erprobung des seines Nachfolgepräparates Fluperlapin (NB 106-689), um die Kombination aller möglichen Neuroleptika mit dem Antiepileptikum Carbamazepin (Calepsin, Finlepsin, Neurotop, Sirtal, Tegretal, Tegretol, Timonil) oder um – in der BRD – der Versuch, das wegen Krebsverdachts vom Bundesgesundheitsamt verbotene Penfluridol (Semap) wieder zugelassen zu bekommen: der Markt für immer noch ›segensreichere‹ Psychopharmaka ist unerschöpflich.

Angetrieben von arbeitsplatzpolitischen und wirtschaftlichen Interessen vernachlässigen Psychiater die Entwicklung neuer ›Krankheits‹-Bilder keinesfalls. Die verschiedenen Chemieunternehmen, die in ihrem Konkurrenzkampf immer neue Substanzen entwickeln müssen, geben Psychiatern noch viel zu tun, wie Helmchen und Müller-Oerlinghausen mitteilen:

Werden im allgemeinen für bekannte Krankheitsbilder Medikamente gesucht, so werden hier für interessante Substanzen Indikationen gesucht. Solche ›Indikationen‹ mögen durchaus außerhalb konventioneller psychiatrischer Nosologien (›Krankheits‹-Lehren) liegen: z.B. Erschöpfungszustände bei überarbeiteten Managern oder berufstätigen Müttern, ›Schulmüdigkeit‹, Konzentrationsstörungen, aggressive Zustände bei Strafgefangenen, schizoide (kontaktarme, ungesellige) oder zyklothyme (durch ausgeprägte Stimmmungswechsel charakterisierte) Persönlichkeitsstrukturen, Empfindlichkeit gegen Geräusche, leichter Schlaf (...). Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Welt immer künstlicher, ›menschengemachter‹ werden wird, gleichzeitig die Anforderungen der Leistungs- und Massengesellschaft an unsere psychische Stabilität immer größer werden, muss dann nicht jede mögliche chemische Beeinflussung psychischer Funktionen auf ihre eventuelle soziale Brauchbarkeit hin untersucht werden? (Helmchen & Müller-Oerlinghausen 1978, S. 16f.)

Die Situation der Psychiatrie, ihrer Anpassung an den Markt der Neuroleptika und speziell der Depot-Neuroleptika sowie ihre geplante zukünftige Entwicklung habe ich deshalb ausführlich dargestellt, um die Ausgangssituation für die Umgestaltung der Psychiatrie in Richtung Entpsychiatrisierung und Ausstieg klarzumachen. Hoffnungen, dass von psychiatrisch Tätigen Impulse zur Verbesserung der Situation von Betroffenen ausgehen, sind nicht realitätsgerecht. Wer könnte antipsychiatrisch Gesinnte in ihren Bemühungen um die Durchsetzung diagnoseunabhängiger Menschenrechte und des Rechts auf soziale Unterstützung bei sozialen Problemen und psychischen Ausnahmezuständen zur Seite stehen?

Sind es die organisierten Angehörigen, die sich ihre »Handwerksregeln« (Dörner 1987, S. 86) allzugerne von psychiatrisch Tätigen und ihre finanziellen Zuwendungen von gönnerhaften Pharmamultis (»Jahresbericht« 1987, S. 1) geben lassen und in der Regel »den Patienten in die Behandlung, in die Tagesklinik oder zur Arbeit schicken (... und, P.L.) die Medikamenteneinnahme gewährleisten...« (Hubschmid 1991, S. 26)?

Sind es die jungen Psychiater in den modernen Universitätsanstalten, deren Neigung zur biologischen und besonders reaktionären Psychiatrie, so das Ergebnis einer Studie Rudolf Winzens, weitaus höher ist als die der Psychiater in den großen, alten Anstalten (Winzen 1987)?

Sind es die grün-alternativen Psychiater und ihre politischen Freunde und Freundinnen, die, wie beispielsweise die Bezirksrätin der oberbayrischen Grünen, Gabriele Bucerius, Aktionsgemeinschaften mit dem Berufsverband von Nervenärzten und Pharmafirmen bilden, um finanziell schlecht gestellte Psychiatrische Anstalten Russlands ausreichend mit Psychopharmaka zu versorgen (»Medikamente« 1991)?

Sind es linke Psychiater wie beispielsweise Erich Wulff, Leitfigur und Vordenker, dessen fortschrittliches Wirken (u.a. Verteidigung von Elektroschocks und Zwangsbehandlung) von der Deladande Arzneimittel GmbH, von Hoffmann-La Roche, von der Knoll AG, der Sandoz AG und von Ciba-Geigy mit der Finanzierung seines (im Berliner Argument-Verlag erschienenen) Jubelhefts (»Festschrift«) zum 60. Geburtstag belohnt wurde (»Himbeersaft« 1988)?

Übrig als Subjekte der Veränderung der Situation von Psychiatriebetroffenen bleiben schließlich nur die Betroffenen selbst. Dies ist im psychiatrischen Bereich nicht anders als in jedem anderen gesellschaftlichen Konfliktbereich auch. Wollen sie nicht zusehen, wie immer weitere Kreise der Bevölkerung unter Neuroleptika-bedingten Hirnschäden leiden, und vor allem, wollen sie nicht zu diesen Opfern gehören, müssen sie sich zusammenschließen und Widerstand leisten.

