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               Homepage 
                des Antipsychiatrieverlags
 
              Unverlangter Beitrag zur Konferenz »Bewältigung von stress- 
              und depressionsassoziierten Problemen in Europa«, veranstaltet 
              von der Weltgesundheitsorganisation, der Europäischen Kommission 
              und dem Ministerium für soziale Angelegenheiten, öffentliche 
              Gesundheit und Umwelt (Belgien). Brüssel, 25.-27. Oktober 2001. 
              Publiziert in: Ralf Quindel & Ulrich Kobbé (Hg.): »PsychiatrieDesign« 
              (= Psychologie & Gesellschaftskritik [Oldenburg], Nr. 104, 26. 
              Jg., Heft IV). ISBN 978-3-89806-237-4. Gießen: Psychosozial-Verlag 
              2002, S. 99-111 / PDF . 
              Und in: Co`med  Fachmagazin für Complementär-Medizin 
              (Sulzbach, BRD), 8. Jg. (2002), Nr. 3, S. 32-34 / PDF . 
              Letzte Aktualisierung am 7.7.2024. English 
              translation  / Traduzione 
              Italiana 
 
 Peter 
                Lehmann  Behandlungsergebnis Selbsttötung. Suizidalität 
                als mögliche Wirkung psychiatrischer Psychopharmaka»Die Auslese durch den Selbstmord liegt daher 
                in der Richtung auf eine Stärkung des Lebenswillens
 und auf ein heiteres Temperament der Bevölkerung.«
 (Fritz Lenz: »Menschliche Auslese und Rassenhygiene«, 
                1923, S. 23)
 
 
 Depressionen können durch eine Vielzahl von Ursachen ausgelöst 
                werden: Psychosoziale und politische Umstände, neurologische 
                Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Altersabbauprozesse, 
                Viren, toxikologische Substanzen, Medikamente, Psychopharmaka 
                und vieles mehr. Mediziner befassen sich vor allem mit organisch 
                oder vermeintlich organisch bedingten Depressionen, gegen die 
                sie in aller Regel Psychopharmaka und Elektroschocks einsetzen. 
                Dass insbesondere eine Vielzahl von Psychopharmaka, die sie verabreichen, 
                Depressionen und Suizidalität bewirken und verstärken 
                können, fällt ihnen schwer zu akzeptieren. Dabei wird 
                in der medizinischen und pharmakologischen Fachliteratur häufig 
                über die depressionsverursachende Wirkung von Psychopharmaka 
                berichtet. Speziell Neuroleptika, sogenannte antipsychotische 
                Medikamente, lösen häufig Depressionen aus.  Psychopharmaka-assoziierte 
Depressionen und SuizidalitätNeuroleptika wirken durch eine Blockade 
speziell des Nervenimpulsüberträgerstoffs Dopamin mit dem Ergebnis, 
dass sich ein mehr oder weniger subtiles Parkinsonoid einstellt. Dies ist der 
Symptomenkomplex der Parkinsonkrankheit, charakterisiert durch gebeugten Gang, 
Muskelzittern und verwaschene Sprache. Ein Parkinsonoid entsteht regelhaft durch 
die Dopaminblockade. Das Erscheinungsbild des Parkinsonoids ist jeweils dasselbe, 
sei es durch Altersabbauprozesse, Bleivergiftung oder Neuroleptika hergestellt. 
Die Potenz der Neuroleptika ist definiert durch ihre Kraft, ein Parkinsonoid auszulösen; 
es handelt sich also nicht um eine unerwünschte Nebenwirkung, sondern um 
die von Psychiatern definierte therapeutische Hauptwirkung. Das Parkinsonoid, primär eine Erkrankung des Bewegungsapparats, 
                beinhaltet Veränderungen auch auf der psychischen Ebene. 
