FAPI-Nachrichten – Das Internet-Magazin für antipsychiatrische Rezensionen. D – F


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zuletzt aktualisiert am 15. Januar 2024

Ruediger Dahlke: Seeleninfarkt. Zwischen Burn-out und Bore-out – Wie unserer Psyche wieder Flügel wachsen können
Ruediger Dahlke ist Arzt für Naturheilweisen und Psychotherapie und vielfacher Autor. Sein bekanntestes Buch ist "Krankheit als Symbol". Im jetzt vorliegenden "Seeleninfarkt" schreibt er über die Notwendigkeit, Burn-out (Ausgebrannt sein, Depression) und Bore-out (Unterforderung, Desinteresse und Langeweile) aus einer multidimensionalen Perspektive zu betrachten und zur Kurierung an die Wurzel des Problems (Zwang zum Perfektionismus, überhöhte Ideale, allseitige Beschleunigung des Lebens) vorzudringen. Im ersten Teil geht es um das Weltbild, das Krankheitsbild Burn-Out und letztlich den Seeleninfarkt, wie Dahlke die zugespitzte Symptomatik in Anlehnung an den Herzinfarkt nennt. Er stellt seine Bedingungsfaktoren dar (materialistische Werteorientierung, fehlender Lebensinhalt, über- oder unterfordernde Arbeitsplätze, Missachtung von Frühwarnsymptomen, Informationsüberflutung, Ernährungsdefizite, Umweltgifte u.v.m.) und beschreibt seine Verlaufsphasen. Anschließend demonstriert er Problemlösungsstrategien; hierunter fallen alle möglichen Herangehensweisen, sinnvollerweise keine Psychopharmaka. Zwecks Ausgleich von Mangel an Sinn und Augenblickserfahrungen empfiehlt Dahlke spirituell begründete und formulierte Maßnahmen zur Erhöhung der Toleranzschwelle und der Energiereserven sowie zur Verbesserung der Regenerationsfähigkeit, der Ernährung, von Atem, Schlaf und Körperenergie. Es geht – in den Worten des Buchautoren – um den Ausblick auf das letzte Ziel in einem Moment völliger Entspannung beim verbundenen Atem, die Erfahrung schwebender Leichtigkeit und die Entdeckung des eigenen Lebenssinns und -themas in welchem Moment auch immer. Seine Vorschläge unterfüttert Dahlke mit Werbung für diverse Meditations-CD, DVD, Video, Seminare, Bücher, Hörbücher, Seminare sowie sein Erholungszentrum. Leserinnen und Lesern, die Dahlkes esoterischen (und kommerziellen) Vorschlägen nicht folgen mögen, müssen damit rechnen, dass die Flügel ihrer Psyche lahm bleiben. Oder sie müssen sich nach einem Ratgeber umschauen, der ihren Bedürfnissen eher angemessen ist. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzeinschlag, 288 Seiten, ISBN 978-3-942166-97-3. Berlin / München: Scorpio Verlag 2012. € 18.95
Peter Lehmann

Ruediger Dahlke: Die Notfallapotheke für die Seele – Heilende Wahrnehmungsübungen und Meditationen
"Was tun, wenn die Seele aus dem Gleichgewicht gerät?" Der Autor bietet vielerlei Ratschläge an. Um Ängste zu bewältigen, beispielsweise: bewusst lächeln, der Angst aktiv begegnen, die Angst ergründen, der Angst eine feste Zeit geben, geführte Meditation, Essen für gute Stimmung u.v.m. Weiterhin angebotene Strategien zu psychischen Problemen: Körper- und Tiefenentspannung, Ritual-Vorschläge, Atemübungen, Notwehrmaßnahmen gegenüber beleidigten Menschen, Qi Gong, Durchstehübungen, Klopftechniken u.v.m. Alles tausend mal besser als synthetische Psychopharmaka oder sonstige Psychodrogen mit all ihren unerwünschten Risiken, Abhängigkeitsgefahren und absehbaren Langzeitschäden. Allerdings ist mehr erforderlich zur Problembewältigung oder momentanen Erleichterung, als sich mal eben eine Pille einzuwerfen. Gebunden, 124 Seiten, ISBN 978-3-485-01120-4. München: Nymphenburger Verlag, 3. Auflage 2008. € 14.90
Peter Lehmann

Katharina Dalton / Wendy Holton: Wochenbettdepression. Erkennen – Behandeln – Vorbeugen
Katharina Dalton betrachtet die Wochenbettdepression ("Baby-Blues") als hormonelle Dysbalance, entlastet damit die Mütter von der quälenden Frage, ob ihre Beziehung zum Kind gestört sei, und plädiert für eine verständnisvolle, nicht unbedingt auf Psychopharmaka basierende Behandlung. Kartoniert, 243 Seiten, 27 Abbildungen, 2 Tabellen, ISBN 978-3-456-83930-1. Bern etc.: Hans Huber Verlag 2003. € 29.95
Peter Lehmann

Frank Dammasch / Hans-Geert Metzger / Martin Teising (Hg.): Männliche Identität – Psychoanalytische Erkundungen
Psychoanalytisch orientierte Beiträge über die Auswirkungen der weiblichen Dominanz bei gleichzeitigem Mangel an Väterlichkeit in Familie und Kultur, unter anderem den Optimierungsdruck der kapitalistischen Moderne auf die frühkindliche Bildung, die Jungen mit ihren typisch rivalisierenden und aggressivierenden Verhaltensweisen zu bloßen Störern degradiert und Identitätsprobleme produziert: äußere soziale Gruppenformungsprozesse kommen nicht mehr in Einklang mit dem Selbstbild und mit Selbstgefühlen. Identitätskrisen äußern sich in Versuchen der Stabilisierung männlicher Identitätsstereotypen in triebaufgeladenen Peergroups, aggressiver Abgrenzung von Unmännlichem, von Homosexualität, von Fremden etc. Die Beiträge von Josef C. Aigner, Heribert Blaß, Frank Dammasch, Michael Diamond, Nils Döller, Ralph Greenson, Eike Hinze, Hans Hopf, Hans-Geert Metzger, Ilka Quindeau, Martin Teising und Mirjam Weisenburger, allesamt Therapeuten, Analytiker, Pädagogen, Ärzte und Psychiater nähern sich aus unterschiedlichen Perspektiven der Männlichkeit und den Krisen der männlichen Identität in der Entwicklung vom kleinen Jungen bis zum alten Mann an. Ein Buch für psychoanalytisch interessierte Sozialwissenschaftler. Kartoniert, 202 Seiten, ISBN 978-3-86099-598-3. Frankfurt am Main: Verlag Brandes & Apsel 2009. € 19.90
Peter Lehmann

Gloria M. Davenport: »Giftige« Alte – Schwierige alte Menschen verstehen und konstruktiv mit ihnen umgehen
Die Autorin, eine US-amerikanische Professorin für angewandte Psychologie, Persönlichkeitsbildung, berufliche Weiterbildung und -entwicklung, begann im Alter von 70 nach langjährigen Erfahrungen im Bereich der Sozialarbeit und Gerontologie und nach eigenen Erfahrungen als Tochter einer toxischen Mutter dieses Buch zu schreiben, das original 1999 in den USA und 2009 in deutscher Übersetzung erschien. Es ist ein Praxishandbuch vorwiegend für Altenpflegekräfte, um schwierige alte Menschen zu erkennen, zu verstehen und professionell korrekt mit ihnen umzugehen (anstatt sie mit Antidepressiva zu neutralisieren). Aber auch für alle anderen, die verhindern wollen, dass sie selbst zu "giftigen" Alten werden, die andere verbal und emotional missbrauchen. Ihr geht es weder um eine negative Stereotypisierung des Alterns noch um eine Altersverklärung, sondern um wirksame Maßnahmen gegen frustrierende emotionale Stressoren, die die wertvolle Zeit und die wertvollen Energien von Pflegenden wie auch von Angehörigen auffressen: die Toxizität. Im ersten Teil geht es um das grundsätzliche Verständnis der Toxizität alter Menschen, dann folgt die Beschreibung ihrer Auswirkungen und ihrer Entstehung. Der Darstellung von Interventionsoptionen und Schutzschildern folgt im fünften Teil das Kapitel Vorbeugung und Heilung vor dem Hintergrund der Vision der Autorin, "dass Altwerden eine Aufgabe und eine spirituelle Reise ist, in deren Verlauf wir zu ihrem wahren Selbst und zur Ganzheit finden." Abgeschlossen wird das klar strukturierte und schlüssige Buch mit einem Interview mit der Autorin anlässlich des Erscheinens der deutschen Übersetzung, in dem sie mit einem Abstand von zehn Jahren ausgesprochen sympathisch und frei von der üblichen akademischen "Experten"-Arroganz u.a. über die – durch den fortschreitenden Alterungsprozess in westlichen Gesellschaften – wachsende Bedeutung ihres Themas reflektiert. Kartoniert, 260 Seiten, ISBN 978-3-456-84706-1. Bern: Hans Huber Verlag 2009. € 29.95
Peter Lehmann