Dass die organisierten Betroffenen eine Gegenmacht aufbauen könnten, die den Lack psychiatrischer Allmacht ankratzen könnte, haben psychiatrische Strategen wie Finzen allerdings längst erkannt. Der DGSP-Ideologe, der bereits in der Vergangenheit immer wieder machtgefährdende Kritik abwiegelte, versuchte, durch regelmäßige Mitarbeit (mit Kaffee und Gebäck?) schon während der informellen Gründungsphase des deutschen Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener massiv Einfluss auf seine inhaltliche Zielsetzung auszuüben (Wenke 1992), um eine unkontrollierte Entwicklung im Keim zu ersticken und den kooperationsfreudigen Teil der ›psychisch Kranken‹ in seiner propsychiatrischen Haltung zu stärken. Dieser psychiatrische Einsatz zum jetzigen Zeitpunkt überrascht wenig, hat sich die Antipsychiatrie-Bewegung im deutschen Sprachraum mit der Gründung des Forums Anti-Psychiatrischer Initiativen 1989 in Nürnberg von den Fesseln der studentischen Antipsychiatrie sowie der Reformpsychiatrie gelöst. Da allerdings die Angst vor der eigenen Unabhängigkeit auch unter Psychiatriebetroffenen recht verbreitet ist, sind Auseinandersetzungen unter ihren Aktiven vorprogrammiert, beispielsweise zu den Fragen, wie die eigenen Interessen zu definieren sind, wie wichtig eine klare Kursbestimmung für das weitere Vorgehen ist, wie hemmend oder fördernd Koalitionen ausgerechnet mit der institutionellen Psychiatrie sind, ob bei eigenen Verlautbarungen inhaltliche Zugeständnisse zu machen sind, um an öffentliche Gelder für Publikationen heranzukommen. Eine gemeinsame Grundhaltung politisch unterschiedlich ausgerichteter Psychiatriebetroffener, z.B. in der Forderung nach einem diagnoseunabhängigem Recht auf körperliche Unversehrtheit, also auch nach einem Verbot der Zwangsbehandlung, könnte eine tragfähige Basis für Koalitionen sein: Da Menschenrechte als unteilbar, d.h. nicht relativierbar gelten, müssen sie unabhängig von Diagnosen, Betreuungs-, Pflegschafts-, Sachwalterschafts- oder sonstiger Vormundschaftsverhältnissen gelten und unabhängig davon, ob ein einzelner Betroffener bzw. eine einzelne Betroffene in einer speziellen Situation für sich selbst den Entschluss trifft, auf eigene Rechte zu verzichten.

Geld und Rechte!

Die Situation (akuter und eventuell zukünftiger) Psychiatriebetroffener lässt sich in vielfältiger Weise verbessern. Rechtliche Gleichstellung mit gesunden und kranken Normalen (d.h. strafrechtliche Verfolgung von Behandlung ohne Zustimmung), Aufklärung über Gefahren moderner psychiatrischer Behandlungsmaßnahmen und über die folgenschweren Gefahren der Übernahme des psychiatrischen Krankheitsmodells, Unterstützung individueller Resozialisierungsmaßnahmen sowie finanzielle Förderung Psychiatrie-unabhängiger Selbsthilfe- und Unterstützungsprojekte (Kommunikationszentren, ›Krisen‹-Einrichtungen, Weglaufhäuser usw.) bei schrittweiser Reduzierung von Finanzmitteln der Anstalts- und gemeindenahen Psychiatrie sind hierbei die Schlüsselbegriffe zur dringend erforderlichen Humanisierung der Lage von Psychiatriebetroffenen.

Unabhängig davon, ob es bereits zu ihrer Selbstorganisation gekommen ist, sollten diese darauf dringen, als die ExpertInnen auf dem Gebiet der Definition der eigenen Interessen und der Aufklärung über Risiken und Schäden psychiatrischer Behandlung anerkannt zu werden: d.h. in Sachverständigenkommissionen, in politischen Entscheidungsgremien und bei Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen aller Art aktiv und gestaltend mitwirken zu können. In öffentlichen Diskussionen muss der Verstoß der Psychiatrie gegen den ärztlichen Behandlungsgrundsatz: »Nil noscere!« (»Nicht schaden!«) deutlich gemacht werden. Es darf Psychiatern nicht gelingen, weiterhin Neuroleptika- und Elektroschock-Schäden zu vertuschen.

Da bei Psychiatern und ihren UnterstützerInnen mit moralischen Appellen an mehr Menschlichkeit kein Blumentopf zu gewinnen und ein politisches Umdenken in Richtung gesetzlicher Stärkung der Psychiatriebetroffenen nicht abzusehen ist, fällt der juristischen Auseinandersetzung ein zentraler Stellenwert zu. Zwei Stoßrichtungen, die, wenn erfolgreich, die Allmacht der Psychiatrie ins Wanken bringen könnten, sind der Kampf um die rechtliche Absicherung von Vorausverfügungen wie dem Psychiatrischen Testament sowie um Schmerzensgeld für psychiatrisches Unrecht in Form von ›ungerechtfertigter‹ Unterbringung oder von Behandlungsschäden.

Nicht zufällig kam es in den USA, dem ersten Land mit einer entwickelten Gemeindepsychiatrie, zu den ersten gerichtlichen Klagen wegen Dauerbehandlungsschäden. Dass die Klagen auch in finanzieller Hinsicht erfolgreich war, hat mit dem amerikanischen System der Anwaltsbezahlung zu tun, das es AnwältInnen erlaubt, an dem erstrittenen Schmerzensgeld in weit höherem Prozentsatz als hierzulande beteiligt zu werden, was das Engagement in wunderlicher Weise fördert. Ein Beispiel von vielen: Wie die Washington Post 1972 meldete, wurden Herstellerfirmen wegen Neuroleptika-bedingten tardiven Dyskinesien, über deren mögliches Auftreten im Laufe der Behandlung nicht aufgeklärt wurde, schon 1971 zu Schmerzensgeldzahlungen zwischen 90000 und 2 Millionen $ pro Kläger verurteilt (Huth 1972); inzwischen ist es in den USA zu einer Vielzahl erfolgreicher Schmerzensgeldklagen gekommen, die den Herstellerfirmen und Anwendern einiges Kopfzerbrechen bereiten.

Ist auch diesseits des Atlantiks mit weit niedrigeren Summen zu rechnen, so werden inzwischen, z.B. in der Schweiz und in Deutschland, Entschädigungsklagen gegen psychiatrisch Tätige wegen nachgewiesener ›ungerechtfertigter‹ Unterbringung und den damit verbundenen Behandlungsschäden geführt. Zwar wird jeweils ausgerechnet Finzen als gerichtlicher Prozessgutachter für eine Schadensbegrenzung und für ein Vertrauensvotum an die Psychiatrie im allgemeinen (die Schuldigen: lediglich schwarze Schafe) sorgen, doch der Titel des Buches über einen der ›Fälle‹, das Schicksal des Peter Löser, zeigt programmatisch den einzuschlagenden Weg einer erfolgsträchtigen Auseinandersetzung: »Die Schleuder Davids – ein Verschwundener rechnet ab« (Fengler & Elfert 1991).