                Neurologen definieren diese als Parkinsonpsyche. Sie ist ein gesetzmäßig 
                mit dem Parkinsonoid einhergehender Symptomenkomplex, der sich 
                von Apathie und Willenlosigkeit über Depression und Suizidalität 
                bis hin zu Verwirrtheits- und Delirzuständen erstreckt (Fünfgeld, 
                1967, S. 3-25). Auf die Parallelität zwischen emotionaler 
                parkinsonbedingter Abstumpfung nach einer Hirnerkrankung und emotionaler 
                Abstumpfung im Rahmen der Neuroleptikawirkung wies der deutsche 
                Psychiater Hoimar von Ditfurth schon 1955 nach den ersten Verabreichungen 
                des Neuroleptikaprototyps Megaphen (Wirkstoff Chlorpromazin; derzeit 
                im Handel als Chlorazin) hin: »Es hat, so möchten wir glauben, den Anschein, 
                als ob die psychischen Veränderungen, die das Megaphen vor 
                allem auf emotionalem Gebiet hervorruft, von gleicher Natur sind, 
                wie die affektive Abstumpfung und Einengung, die man 
                bei postencephalitischen Parkinsonisten (Parkinsonkranken nach 
                Abklingen einer akuten Hirnentzündung, P.L.) so häufig 
                registriert.« (S. 56) Depressionen und Suizidalität 
stellen also notwendige Auswirkungen von Neuroleptika dar und werden demzufolge 
von Psychiatern problemlos hingenommen. Frank Ayd von der psychiatrischen Abteilung des Franklin Square 
                Hospitals in Baltimore schrieb 1975: »Es 
besteht nun eine allgemeine Übereinstimmung, dass milde bis schwere Depressionen, 
die zum Suizid führen können, bei der Behandlung mit jedem Depot-Neuroleptikum 
auftreten können, ebenso wie sie während der Behandlung mit jedem oralen 
Neuroleptikum vorkommen können. Diese depressiven Veränderungen der 
Stimmung können zu jeder Zeit während depotneuroleptischer Behandlung 
auftreten. Einige Kliniker haben Depressionen kurz nach Behandlungsbeginn bemerkt; 
andere machten diese Beobachtung Monate oder Jahre nach Behandlungsbeginn.« 
(S. 497) In ihrem Buch »Psychiatrische Pharmakotherapie« 
äußerten sich die beiden deutschen Psychiater Otto Benkert und Hanns 
Hippius zur Frage, ob die Suizidalität eventuell einer zu hohen Dosierung 
angelastet werden könne: »Depressionen, Suizidalität, 
Erregungszustände und Delirien unter Pharmaka treten im allgemeinen unter 
Dosierungen auf, die durch den behandelnden Arzt therapeutisch verordnet wurden.« 
(1980, S. 258) Statistische Angaben über neuroleptikabedingte 
Suizide sind, wie Psychiater selbst schreiben, aus vielerlei Gründen viel 
zu niedrig angesetzt. Solche Behandlungsverläufe würden von Medizinern 
nicht als Wirkungen der verabreichten chemischen Substanzen erkannt oder beachtet 
(Lehmann, 1996, S. 111). Dass die Dunkelziffer von Suiziden auch in Psychiatrischen 
Anstalten immens ist, offenbarte der in der psychiatrischen Universitätsklinik Basel tätige Asmus 
Finzen; unkorrekte Zahlenangaben seien allerdings von außen schwer festzustellen, 
weil  »... in Krankengeschichten und Entlassungsbüchern 
oft kein Vermerk über den Tod oder den Suizid der Patienten zu finden war. 
Wenn sich der Suizid während eines Urlaubs ereignet hatte, wurde er nicht 
selten rückwirkend entlassen. Wenn der Suizidversuch nicht zum sofortigen 
Tod geführt hatte, galt er für das Krankenblatt und die Statistik als 
verlegt in die Innere oder in die Chirurgische Klinik.« (1988, S. 45) Die depressive Stimmungsveränderung unter Neuroleptika bei 
                gleichbleibenden äußeren Bedingungen prüften zwei 
                englische Psychiater, R. de Alarcon und M.W.P. Carney. Im British 
                Medical Journal schilderten sie einige unter gemeindepsychiatrischer 
                Behandlung erfolgte Suizide unter Fluphenazin (im Handel derzeit 
                als Dapotum, Fluphenazin und Lyogen), um schließlich ausführlich 
                einen Fluphenazinversuch an einem 39jährigen wiederzugeben, 
                der bereits einen Suizidversuch unter dieser Substanz hinter sich 
                hatte. Als den Psychiatern an diesem Mann aufgefallen war, dass 
                er regelmäßig einige Tage nach seiner 14tägigen 
                Depotspritze Suizidabsichten entwickelte, wollten sie mit eigenen 
                Augen die stimmungsverschlechternde Wirkung des Neuroleptikums 
                miterleben. In der Anstalt beobachtete man den schizophrenen 
                Mann vier Wochen lang, ohne dass man ihm Neuroleptika verabreichte 
                und ohne dass etwas Wesentliches an seiner Stimmung auffiel. Dann 
                erhielt er eine intramuskuläre Spritze à 25 mg: »Während seines Krankenhausaufenthaltes 
wurde er dreimal pro Woche von einem von uns (R. de A.) interviewt. In der Woche 
vor der Injektion, als man ihn nicht interviewen musste, erörterte man seinen 
Zustand mit dem leitenden Stationspfleger, und die Krankenakten wurden gelesen. 