Theresia Degener / Swantje Köbsell: »Hauptsache, es ist gesund«? Weibliche Selbstbestimmung unter humangenetischer Kontrolle
Die Autorinnen sind in der Frauen- und in der Behindertenbewegung aktiv. Aus dem Vorwort: »Der zunehmenden Akzeptanz der Selektionspolitik von Pränatalmedizin und Humangenetik etwas entgegenzusetzen, ist Zweck und Ziel dieses Buches. In einer ausführlichen Darstellung der Ziele und Praxis der Pränatalmedizin wird die eugenische Inpflichtnahme von Frauen, die Zwangssituationen, denen sie durch die neue Informationsverantwortung ausgesetzt sind, beleuchtet.« Empfehlenswertes, differenziertes Buch zu einem hochbrisanten Thema; ein paar Stichworte: Abtreibung und Euthanasie, Lebens(un)wert und Behinderung, Eugenik und Qualitätssicherung, Vorsorge und Kostendämpfung. Kartoniert,143 Seiten, Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1992. DM 20.–
Kerstin Kempker

Richard DeGrandpre: Die Ritalin-Gesellschaft. ADS: Eine Generation wird krankgeschrieben
Sorgfältige Aufarbeitung zahlreicher empirischer Studien und fundierte Kritik der Medikamentierung als individualisierter Lösung eines sich ausweitenden Problems – der oft kognitiven und emotionalen Überforderung der Kinder durch Dauerbombardement von Sinnesreizen; Plädoyer für bewusstes und strukturiertes Leben. Kartoniert, 253 Seiten, ISBN 10: 3-407-22165-7, ISBN 13: 978-3-407-22165-0. Weinheim & Basel: Beltz Verlag 2005. € 14.90
Peter Lehmann

Cornelia Dehner-Rau / Harald Rau: Ängste verstehen und hinter sich lassen Ihr Selbsthilfe-Coach
Cornelia Dehner-Rau und Harald Rau haben ein schönes Buch für Menschen mit starken Ängsten und Panikattacken geschrieben, über Wege, schrittweise das Vertrauen in die eigene Person zu stärken, das Entstehen von Symptomen zu verstehen und den Teufelskreis aus Angst, Vermeidung, Panik und immer größerer Zurückgezogenheit zu vermeiden. Ohne das (kleine) Kapitel über notfalls zu verabreichende Antidepressiva, deren abhängig machende Wirkung ungeachtet der in medizinischer Literatur immer wieder publizierter Berichte von Abhängigkeitserscheinungen bei Antidepressiva schlicht in Abrede gestellt wird, könne man das Buch problemlos empfehlen. Kartoniert, 120 Seiten, ISBN 978-3-8304-6634-5. Stuttgart: Trias Verlag in MVS Medizinverlage, 2., vollständig überarbeitete Auflage 2012. € 14.99
Peter Lehmann

Cornelia Dehner-Rau / Harald Rau: Raus aus der Angstfalle (Audio-CD) – Die Angst überwinden und eigene Stärken entdecken: Angeleitete Übungen
CD über Grundlagen von sog. Angsterkrankungen, Auslöser und Selbsthilfemaßnahmen, und mit Übungen, Angstvermeidungsverhalten zu vermeiden und dafür Ängste geplant, gezielt, schrittweise und protokolliert selbst abzubauen. Durchführbar alleine oder in Absprache mit dem Therapeuten und allemal gesünder, als Ängste mit psychiatrischen Psychopharmaka chemisch zu unterdrücken. Audio-CD, Laufzeit 75 Minuten, mit 1 Booklet (12 Seiten), ISBN 978-3-8304-3473-3. Stuttgart, MVS Medizinverlage 2009. € 14.95
Peter Lehmann

Demenz Support Stuttgart (Hg.): »Ich spreche für mich selbst« – Menschen mit Demenz melden sich zu Wort
»Frühbetroffene« (aus Deutschland, Schottland und den USA, das heißt Menschen, bei denen vor kurzer Zeit spezielle Veränderungen auftraten oder die Diagnose »Demenz« gestellt wurde, kommen als aussagefähige und kompetente Personen zu Wort und benennen ihre Bedürfnisse selbst. Das empfehlenswerte Buch, das sich auf Interviews mit den Betroffenen stützt sowie Aussagen bei öffentlichen Veranstaltungen in Forschungsstudien stützt – Aussagen, die dankenswerter frei von Wertung und Interpretation durch die Herausgeber blieben –, ist herausgegeben von der gemeinnützigen Demenz Support Stuttgart (DeSS) gGmbH, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und sozialen Teilhabe von Menschen mit Demenz zu leisten. Grundlage auch hier ist, dass den Menschen, auch wenn sie beeinträchtigt sind, zugestanden wird, für sich selbst zu sprechen. In diesem Buch ist dies vorbildlich gelungen. Lesenswert für alle, die in dem Bereich arbeiten, dement oder dement werdende Angehörige haben oder irgendwann selbst alt und dement werden könnten. Kartoniert, 162 Seiten, ISBN 978-3-940529-54-1. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2010. € 16.90
Peter Lehmann

DGSP e.V. (Hg.): Neuroleptika reduzieren und absetzen – Eine Broschüre für Psychose-Erfahrene, Angehörige und Professionelle aller Berufsgruppen
Im Oktober 2014, rechtzeitig zum Symposium "Psychopharmaka absetzen: Warum, wann und wie", organisiert von Peter Lehmann und Asmus Finzen als Vorveranstaltung zur DGSP-Jahrestagung im nachfolgenden Monat in Bremen, hat der "Fachausschuss Psychopharmaka" der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie eine Broschüre zum Thema Absetzen herausgegeben. Die DGSP-Broschüre besteht aus neun Kapiteln.
Kapitel 1 betrachtet rechtliche Aspekte, unter anderem die Frage, inwieweit ein Absetzen möglich ist, wenn der Patient anderer Meinung ist als der Betreuer. "Nur im Falle der Einwilligungsunfähigkeit kann ein Betreuer auch gegen den geäußerten Willen des Betreuten entscheiden", schreibt der Fachausschuss. Was der (einwilligungsunwillige) Patient machen soll, wenn der Betreuer das selbstbestimmte Absetzen aus welchen Gründen auch immer (meist aus Verantwortungslosigkeit, Desinteresse, Bequemlichkeit, Arztgläubigkeit) hintertreiben will, ist leider kein Thema.
Im Verlauf der Broschüre verdeutlicht sich das positive Engagement der Fachgruppe, die Vielzahl der mit dem Absetzen von Neuroleptika verbundenen Probleme anzugehen. Deutlich wird auch das Bemühen, Informationen denen zur Verfügung zu stellen, die nur reduzieren wollen, aber überzeugt sind, dass sie eine möglichst niedrige Erhaltungsdosis benötigen. Wo findet dieser Personenkreis sonst Informationen zu diesem Thema?
Kapitel 2 befasst sich mit der Tätigkeit des Gehirns während akuter Psychosen und seinen Veränderungen unter Gabe von Neuroleptika. Es spricht die Gegenregulation des Gehirns an: eine Vermehrung von Rezeptoren als Reaktion auf die neuroleptikabedingte Blockade speziell von Dopaminrezeptoren. Die dadurch entstehende Übersensibilität von Dopaminrezeptoren ist die neurologische Ursache für eine Vielzahl von Entzugsproblemen, unter anderem Rebound-Phänomenen und Supersensitivitätspsychosen.
Kapitel 3 sagt, was vor Beginn des Absetzens unbedingt berücksichtigt werden sollte: sich informieren, Maßnahmen zur Minimierung von Entzugsproblemen lernen und verstehen, sich austauschen etc. Warum Ärzte oft nicht beim Absetzen helfen, wird mit allerlei Gründen erklärt. Dass sie oft keine Ahnung haben und von der Pharmaindustrie ideologisch gesteuert sind, wäre zu ergänzen.
Kapitel 4 betrifft das eigentliche Reduzieren. Wie vorgehen, welche Möglichkeiten gibt es zum stufenweisen Absetzen, was bringen verlängerte Einnahmeintervalle, welche Entzugsprobleme können auftauchen, wie unterscheidet man sie vom "echten Rückfall", wo kann man sich beraten lassen? Der Beginn des Absetzens soll unter Bedingungen psychischer und sozialer Stabilität erfolgen, heißt es eingangs. Dabei stellt sich mir die Frage, für die auch ich keine Antwort habe: Wo – noch unter Wirkung von Neuroleptika – soll diese Stabilität herkommen, wenn sie doch meist erst das erhoffte Ergebnis des teilweise langen Absetzprozesses ist?
Kapitel 5 und 6 behandeln Herangehensweisen zur Bewältigung von neuen psychischen Problemen.
Kapitel 7 spricht die Ängste und oft vorhandene Arzt- und Pharmagläubigkeit von Angehörigen an und appelliert an diese Problemgruppe, Begleitmaßnahmen zu Minimierung von Entzugsproblemen zu unterstützen und ihren möglicherweise unsicheren Familienmitgliedern psychischen Halt beim Absetzen zu geben.
Kapitel 8 gibt Erfahrungsberichte wieder, unter anderem von Regina Bellion. Martin Zinkler, Michael Waibel und Klaus Laupichler thematisieren das Absetzen in ihrer psychiatrischen Klinik Heidenheim: "Wer mit unserer Hilfe Neuroleptika absetzen möchte, ist in unserer Klinik willkommen." Aufnahmen kommen allerdings nur zustande, wenn die ambulanten Möglichkeiten als nicht ausreichend gelten. Wie jede Akutklinik unterliegt auch ihre Klinik Schwankungen in der Auslastung (zwischen 80-120%). Deshalb können – so die Antwort auf meine Nachfrage – geplante Aufnahmen nicht immer zum gewünschten Zeitpunkt erfolgen. Vor einer Aufnahme ist ein ambulantes Vorgespräch erwünscht. Es handelt sich hier um einen Präzedenzfall: Erstmals bietet eine psychiatrische Klinik professionell unterstütztes Absetzen an. Beispiele teilweise erfolgreicher und teilweise missglückter Absetzversuche sind erste mutige und nicht zu unterschätzende Schritte, die Grenzen der professionellen Unterstützung von Absetzversuchen anzusprechen und die überfällige Diskussion dieses existenziellen Problems zu beginnen.
Kapitel 9 spricht das Reduzieren und Absetzen in psychiatrischen Wohnheimen, in Seniorenheimen und bei Kindern und Jugendlichen an.
16 Jahre nach Erscheinen von "Psychopharmaka absetzen – Erfolgreiches Absetzen von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, Ritalin und Tranquilizern" (hg. von Peter Lehmann, Antipsychiatrieverlag 1998) und sechs Jahrzehnte nach Einführung der Neuroleptika in das psychiatrische Behandlungsarsenal haben psychiatrisch Tätige einen Trendwechsel vollzogen und wollen das Thema Absetzen nicht weiter ignorieren. Hut ab! Ich hoffe, es folgen weitere Schritte: Fortbildung auch durch absetzerfahrene Betroffene, Beratungsangebote, Schriften zum erfolgreichen Absetzen und zu Schäden von Neuroleptika in Patientenbibliotheken, zivil- und strafrechtliche sowie politische Maßnahmen gegen die alltägliche Unterlassung der vorgeschriebenen Aufklärung über Behandlungsrisiken (Abhängigkeit inklusive).
Die DGSP verschickt die 84-seitige, 2014 erschienene Broschüre und legt der Lieferung eine Rechnung über 2 € plus Versandkosten bei. Bestelladresse: DGSP, Zeltinger Str. 9, 50969 Köln, Tel. 0221 / 511002, dgsp@netcologne.de. Man kann sie auch aus dem Internet herunterladen, bitte ggfs. bei der DGSP die URL erfragen. Rezension im BPE-Rundbrief.
Peter Lehmann