Psychiater wie Helmchen neigen dazu, Kritik an psychiatrischen Behandlungsmethoden und ihren schädigenden Wirkungen pauschal als »einseitig und ideologisch« (Helmchen 1991, S. 267) abzutun. Zudem sei es wirklichkeitsfremd, in juristischen Regelungen vom Selbstbestimmungsrecht ›Psychisch Kranker‹ auszugehen. Diesen eigene Rechte zuzugestehen, sei abwegig, lediglich, so Helmchen in seinem Nervenarzt-Artikel »Aufklärung über Späthyperkinesen« (in dem es um unterbleibende Aufklärung geht), eine »vom Juristen auf der Basis der Denkfigur des vernünftigen Bürgers konstruierte Norm« (ebd., S. 267). Vermutlich denkt Helmchen daran, von solch ›wirklichkeitsfremden‹ JuristInnen wegen mangelhafter Aufklärung über das Behandlungsrisiko z.B. einer tardiven Dyskinesie zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt zu werden. Helmchen gesteht:

Es scheint ein gelegentlich sogar quälendes Unbehagen über das ungelöste Dilemma verbreitet zu sein, aus pragmatischen Gründen und im Interesse des Patienten nicht in Übereinstimmung mit Recht und öffentlicher Meinung handeln zu können. (ebd., S. 268)

Die Verbesserung der Rechtsstellung schließt auch das Recht auf Einsicht in die (die eigene Person betreffenden) psychiatrischen Akten, deren Korrektur oder Aushändigung ein – und zwar als Rechtsgüter, die unabhängig von medizinischen Theorien und psychiatrischen Glaubensrichtungen bestehen. Ich selbst führte eine über zwölf Jahre währende Klage auf das Recht auf Einsicht in meine eigene Akte; im Laufe des Prozesses stellte sich heraus, wie groß die Angst der Psychiater ist, möglicherweise noch vorhandenes Vertrauen von seiten der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verlieren, denn auch letztere werden, wenn sie sich auf Gespräche mit Psychiatern einlassen und Familiengeschichten preisgeben, psychiatrisch erfasst und beurteilt. Welchen Stellenwert der Kampf gegen psychiatrische Aktenerfassung für Psychiatriebetroffene einnehmen kann, zeigt der Kampf des weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gewordenen, 1925 geborenen Norwegers Arnold Juklerød. Dieser besetzte bereits 1974, nach dem Ende einer dreijährigen Psychiatrisierung, die ihm den Verlust seines Arbeitsplatzes und seiner Wohnung eingebracht hatte, die Eingangshalle der Gaustad-Anstalt und forderte die Löschung seines Namens aus den psychiatrischen Akten. Noch heute, 1993, wenn auch unterbrochen von immer neuen Verhaftungen, psychiatrischen Einkerkerungen oder Rausschmissversuchen, hält er nach wie vor stand und hat sich inzwischen häuslich mit komplettem Büro, Informationstafeln und Bett in der Eingangshalle niedergelassen (Oaks 1992; Wallcraft 1992).

Wenn sich selbst der Weltverband für Psychiatrie, dem die DGPN angeschlossen ist, in der »Deklaration von Hawaii« gegen eine Zwangsbehandlung von Personen ausgesprochen hat, solange sie noch zu klaren Willensäußerungen (und somit zur Ablehnung, P.L.) fähig sind (Weltverband für Psychiatrie 1977, 1986), so muss diese einschränkende Haltung zur Zwangsbehandlung unbedingt in Gesetzesreformen festgeschrieben werden, um Ansatzpunkte für einen weitergehenden Grad der Durchsetzung der Menschenrechte zu sichern. Wo sich politische Parteien finden lassen, die diese Forderung aufgreifen, steht allerdings in den Sternen. Solange gefährliche Behandlungsmaßnahmen wie Neuroleptika sowie Schockanwendungen von der Art des Elektro- und Insulinschocks noch gesetzlich erlaubt sind, muss die Forderung dahin gehen, dass sie auf keinen Fall ohne rechtswirksame Einwilligung der Betroffenen vollzogen werden dürfen, stehen diese unter einem vormundschaftsartigen Verhältnis oder nicht. Die immensen Schäden bei Schockverfahren und bei Neuroleptika stellen darüber hinaus die Forderung nach Verbot dieser Mittel auf die Tagesordnung, unabhängig von der Untätigkeit des mit der Pharmaindustrie personell verflochtenen Bundesgesundheitsamts und dem Wunsch mancher Psychiatriebetroffener, diese Mittel verabreicht zu bekommen.

Denkbar ist angesichts der derzeitigen fast völligen Rechtlosigkeit ein Zwischenschritt: wenn es darum geht, die Zwangsbehandlung zu verhindern, könnte man angesichts der beschriebenen psychiatrischen Bedrohung möglicherweise eher pragmatisch als an Maximalforderungen ausgerichtet vorgehen. Denkbar ist der Aufbau von Verwaltungshürden, z.B. einzuholender Gremienentscheide, wie im U.S.-Bundesstaat Alabama für den Fall des gegen den Willen vollzogenen Elektroschocks. Dass verwaltungstechnische Maßnahmen sehr wohl gegen zwangspsychiatrische Maßnahmen wirken können, zeigt die dortige Praxis. Ein Bundesgericht hatte 1973 entschieden, dass der Elektroschock eine außergewöhnliche und riskante Behandlungsmaßnahme darstelle, die nur vollzogen werden dürfe, wenn zugestimmt hätten: 1. die aufgeklärten PatientInnen, 2. der die Indikation stellende Psychiater, 3. ein weiterer Psychiater, 4. der Medizinische Direktor der Anstalt und ein sogenanntes Extraordinary Treatment Committee (Außerordentliches Behandlungskomitee), welches durch das Gericht eingesetzt wird. Dieses Komitee wiederum wird gebildet durch 5. einen vierten Psychiater, 6. eine/n Neurolog/in und 7. einen Anwalt oder eine Anwältin. Weiterhin ist 8. noch ein Anwalt oder eine Anwältin beteiligt, der/die die Betroffenen vertritt. Bei angenommener Urteilsunfähigkeit der Betroffenen, die nicht rechtsgültig der Behandlung zustimmen könnten, ist der Elektroschock schließlich nur nach Gerichtsurteil möglich. Die Schweizer Psychiaterin Cécile Ernst schreibt über die Alabama-Praxis, dass »diese geradezu absurde Komplikation der Behandlung« dazu geführt habe, dass vom Elektroschock in diesem Bundesstaat seit dem Gerichtsentscheid kein Gebrauch mehr gemacht worden sei (Ernst 1982).

