in: Leuchtfeuer Journal des Landesverbandes
der Psychiatrie-Erfahrenen Rheinland-Pfalz (Trier), Ausgabe 12 (2009),
S. 7 / PDF
/ Korrigierte Version vom 4.7.2024
![]() Zum subjektiven Erleben von PsychopharmakaSchreiben Psychiatriebetroffene über ihr subjektives Erleben von Psychopharmaka, dann behalten sich Psychiater die objektive, wissenschaftliche Sicht vor. In der Wissenschaft gilt eine Aussage, wenn diese durch Verfahren bestätigt ist, die der subjektiven, vorurteilsbehafteten Erfahrung entkleidet sind. Subjektive Aussagen von Betroffenen stören in der (gesprächslosen) biologischen Psychiatrie, oder man nimmt sie zum Garnieren. Natürlich stimmt es so schwarz-weiß nicht. Psychiater studierten vermutlich Medizin, um in der Lage zu sein, Leidenden zu helfen. Berichte von ihren Psychopharmaka-Selbstversuchen, in denen wir ihr subjektives Leiden und ihren psychopharmakabedingten Eindruck zu sterben nachlesen können (z.B. bei Cornelia Quarti), sprechen ebenso eine ehrliche Sprache wie Berichte persönlich erlebter Apathisierung, die eine konfliktaufdeckende Therapie unmöglich erscheinen ließen (nachzulesen bei Klaus Ernst). »Zombiehafter« Zustand, »Haldol-Leichen«, »künstlicher Winterschlaf«, »Styropor-Hintern« (als Ergebnis fortgesetzter Neuroleptika-Einspritzungen) Psychiater finden aber auch klare Worte im Rahmen der Grenzen ihrer Einfühlung.
»Pointiert formuliert, befinden sich Ärzte in der Behandlung eines akuten Patienten stets in der Situation eines unkontrollierten Einzelexperiments«, sagte Wolfgang Seeler von der Psychiatrischen Klinik Hamburg-Ochsenzoll. Wolfgang Werner, saarländischer Landesnervenarzt aus Merzig, war nicht minder offen bei seiner subjektiven Wertung der Neuroleptikabehandlung:
»Das Problem ist ja, dadurch ist ja die Schizophrenie definiert, daß wir die Ursachen nicht kennen. Und sie ist eine Krankheit, eine Störung, von der wir annehmen, dass sie eine Krankheit sein könnte, wobei wir die Ursachen nicht kennen. Das ist eigentlich die sauberste wissenschaftliche Diagnose. [... Allerdings P.L.) haben wir keine ursächliche Behandlungsmöglichkeit, aber was wir machen, ist symptomatisch (gegen die Symptome gerichtet).« Rückt nun mit diesen subjektiven Bekenntnissen von Psychiatern etwas, was sie nicht verstehen, chemisch zu unterdrücken, und sich dann überraschen zu lassen, was dabei herauskommt alles in den Bereich des Beliebigen? Gibt es nicht objektive, von individuellen Wahrnehmungen losgelöste Erkenntnisse? Rezeptorenveränderungen und körperliche Abhängigkeit, auch und gerade bei Neuroleptika? Chronischer Diabetes bei Zyprexa? Tumorbildung in den Brustdrüsen, zehnmal häufiger bei psychiatrischen, also psychopharmakabehandelten, Patientinnen als in der weiblichen Allgemeinbevölkerung? Durchschnittlich ca. zwei Jahrzehnte verminderte Lebenserwartung bei chronischer Einnahme von Neuroleptika? Seit deren Einführung eine dramatisch gestiegene Suizidalität unter den Behandelten, nachgewiesen durch Häufigkeitsstudien? Steht man dem Psychiater ausnahmsweise nicht als Behandlungsobjekt, sondern als Subjekt gegenüber, öffnet sich ein Fass offener Fragen:
Mir ist klar, dass es wahrscheinlich erst dann Antworten gibt, wenn mehr Leute solche Fragen stellen. Aber das dauert. Lassen wir die Psychiater also besser beiseite. Es gibt wichtigere Fragen, wenn man psychiatrische Psychopharmaka schluckt, gespritzt bekommt oder lieber keine will. Was hilft, was schadet, welche Alternativen gibt es? Antworten finden wir bei den Betroffenen. Persönliche, also unterschiedliche, genaue, ehrliche, eigene Antworten. Statistisch nicht relevant, persönlich sehr. Copyright 2008 by Peter Lehmann, Berlin |