DGVT-Arbeitsgemeinschaft "Frauen in der psychosozialen Versorgung" (Hg.): Sexuelle Übergriffe in der Therapie – Kunstfehler oder Kavaliersdelikt?
Am 19. Januar 1991 setzten sich auf Einladung der AG "Frauen in der psychosozialen Versorgung" Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie erstmalig die Berufs- und Fachverbände der therapeutisch tätigen Berufe zusammen, stellten ihre Positionen zu diesem Thema öffentlich vor und diskutierten Präventions-, Sanktions- und Hilfsmöglichkeiten. Der vorliegende Band dokumentiert diese Stellungnahmen und den Diskussionsverlauf sowie die jeweils in das Thema einführenden Fachvorträge von Ursula Wirtz und Irmgard Vogt. Mit der Anhörung und dem daraus resultierten Band sollten betroffene Frauen unterstützt werden, die vor Gericht die Schuld des Therapeuten beweisen müssen, die Öffentlichkeit über das Problem informiert und die Diskussion in der Fachöffentlichkeit vorangetrieben werden. Liest man die engagierten Beiträge, dann wünscht man sich, dass auch andere "therapeutisch" genannte Übergriffe thematisiert und bekämpft werden. "Vorsicht bei Zwang: Vorsicht, wenn Sie direkten oder indirekten Zwang spüren! Sie haben ein Recht darauf, dass Ihre Grenzen respektiert werden. Verantwortungsvolle Therapeuten und Therapeutinnen achten Ihre persönlichen Grenzen ....." schreibt die DGVT im Informationsblatt "Psychotherapie und Beratung", das im Buch abgedruckt ist. Ob die DGVT und andere Therapeutenverbände je erkennen, dass jeglicher Zwang in Therapien, psychiatrische Behandlungen inklusive, zu Traumatisierungen führt und die Geschädigten Schutz, Unterstützung und Anspruch auf Schadenersatz sowie dieselbe Beweislastumkehr benötigen, die die Verbände so vehement für sexuell Missbrauchte forderten? Kartoniert, 135 Seiten, ISBN 3-87159-212-9. Tübingen: DGVT Verlag 1991. € 9.80
Peter Lehmann

Wolfgang Diekämper: Menschen mit Demenz begleiten und pflegen
Bei dem Buch aus dem Cornelsen Verlag handelt es sich um eine sorgfältige, leicht verständliche und einfühlsame Einführung für Angehörige Demenzbetroffener und für Pflegepersonal. Für die Pflege und Betreuung sowie die Unterstützung der Angehörigen ist es notwendig, sich in Menschen mit Demenz einzudenken und einzufühlen, und wenn dies nicht gelingt, sie dennoch mit Respekt zu behandeln. Der Autor, ein Psychologe und Mitarbeiter in der Beratung und Fortbildung im Evangelischen Johanneswerk Bielefeld, führt in das Thema ein, schildert die verschiedenen Formen von Demenz und baut dabei – mit wohltuend knapp und verständlich gehaltenen Ausführungen zu ihren biologischen Grundlagen und Ursachen (worunter der auch Neuroleptika nennt) – auf einer weitgehend phänomenologischen Betrachtungsweise auf. Das Buch ist übersichtlich und handlich. Der Autor arbeitet viel mit kurzen, aussagekräftigen Beispielen und mit Illustrationen, die mögliche Kommunikationsdesaster aufzeigen, für die mitnichten die Demenzbetroffenen alleine verantwortlich sind. Ein für Angehörige, ehrenamtliche Betreuer und professionelle Pflegedienstleistende ausgesprochen empfehlenswertes Buch. Gebunden, 225 Seiten, 42 Abbildungen, ISBN 978-3-06-455185-5. Berlin: Cornelsen Verlag 2010. € 16.95
Peter Lehmann

Christian Discher: Die Stimmen der Übriggebliebenen
1997 durchlebt der sportlich trainierte 17jährige Christian Discher eine pubertäre Krise. Wenige Monate nach einer überstandenen Tumorerkrankung fängt er an, immer weniger zu essen, es drängt ihn nach körperlicher Perfektion, er leidet unter Schwindelanfällen. Zudem ist er schwul und steckt voller Schuldgefühle. Nun will er auch noch christlich getauft werden. In seiner Not wendet er sich an eine Pfarrerin und sucht bei ihr Hilfe bei der Verarbeitung seiner sexuellen Verunsicherung. Anstelle sich den Nöten des jungen Manns anzunehmen, veranlasst sie die Einweisung in die Psychiatrie – in die "Hölle von Ueckermünde" (in Mecklenburg-Vorpommern), wie sie Ernst Klee in seinem Dokumentarfilm genannt hatte. Dort wird er der ortsüblichen Behandlung unterzogen: fixiert, zusammengespritzt, gedemütigt. Er leidet unter den parkinsonoiden Auswirkungen der Neuroleptika, wird apathisch, soll Körbe flechten, fühlt sich absolut minderwertig. Nach der Klinikentlassung wird er vom Sozialpsychiatrischen Dienst weiter belästigt. Viele seiner Mitpatienten überleben die psychiatrische Behandlung nicht oder siechen als Langzeitpatienten in Heimen und psychiatrisch betreuten Patientenclubs dahin. Auch er soll die Psychopharmaka weiter schlucken, nimmt 40 kg zu, bleibt lethargisch. Ihm wird ein unterdurchschnittlicher Intelligenzquotient bescheinigt. Trotzdem will er Abitur machen... Wie er es trotz all des Unbills und im Glauben an die ausschließlich körperliche Bedingtheit von Psychosen schaffte, Abitur und Führerschein zu machen und sein eigenes Leben zurückzuerobern, schildert der mittlerweile gar zum Hochschullehrer gewordene und mit Inklusion beschäftigte Autor auf beklemmende Weise, sie lässt einem beim Lesen nicht mehr los. Ein packendes Buch, das an Kerstin Kempkers "Mitgift – Notizen vom Verschwinden" erinnert; auch sie wurde als Minderjährige in einer pubertären Krise der Psychiatrie ausgeliefert – nicht von einer Pfarrerin, sondern einer Nonne. Auch sie schildert ihre Behandlung hautnah, auch sie erinnert an all die von der Psychiatrie Totgemachten. Wie ihr Buch macht auch Christian Discher Betroffenen und Familien Mut: Selbst wenn keiner mehr daran glaubt, kann man es schaffen, den psychiatrischen Sumpf nach Jahren zu verlassen und wieder auf eigene Füße zu kommen. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 249 Seiten, ISBN 978-3-9814257-2-7. Hamburg: underDog Verlag Olaf Junge 2015. € 14.90
Peter Lehmann

Colette Dowling: Befreite Gefühle. Neue Wege aus Depression, Angst und Abhängigkeit
Geschwätziges Plädoyer dafür, sich bei psychischen Problemen an Psychiater zu wenden, um sich – ja nicht ›unterdosiert‹ – die ›richtigen‹ Psychopharmaka, möglichst Antidepressiva, verschreiben zu lassen. Das Buch »... beschäftigt sich auf einfühlsame und offene Weise mit den kulturell vermittelten Ängsten vor biologisch fundierten Therapien emotionaler Störungen«, so Psychiater Donald Klein lobend auf der hinteren Umschlagseite, und passt damit prima in die moderne Strömung von Rassismus und Biologismus. Das Buch wurde mir für meinen Antipsychiatrieversand von einer Teilnehmerin des Sozialpsychiatriekongresses in Hamburg empfohlen. Welch übler Streich! Kartoniert, 335 Seiten, S. Fischer Verlag 1994. DM 32.–
Peter Lehmann