Höhere Finanzmittel für dieselbe unzureichende, ja schädliche psychopharmakologisch/gentechnologisch orientierte Psychiatrie bedeuten vermehrte körperliche und soziale Folgeschäden. Höhere Finanzmittel für die Psychiatrie bedeuten auch die Vorenthaltung finanzieller Mittel für sinnvolle alternative, innovative (erneuernde), echte Reformmodelle und verstellen geradezu den Blick auf deren notwendige Förderung. Mit der stufenweisen Reduzierung von Finanzmitteln könnte der überfällige Ausstieg aus der Psychiatrie begonnen werden. Die gestrichenen Gelder werden benötigt zur Finanzierung befriedigender Lebensverhältnisse für die freikommenden Anstaltsinsassen und -insassinnen: Wohnraum ohne therapeutischen Zwang (bereitzustellen von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften), Arbeitsmöglichkeiten in selbstverwalteten Kooperativen, Starthilfe und Schmerzensgeld für die erlittene psychiatrische Behandlung, Entgiftungs- und Kurmaßnahmen.

Ein besonders drastisches Problem, das die Forderung nach einem prinzipiellen Verbot von Elektroschocks und Neuroleptika verstärkt und die Entwicklung von unschädlichen Behandlungsmitteln für organisch bedingte psychische Schädigungen dringlich macht, sind die Langzeitschäden, die eine kontinuierliche Dauerbehandlung ausgerechnet mit Neuroleptika oder zumindest eine sporadische, immer wieder neu aufzunehmende Verabreichung erfordern, um kurzfristig die hirnorganisch bedingten Symptome zu unterdrücken und sozial überlebensfähig zu bleiben. Karl Bach aus Dänemark beschreibt exemplarisch dieses ungelöste Problem der Langzeitschäden, für deren Linderung dringend weniger schädliche Mittel entwickelt werden müssen:

Als ich Anfang 20 war, wurde ich von der Zwangspsychiatrie misshandelt; mein Gehirn wurde mit sehr hohen Dosierungen von Neuroleptika und mit Elektroschocks geschädigt. Heute, fast 20 Jahre danach, nehme ich wegen der Hirnschädigungen noch immer Psychopharmaka, allerdings sehr selten und in äußerst geringer Dosierung: Wenn ich – was vielleicht ein- oder zweimal im Jahr vorkommt – sehr erschöpft bin oder überdreht und meine spirituellen Erlebnisse eventuell zu großen Raum einnehmen, dann muss ich mich ein wenig dämpfen, um weiter meinem Fulltime-Job nachgehen und für meine Familie dasein zu können. Unter solchen Umständen kann der Fall eintreten, dass ich mir selbst für zwei, drei oder vier Tage sehr kleine Mengen von Neuroleptika der ersten Generation verordne. Das heißt 0,25 bis 0,5 mg Haloperidol ein-, zwei- oder vielleicht dreimal täglich. Wenn ich nach zwei bis vier Tagen spüre, wie die Chemie allmählich die Kontrolle über die bewussten Bereiche meines Gehirns/Denkens erlangt, setze ich ab, vielleicht sogar schon vor diesem Zeitpunkt. Seit 1985 habe ich keinen Professionellen mehr wegen irgendwelcher persönlicher ›psychiatrischer‹ Angelegenheiten aufgesucht. Es kommt sogar vor, dass ich sehr geringe Mengen Tranquilizer zu mir nehme, wobei ich neue Arten von Benzodiazepinen bevorzuge, die meine Traumphasen nicht stören, zum Beispiel Clonazepam (Rivotril); allerdings bin ich sehr darauf bedacht, nicht abhängig zu werden. Meistens trinke ich einfach etwas Alkohol, rauche Zigaretten und nehme Tabletten mit pflanzlichen Wirkstoffen: ein Kombinationspräparat aus Baldrian und Hopfen (das entspannende Hanfgewächs, das auch im normalem Bier ist). So komme ich zur Ruhe, wenn es nötig ist. Ich ernähre mich stets sehr bewusst; so stelle ich sicher, dass meinem Körper genügend Mineralstoffe, Vitamine und unentbehrliche Proteine und Fettsäuren zugeführt werden. Damit es meinem Körper, meinem Geist, meiner Psyche und meiner Seele gut geht, bemühe ich mich, jede Nacht ausreichend zu schlafen, nicht zu selten ›Liebe zu machen‹ und mich nicht zu überarbeiten. Wenn Leute streiten wollen und mich das zu sehr mitnimmt, dann gehe ich. Natürlich gibt es nichts aufregenderes, als spirituelle, erleuchtete Bewusstseinszustände zu erleben und zu genießen, aber es ist nicht immer möglich, in diesen so lange zu verharren, wie ich gerne möchte – wegen des normalen Lebens mit Job und Frau und zwei kleineren Kindern. Dieser emotionale, mentale und sinnliche Bereich meines Alltagslebens ist für mich von sehr großer Bedeutung; ich möchte ihn um nichts in der Welt missen. (Bach Jensen 1992)

Geld wird auch benötigt zur Schaffung einer wirksamen sozialen und psychischen Hilfeleistung unter Kontrolle von Betroffenen und deren Vertrauenspersonen; Weglaufhäuser, Krisenwohnraum, Kommunikationszentren, evtl. mit Selbsthilfe-Angeboten, ohne Registration und ohne Zwangsmaßnahmen; kurzum Institutionen der Unterstützung, in die Menschen nicht mit Polizeigewalt hingeschleppt zu werden brauchen, sondern zu denen sie auch in aufgewühlten oder verwirrten Zuständen vertrauensvoll und angstfrei gehen können. Mögen diese Forderungen nach einem Recht auf Psychopharmaka-freie Hilfe und nach Schaffung und Finanzierung der entsprechenden Einrichtungen auf den ersten Blick utopisch erscheinen: Möchten Sie als ausgerasteter oder depressiver oder vielleicht später als alter, wehrloser, unbequemer Mensch keine andere Wahl haben als zwischen Elektroschocks und Neuroleptika?