An einem Mittwoch um 15 Uhr verabreichte man ihm die Versuchsspritze. Am Nachmittag 
des folgenden Tages war er in gedrückter Stimmung, wollte in Ruhe gelassen 
werden und hatte kein Bedürfnis, mit irgend jemandem zu reden, zu lesen oder 
fernzusehen. Ungefähr um 16 Uhr ging er zu Bett. Nach Meinung der aufsichtsführenden 
Schwester stellte er einen Suizidrisikofall dar. Als man ihn am Freitag interviewte, 
war die Veränderung seines äußeren Erscheinungsbildes beeindruckend. 
Er blickte düster drein, einen Scherz beantwortete er nicht mit einem Lächeln, 
und es fand keine spontane Konversation statt. Seine Antworten waren auf das unbedingt 
Notwendige beschränkt. Das Vorhandensein irgendwelcher paranoider oder hypochondrischer 
Ideen oder irgendwelcher Schuldgefühle verneinte er. Er sagte einfach, dass 
er sich sehr minderwertig vorkomme, und wenn er alleine in seiner Bude wäre, 
würde er sich das Leben nehmen. Am Freitagabend trat eine Besserung ein, 
und als man ihn am Samstag erneut interviewte, hatte er wieder zu seinem gewohnten, 
normalen Selbst zurückgefunden. (... de Alarcon und Carney resümierten, 
P.L.) dass manche Patienten für einen kurzen Zeitraum nach der Injektion 
von Fluphenazin-Enanthat oder -Decanoat schwer depressiv werden können. Bislang 
wurden noch keine klaren Strukturen begründet hinsichtlich der Frage, wann 
und bei wem dies möglicherweise auftreten kann. Das Fehlen von nachteiligen 
Wirkungen in der Vergangenheit ist kein Hinweis darauf, dass diese in der Zukunft 
nicht doch vorkommen können. Zum Beispiel erhielt in dem Versuchsfall der 
Patient das Fluphenazin-Enanthat länger als sechs Monate, bevor er wiederholt 
mit einer schweren Depression auf die Injektion zu reagieren begann, und dasselbe 
geschah in anderen Versuchsreihen. « (1969, S. 565f.) Peter 
Müller von der psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen fand in seiner placebokontrollierten 
Untersuchung bei einem weit höheren Prozentsatz depotneuroleptischer Behandelten 
depressive Syndrome hochsignifikant häufiger als bei den Placebobehandelten. 
Über die Ergebnisse nach Verminderung oder Absetzen der Neuroleptika schrieb 
er: »Bei insgesamt 47 Behandlungsmaßnahmen kam es in 
41 Fällen zu einer Besserung der depressiven Verstimmung, nur in zwei Fällen 
gab es keine Veränderung, bei vier war der Effekt fraglich. Es war sehr überraschend 
festzustellen, dass allein die Reduzierung der neuroleptischen Dosis (in der Regel 
auf die Hälfte der bisherigen Gabe) in der überwiegenden Zahl dieser 
Fälle schon zur Besserung des depressiven Syndroms führte, allerdings 
oft nur zu einer Teilbesserung, die aber immerhin den Patienten schon deutlich 
entlastete. Demgegenüber brachte das gänzliche Absetzen bei anderen 
Patienten oder bei den gleichen Patienten, bei denen eine Dosisminderung nur zur 
geringen Besserung führte, einen sehr eindrücklichen Erfolg hinsichtlich 
der Depressionsbesserung. Manche Patienten berichteten, dass sie sich erst jetzt 
wieder völlig gesund fühlten wie lange vor der Erkrankung, und die von 
manchen Ärzten fast als unveränderlich angesehene depressive Bedrückung, 
die eventuell für Vorboten defektuöser Entwicklungen hätte gehalten 
werden können, verschwand gänzlich. Der mögliche Einwand, es könne 
sich hierbei um psychoreaktive Effekte im Sinne der Erleichterung des Patienten 
über das Absetzen der Medikation handeln, ist zu widerlegen, da fast alle 
Patienten Depot-Injektionen erhielten und über die Dosis dann nicht informiert 
wurden bzw. Placebo-Injektionen erhielten. (...) Die Veränderungen dieser 
Patienten waren für sie selbst, für Angehörige und Untersucher 
in manchen Fällen recht eindrucksvoll, die Patienten berichteten selbst, 
dass sie sich jetzt wieder ganz gesund wie lange vor der Erkrankung fühlten. 