Klaus-Peter Drechsel: Beurteilt – Vermessen – Ermordet. Die Praxis der Euthanasie bis zum Ende des deutschen Faschismus
Übersichtliche Broschüre über die Hintergründe des Massenmords an Nicht-Verwertbaren (›Kranken‹, Alten, Krüppeln, Andersdenkenden), über die Renaissance des Euthanasie-Gedankens, über sich evtl. wiederholende Regelmäßigkeiten bei der Tötung von Menschen aus Rentabilitätsgründen und über die moderne Übernahme von Werturteilen (u.a. ›psychisch krank‹) der Täter. Kart., 175 S., hrsg. vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung 1993. DM 16.80
Peter Lehmann

Alfred Drees: Innovative Wege in der Psychiatrie. Sozialstrategien und poetische Kommunikation
Beschreibung der Anstalt als »Möglichkeitsraum für sinnlich getragene und phantasieorientierte therapeutische Neulanderprobungen«. Strategien gegen psychiatrische Menschenrechtsverletzungen kommen in dem Buch nicht vor, dafür aber viel Sozialpsychiatrie und Gemeindepsychiatrie: immer wieder Wege in der Psychiatrie, aber nicht aus ihr heraus. Kart., 228 S., Gießen: Psychosozial-Verlag 1997. DM 38.–
Peter Lehmann

Erwin Drewermann / Arno Gruen / Verena Kast u.a.: Mit Krisen leben
Die Referate der Luzerner Psychotherapie-Tage 1995 über gesundheitliche, spirituelle, Partnerschafts- und Identitätskrisen. Aus dem Inhalt: Peter Schellenbaum: »Das Nein in der Liebe«, Christian Scharfetter: »Psychiatrie und spirituelle Krisen«, Walther Lechler: »Der Therapeut als Begleiter«, Verena Kast: »Das Klimakterium«, Eugen Drewermann: »Mit Krisen leben«, Arno Gruen: »Die Schwierigkeit, sich selber zu sein« u.v.m. Ein interessantes und vor allem sehr breites Spektrum sowie psychiatrischer als auch nichtpsychiatrischer Verständnisweisen aller Arten von von Krisen und Herangehensweisen an ihre Lösung. 121 S., Verlag Luzerner Psychotherapie Tage 1996. DM 27.–
Peter Lehmann

Matthias Eckoldt: Eine kurze Geschichte von Gehirn und Geist. Woher wir wissen, wie wir fühlen und denken
Matthias Eckoldt, studierter Germanisten, Philosoph und Medientheoretiker, liefert mit seinem Buch eine ausgezeichnet recherchierte und leicht verständliche Darstellung der Vorstellungen über die Funktionsweise des menschlichen Denkorgans von der Zeit der alten Griechen übers Mittelalter, die Industrialisierung und bis heute. Dabei bezieht er die jeweils aktuellen technischen Errungenschaften ein und deren Widerspiegelung in Philosophie und Medizin. Ein vorbehaltlos zu empfehlendes Buch von für alle, die nachvollziehen wollen, wie sich die Vorstellungen darüber, auf welche Weise der Körper und – in neueren Zeiten – das Gehirn den Geist hervorbringt, und macht er das überhaupt? Zu Beginn der Selbstreflexion meinte man noch, es ginge im Kopf um eine Kühlfunktion für das hitzige Blut. Als mit Beginn des 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung zum ersten Mal Schädel geöffnet wurden, wollte man erfahren, wo und wie genau der Gedanken zur materielle Realität werden und wie sich äußere Reize zu einer Empfindung verdichten. Eckoldt zeigt, dass Vorstellungen über diese Prozesse vom jeweiligen technischen Fortschritt und den vorhandenen Instrumenten und Messmethoden abhängig waren. So sind es logischerweise derzeit Computertechnologie und Internetvernetzungen, deren Funktionsweise dem menschlichen Geist zugrunde gelegt werden. Wie nackt die moderne Hirnforschung mit ihrem neuromythologischen Anspruch auf Deutungshoheit jedoch dasteht, erklärt Eckoldt an Bildern von Magnetresonanztomographien (MRT), mit denen Hirnforscher gerne geistige und emotionale Prozesse erklären wollen. Diese könnten zwar Signalprozesse in und zwischen den Neuronen grundsätzlich erklären und hinsichtlich der funktionellen Zuordnung von Hirnregionen Fortschritte vermelden. MRT-Bilder seien jedoch irreführend, der reale Unterschied in der Aktivität bunter und grau eingefärbter Neuronen sei wesentlich geringer, als es die Farbmarkierungen nahe legen. Und außerdem messe das MRT keine Regung, sondern lediglich Veränderungen im Sauerstoffverbrauch in einzelnen Hirnregionen. Das sei in etwa so, als versuche man die Funktionsweise eines Computers zu ergründen, indem man seinen Stromverbrauch bei verschiedenen Aufgaben messe. Ade MRT-Voodoo! Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 253 Seiten, 9 Abbildungen, ISBN 978-3-570-55277-3. München: Pantheon Verlag 2016. € 14.99
Peter Lehmann

Gernot Egger: Ausgrenzen – Erfassen – Vernichten. Arme und »Irre« in Vorarlberg
Über die Entwicklung der Psychiatrie im gesamten Österreich, von Siechen- und Arbeitshäusern bis zu den Massenmorden und deren späterer Verdrängung. Mit einem Namensregister zu den beteiligten Österreichern. Ein unverzichtbares Buch – das erste, das sich systematisch mit dem psychiatrischen Massenmord in Österreich auseinandersetzt. Kart., 298 S., 57 Abb., Bregenz: Vorarlberger Autorengesellschaft 1990. DM 36.–-
Peter Lehmann

Christian Ehrig / Ulrich Voderholzer: Der gute und erholsame Schlaf. Was Sie darüber wissen sollten
Ehrig und Voderholzer, zwei Psychiater, informieren über die Grundlagen der Schlafsteuerung, Funktionen des Schlafs, Schlafstörungen in allen Altersgruppen, Formen und Ursachen von Schlafstörungen, darunter auch medikamentös und psychopharmakologisch bedingte Störungen, Schlafstörungen in Verbindung mit psychischen und zentralnervösen Problemen. Dabei werden allerdings Schlafstörungen aufgrund von Antidepressiva prakisch in einem Nebensatz abgetan, von Schlafstörungen infolge Neuroleptikaeinnahme scheinen die beiden Psychiater überhaupt noch nichts gehört zu haben; offenbar hielten sie nicht einmal einen Blick in die "Rote Liste" für nötig. Im praktischen Teil des Buches geht es um die Erfassung und Beurteilung unterschiedlicher Schlafstörungen und deren Behandlung: Schlafhygiene, Stimuluskontrolle, Entspannungstechniken, Phantasiereisen und vieles Sinnvolle mehr (das allerdings nicht gerade neu ist, siehe beispielsweise die Bücher von Dieter Riemann oder Guido Ern und Ralf D. Fischbach). Ein eigenes Kapitel ist Babys, Kindern und Jugendlichen gewidmet. Helfen all die praktischen Ratschläge nicht, diskutieren die Autoren den Einsatz von Schlafmedikamenten, unter anderem Benzodiazepinen, Antidepressiva und Neuroleptika. "Vorteile von sedierenden Antidepressiva sind einerseits deren guten Wirkung und andererseits das Fehlen einer Abhängigkeitsgefahr" schreiben sie auf S. 147 unter Ausblendung all der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das Abhängigkeitsrisiko und die teilweise kaum bezwingbaren Probleme beim Absetzen synthetischer Antidepressiva belegen. Ähnliches zu Neuroleptika: "Der Vorteil liegt darin, dass die Substanzen nicht abhängig machen und daher auch problemlos wieder abgesetzt werden können." (S. 148) Die Ignoranz der Gefahr der körperlichen Abhängigkeit von Antidepressiva und Neuroleptika, von Rezeptorenveränderungen, Entzugs-, Rebound- und Supersensitivitätssymptomen und immensen Entzugsproblemen, mit denen die Betroffenen in aller Regel völlig alleine gelassen werden, können Menschen mit Schlafstörungen jedoch in einen Teufelskreis bringen: niedrigdosierte Einnahme aufgrund des leichtfertigen Ratschlags eines Arztes, dem man vertraut, dann Toleranzbildung, misslungener Absetzversuch, erneute Einnahme, höhere Dosis etc., bis sich am Ende eine massive körperliche Abhängigkeit eingestellt hat, die die Weitereinnahme von Psychopharmaka erzwingt, auch wenn die primären Ursachen der Schlafstörungen längst abgeklungen oder verschwunden sind. Die genannte Desinformation macht das Buch insgesamt höchst problematisch. Was macht man mit einem Auto, wenn an einer Stelle des Sicherheitssystems – zum Beispiel im Bremssystem – eine Fehlfunktion festgestellt wird? Den Hersteller in Regress nehmen, das Auto sofort aus dem Verkehr ziehen. Was passiert entsprechend mit einem Buch über Schlafstörungen und deren Behandlung, wenn es das Risiko birgt, ärztlich verordneter Medikamentenabhängigkeit Tür und Tor zu öffnen? Kartoniert, 188 Seiten, 10 Abbildungen, 16 Tabellen, ISBN 978-3-456-85391-8. Bern: Hans Huber Verlag 2014. € 19.95
Peter Lehmann

