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des Antipsychiatrieverlags
In: taz - Die Tageszeitung vom 6. April 2001, S. 12
Thilo von Trotha
Leserbrief zu dem Artikel "Stimmen und Blitze im
Gehirn" von Claudia Borchard-Tuch/
(in: taz vom 30. März 2001, S. 16, Rubrik wissenschaft)
Ein paar atypische Neuroleptika, ein bißchen
spekulative Gentheorie und einige aus jedem nachvollziehbaren
Kontext gerissene statistische Daten, schon ist sie fertig, die
lang ersehnte Revolution der Psychopathologie!
Man muß kein Anhänger der Antipsychiatrie sein, um zu
bemerken, daß Frau Borchard-Tuchs Artikel den Informationsgehalt
von Werbebroschüren der Pharmaindustrie noch unterbietet. Es
reicht den einzigen psychiatrischen Experten, den sie zitiert, beim
Wort zunehmen: Nicht nur medizinischen Laien macht es Mühe,
diese Krankheit zu verstehen. Der selbe Psychiatrieprofessor
hat vor wenigen Monaten auf einer Fachtagung in Berlin die von Frau
Borchard-Tuch hochgejubelten Neuroleptika offen als das bezeichnet,
was sie für einen großen Teil der Betroffenen tatsächlich
sind, als Teufelszeug, das Psychiater verschreiben,
weil sie nichts Besseres haben und weil sie weder die Ursachen noch
die inneren Mechanismen dieser von der Psychiatrie selbst nur als
Arbeitshypothese behaupteten Krankheit kennen.
Auch wenn man konzediert, daß ein Zeitungsartikel für
eine umstrittene wissenschaftliche Position Partei ergreifen kann,
darf er jene - hier nicht einmal ausgewiesene - Einseitigkeit nicht
auch noch so verkürzen, daß handfeste Fehlinformationen
übrigbleiben. Ein Beispiel: Auch der hartgesottenste Verfechter
einer biologistisch-genetisch orientierten Psychiatrie würde
nicht behaupten, daß mit Neuroleptika (...) das gestörte
Gleichgewicht der Botenstoffe wieder eingestellt würde.
Das Gegenteil ist der Fall: Neuroleptika lähmen und blockieren
unspezifisch alle möglichen neurologischen Prozesse im Gehirn,
darunter auch jene, die mit der als störend erlebten
Symptomatik in Verbindung gebracht werden. Das ist so, wie wenn
ein Orthopäde bei einem Knöchelbruch einen Ganzkörpergips
anlegen würde und den Betroffenen empfiehlt, prophylaktisch
doch noch einige Jahre im Rollstuhl zu verbringen, weil dadurch
das Risiko eines erneuten Bruchs vermindert werden könne.
Im äußerst sensiblen Umfeld der Psychiatrie gibt es viele
verunsicherte Menschen, die von einem sich als kritisch begreifenden
Medium wie der taz nicht genau in die Irre geführt werden sollten,
aus der sie einen Ausweg suchen. |