Wie eine akzeptable Zusammenarbeit von Psychiatriebetroffenen mit Profis aussehen könnte, beschrieb Tina Stöckle: Profis müssen vom hohen Ross ihres eingebildeten Experten-Daseins heruntersteigen; den Vorrang der ›menschlichen‹ Qualifikation gegenüber der beruflichen erkennen lernen; akzeptieren, dass es Sache der Betroffenen ist zu entscheiden, wer für sie arbeitet; die Selbstorganisation der Betroffenen fördern und unterstützen; auf jegliche Anwendung von Erpressung und Zwang verzichten; die jahrhundertealte Diffamierung der Ver-rückten als ›Entartete‹ oder als ›Psychisch-Kranke und Behinderte‹ reflektieren und sich für die Abschaffung der Psychiatrie in jeder Form, einschließlich der Gemeindepsychiatrie, entscheiden (1983, S. 274f.).

Ein Beispiel für einen konstruktiven Beitrag der Zusammenarbeit von Profis und Betroffenen stellt das kalifornische Projekt Soteria dar, das (weitgehend) ohne Neuroleptika und unter der Hauptverantwortung, Entscheidungsbefugnis und Autorität sogenannter Laien geführt wurde, d.h. von Nicht-Psychiatern, (ehemaligen) Betroffenen, SozialwissenschaftlerInnen und sonstigen Bürgern: »Der Versuch, die Erfahrungen eines Psychotikers zu verstehen und sie zu teilen, ohne sie gleich zu beurteilen, zu etikettieren, in Frage zu stellen oder abzuwerten«, führte allerdings zu derart guten Langzeiterfolgen, dass der Geldgeber, das National Institute for Mental Health, das Projekt liquidierte (Mosher & Menn 1985).

Dass es ratsam ist, nicht auf Initiativen von oben zu warten, sondern schon heute eine Gegenmacht zur Psychiatrie aufzubauen, zeigen die mannigfachen, über viele Länder verstreuten mehr oder weniger antipsychiatrischen Selbsthilfe-Organisationen. Über selbstverwaltete Initiativen und Kommunikationszentren hat beispielsweise die US-Amerikanerin Judi Chamberlin bereits 1979 mit ihrem »On Our Own. Patient-Controlled Alternatives to the Mental Health System« (»Auf eigene Faust. Patienten-kontrollierte Alternativen zum psychiatrischen System«) einen lesenswerten Bericht vorgelegt. In »Die Irren-Offensive« (1983) zeigt Tina Stöckle, worauf es beim Zusammenschluss von Betroffenen ankommt: Kampf gegen die Psychiatrie und für Menschenrechte; kollektive Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen; Befreiung vom psychiatrischen Einfluss; Verständnis für den Sinn des Wahnsinns; Autonomie und persönliche Entfaltung; kritische Auseinandersetzung mit sogenannten ExpertInnen; Widerstand gegen Fremdkontrolle sowie Abbau von Machtverhältnissen innerhalb der Gruppe.

Um konkret den Kampf um Geld und Rechte aufzunehmen, ist eine Vereinigung aller Psychiatrie-kritischen Kräfte vonnöten. Selbstorganisation, Zusammenschluss mit antipsychiatrisch gesinnten Nicht-Betroffenen und Koalitionen mit emanzipatorisch ausgerichteten sozialen und politischen Gruppierungen ergänzen sich hierbei. Auch EinzelkämpferInnen wie der erwähnte Arnold Jukleröd können eine ernstzunehmende multiplikatorische Wirkung entfalten, wie auch einzelne anti- und nichtpsychiatrische Pilotprojekte, die wieder Hoffnung auf ein psychiatrisch unbehelligtes Leben machen.

Als Sammelbecken für einzelne und Gruppen, die Wege zum Ausstieg aus der Psychiatrie gemeinsam erforschen und beschreiten wolle, hat sich im deutschsprachigen Raum im Oktober 1989 das Forum Anti-Psychiatischer Initiativen gegründet. Seine Positionen formulierte FAPI im April 1990: Basis ist die Ablehnung des diffamierenden Krankheitsbegriffs, der Gemeinde- und gentechnologischen Psychiatrie, die Forderung nach dem Verbot von Neuroleptika, Elektroschocks und Zwangsbehandlung überhaupt, der Absicherung des Psychiatrischen Testaments, der finanziellen Unterstützung psychiatrieunabhängiger Selbsthilfe-Organisationen und psychopharmakafreier Weglaufhäuser, nicht-psychiatrischen Ver-rücktenhäusern, Wohnungen und dem Aufbau freier Kooperativen (»Alternativen« 1990).

Um FAPI bei seiner ständigen Suche nach tatkräftigen Mitgliedern zu unterstützen, ist in diesem Buch im Anschluss an das Verzeichnis der Adressen Psychiatrie-kritischer Organisationen ein Musterbrief abgedruckt, der auch zurückhaltenden Interessierten einen Weg zur Kontaktaufnahme bieten und beim Finden von Gleichgesinnten helfen soll.

Nichtpsychiatrische Alternativprojekte als Beitrag zum Ausstieg aus der Drehtürpsychiatrie

Am Beispiel des Berliner Projekts Weglaufhaus

Es gibt kaum ein Anliegen in der heutigen Psychiatriediskussion, das wichtiger wäre, als die Erfahrung der Zwangsanhaltung (Zwangsunterbringung) zu vermeiden. Abgesehen von der sozioökonomisch schwer durchsetzbaren Möglichkeit, sämtliche repressive Anstalten abzuschaffen, ist die Idee, sie mittels alternativer Einrichtungen zu umgehen, wahrscheinlich am ehesten durchführbar. Das Berliner Weglaufhausmodell (Wehde 1991) ist in diesem Sinne nicht nur ein notwendiges, sondern ein besonders vielversprechendes Unternehmen, das den Kern einer menschlichen und gewaltfreien Betreuung in sich birgt.