Das war bei der neuroleptisch weiterhin behandelten Gruppe überwiegend nicht 
der Fall. Diese Befunde sprechen wohl doch eindeutig für pharmakogene Einflüsse 
und gegen morbogene Entwicklungen.« (1981, S. 52f., 64) Müller 
resümierte:  »Depressive Syndrome nach der Remission der Psychose 
                und unter neuroleptischer Behandlung sind nicht selten, sondern 
                treten etwa bei zwei Dritteln der Patienten auf, teilweise auch 
                noch häufiger, besonders wenn parenteral Depot-Neuroleptika 
                gegeben werden. Ohne neuroleptische Behandlung finden sich hingegen 
                nach vollständiger Remission diese depressiven Verstimmungen 
                nur ausnahmsweise.« (ebd., S. 72) Müllers  eigentlich  unübersehbare und 
                unüberhörbare Aussagen werden von einer Vielzahl von 
                Kollegen gestützt (Lehmann, 1996, S. 57-87, 109-115). Hier 
                einige Beispiele: Raymond Battegay und Annemarie Gehring (1968) 
                von der psychiatrischen Universitätsklinik Basel warnten 
                nach einem Vergleich von Behandlungsverläufen der vor- und 
                nachneuroleptischen Ära: »Im Verlauf der 
letzten Jahre wurde verschiedentlich auch eine Verschiebung des schizophrenen 
Symptomenbildes nach einem depressiven Syndrom hin beschrieben. Mehr und mehr 
zeigen die Schizophrenien einen bland-depressiv-apathischen Verlauf. Es wurde 
offenbar, dass unter Neuroleptica oft gerade das entsteht, was mit ihrer Hilfe 
hätte vermieden werden sollen und als Defekt bezeichnet wird.« (S. 107f.) Walter Pöldinger und S. Siebern von der psychiatrischen 
                Anstalt Wil/Schweiz schrieben: »Es 
ist nicht ungewöhnlich, dass medikamentenverursachte Depressionen durch ein 
häufiges Vorkommen von suizidaler Ideation gekennzeichnet sind.« (1983, 
S. 131) 1976 teilte Hans-Joachim Haase von der Psychiatrischen 
Anstalt Landeck mit, die Anzahl lebensgefährdender depressiver Erscheinungen 
nach Anstaltsbehandlung mit Psychopharmaka habe sich seit Einführung der 
Neuroleptika mindestens verzehnfacht. Die Steigerung der Suizidrate sei »alarmierend 
und besorgniserregend«, so Bärbel Armbruster von der psychiatrischen Universitätsklinik Bonn 
1986 im Nervenarzt  ohne allerdings die Betroffenen und ihre 
Angehörigen oder gar die Öffentlichkeit zu alarmieren. Über 
die Entwicklung in Finnland, Norwegen und Schweden informierte 1977 Rolf Hessö 
von der psychiatrischen Universitätsklinik Oslo; es scheine klar zu sein, »... dass 
der Anstieg sowohl der absoluten Suizidzahlen als auch der relativen im Jahre 
1955 begann. Dies war das Jahr, in dem Neuroleptika in den skandinavischen psychiatrischen 
Krankenhäusern eingeführt wurden.« (S. 122) Jiri Modestin schrieb 1982 über seinen Arbeitsplatz, die 
                psychiatrische Universitätsklinik Bern, sowie die benachbarte 
                psychiatrische Klinik Münsingen: »Unsere 
Resultate zeigen eine dramatische Zunahme der Suizidhäufigkeit unter den 
in der PUK Bern sowie auch PK Münsingen hospitalisierten Patienten in den 
letzten Jahren.« (S. 258) Berichte über Depressionen 
und Suizidalität aus erster Hand In dem Buch »Psychopharmaka absetzen« beschrieb Regina 
                Bellion aus Bremen ihren psychischen Zustand unter gemeindenaher 
                Behandlung: »Entlassung 
aus der Klinik. Auf nicht absehbare Zeit soll ich Neuroleptika einnehmen, sagt 
mir der Klinikarzt, an eine andere Therapieform sei überhaupt nicht zu denken, 
ich solle ja nichts ausprobieren.Allein zu Hause. Dreimal täglich zähle ich meine Haldol-Tropfen 
                ab. Sonst tue ich nicht viel. Ich sitze auf meinem Stuhl und starre 
                in Richtung Fenster. Ich nehme nicht wahr, was draußen vor 
                sich geht. Es fällt mir schwer, mich zu bewegen. Immerhin 
                schaffe ich es täglich, aus dem Bett aufzustehen. Ich merke 
                nicht, dass die Wohnung verdreckt. Es kommt mir nicht in den Sinn, 
                dass ich kochen sollte. Ich wasche mich nicht. Ich frage mich 
                nicht einmal, ob ich stinke. Meine Verelendung schreitet fort 
                 ich bemerke es nicht.
