(Noch) unveröffentlichtes Manuskript

 

Dorothea Buck

Grußwort zur 13. Jahrestagung des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener am 9. September 2005 in Kassel

Liebe Mitstreiterinnen und liebe Mitstreiter für eine hilfreichere Psychiatrie, als es die medikamentöse Symptomverdrängung sein kann!

Ich grüße Euch sehr herzlich zur 13. BPE-Jahrestagung. Nach Euren erfolgreichen Aktionen zur Verhinderung der ambulanten Zwangsbehandlung möchte ich Euch meinen Plan zur Beendigung auch der stationären medikamentösen Zwangsbehandlung vorstellen. Ebenso wie die heutigen Fesselungen an Armen, Beinen und Bauch ans Bett, die es zu meinen fünf Psychiatriezeiten von 1936 – 1959 in fünf verschiedenen Psychiatrien nur gelegentlich als Leibgurte ohne Hand- und Fußfesseln gab, kann sie lebenslang traumatisieren und Angst und Aggressionen bewirken.

Während die Psychiatrie in Teilen von Finnland und dem übrigen Skandinavien von den Erfahrungen und Bedürfnissen der Patienten ausgeht mit absolutem Vorrang von Gespräch und Psychotherapie schizophrener Patienten, bleiben in unseren deutschen Psychiatrien die Patientenerfahrungen und -bedürfnisse in der Regel unberücksichtigt. Die Sinnzusammenhänge zwischen Psychoseinhalten und vorausgegangenen Lebenskrisen werden nicht erfragt. Die sofortige medikamentöse Symptomverdrängung ist in der Regel das Mittel der Wahl, obwohl die Medikamente keine Heilungen erreichen können. Nach Hirnforschungsergebnissen machen Neuroleptika abhängig wie andere Psychopharmaka auch, nicht im Sinne einer Sucht, sondern im Sinne einer körperlichen Abhängigkeit, die im Laufe der Verabreichung – teilweise schon nach einigen Wochen – durch Rezeptorenveränderungen entsteht, die Psychosen auslösen, verstärken und chronifizieren können. Laut Informationen unseres Psychopharmakaexperten Peter Lehmann.

Der finnische Psychiater Prof. Yrjö O. Alanen erkannte vor über 30 Jahren die große Verschiedenartigkeit der als »schizophren« Diagnostizierten. Darum war es sein Ziel, durch eine besonders individuelle, familienorientierte und psychotherapeutisch ausgerichtete Behandlung diesem Umstand gerecht zu werden. Sie sollte nicht teurer sein als andere Behandlungsweisen und besser und humaner helfen. Näheres über diese beim Forum Reha-Kongress von Prof. Alanen vorgestellte möglichst medikamentenfreie, sogenannte »Bedürfnisangepasste Behandlung« findet ihr in einem Bericht aus dem Eppendorfer vom Juni 2005 und im Bericht von Helmut Kreß, Vorstand der Nürnberger Selbsthilfe Pandora, den ihr auf unseren vier BPE-Seiten in der nächsten Psychosozialen Umschau lesen könnt.

Die Weigerung unserer biologischen Psychiater, von den Patientenerfahrungen unserer seelisch verursachten Psychosen auszugehen, zum Beispiel als Aufbruch des eigenen Unbewussten, um vorausgegangene Lebenskrisen zu lösen, die wir mit unseren bewussten Kräften nicht lösen konnten, und die sie sponsernde mächtige Pharma-Industrie erfordern eine übergeordnete Instanz und eine Person mit hoher Autorität an unserer Seite wie den Bundespräsidenten Horst Köhler.

CoverSchon einmal erlebte ich 1989 die schnelle Hilfe des damaligen Bundespräsidenten Richard v. Weizsäckers in seiner Beendigung der Patientenversuche von Prof. Hanns Hippius und seinem Team in der Münchener Universitätspsychiatrie. Als Psychiater und Psychopharmakologe hatten er und seine Mitarbeiter für das Bundesinnenministerium unter Dr. Wolfgang Schäuble Patienten durch Horrorvideos und andere Methoden in Panik versetzt, um an ihnen Panik lösende Substanzen für den Kriegs- und Katastrophenfall zu erproben. Das Bundesinnenministerium hatte diese fälschlich als »Therapie« deklarierten Patientenversuche seit 1986 mit jährlich 280.000 DM finanziert. In vier Jahren bis Ende 1989 wären das eine Million einhundertzwanzigtausend DM für den Missbrauch in Panik versetzter Psychiatriepatienten, die soviel hilfreicher in unseren Selbsthilfeprojekten angewandt wären. Während die Regierung Oberbayerns Proteste als »Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit« abwies und ihnen einen »Maulkorb« verpasste, reagierte Richard von Weizsäcker auf meinen und meiner Schwester Protest sofort. In der Ergänzung zur neuen Ausgabe meines Morgenstern-Buches findet Ihr diesen Skandal beschrieben.