Menschen, deren Lebensweg sie in Richtungen führt, die einerseits zu Irrwegen erklärt werden, andererseits wohl zu immensem Leid beitragen, haben fast keine Chance, auf diesem Weg stützend und gewaltlos begleitet zu werden. Falls sie sich an Einrichtungen psychiatrischer Art wenden, gehen sie immer das Risiko ein, missverstanden, abgekanzelt, eingesperrt und chemisch überrumpelt zu werden. Oft ziehen solche Menschen es vor, diese Leiden und/oder unbequemen Gefühle in ihren eigenen vier Wänden oder im Rahmen ihrer Familie zum Ausdruck zu bringen. Im schlimmsten Fall isolieren sich viele fast völlig von ihrer Umwelt, nur um zu vermeiden, dass ihre an sich eventuell schmerzhaften Erfahrungen noch zusätzlich durch psychiatrische Maßnahme verschärft werden.

Wenn man sich diese Maßnahmen näher ansieht, werden die Gründe für ein solches Verhalten leicht einfühlbar. Das Umschlagen von gesellschaftlicher Aussonderung in amtliche Gewalt geschieht oft so dramatisch und unerwartet, dass dies nur zu einer Verschlimmerung der jeweiligen Gefühlslage führen kann. Die unmenschlichen und entwürdigenden Vorgänge bei der Einlieferung in sogenannte Heilanstalten sind zwar weitbekannt, aber in ihrer Auswirkung wohl noch immer unterschätzt. Eine solche Gefangennahme wird fast immer durch gewaltsame Verabreichung von Substanzen bekräftigt, deren erste Wirkung meist eine innere Verschnürung des Körpers, ein Unterbrechen des Denkens und ein Abtöten der Gefühlswelt mit sich bringt. Dass sie, eigentlich als Nebenwirkung, auch manche ›Symptome‹ aus der Erlebniswelt des Eingelieferten unterdrücken, trägt oft mehr zu dessen Verstummung als zur Besserung bei.

Die Langzeitwirkungen dieser Institutionalisierung sind beträchtlich und treten erstaunlicherweise recht früh ein. Was heißt, dass ein Mensch nach zwei- bis dreimaliger Wiederholung dieses Vorganges bereits ein beträchtliches Stück in seiner bzw. ihrer ›Patientenkarriere‹ vorgedrungen ist. Dass eine solche mit anderen Berufen und Berufungen kaum vereinbar ist, hat die Erfahrung gezeigt.

Das Schädliche an der psychiatrischen ›Versorgung‹ liegt allerdings nicht allein in den Auswirkungen der Langzeit-Institutionalisierung, sondern zumindest ebenso im Teufelskreis zwischen stationärem Aufenthalt, Entlassung, relativ kurzem Dasein in der ›Gemeinde‹ und nahezu unvermeidlicher Wiederaufnahme. Dieser Ablauf, von Psychiatern als ›Drehtürphänomen‹ bezeichnet und hauptsächlich einem neuerlichen ›Schub‹ zugeschrieben, verhindert jede Möglichkeit zur Begehung eines selbständigen Lebenswegs abseits von psychiatrischer Intervention. Sobald ein Mensch in den Spinnweben der Anstalts- und Gemeindepsychiatrie gelandet ist, gibt es fast keinen Ausweg aus dieser Verhedderung.

Die Durchbrechung dieses auch von Psychiatern auf öffentliche Kritik hin gelegentlich als schädigend bezeichneten Teufelskreises ist eines der wichtigsten Anliegen aller, die einmal darinnen gefangen wurden. Gelungen ist dies aber bis heute keinem der vielen ›fortschrittlichen Versorgungsmodellen‹. Manchmal können zwar Menschen nach langjähriger Institutionalisierung von der Anstalt ferngehalten werden: dies allerdings durch eine neuerliche Abschottung mittels mehr oder weniger hochdosierter Neuroleptika und dröger ›Tageskliniken‹, wo nichts anderes als das dauernde Bestätigen der endgültigen und unwiderruflichen ›Patientenkarriere‹ stattfindet.

Als Fazit kann man wohl sagen, dass beinahe jede Verweigerungsstrategie sinnvoller und menschlicher ist, als sich dem sogenannten Behandlungsangebot der Psychiatrie zu verschreiben. Dieser Widerstand kann sich durch ein Weglaufhaus zu einer Reihe von hilfreichen und entschieden antipsychiatrischen Ansätzen weiterentwickeln. Ein Asyl im ursprünglichen Sinne des Begriffs anzubieten, das einfach gewaltfrei sein muss, ist ein edles und wichtiges Anliegen. Die Möglichkeit, von ›medikamentöser‹ Zwangsbehandlung zu einfühlendem Verständnis von diversen Lebenswegen und Erfahrungen zu gelangen, ist wahrscheinlich der auch wissenschaftlich wertvollste Anspruch des Weglaufhausprojekts. Hier geht es sowohl um ungefährliche Entgiftungsstrategien, die beinahe als Entzug zu bezeichnen sind, wie um die Vermeidung und Behandlung von Langzeitschäden der Neuroleptika, als auch um die Entwicklung von neurophilen (nervenschonenden) Behandlungsmethoden. Letztere bedürfen einer weitgehenden Neuausrichtung der sanktionierten Forschungswege, da sie sich wohl in Richtungen vortasten müssen, die bis dato von pharmazeutischer Machtpolitik blockiert sind. Wenn das Weglaufhaus auch in diesem Bereich anregend wirken kann, so hat es seine Mission bereits weitgehend übertroffen.

Ein weiterer wesentlicher Neuansatz, der in einem Weglaufhaus in den Vordergrund treten kann, ist der Beitrag von Psychiatriebetroffenen, die sich dieser Aufgabe widmen wollen. Ein Verständnis, das der eigenen Erfahrung mit inneren und äußeren Zwängen oder anderen Denkweisen entwächst, ist vielleicht das am besten eingestimmte Instrument zur Verständigung mit anderen, die sich erst am Anfang ihrer Erfahrungen befinden.

