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des Antipsychiatrieverlags
in: Mitgliederrundbrief des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener,
1995, Nr. 2, S. 5
Stellungnahme des Geschäftsführenden Vorstands
des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener
zum Behandlungsvertrag (BV) und zum Psychiatrischen Testament
(PT)
Kassel, 4.2.1995
Der Bundesverband begrüßt grundsätzlich, wenn
Psychiatrie-Betroffene an Entscheidungen beteiligt werden, die
sich auf ihre körperliche Unverletzbarkeit beziehen. Dies
hat auch einen therapeutischen Wert, und zwar insofern,
als sich beim Verfassen für jeden einzelnen Menschen die
Frage nach vorhandenen Vertrauenspersonen und nach möglichen
Unterstützungsformen für den Fall akuter Verrücktheit
stellt. Hier wird das Prinzip der Selbstverantwortung besonders
sichtbar: Es gilt einerseits, sich die eigene, möglicherweise
isolierte soziale Situation zu vergegenwärtigen, bestehende
Freund- und Bekanntschaften auf das Vertrauensverhältnis
zu prüfen und sich gegebenenfalls aktiv an die Veränderung
einer unbefriedigenden Situation zu machen, sprich: sich Freunde,
Freundinnen oder Verbündete zu suchen. Andererseits gilt
es, konkrete Maßnahmen für eine ungewisse Zukunft gedanklich
vorwegzunehmen: Was brauche ich, sollte ich (wieder) verrückt
werden? Was tut mir dann gut? Womit behandeln Psychiater? Was
erwartet mich im Altenheim? Was lehne ich ab? Was will ich? Was
nehme ich notfalls in Kauf? Wo sind die Menschen, die mich unterstützen
werden? Die frühzeitige Auseinandersetzung mit all diesen
Problembereichen könnte, ernsthaft angepackt, durchaus dazu
führen, das tägliche Leben bereits jetzt derart umzugestalten,
dass die Gefahr einer psychiatrischen Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung
erheblich geringer wird. Als Mittel hierzu kommen sowohl das PT
als auch der BV in Frage.
-
Wer das Vertrauen in seinen/ihren Psychiater hat, dass er/sie
ihm im Konfliktfall die Kompetenz zugesteht, Entscheidungen
zur Zwangsbehandlung auch gegen den eigenen Willen zu fällen,
für den/die sind die im BV vorgesehenen Möglichkeiten
ausreichend.
-
Wer Wert auf die Beachtung des eigenen Rechts auf körperliche
Unversehrtheit und die die rechtswirksame Einhaltung seiner/ihrer
Vorausverfügung legt, dem/der sei die Erstellung eines
PT angeraten. Da dieses sowohl die Ablehnung psychiatrischer
Maßnahmen als auch deren konkrete Festsetzung (spezielle
Mittel in spezieller Höhe) sowie die Vorab-Benennung
möglicher Betreuungspersonen (nach dem Betreuungsrecht)
vorsieht, halten wir diese Vorausverfügung für die
umfassendere. Sie reicht weiter als der BV, erlaubt im Gegensatz
zu ihm sowohl die Ablehnung als auch die Festsetzung konkreter
Maßnahmen (selbst gegen den eigenen Willen).
Der Bundesverband tritt ein für das Selbstbestimmungsrecht
(Vereinssatzung § 2: gewaltfreie Psychiatrie und Verzicht auf
jegliche therapeutische Gewaltanwendung). Wir halten
den Begriff Zwangsmaßnahmen nicht für eine Stigmatisierung
von Psychiatrie-Betroffenen, sondern für diejenige notwendige
deutliche Benennung des Tatbestands, den wir nicht als Begriff,
sondern als Tatsache abgeschafft sehen wollen. So halten wir seine
Ersetzung durch den Begriff
Notfallmaßnahmen im BV
für ebenso unglücklich wie auch den Begriff
Behandlungsvertrag:
Ein Vertrag ist eine rechtsverbindliche Abmachung zweier rechtlich
gleichgestellter Vertragspartner. Der vorliegende Behandlungsvertrag
ist jedoch nicht rechtsverbindlich, und eine Gleichberechtigung
ist nicht vorhanden, wenn im Konfliktfall ein Vertragspartner dem
anderen zwangsweise Neuroleptika und Elektroschocks verabreichen
kann.