Thomas Ehring / Anke Ehlers: Ratgeber Trauma und Posttraumatische Belastungsstörung. Informationen für Betroffene und Angehörige
Der Psychologe Ehring von der Ludwig-Maximilians-Universität München und seine Kollegin Ehlers von der Universität Oxford beschreiben übersichtlich, leicht verständlich, kurz und knapp und mit Beispielen versehen, was posttraumatische Belastungsstörungen sind, welche dauerhaften Folgen mit ihnen verbunden sein können, welche therapeutischen, speziell psychotherapeutischen Verfahren sinnvoll sind und was man selbst tun kann, um die Folgen von Traumata abzumildern und zu überwinden. Man könnte dieses Buch empfehlen, würden Ehring und Ehlers nicht im Kapitel "Medikamentöse Behandlung" das Abhängigkeitsrisiko von Antidepressiva verleugnen. Dabei warnen inzwischen sogar Herstellerfirmen von Antidepressiva vor diesem Risiko. Und da – wie allgemein üblich in traumatherapeutischer Literatur – psychiatrische Gewalt ausgeblendet bleibt, ist das Buch für Psychiatriebetroffene, die unter den Folgen traumatisierender psychiatrischer Zwangsbehandlung leiden, leider nur von eingeschränktem Interesse. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 74 Seiten, ISBN 978-3-8017-2949-3. Hogrefe Verlag, 2., aktualisierte Auflage 2019. € 8.95
Peter Lehmann

Roswitha Eichinger / Merle Rothmann: Johanniskraut. Balsam für die Seele. Depressionen natürlich Überwinden mit Johanniskraut, Baldrian und Kava-Kava
Wie man heilende Kräuter selbst anpflanzen kann, ihre Kulturgeschichte, ihre Einsatzmöglichkeiten. Kart., 128 S., 18 Abb., Stuttgart: Trias Verlag 1998. DM 24.80
Peter Lehmann

Michael Eink (Hg.): Gewalttätige Psychiatrie. Ein Streitbuch
(Selbst-) kritische Texte zur psychiatrischen Gewalt: der institutionellen, der handgreiflich direkten (Zwangseinweisung, -behandlung, Fixierung) und – besonders spannend – der unsichtbaren (u.a. »Der Zwang, ein anderer sein zu müssen«). Eine Bestandsaufnahme, geschrieben von psychiatrisch Tätigen als Täter, Beobachter oder Opfer und von einem Vertreter des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener. »Utopien und Perspektiven«, das Schlusskapitel, bleibt sehr mager, realistisch eben. Kart., 225 S., Bonn: Psychiatrie-Verlag 1997. DM 34.–
Kerstin Kempker

Elke Endraß / Siegfried Kratzer: Wenn Glaube krank macht – Wege aus der Krise
Vom richtenden Gott zum barmherzigen Vater, könnte der Untertitel dieses Buchs lauten, das sich glaubensimmanent mit einem Thema auseinandersetzt, das heute nicht mehr ernst genommen werde und als überholt gelte. Viele ausführliche Berichte und Beispiele religiös bedingter Neurosen zeigen, wie bedrückend und isolierend die frühkindliche Indoktrination eines strafenden, allwissenden und unberechenbaren Gottes lebenslang wirken kann. Mit manchmal zu vielen Worten und zu wenig Tiefgang wird u.a. die Frauenfeindlichkeit der Bibel, die ekklesiogene Neurose von George W. Bush, die Doppelmoral und die Problematik jungfräulicher Geburt und der Schöpfungsgeschichte abgehandelt. Gebunden mit Schutzumschlag, 128 Seiten, ISBN 3-7831-2528-6. Stuttgart: Kreuz Verlag 2005. € 16.95
Kerstin Kempker

»Es ist normal, verschieden zu sein!« Verständnis von Behandlung und Psychosen
»Grundverständnis«, »Menschlicher Zugang«, »Umgang mit Psychosen«, so lauten die viel versprechenden Kapitelüberschriften. Im letzten Kapitel lese ich unter der Überschrift »Selbstschutzmaßnahmen«: »Lassen Sie sich nicht einreden, Ihre Krise sei nur körperlich bedingt, die Psychose nur eine Transmitterstörung.....« Was hier großspurig emanzipatorisch aufgetischt wird, ist verdummende biologische Psychiatrie in Reinform. Jeder Popelpsychiater betet diesen Spruch herunter, das Psychische, das Soziale, das kommt dann dazu, zum Körperlichen, als Auslösefaktor, multifaktoriell, blablabla. Es tut weh, die herrschende Doktrin der biologischen Psychiatrie ausgerechnet in einer Broschüre zu lesen, die auch der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener als Mitherausgeber verantwortet. Der Vorschlag, den Passus für die neue Auflage in dieser Weise zu verändern:

Neuroleptika können nicht nur – behauptete – Hirnstoffwechselveränderungen kompensieren helfen, sie können – Warnung! – mittel- und langfristig auch die Psychoseanfälligkeit erhöhen, Depressionen mit Suizidalität bewirken und Selbstheilungskräfte schwächen

wurde offenbar als nicht der Rede wert abgetan. Veränderungen im Hirnstoffwechsel seien nicht zwingend die Ursache von Psychosen – diese Betrachtung erlaube auch denen »Medikamente« zu nehmen, die auf ein umfassendes Verständnis ihrer Person und ihrer Krise Wert legen.... Vor allem erlaubt diese Betrachtung dem Alltagspsychiater, unter Einsatz von Gewalt Psychopharmaka zu verabreichen. Menschenrechte und Schutz vor Zwangsbehandlung kommen in der Broschüre leider nicht vor: ein weiteres trauriges Dokument des sozialpsychiatrischen Psychoseseminartrialogs. Bemerkenswert zum Schluss: Neben 26 empfohlenen Büchern des Psychiatrieverlags und 4 des Paranus Verlags sind in der Literaturliste auch 2 Bücher des Antipsychiatrieverlags erwähnt. Broschüre, 32 Seiten, Redaktion: Thomas Bock, Dorothea Buck, Klaus Dörner, Susanne Heim, Cornelia Schäfer, Eva Schmitt, Peter Stolz, Ursula Zingler, 2003. Schutzgebühr € 1.–
Peter Lehmann

Sandra Escher / Marius Romme / Ingo Runte (Hg.): Die Stimmen und ich – Hilfen für jugendliche Stimmenhörer und ihre Eltern
Ratgeber für junge Stimmenhörer sowie für Eltern, Lehrer, Beratungsstellen, Kliniken und Ambulanzen, Kinder- und Jugendtherapeuten, Kinder- und Jugendpsychiater, Kinderärzte und sonstige psychosozial Tätige, wie man das Hören von Stimmen anders betrachten und lernen kann, mit ihnen umzugehen, und wie die Stimmen wieder verschwinden. Das Buch besteht aus zwei Teilen, einem Kinder- und einem Elternteil. Der erste Teil richtet sich an Kinder und Jugendliche und informiert sie, was Stimmenhören ist und welche Erklärungen es dafür gibt. Anhand von Beispielen wird ihnen aufgezeigt, wie sie sich gegen die Befehle der Stimmen wehren können. Der zweite Teil wendet sich an Eltern, schildert ihre Erfahrungen mit stimmenhörenden Kindern, liefert verschiedene, auch alternative Erklärungen und informiert über vernünftige Therapiemöglichkeiten. Aufgrund ihrer eigenen Therapie-Erfahrungen möchten die Autorin und die Autoren betroffenen Eltern und Kindern ersparen, sich der Schulpsychiatrie anzuvertrauen, vor allem, weil dort mit Diagnosen und Psychopharmaka "sehr freizügig" umgegangen werde. Bücher mit dieser Haltung sollte es mehr geben. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 304 Seiten, ISBN 978-3-86739-092-7. Bonn: Balance Buch und Medien Verlag 2015. € 19.95
Peter Lehmann

Egon Fabian: Anatomie der Angst – Ängste annehmen und an ihnen wachsen
Der Psychoanalytiker und Psychiater Egon Fabian, Chefarzt der Dynamisch-Psychiatrischen Klinik Menterschwaige in München, gibt einen Überblick über die Entstehung von Angst und informiert über sie als alltäglichen Begleiter des Menschen, auch darüber, was man in der Philosophie und in verschiedenen Religionen über sie denkt, um sie dann psychoanalytisch zu analysieren. Er schildert alle Arten von Angstphänomenen und ihre vielfältigen Bewältigungsformen und wendet sich dann der Behandlung störender Ängste zu. Ein angstfreies Leben ist für ihn nicht denkbar, es gehe vielmehr darum, sinnvoll mit Angst zu leben. Gebunden mit Schutzumschlag, 349 Seiten, ISBN 978-3-608-94653-6. Stuttgart: Klett-Cotta 2010. € 22.90
Peter Lehmann