 Hinter meiner neuroleptischen Mauer vegetiere ich vor mich 
hin und bin ausgesperrt aus der Welt und aus dem Leben. Die reale Welt ist weiter 
von mir weg als Pluto von der Sonne. Meine eigene heimliche Welt ist auch weg 
 diese letzte Zuflucht habe ich mir mit Haldol zerstört.
 Dies ist 
nicht mein Leben. Dies bin nicht ich. Genauso gut könnte ich tot sein. Eine 
Idee nimmt allmählich Form an: Bevor es Winter wird, werde ich mich erhängen.
 Vorher will ich ausprobieren, ob mein Leben ohne Haldol anders wird. Ich reduziere 
die Tropfen. Weniger und weniger nehme ich davon ein, bis ich bei Null ankomme.
 Nach einem Monat bin ich clean. Da merke ich, wie verwahrlost 
                ich bin. Ich wasche mir die Haare, beziehe das Bett, mache die 
                Wohnung sauber. Ich bereite eine warme Mahlzeit. Das macht mir 
                sogar Vergnügen. Ich kann wieder denken.« (Bellion, 2008, 
                S. 314)
 Ähnliche Erfahrungen schilderte eine ebenfalls in Bremen 
                lebende Betroffene, der man eine Kombination aus Haldol und dem 
                Antidepressivum Aponal (Wirkstoff Doxepin; im Handel derzeit als 
                Aponal, Doneurin, Doxe, Doxepin, Mareen, Sinequan und Sinquan) 
                verordnet und die unter dem Einfluss der psychiatrischen Psychopharmaka 
                 zum Glück ohne Erfolg  versucht hatte, ihrem 
                Leiden durch Suizid ein Ende zu setzen: »Wieder entlassen, hockte ich stundenlang in meiner 
                Küche vorm Wasserhahn, durstig, aber unfähig, einen 
                Becher Wasser zu nehmen oder das hart gewordene Brot zu beißen. 
                Der Supermarkt war nur wenige Schritte entfernt, ich schaffte 
                es nicht aufzustehen und wünschte mir nur, einfach tot zu 
                sein, um endlich Ruhe zu haben. Mit Gott hatte ich gebrochen wegen 
                dieser Erkrankung. Ich sah sie als Bestrafung an für zwei 
                dunkle Punkte in meinem Leben. Das Schlimmste aber war der Teufelskreis 
                des ewig wiederkehrenden psychotischen Denkens. Ich versuchte 
                immer wieder, wenigstens ein paar Sekunden etwas anderes zu denken 
                 es gelang nicht. Die Gedanken drehten immer wieder ihre 
                sattsam bekannten gleichen Runden, Hunderte Male am Tag, mal im 
                Zeitlupentempo, um dann immer schneller werdend das Gehirn zu 
                malträtieren. Genau das war für mich die Hölle 
                und das teuflische Spiel. Ich fühlte mich verdammt, von Gott 
                auf immer verlassen, es gab keine Erlösung. Ich konnte nichts 
                tun, als diesen fiesen Film liegend zu ertragen. Ich wusste, ich 
                muss wieder glauben lernen, aber es ging nicht, und so versuchte 
                ich, das Leben zu beenden.« (Marmotte, 2008, S. 142) Selbst Clozapin, der Prototyp sogenannter atypischer Neuroleptika, 
                scheint suizidale Auswirkungen zu haben, wie der Bericht der Österreicherin 
                Ursula Fröhlich in »Schöne neue Psychiatrie« 
                zeigt: »Seit Beginn der Leponex-Einnahme habe ich keine 
                Lust mehr auf Sex, keine Lust an der Bewegung und keine Freude 
                am Leben. Ein Leben ohne Freude ist jedoch ärger als der 
                Tod. Alles, war mir geblieben ist, ist das Fernsehen, wo ich seit 
                sieben Jahren anderen zusehe, wie sie leben. Ich bin zwar biologisch 
                noch am Leben, doch meine Sinne sind schon längst tot, alles, 
                was mir früher Freude gemacht hat, kann ich nicht mehr machen. 