Der Wert von Weglaufhäusern für viele, deren Inneres sich gegen die Umklammerung der Psychiatrie aufrichtet, ist daher unbestritten; ihr Wert in der Weiterführung der antipsychiatrischen Diskussion ebenso. Der dahinterliegende Ansatz, Psychopharmaka durch menschliche und von Betroffenen entworfene Strategien zu ersetzen, ist wahrscheinlich heute die einzige Hoffnung auf eine wirklich umfassende Erneuerung und ein Wegkommen von den Irrwegen der Psychiatrie.

Aufgaben antipsychiatrischer Aktivistinnen und Aktivisten

Bemerkungen eines ›schizophrenen‹ Unruhestifters

Die Zersplitterung der Antipsychiatrie-Bewegung können wir nicht länger tatenlos hinnehmen. Hier sind einige der dringendsten Aufgaben antipsychiatischer AktivistInnen, die ich im Rahmen meiner Kräfte mit in Angriff nehmen will. Ich möchte Starthilfe leisten bei anderen Beschwerdezentren und Fürsprechergruppen, die ehemalige Betroffene als FürsprecherInnen für die Rechte derzeitiger Insassinnen und Insassen ausbilden. Wir müssen in die Institutionen und Gefängnisse hineingehen, die Betroffenen über ihre Rechte und die Gefahren von Elektroschocks und Neuroleptika aufklären sowie sie unterstützen, ihre Rechte durchzusetzen, um die Lügen der Psychiatrie und der Regierung und ihre unterdrückerischen Maßnahmen zu bekämpfen. Ich möchte Informationen über Schock-’Behandlungen‹, psychiatrische Psychopharmaka, Selbsthilfe-Alternativen, bürgerliche und Menschenrechte in der Hand eines jeden Anstalts- und Gefängnisinsassen und einer jeden Anstalts- und Gefängnisinsassin sehen. Natürlich müssen wir uns in den Stationen und in den Gefängnissen dieser Herausforderung stellen. Und wenn wir hierzu zivilen Ungehorsam brauchen, dann ist dem so.

Psychiatriebetroffene und ihre Verbündeten sollten sich viel mehr zu Wort melden und häufiger Demonstrationen veranstalten. Diese Arbeit muss von uns, den Unterdrückten, geleistet werden. Wir müssen die rechtliche Aufklärungsarbeit verstärken; wir müssen mehr in Erscheinung treten, uns mehr Gehör verschaffen; wir brauchen mehr Kontakt zu unseren Bruder- und Schwesterorganisationen: Gruppen von Anstaltsinsassinnen und -insassen, Knast-, Frauen- und Friedensgruppen, Psychiatrie-’Nutzer‹-Vereinen und entsprechenden Bündnissen. Wir müssen überall nach Gleichgesinnten suchen. Jeder Staat, jedes Bundesland und jede Region braucht eine eigene aktive antipsychiatrische Kerngruppe. Wir müssen auf die Straße gehen, unsere Zeitschriften und anderes antipsychiatrisches Material in psychiatrischen Einrichtungen und Gefängnissen kostenlos verteilen, mehr Konferenzen oder Workshops veranstalten und lokale Komitees bilden. Und wir müssen ins Fernsehen, damit wir unsere eigenen Schicksale in unseren eigenen Worten schildern können, um gegen die vielen bösartigen Lügen über ‘Geisteskrankheit‹, ‘Schizophrenie‹, ‘gefährliche Psychiatriepatienten‹, ‘therapeutischen Nutzen der Medikation und Elektroschocks‹ anzugehen – Lügen, die von Psychiatern, ihren MitläuferInnen und den Medien massenhaft produziert werden. Es muss einzelne Leute und Gruppen geben, die diese schwierige Arbeit tun.

Das alles dient dem Zweck, eine breite antipsychiatrische Koalition aufzubauen. Um dies in Gang zu bringen, reicht eine Handvoll Leute, egal, wo sie sich befinden. Die erste antipsychiatrische Insassengruppe Nordamerikas beispielsweise wurde 1948 in einer der repressivsten Institutionen der Vereinigten Staaten gegründet, dem Rockland State Hospital, einer Psychiatrischen Anstalt in New York. Die Gruppe nannte sich WANA (We are not alone; Wir sind nicht alleine). Ich stelle mir vor, dass dort einige der InsassInnen sagten: »Wir machen diesen Scheiß nicht mehr mit! Dreckiger kann es uns nicht mehr gehen, lasst uns kämpfen!« Und das taten sie auch.

Schwarze, Eingeborene, Schwule und Lesben, Frauen, Kinder, Gefangene, Alte und viele andere, sie alle wurden und werden von Psychiatern und dem Staat diskriminiert und schikaniert. Ein einzelner Mensch oder eine kleine Gruppe kann eine Lawine ins Rollen bringen. Eine einzige ‘kontroverse‹ oder abweichende Stellungnahme, ein einzelner Akt des Protests oder des zivilen Ungehorsams kann wie ein Blitz einschlagen und die Macht der Finsternis beenden. Nach meiner Überzeugung sitzt in jeder psychiatrischen Einrichtung und in jedem Gefängnis mindestens eine Person, deren Kampfgeist noch nicht erloschen ist. Wir müssen diese Multiplikatoren ausfindig machen und unterstützen.

In meinem Kampf, meinem Krieg gegen die Psychiatrie kann und will ich keine Kompromisse schließen, weil die Psychiatrie zutiefst pervers und entmenschlichend ist. Es widert mich total an, wenn ich einen ‘guten‹ Seelenklempner sehe, wie er sich in aller Ruhe zu Ihnen setzt, sich mit Ihnen unterhält, Ihnen den Kopf tätschelt, Sie etikettiert und Ihnen ein ‘antipsychotisches Medikament‹ verschreibt. Das ist genau derselbe verlogene, herablassende, entwürdigende Mist, den wir schon immer hatten. Wer braucht das?