Anita Fabig / Kathrin Otte (Hg.): Umwelt, Macht und Medizin. Zur Würdigung des Lebenswerks von Karl-Rainer Fabig
Buch mit fachlich teilweise recht anspruchsvollen Texten des 2005 verstorbenen Hamburger Umweltmediziners Karl-Rainer Fabig, der sich vehement in der medizinischen Erforschung chemischer Intoxikationen und deren rechtlichen Verfolgung engagiert hatte und politische Solidarität mit den durch die Ausbringung und Ausbreitung chemischer Stoffe Geschädigten geübt hatte. Thema ist die Kontamination von Menschen und Umwelt durch den zivilen und militärischen Einsatz vor allem von chemischen und radioaktiven Stoffen, Unfälle und normale Arbeitsplatzbelastungen in der chlorchemischen Industrie, die Folgen der Versprühung von Herbiziden im Vietnamkrieg, Innenraumbelastungen durch Holzschutzmittel und andere Chemikalien sowie Gesundheitsschäden bei besonderer physischer Chemikaliensensitivität. Mit im Buch sind viele Texte von Kolleginnen und Kollegen, die sich auf ihn bzw. auf Umweltgifte beziehen und ebenfalls gesellschaftskritische, rechtliche und wissenschaftsethische Aspekte einbeziehen. Da ein so eklatanter Mangel an verantwortungsbewussten Medizinern herrscht und das Thema Umweltgifte und ihre medizinischen Auswirkungen in der psychiatrischen Diskussion nach wie vor sträflich vernachlässigt wird, ist dem Jenior Verlag für dieses feine Dokument großen Dank auszusprechen. Kartoniert, 325 Seiten, ISBN 978-3-934377-24-0. Kassel: Winfried Jenior Verlag 2007. € 18.–
Peter Lehmann

Christopher G. Fairburn: Ess-Attacken stoppen – Ein Selbsthilfeprogramm
Auch wenn der selbstgewisse Ton des Autors, Psychiatrieprofessor in Oxford, manchmal stört und der erste Teil recht wissenschaftlich daherkommt, ist das Buch wegen des differenzierten und praxisnahen ausführlichen Selbsthilfeteils Betroffenen sehr zu empfehlen. Kartoniert, 249 Seiten, 19 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 3-456-84362-3. Bern: Hans Huber Verlag, 2. Auflage 2006. € 19.95
Kerstin Kempker

Peter Falkai / Ekkehard Haen / Ludger Hargarter: Paliperidon ER (INVEGA®) – Der nächste Schritt zur optimalen Schizophrenietherapie
Von einer erfolgreichen Therapie, so die Autoren, erwarte man heute auch eine Verbesserung der Lebenssitutation, ein höheres persönliches und soziales Funktionsniveau und eine Zunahme der Lebensqualität. Aha, hat es also bei den vor Invega auf den Markt gekommenen Neuroleptika nicht gegeben. Also jetzt Invega schlucken nach dem Motto "Mit dem neuesten Psychopharmakon wird alles besser"? Offenbar muss man auf die jeweils nächsten Marktprodukte warten, um relativierende Aussagen über ihre Vorgänger zu bekommen. Warten wir also die nächsten Publikationen ab, um zu hören, was an Invega alles auszusetzen ist. Evtl. die 67% (von den Betroffenen) unerwünschten "Nebenwirkungen", die leider nicht näher bezeichnet werden? Dafür erhält man Informationen über Akutstudien, unerwünschte Wirkungen bei besonders sensitiven Patientengruppen, Pharmakokinetik, Galenik, Metabolismus usw. Nebenbei: Interessant, wie Empowerment und Recovery bereits in die biologische Psychiatrie integriert sind. "'Recovery' ist ... ein Stadium (≥ 24 Monate), in dem der Patient in der Gesellschaft sozial und beruflich funktioniert und relativ frei von Symptomen (alle PANNS-Items ≤ 3) ist." (A. 8) "Der Patient muss bei der Bewältigung der Erkrankung und ihrer Folgen unterstützt werden (Empowerment), beispielsweise auch durch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen." (S. 18). Schaut man unter den Internetadressen, fehlt bezeichnenderweise der von Pharmasponsering unabhängige Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, dafür sind die üblichen pharmafirmengesponserten und -nahen Verdächtigen vertreten: kompetenz-netz schizophrenie, Bundesverband der Angehörigen, irrsinnig-menschlich, selbsthilfeschizophrenie (natürlich mit vielen Links zur Pharmaindustrie). Die Auflage besteht aus 300 Exemplaren, darüber hinaus wurden 10.000 Exemplare für die Herstellerfima des Paliperidon, eines Risperdal-Abkömmlings, produziert. Pfeil Beleg siehe Scan der im Rezensionsexemplar eingeklebten Infoseite. Der dritte Autor arbeitet bei der Herstellerfirma. Ob dies für vertrauenswürdige Daten zu dem neuen 'atypischen' Neuroleptikum spricht? Kartoniert, VIII+80 S., 40 farb. Abb., 25 Tab., ISBN 978-3-13-134671-1. Stuttgart: Thieme Verlag 2007. € 4.95
Peter Lehmann

Sigrid Falkenstein: Annas Spuren – Ein Opfer der NS-"Euthanasie"
Sigrid Falkenstein, 1946 geboren und lange Jahre Lehrerin in Berlin, beschäftigt sich mit dem Schicksal ihrer 1915 geborenen Tante Anna, die von Ärzten während der Nazizeit zuerst zwangssterilisiert und später in der Anstalt Grafeneck vergast wurde. In dem Buch, als langer, empathischer Brief an die Tante verfasst, versucht die Autorin, sich in deren Lebensumstände einzufühlen, und (re-)konstruiert dabei – untermauert durch ein Aktenstudium – ihr Bild einer jungen, aus der Familienerinnerung nahezu ausgeblendeten und geistig beeinträchtigten Frau, wie es der Wirklichkeit nahe sein könnte. Sorgfältig geht sie die verschiedenen Lebensstationen der jungen Anna durch: Kindheit, Hilfsschule, Kirchengemeinde, Kinderanstalt Bonn, Zwangssterilisierung in Mülheim an der Ruhr, Psychiatrische Anstalt Bedburg-Hau, Deportation nach Grafeneck und dortige Ermordung. "Wir können gemeinsam für eine humane, am einzelnen Menschen orientierte Medizin und Politik eintreten und gegen die Stigmatisierung und Ausgrenzung psychisch kranker und behinderter Menschen kämpfen, im steten Gedenken an die Opfer" schreibt Sigrid Falkenstein im Nachwort gemeinsam mit Frank Schneider, dem Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Aachen und ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, der an dem 2012 erschienenen Buch mitgearbeitet hatte. Im selben Jahr sprach sich die DGPPN für den konsequenten und vorbeugenden Einsatz von Elektroschocks aus. Frank Schneiders psychiatrische Klinik hat jetzt auch wieder einen Elektroschockapparat. Schon einmal gab es eine Initiative für die flächendeckende Ausstattung von psychiatrischen Kliniken mit Elektroschockapparaten: 1942 durch die Organisatoren der T4-Vernichtungsaktion. "Es gibt kein Verständnis von Gegenwart und Zukunft ohne Erinnerung an die Vergangenheit", dieses Motto hat die Autorin ihrem Buch vorangestellt. Und im Klappentext heißt es: "Diese Gräuel der Vergangenheit dürfen nicht in Vergessenheit geraten, sie verpflichten zu einem verschärften Nachdenken darüber, was Menschenwürde bedeutet und wie wir mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft umgehen." Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 191 Seiten, 26 Abbildungen, ISBN 978-3-7766-2693-3. München: Herbig Verlag 2012. € 17.99
Peter Lehmann

Seth Farber: Madness, Heresy, and the Rumor of Angels: The Revolt Against the Mental Health System
About visions, that express disturbing views in a disturbing way, under the belief, that they have intimations of a spiritual reality. 7 true stories of individuals (between others David Oaks) insulted and injured by the psychiatric system – individuals who then fought back, broke free, and rebuilt their lifes. Preface by Thomas Szasz. Paperback, 284 pp., Chicago: Open Court Publishing Co. 1993, $ 17.95
Peter Lehmann

Heinz Faulstich: Von der Irrenfürsorge zur »Euthanasie«. Geschichte der badischen Psychiatrie bis 1945
Detailreiches und von daher sehr informatives Buch über 100 Jahre psychiatrische ›Reformen‹ und Gräueltaten, Schwerpunkt Baden, eingebettet in die überregionale Psychiatrieentwicklung. Angesprochen (und belegt mit konkreten Zahlen und Quellen) werden tödliche ›Therapien‹ und Anstaltsbedingungen während der beiden Weltkriege. Faulstich ist in psychiatrischen Denkstrukturen verfangen, als stellvertretender Leiter der Anstalt Reichenau konnte er allerdings in seiner 13jährigen Recherche viel verborgenes Material dem historischen Vergessen entreißen. Kart., 359 S., 41 Abb., Freiburg: Lambertus Verlag 1993. DM 39.–
Peter Lehmann