                Mein Leben existiert eigentlich gar nicht mehr, ich komme mir 
                so leer und so unbedeutend vor. Am schlimmsten ist es am Morgen. 
                Jeden Tag nehme ich mir vor, am nächsten Tag mit einem gesunden 
                Leben zu beginnen, die Medikamente wegzuschmeißen, viele 
                Vitamine und Fruchtsäfte zu trinken und mit einer täglichen 
                Fitnessroutine zu beginnen. Durch die Neuroleptika entsteht ein 
                Gefühl, als ob es mir gelingen würde, am nächsten 
                Tag mit einem ganz anderen, einem neuen Leben zu beginnen. Wenn 
                ich dann aber in der Früh aufwache, bin ich wie zerschlagen 
                und komme vor 9 Uhr nie aus dem Bett, meine Depressionen sind 
                so arg, dass ich jeden Tag an Selbstmord denke.« (zitiert 
                nach: Lehmann, 1996, S. 70f.) Psychiatern ging es bei ihren Selbstversuchen im Prinzip nicht 
                anders. 1954 und 1955 veröffentlichten Hans Heimann und Peter 
                Nikolaus Witt (1955) von der psychiatrischen Universitätsklinik 
                Bern ihre an Radnetzspinnen und Kontrollpersonen sowie in drei 
                Selbstversuchen und neun weiteren Experimenten an ebenso vielen 
                Psychiatern und Pharmakologen gewonnenen Erfahrungen mit einer 
                einmaligen Einnahme von Largactil, dem Neuroleptika-Prototyp Chlorpromazin. 
                Sehr deutlich wurde das unter Largactil ausgeprägte Gefühl 
                der Minderwertig- und Leistungsunfähigkeit, strukturelles 
                Bestandteil der neuroleptikabedingten Parkinsonpsyche, an den 
                folgenden Auszügen: »Ich fühlte mich regelrecht körperlich 
                und seelisch krank. Auf einmal erschien mir meine ganze Situation 
                hoffnungslos und schwierig. Vor allem war die Tatsache quälend, 
                dass man überhaupt so elend und preisgegeben sein kann, so 
                leer und überflüssig, weder von Wünschen noch anderem 
                erfüllt ... (Nach Abschluss der Beobachtung): Riesengroß 
                wuchsen vor mir die Aufgaben des Lebens auf: Nachtessen, in das 
                andere Gebäude gehen, zurückkommen  und das alles 
                zu Fuß. Damit erreichte der Zustand sein Maximum an unangenehmem 
                Empfinden: Das Erlebnis eines ganz passiven Existierens bei klarer 
                Kenntnis der sonstigen Möglichkeiten ...« (S. 
                113) Suizidregister als Vorbeugemaßnahme In Deutschland forderte der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener 
                e.V. im Februar 2000 von der Bundesministerin für Gesundheit 
                die Einführung eines Suizidregisters unter besonderer Berücksichtigung 
                von beteiligten Psychopharmaka/Elektroschocks, vorangegangener 
                Fixierung und anderen Formen vorangegangener psychiatrischer Zwangsmaßnahmen 
                (Lehmann, 2001, S. 46). Das Fehlen einer flächendeckenden 
                Registrierung von Suiziden in Zusammenhang mit psychiatrischen 
                Behandlungsmaßnahmen sei ein großer Missstand; solche 
                Daten seien eine elementare Voraussetzung für die Ursachenforschung 
                sowie eine wichtige Basis für die Vorbeuge- und Früherkennungsarbeit. 
                Eine staatenübergreifende Meldepflicht für Psychiatrie- 
                und Psychopharmaka-assoziierte Suizide könnte dafür 
                sorgen, dass Vorsorgemaßnahmen möglich und endlich 
                verlässliche Studien durchgeführt werden, die den Zusammenhang 
                insbesondere zwischen Psychopharmakawirkungen und Suizidalität 
                weiter erforschen. Nicht nur Neuroleptika, wie dargelegt, sondern 
                auch Antidepressiva (Healy, 2001; Lehmann, 1996, S. 194-204) und 
                Elektroschocks (Frank, 1990) sind sehr sorgfältig zu beobachten. 
