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des Antipsychiatrieverlags
Beitrag für die Mailingliste PE_imTrialog@yahoogroups.de vom
26. Juli 2014
Kalle Pehe
Über biologische Psychiatrie
In der biologischen Psychiatrie geht man davon aus, dass der
Mensch als biologischer Automat funktioniert. Wenn ein Automat
fehlerhaft arbeitet, sucht man den Fehler, repariert ihn, und
der Automat wird wieder funktionieren. Man muss zugestehen, dass
biologische Forschung am Menschen vor allem bei körperlichen Erkrankungen,
recht erfolgreich war. Wir verdanken diesem Ansatz viele wichtige
Einblicke in die Funktionen des menschlichen Körpers. Die Erforschung
der Regulierung des Blutzuckers versetzte uns in die Lage, die
dabei wirksamen Hormone heute gentechnisch herzustellen, die daran
erkrankten Menschen ermöglichen, ein weitgehend normales Leben
zu führen.
Biologische Forschung in der Psychiatrie übernimmt diesen Ansatz
und muss/will dann daran glauben, dass er auch bei psychiatrischen
Auffälligkeiten zum Erfolg führt. Ich nenne ihn einen technologischen
Ansatz, der für wissenschaftliche Betrachtungen zwar relevant
ist, aber nur Technologie ist, solange er die Bedingungen nicht
reflektiert, denen sie sich unterworfen hat. Wer einen Automaten
untersucht, sollte doch zumindest noch irritiert davon sein, dass
sich menschliche Automaten manchmal eben nicht automatisch
verhalten.
Wenn es ein Lebewesen gibt, bei dem das in besonderem Maße der
Fall ist, dann ist es der Mensch mit einem Gehirn, das die Komplexität
genetischer Informationen um 10er-Potenzen übertrifft. Zu glauben,
dass man diese Komplexität reduzieren kann auf die Komplexität
genetischer Informationen, ist der erste systematische Fehler.
Widersprechende Erfahrungen komplett auszublenden, etwa die Genesung
von Menschen mit vollständig ausgeprägten schizophrenen
Symptomen, ist ein zweiter.
Wissenschaft vom Menschen, und darum geht es auch in der Psychiatrie,
beginnt eigentlich erst da, wo das Ergebnis dieser Studie aufhört.
Biologische Forschungsergebnisse müssen sich konfrontieren lassen
mit menschlichen Biografien, die ihren vordergründigen Ergebnissen
widersprechen. Die Bereitschaft dazu ist bei Psychiatern immer
noch recht unterentwickelt. Man sucht sich Probanden, die ins
Bild passen. Die anderen werden als Störenfriede an den Rand abgedrängt.
Ausnahmen bestätigen die Regel.
Wem nutzt das?
Es sind die, die solche biologischen Studien bezahlen und darauf
achten, dass sie die richtigen Ergebnisse bringen.
Die Organisatoren solcher Studien wissen, was sie tun: Sie bearbeiten
einen milliardenschweren Markt. Die Studie taugt vielleicht für
die vierwöchige Schulung eines Pharmareferenten. Denn der braucht
Verkaufsargumente, keine Wissenschaft. Ich kann nur hoffen und
wünschen, dass Patienten, die von solchen Studien ins Bockshorn
gejagt werden, jemanden kennen, der wirklich wissenschaftlich
denken und arbeiten kann. Ich habe dieses Glück gehabt.
Wissenschaft ist die Suche nach der Wahrheit, und die besteht
aus mehr als den acht Buchstaben, die man zum Schreiben dieses
Beitrags braucht.
P.S.
Der Beitrag bezieht sich auf eine Gen-Studie, die die Wirkung
von Neuroleptika angeblich zweifelsfrei bestätigen soll:
»Die Arbeit identifiziert 108 Genorte, die mit Schizophrenie
assoziiert sind; 83 davon werden zum ersten Mal in einer wissenschaftlichen
Arbeit genannt. Darunter ist auch eine Region im Genom, in der
sich DRD2 befindet, das Gen für den Dopaminrezeptor D2, der Angriffsort
der Neuroleptika ist. (...) Nun wird auch durch eine genomweite
Assoziationsstudie zweifelsfrei bestätigt, dass Neuroleptika an
entscheidenden Punkten ansetzen, die Schizophrenie-Patienten von
Gesunden unterscheiden.«
Quelle: www.faz.net/aktuell/wissen/heute-in-der-zeitung-ein-meilenstein-der-schizophrenie-forschung-13058451.html