Giovanni A. Fava: Antidepressiva absetzen – Anleitung zum personalisierten Begleiten von Absetzproblemen
Schon seit Jahren publiziert Giovanni Andrea Fava (geb. 1952, arbeitet als Psychiater und klinischer Psychologe an der Universität Bologna) in englischsprachigen Fachzeitschriften über Toleranzbildung, Wirkungsverlust und Abhängigkeitsproblematik von Antidepressiva, speziell den Serotonin- und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern. Jetzt hat er sein Wissen über das Zustandekommen von Abhängigkeit und deren mögliche Vorbeugung in einem richtungsweisenden Buch zusammengefasst. Es ist allerdings kein Ratgeberbuch. Vielmehr liefert es die Voraussetzungen für ein personalisiertes Begleiten beim Absetzen.
Antidepressiva gehören laut Mainstreampsychiatern zur Gruppe der Medikamente, die keine Abhängigkeit erzeugen. Diese realitätsfremde Einstufung hat zur Folge, dass Personen mit Problemen beim Absetzen in der Regel weder Verständnis noch Hilfe bekommen. Hersteller müssen in ihren Informationen nicht vor dem Risiko einer körperlichen Abhängigkeit warnen, Ärztinnen und Ärzte können keine Differenzialdiagnose stellen, das heißt, sie sollen nicht zwischen Entzugssymptomen und der Rückkehr der Depression unterscheiden können. Dies bringt Patientinnen und Patienten in Gefahr, unnötig mit Antidepressiva weiterbehandelt zu werden. Außerdem wird viel zu schnell abgesetzt, wobei laut Fava auch ein langsames Absetzen Entzugsprobleme nicht völlig verhindert.
In zwölf Kapiteln erklärt Fava, wie Entzugssyndrome zustande kommen und wie man das Risiko ihres Auftretens vermindern kann. Wie sich Entzugssyndrome zeigen, die Physiologie von Entzugssyndromen zu erklären ist und das Setting für ein begleitetes Absetzen aussehen sollte. Er empfiehlt eine sogenannte Basiseinheit, bestehend aus a) einem Psychiater mit angemessenem Hintergrundwissen sowohl in Pharmakologie und Psychotherapie, b) einem Internisten, der insbesondere bei hormonellen und das Herz-Kreislauf-System betreffenden Problemen eine spezialisierte medizinische Behandlung vornehmen kann, und c) vier erfahrenen klinischen Psychotherapeuten. Alternativ zur Basiseinheit könnte ein pharmakopsychologischer Dienst tätig werden, der sich speziell mit Absetzproblemen bei Psychopharmaka befasst.
Erfahrungen mit früheren Behandlungen sollten laut Fava in die klinische Bewertung des Absetzprozesses und in pharmakologische Strategien und Optionen einfließen. Weiterhin schlägt er drei flankierende psychotherapeutische Module vor (erklärende, kognitiv-behaviorale Therapie und die von ihm selbst kreierte Well-Being-Therapie). Schließlich befasst er sich mit der Prävention von Abhängigkeitsentwicklung und Entzugssyndromen. Mit der Erklärung der Anpassungsreaktionen, das heißt der Veränderungen am Serotonin-Transmittersystem, zeigt der Autor auf, dass es die Anwender sind, die mit dem fortwährenden Verschreiben von Antidepressiva und den ständig steigenden Dosierungen oder zunehmenden Kombinationen Depressionen verschlimmern und chronifizieren. Dass eine andere Psychiatrie nötig wäre.
Ein vernunftbetontes, an den Interessen der Betroffenen ausgerichtetes Vorgehen; Psychiaterinnen und Psychiater, die die Wirkung von Arzneistoffen im Organismus verstehen; erfahrene Psychotherapeutinnen und -therapeuten; Teams mit Internistinnen und Internisten… Wir mögen den Kopf schütteln und uns fragen, ob wir all dies noch zu Lebzeiten erleben werden. Doch den Impulsfaktor dieses Buches sollte niemand unterschätzen. Millionen von Betroffenen schlucken Antidepressiva; vielleicht wachen sie ja zunehmend auf und stellen die Dauereinnahme dieser Chemikalien in Frage. Und vielleicht interessiert sich doch eine Ärztin oder ein Arzt dafür, das vor Zeiten in der Ausbildung erworbene Wissen dem weiterentwickelten Stand der Wissenschaft anzupassen. Oder gar eine Krankenkasse oder ein Politiker bzw. eine Politikerin überlegt, wieviel Geld mit kompetenter Absetzbegleitung langfristig eingespart werden könnte. Fava: "Wenn wir dieses Verfahren mit den versteckten Kosten vergleichen, die entstehen, wenn wir Behandlungen einfach in die Länge ziehen und die Probleme ignorieren, werden wir vielleicht feststellen, dass es sich auf jeden Fall lohnt."
Und zuletzt sollten wir nicht vergessen, wieviel Leid auf Seiten der Betroffenen und ihrer Familien mit einer kompetenten Absetzbegleitung vermieden werden könnte.
Rezension im Newsletter Seelische Gesundheit. Weitere Rezensionen in Seelenlaute und unter dem Titel "Antidepressiva absetzen – eine Herkulesaufgabe" in Soziale Psychiatrie. Kartoniert, 150 Seiten, ISBN 978-3-608-40149-3. Stuttgart: Schattauer Verlag 2023. € 35.–
Peter Lehmann

Giovanni A. Fava: Discontinuing antidepressant medications
Giovanni Andrea Fava has written a landmark book. The author has been a professor of clinical psychology in Bologna since 1997 and a clinical professor of psychiatry at the New York State University at Buffalo since 1999. There he established a department for depression. He has been publishing in sepcialist journals about the tolerance and dependence on antidepressants, specifically SRIs and SNRIs. Fava has finally shared his knowledge on development and prevention of dependence in a concise and organized manner. The book offers guidance on responsible prescribing of antidepressants and highlights the importance of personalized support when discontinuing them. For Fava depression is a severe illness that can have recurring episodes and be life-threatening. He argues for a rational use of antidepressants, limiting them to the most severe and persistent depressions, as they could be life-saving.
According to the revised ICD 11, antidepressants belong to the group of drugs that do not produce dependence. The consequence of this classification is that people who have problems stopping antidepressants usually do not receive understanding, help or rehabilitation services. The manufacturers do not have to warn about the risk of physical dependence in their information inserts, so doctors cannot make a differential diagnosis. Without a differential diagnosis to differentiate between withdrawal symptoms of reducing or discontinuing an antidepressant and a relapse of the presumed depressive state, patients risk being unnecessarily treated with antidepressants and getting worse prognoses for diseases with social consequences. And doctors do not have a diagnosis code with which they can settle their possible action when discontinuing with the health insurance companies. In addition, withdrawal is done far too quickly, and according to Fava, even slow tapering does not completely prevent withdrawal problems.
In twelve chapters he explains how withdrawal syndromes come about and how one can reduce the risk of their occurrence. How withdrawal syndromes manifest clinically, what the pathophysiology of withdrawal syndromes is, how the decision to discontinue should be made and what the setting for supervised discontinuation should look like: namely, a basic unit consisting of a psychiatrist with adequate background knowledge in both pharmacology and psychotherapy, an internist who can provide specialised medical treatment, especially for endocrine and cardiovascular problems, and four experienced clinical psychotherapists. As an alternative to the basic unit, a pharmacopsychology service could operate, specifically dealing with problems in withdrawal from prescribed psychotropic drugs.
He emphasises that experience with previous treatments should also be included in the clinical assessment of the withdrawal process and in pharmacological strategies and options. Furthermore, he proposes three flanking psychotherapeutic modules (explanatory, cognitive-behavioural therapy and the well-being therapy he himself created), and ends with a plea for the prevention of dependence development and withdrawal syndromes.
By explaining adaptation reactions, i.e., changes in serotonin receptors or receptor binding, Fava shows that it is the practitioners who aggravate and chronify depression with the continuing prescription of antidepressants and the ever-increasing dosages or increasing combinations. The interpretation of substance-related withdrawal problems as "discontinuation syndromes", i.e., problems to be located in those affected, only serves the interests of the pharmaceutical industry; a different psychiatry is needed.
A rational approach based on the interests of those affected; psychiatrists with a background in pharmacodynamics; experienced psychotherapists; teams with internists... Even if we may shake our heads and wonder whether we will experience all this in our lifetime, the impetus of this book should not be underestimated. Millions of sufferers swallow antidepressants; perhaps they will increasingly wake up and question the continuous use of these chemical substances. And maybe one day a doctor will be interested in adapting the now outdated knowledge acquired in training to the more advanced state of science. Or maybe a health insurance company or a politician will consider how much money – and not to forget: how much suffering on the part of those affected and their families – could be saved in the long run with competent support during withdrawal. Fava's impressive book would certainly have a big part to play in this.
Review in the Journal of Critical Psychology, Counselling and Psychotherapy (in print). Paperback, 192 pp., ISBN 978-0-19.289664-3. Oxford: Oxford University Press 2022. GPD 29.99
Peter Lehmann

Wolfgang Fehse: Der Enkel des Fabrikanten
Der Sozialpsychologe Wilfried Madellan wird zufällig Gast des Geschehens in der aus Deutschland stammenden von Lademannschen Familie, die in Südfrankreich in einem herrlichen Anwesen wohnt. Ihn macht der Autor, Sohn einer Unternehmertochter und eines im 2. Weltkrieg ums Leben gekommenen Soldaten, zum Zeugen der in Romanform dargestellten Dramen: die Steigerung des Reichtums der Familie im Faschismus durch die Ausbootung des jüdischen Gründers und Miteigentümers einer Spielzeugfabrik, durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, durch bereitwilliges Mitläufertum und durch Waffenproduktion für das Naziregime. Während die Mutter der Hauptperson, des 17jährigen Konrad, auf Verdrängung der Vergangenheit besteht, leidet Sohn Konrad psychisch unter der dunklen Vergangenheit. Er will das, das ihm sein Großvater vor seinem Tod zumindest ansatzweise offenbarte, von der Familie bestätigt haben. Dazu führt er dem Sozialpsychologen und schließlich der Restfamilie in seinem satirischen Puppentheater Akt für Akt der Familiengeschichte und deren Unterwerfung unter das Naziregime bzw. die Bereicherung durch Geschäfte mit ihm auf. So zwingt er sie zur Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte, entkommt den herbeigerufenen psychiatrischen Häschern, stiftet einen Teil seines Erbes an Sozialprojekte und befreit sich letztlich von den "Schatten der Macht", die ihn über all die Zeit verfolgten. Eine einzigartige Form der Auseinandersetzung mit einer eigenen Familiengeschichte. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 231 Seiten, ISBN 978-3-9820313-5-4. Bad Laer: Pohlmann Verlag 2019. € 17.40
Peter Lehmann