               Berichte von Betroffenen, die durch eine traumatisierende Behandlung 
                mit Psychopharmaka, Elektro- und Insulinschocks zur Suizidalität 
                geradezu getrieben werden (siehe zum Beispiel Kempker, 2000), dürfen 
                nicht weiter ignoriert werden. Instanzen, die Kenntnis von diesem 
                Zusammenhang haben und untätig bleiben, trifft eine Mitschuld 
                an psychopharmakabedingten Suiziden. Insbesondere Mediziner und 
                Angehörige müssen über das Risiko psychopharmakogener 
                Depression und Suizidalität informiert werden. Und die Betroffenen 
                natürlich ebenso, damit sie eine wohlabgewogene und informierte 
                Entscheidung über die Einnahme oder Nichteinnahme eines angebotenen 
                Psychopharmakons treffen und gegebenenfalls weniger riskante Maßnahmen 
                gegen ihre Depression treffen können. Die Tatsache, dass sich psychiatrische Autopsiestudien retrospektiv 
                mit Diagnosen und den zugrunde liegenden psychischen Zuständen 
                befassen (siehe zum Beispiel Hell, 2005, S. 20), nicht aber mit 
                der jeweils konkreten Behandlung zum Zeitpunkt des Suizides, sagt 
                alles über die Unwilligkeit von Psychiatern, sich im Rahmen 
                von Suizidprophylaxe-Überlegungen kritisch mit den (möglichen) 
                Folgen der eigener Tätigkeit auseinanderzusetzen. Eine psychiatrische 
                Argumentation, es gebe eine Vielzahl von möglichen Ursachen 
                bei Suiziden, also sei eine  von niemandem auch nur im Ansatz 
                behauptete  Unikausalität auszuschließen, mag 
                für uninformierte Menschen erstmal plausibel klingen. Ein 
                vergleichbares Krebsregister wäre mit demselben Argument 
                ebenfalls abzulehnen, man denke an durchsichtige Argumentationsstränge 
                hinsichtlich Datenerhebungen über gehäufte Leukämiefälle 
                nahe Atomkraftwerken oder die Argumentation mit nichtspezifischen 
                Einzelfällen bei Missbildungen zu Beginn der Contergan-Ära. 
                Welcher Verursacher von gesundheitlichen Schäden gibt schon 
                gerne seine eigene Beteiligung zu? Literatur
                 
                  Armbruster, Bärbel: »Suizide während der stationären 
                    psychiatrischen Behandlung«. In: Nervenarzt, 57. Jg. 
                    (1986), S. 511-516 
                  Ayd, Frank J.: »The depot fluphenazines«. In: American 
                    Journal of Psychiatry, Vol. 132 (1975), S. 491-500 
                  Battegay, Raymond / Gehring, Annemarie: »Vergleichende 
                    Untersuchungen an Schizophrenen der präneuroleptischen 
                    und der postneuroleptischen Ära«. In: Pharmakopsychiatrie 
                    Neuro-Psychopharmakologie, Band 1 (1968), S. 107-122 
                  Bellion, Regina: »Nach dem Absetzen fangen die Schwierigkeiten 
                    erst an«. In: Peter 
                    Lehmann (Hg.): Psychopharmaka absetzen  Erfolgreiches 
                    Absetzen von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, 
                    Ritalin und Tranquilizern, Berlin, Eugene & Shrewsbury: 
                    Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag, 3., aktualisierte und 
                    erweiterte Auflage 2008, S. 313-323 (E-Book 
                    2024) 
                  Benkert, Otto / Hippius, Hanns: »Psychiatrische Pharmakotherapie«. 
                    3. Auflage. Berlin, Heidelberg & New York: Springer Verlag 
                    1980 
                  De Alarcon, R. / Carney, M.W.P.: »Severe depressive 
                    mood changes following slow-release intramuscular fluphenazine 
                    injection«. In: British Medical Journal, 1969, S. 564-567. 