Wir, die wir gegen unseren Willen eingesperrt, diagnostiziert und behandelt wurden, ohne Anhörung oder Gerichtsverfahren, wir sind nicht psychisch krank, manisch-depressiv oder schizophren und waren es auch nie. Wir sind einfach wütend, traurig, verwirrt, nervös oder unangepasst. Wir müssen uns weigern, diese vernichtenden Begriffe nachzuplappern und die Quälereien hinzunehmen, wir müssen der Wahrheit ins Gesicht schauen. Wahr ist, dass wir eingesperrt und gefoltert werden aufgrund dessen, was wir fühlen/denken/glauben, und dass wir uns entsprechend verhalten, denn andere Leute halten unsere Überzeugungen für geisteskrank, psychotisch oder bedrohlich: weil wir Stimmen hören, die andere nicht hören; weil wir Dinge sehen, die andere nicht sehen; weil wir dabei erwischt werden, wie wir mit uns selbst oder mit der Vorstellung von unserem Selbst reden, weil wir zu lautstark sind, DissidentInnen, Andersdenkende.

Ich hatte überhaupt nichts verbrochen, als man mich für mehr als ein Jahr einsperrte, mich als schizophren abtat, mir meine Freiheit nahm und mich mit Insulinschocks folterte. Man behandelte mich als Staatsfeind, genauso wie Millionen anderer Menschen. Deshalb bezeichne ich Psychiatrie-InsassInnen als politische Gefangene – Menschen, denen zu Unrecht die Freiheit und andere Menschenrechte vorenthalten werden und die man foltert, weil sie an abweichenden Werten und Überzeugungen festhalten. Amnesty International sieht das anders, aber unter dem Deckmantel der ‘Therapie‹ und ‘Behandlung‹ geschieht das Unrecht nach wie vor: nicht nur in der früheren Sowjetunion, sondern auch in Ländern der ‘freien Welt‹ wie z.B. Kanada und den Vereinigten Staaten. Naiverweise geht Amnesty International (einschließlich seiner psychiatrischen Berater) davon aus, dass es in der freien Welt keine politischen Gefangenen und keine psychiatrischen Folterungen gibt.

Wir schulden es uns selbst und den anderen InsassInnen, die psychiatrische Unterdrückung zu beenden, die ganze Psychiatrie zu beseitigen, all die psychiatrischen Gefängnisse, die sich als Krankenhäuser ausgeben, zu schließen und damit fortzufahren, eigene und humane Alternativen, von denen es einige bereits gibt, zu entwickeln und zu fördern. Dann, und nur dann, werden wir wahnsinnig viel freier sein und in Würde über unser Leben selbst bestimmen. Solange es noch eine Psychiatrie-Insassin gibt, noch einen politischen Gefangenen, ist keine/r von uns frei. Wir haben die moralische Verpflichtung, uns selbst von der Tyrannei der Psychiater zu befreien. Wir können siegen und wir müssen siegen. Vereint sind wir unbesiegbar!

Anmerkungen

(1) Im veterinärmedizinischen Bereich finden dieselben Neuroleptika, wie sie auch in der Psychiatrie verwendet werden, ihren Einsatz: zur Ruhigstellung aggressiver Schweine und Ziegen oder widersetzlicher und unleidlicher Zootiere etwa beim Beschlagen, Scheren oder bei Ausstellungen und zur Ausschaltung natürlicher Abwehrbewegungen bei diagnostischen und therapeutischen Eingriffen an Pferden, Rindern und Hunden (Petrausch 1987). Pfeil

(2) Helmchen und seine Kollegen Linden und Rüger machen deutlich, dass es Hauptaufgabe psychiatrischer Psychotherapie sei, die Dauerbehandlung mit Neuroleptika zu sichern: »Unter psychiatrischer Psychotherapie ist somit die Anwendung definierter psychischer Mittel zur (Mit-)Behandlung psychiatrischer Krankheiten zu verstehen. Sie ist damit gegen andere Verfahren und Aktivitäten psychischer Einflussnahme wie Pädagogik, Seelsorge, Sozialarbeit, Beratung und mitmenschliche Hilfe abzugrenzen...« (Helmchen et al. 1982a, S. 340) Psychiatrische Psychotherapie ist in aller Regel nur Mittel zum Zweck: »So kann etwa bei schizophrenen Psychosen die Indikation für eine komplettierende supportive (unterstützende) Psychotherapie gegeben sein, die die Compliance (Willfährigkeit) für eine rezidivprophylaktische (‘rückfallvorbeugende‹) Langzeitmedikation verbessert...« (Helmchen et al. 1982b, S. 8) Pfeil

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Verfasste Einzelteile

  • »Psychiatrie, Gemeindepsychiatrie, Antipsychiatrie, Nichtpsychiatrie«: Peter Lehmann

  • »Nichtpsychiatrische Alternativprojekte als Beitrag zum Ausstieg aus der Drehtürpsychiatrie«: Peter Stastny

  • »Aufgaben antipsychiatrischer Aktivistinnen und Aktivisten«: Don Weitz

Übersetzung

Don Weitz: aus dem kanadischen Englisch von Rainer Kolenda

Anmerkung d. H.

Don Weitz' Beitrag ist ein Auszug aus seinem Artikel »Notes of a ›Schizophrenic‹ Shitdisturber« (S. 295-302), original veröffentlicht in: Bonnie Burstow / Don Weitz (Hg.): »Shrink Resistance. The Struggle Against Psychiatry in Canada«, Vancouver: New Star Books 1988, S. 285-302


Don WeitzDon Weitz

Lebt in Toronto, Kanada. Seit 1974 Jahren aktiv in der Antipsychiatrie-Bewegung. Schriftsteller, Psychiatriebetroffener, kämpft insbesondere gegen Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka, Elektroschocks sowie gegen andere psychiatrische Greuel und setzt sich ein für die Rechte von Anstaltsinsassen und -insassinnen. Mitbegründer von Phoenix Rising, der ersten antipsychiatrischen Zeitschrift in Kanada (1990 Erscheinen eingestellt). Buchveröffentlichung: Herausgeber von "Shrink Resistance. The Struggle Against Psychiatry in Canada", Vancouver: New Star Books 1988 (gemeinsam mit Bonnie Burstow). (Stand: 1993 )
Nachtrag: Don Weitz, geboren 1930, verstarb am 1. September 2021. Pfeil

© 1993 by Peter Lehmann