Und das ist mein Vorschlag: Ein Antrag des BPE für eine Anhörung an einem »Tag der Psychiatrie« beim Bundespräsidenten.

Ich stelle mir zwei parallel laufende Arbeitsgruppen A – Akutpsychiatrie – und B – Langzeitpsychiatrie und Heime – vor. Das Thema der Gruppe A wäre die Einführung einer auf den Erfahrungen und Bedürfnissen der Patienten gründende Behandlung. Das Thema der Gruppe B wäre die Entlassung von LangzeitpatientInnen in betreute Wohnungen mit Arbeitsmöglichkeiten.

In diesen beiden Gruppen würden Fachleute und Psychiatrieerfahrene solchen Psychiatern und Fachleuten, die nach hilfreicheren Wegen suchen, als es die medikamentöse Symptomverdrängung sein kann, berichten, wie sie es gemacht haben. Zum Beispiel die Einbeziehung von Soteria-Elementen in drei Akutstationen in Gütersloh von 1992 – 1999 ohne Mehrkosten und einem Rückgang von Zwangsmaßnahmen um 90% gegenüber anderen Akutstationen. Hier wären die Oberärzte Theiß Urbahn und Dr. Iris Jiko die Referenten, die ihr erfolgreiches Modell schon einmal bei uns in Kassel vorstellten, bevor es 1999 vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe beendet wurde.

Das Berliner Weglaufhaus, die Offene Herberge im Raum Stuttgart und »Für alle Fälle« in Berlin würden sich ebenso vorstellen wie die Soteria Zwiefalten und die »Bedürfnisangepasste Behandlung« von Prof. Alanen.

Gleichzeitig würde in der Gruppe B – Langzeitpsychiatrie und Heime – die Entlassung von 435 Langzeitpatienten in betreute Wohnungen mit Arbeitsmöglichkeiten in Gütersloh Thema sein.

Für die Heime wären außer den Berichten unserer heimerfahrenen BPE-Mitglieder die Erfahrungen solcher Heimleitungen wichtig, die ihr Heim als Übergang zur Befähigung zum selbstbestimmten Leben in zuerst betreuten Wohnungen mit Arbeitsmöglichkeiten verstehen.

Wenn dieser »Tag der Psychiatrie« etwa von 10 – 17 Uhr der heutigen Akut- und Langzeitpsychiatrie und den Heimen gilt, sollte von 18 – 20 Uhr das dringend notwendige kleine Dokumentationszentrum in der Berliner Tiergartenstraße 4 neben der Bronzeplatte als Mahnmal für die nach Schätzung des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg »mindestens 275.000 ›Euthanasie‹-Opfer« gemeinsam beraten werden.

Als wir am 31. August 2000 im Berliner Abgeordnetenhaus die damals noch nicht von der Regierung gestrichene Gedenkstätte neben der Bronzeplatte mit der damaligen Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer und SPD-Vertretern berieten, hatte Dr. Norbert Kampe die Idee des halbunterirdischen Dokumentationszentrums, um den Blick auf die benachbarte Philharmonie nicht zu beeinträchtigen. Seine Anwesenheit und die eines Architekten der Berliner Baubehörde wären am Abend diese »Tages der Psychiatrie« notwendig.

Es geht mir bei der vorgeschlagenen Aktion nicht um die freiwillige Einnahme von Medikamenten, die viele von Euch als Hilfe akzeptieren, sondern um die unter Zwang und angedrohten Spritzen erzwungene sog. freiwillige Medikamenteneinnahme. Es geht um das Selbstbestimmungsrecht, die Würde der Person, um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit.

Der Eppendorfer fragt:

»Ist die schwere Durchsetzbarkeit eines bedürfnisangepassten Herangehens in Deutschland die Folge des Pharmasponsorings, wie Dr. Volkmar Aderhold vom UKE in Hamburg in der Forumsabschlussdiskussion mutmaßte? "Wir sind noch nicht so verkommen wie die amerikanische Psychiatrie, aber auf dem Weg dahin."«

Ich wünsche Euch allen eine friedliche Jahrestagung.
Eure Dorothea Buck