                    Online-Ressource https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1984352/pdf/brmedj02048-0044.pdf 
                    (Zugriff am 7.7.2024)  
                  Finzen, Asmus: »Der Patientensuizid«. Bonn: Psychiatrieverlag 
                    1988 
                  Frank, Leonard Roy: »Elektroschock«. In: Peter 
                    Lehmann: Schöne 
                    neue Psychiatrie. Band 
                    1: »Wie Chemie und Strom auf Geist und Psyche wirken«. 
                    Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1996, S. 287-319 
                    (E-Book 2022) 
                  Fünfgeld, Ernst Walter: »Psychopathologie und Klinik 
                    des Parkinsonismus vor und nach stereotaktischen Operationen«. 
                    Berlin, Heidelberg & New York: Springer Verlag 1967 
                  Haase, Hans-Joachim: »Pharmakotherapie bei Schizophrenien«. 
                    In: ders. (Hg.): »Die Behandlung der Psychosen des schizophrenen 
                    und manisch-depressiven Formenkreises«. Stuttgart & 
                    New York: Schattauer Verlag 1976, S. 93-120 
                  Healy, David: »The SSRI suicides«. In: Craig Newnes, 
                    Guy Holmes & Cailzie Dunn (Hg.): »This is madness 
                    too: Critical perspectives on mental health services«. 
                    Ross-on-Wye: PCCS Books 2001, S. 59-69 
                  Heimann, Hans / Witt, Peter Nikolaus: »Die Wirkung einer 
                    einmaligen Largactilgabe bei Gesunden«. In: Monatsschrift 
                    für Psychiatrie und Neurologie, Band 129 (1955), S. 104-123 
                  Hell, Daniel: »Was tun, um Suizide zu vermeiden und 
                    zu verhindern?«, Interview. In: Psychiatrie, Psychiatrie 
                    & Neurologie 2005, Nr. 4, S. 20-21. Online-Ressource https://www.tellmed.ch/include_php/previewdoc.php?file_id=2060 
                    (Zugriff am 27.2.2006)  
                  Hessö, Rolf: »Suicide in Norwegian, Finnish, and 
                    Swedish hospitals«. In: Archiv für Psychiatrie und 
                    Nervenkrankheiten, Band 224 (1977), S. 119-127 
                  Kempker, 
                    Kerstin: Mitgift  Notizen vom Verschwinden. Berlin: 
                    Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2000 (PDF E.Book 2022) 
                  Lehmann, Peter: Schöne 
                    neue Psychiatrie. Band 
                    1: »Wie Chemie und Strom auf Geist und Psyche wirken«. 
                    Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1996 (E-Book 2022) 
                  Lehmann, 
                    Peter: Grußwort des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener. 
                    In: Aktion Psychisch Kranke (Hg.): »25 Jahre Psychiatrie-Enquete«. 
                    Band 1. Bonn: Psychiatrieverlag 2001, S. 44-47 
                   Lenz, Fritz: »Menschliche Auslese und Rassenhygiene«. 
                    2., vermehrte und verbesserte Auflage. München: J. F. 
                    Lehmanns Verlag 1923 
                  Marmotte, Iris: »Die Blaue Karawane, unterwegs...«. 
                    In: Peter 
                    Lehmann (Hg.): Psychopharmaka absetzen  Erfolgreiches 
                    Absetzen von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, 
                    Ritalin und Tranquilizern. 3., aktualisierte und erweiterte 
                    Auflage. Berlin, Eugene & Shrewsbury: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 
                    2008, S. 140-158 
                  Modestin, Jiri: »Suizid in der psychiatrischen Institution«. 
                    In: Nervenarzt, 53. Jg. (1982), S. 254-261 
                  Müller, Peter: »Depressive Syndrome im Verlauf 
                    schizophrener Psychosen«. Stuttgart: Enke Verlag 1981 
                  Pöldinger, Walter / Sieberns, S.: »Depression-inducing 
                    and antidepressive effects of neuroleptics«. In: Neuropsychobiology, 
                    Vol. 10 (1983), S. 131-136 
                  Von Ditfurth, Hoimar: »Anwendungsmöglichkeiten 
                    des Megaphens in der psychiatrischen Klinik und Forschung«. 
                    In: Nervenarzt, 26. Jg. (1955), S. 54-59 
                  World Health Organization / European Commission: »Balancing 
                    mental health promotion and mental health care: A joint World 
                    Health Organization / European Commission meeting«. Broschüre 
                    MNH/NAM/99.2. Brüssel 1999. Online-Ressource http://www.peter-lehmann-publishing.com/articles/others/consensus.htm 
                    (Zugriff am 27.2.2006)
 
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