Christine Fellner: Hilf, dass ich wieder fliegen kann! Gefangen in der Psychiatrie
Gedichtsammlung, verfasst von der Schwester einer durch psychiatrische Gewalt, menschenverachtende Behandlung, Fixierung, Psychopharmaka und zwangsweise verabreichte Elektroschocks u.a. in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum München (Leitung: Peter Falkai) schwerst geschädigten Frau, durchsetzt von Wut, Schmerz, Widerstand und Anklage gegen die psychiatrischen Menschenrechtsverletzungen. Mit einer Anmerkung, in der die Autorin die verzweifelte Situation ihrer Schwester erläutert. Kartoniert, 47 Seiten, ISBN 978-3-8280-2939-2. Berlin: Frieling Verlag 2011. € 6.90. Bestellbar bei Christine Fellner, stinave55[at]gmail.com, Tel. 0151 / 15 66 71 25.
Peter Lehmann

Christine Fellner: Atmen durch die Wüste
Durch christliches Gedankengut geprägte Gedichtsammlung, mit der die Autorin in Krisen feststeckenden Menschen Hoffnung machen will. Kartoniert, 28 Seiten, ohne ISBN. Reimlingen: Verlag Mariannhill 2003. € 5.– Bestellbar bei Christine Fellner, stinave55[at]gmail.com, Tel. 0151 / 15 66 71 25
Peter Lehmann

Jörg Fengler: Helfen macht müde. Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher Deformation
Jörg Fengler, Psychologe, Gruppendynamik-Trainer und Professor an der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln, betreibt – ausgehend von 20 Jahren Helfer-Vergangenheit und dem Satz »Klienten hinterlassen Spuren an ihren Helfern« – zunächst Spurensicherung (Kapitel 1-3: Helfen, Belastung, Berufliche Deformation), um dann nicht Jagd auf die TäterInnen zu machen, sondern praxiserprobte Vorschläge zur Verhinderung und Bewältigung von »Burnout« (Kapitel 4-5 Bewältigung, Selbstbegegnung). Angenehm ist, dass ihn nicht so sehr die vielbequengelte Hilflosigkeit der Helfer interessiert, sondern mehr deren Ideale, Motive, Wünsche und Praxis. »Berufliche Deformation soll alle Schädigungen, Verformungen, Fehlentwicklungen, Abnutzungen, Verschleißerscheinungen, Erstarrungen, Fehlorientierungen, Entfremdungen, Realitäts- und Wahrheitsverluste und Verkennungen im Erleben, Verhalten und Denken bezeichnen, die im Laufe der Berufstätigkeit und durch die Berufstätigkeit bedingt auftreten.« »Das Gegenbild der beruflichen Deformation mag man vorläufig mit Frische, Lebendigkeit, Präsenz, lebendigem gegenwärtigem Bezug zu Menschen, Themen und Vorgängen bezeichnen.« Im Abschnitt »Helferverhalten« gibt es neben »Einfühlung«, »Macht«, »Parteilichkeit« u.a. eine Überschrift »Helfen durch Lassen«, wo Fengler als Grundbedingung des hilfreichen Helfens nennt: »Die unbedingte Zuneigung des Helfers, also eine Zuneigung, die nicht an Bedingungen geknüpft ist, und den Verzicht des Helfers darauf, ihn ändern zu wollen.« Solche Grundsätze könnten auch das antipsychiatrische Miteinander, als gegenseitiges Helfen, angenehmer machen. Bei der Beschreibung »›schwieriger‹ Klienten« wird's Fengler mulmig. Er will keine Schuld zuweisen, keine Kliententypologie erstellen, spricht aber dann unter »Seelisch schwer kranke Klienten« doch von »pathologisch verbogen«: »Dieses Krankhafte ist ansteckend.« Da hat mich dann die Leselust verlassen, auf Seite 71. »Helfen macht müde«, Lesen auch. Ich frage mich, ob das Lesen solcher Bücher die berufliche Deformation durch eine Anhäufung von Zu-Bedenkendem und den Verlust der Direktheit vorantreibt oder ob es sie durch das Deutlichwerden der Blinden Flecke stoppen kann. Kartoniert, 255 Seiten, München: J. Pfeiffer Verlag 1991. DM 28.–
Kerstin Kempker

Manfred M. Fichter: Magersucht und Bulimie – Mut für Betroffene, Angehörige und Freunde
Ein nicht ganz billiges Buch mit umfassenden Informationen über die drei Hauptformen von Essstörungen: Magersucht, Bulimie und Binge-Eating-Störung (Heißhungerattacken) sowie frühe Warnsignale dieser von Manfred Fichter, dem langjährigen ärztlichen Direktor und Chefarzt der Medizinisch-psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, als Krankheiten begriffenen Störungen. Die Fallbeispiele, die die Dramatik dieser potenziell lebensbedrohlichen Probleme deutlich machen, machen auch den Wert des Buches deutlich. Außer lesenswerten Kapiteln zu Mythen und Fehlinformationen über Ernährung und Essstörungen sowie über Psychotherapien und Psychotherapeuten enthält es eine Fülle von konkreten Empfehlungen für Familien, Fragebogen zur Selbstdiagnose, den Body-Mass-Index, einen Überblick über psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten (unter Einschluss der Warnung vor Zwangsmaßnahmen), eine Vielzahl hilfreicher Adressen und Informationsmöglichkeiten sowie abschließende mahnende Worte an Eltern, Kinder nicht nach dem eigenen Ebenbild formen zu wollen. Kartoniert, IX + 105 Seiten, 8 Abbildungen 4 Tabellen, ISBN 978-3-8055-8208-7. Basel usw.: Karger Verlag 2008. € 24.50
Peter Lehmann

Ingo Fietze: Über guten und schlechten Schlaf
Der Autor, Oberarzt für Innere Medizin an der Berliner Universitätsklinik Charité, hat sich mit neuesten Erkenntnissen zu allen möglichen Schlafproblemen und Maßnahmen zu deren Linderung oder Behebung beschäftigt und diskutiert diese, auch anhand von Beispielen, in seinem Buch. Als Vorsitzender der Deutschen Stiftung Schlaf und Leiter des interdisziplinären schlafmedizinischen Zentrums an der Charité hat er viel Interessantes zu berichten. Es geht um Schlafstadien, Ursachen von Schlafstörungen, Schlafwandel, Alpträume, Einnässen im Schlaf, Mittagsschlaf, pathologische Müdigkeit, Sekundenschlaf, Schichtarbeitersyndrom, Schnarchen, Schlafapnoe, Zähneknirschen und Beinbewegungen in der Nacht, Beschaffenheit von Betten, Lattenrosten, Matratzen und Kopfkissen. Und vor allem geht es um Patienten mit massiven Schlafproblemen, die hilfesuchend in sein Schlaflabor kommen. Finden sich keine äußeren oder behebbaren Ursachen und geht der Autor von einer primären chronischen Schlafstörung mit einer Dysbalance, das heißt einem Defekt im Schlaf-Wach-Zentrum aus, empfiehlt er synthetische Psychopharmaka, insbesondere Nichtbenzodiazepin-Tranquilizer (Z-Präparate: Zopiclon, Zolpidem, Zaleplon), eventuell in Kombination mit Antidepressiva. Man wisse zwar nicht, ob Z-Präparate wieder abgesetzt werden können. Aber da sie – von Ausnahmen wie alten Menschen, die unter ihrem Einfluss vermehrt stürzen können, und jungen Schlafwandlern, deren Schlafwandeln sich unter ihrem Einfluss verstärken könnte – letztlich unschädlich seien ("Mit ihnen kann man sich buchstäblich nichts antun."), könnten sie dauerhaft auch in hohen Dosen genommen werden. Lässt die Wirkung der Schlafmittel nach, könne man die Behandlung umstellen, ergänzen, kombinieren. Dass Schlafmittel nach wie vor einen miesen Ruf haben, sei ihm vollkommen unverständlich. Ob er seine Patienten über Risiken seiner Substanzen informiert, beispielsweise Infektionen des Atmungsapparats, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerz, Leberschädigung, bei Überdosierung Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma und manchmal mit tödlichem Ausgang? Weshalb er diese offiziellen Herstellerinformationen in seinem Buch verschweigt und damit Zweifel an dessen Seriosität heraufbeschwört, bleibt sein ärztliches Geheimnis. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 207 Seiten, ISBN 9-783-0369-5716-6. Zürich: Kein & Aber Verlag 2015. € 19.90
Peter Lehmann

Sera Fine: Erdlandung – Die wahre Geschichte einer Seelenreise
Belletristisches Buch eines irdischen Wesens (einer Psychiatriebetroffenen mit Pseudonym, Jg. 1969), geschrieben aus Sicht des Aliens L587, über den inneren Prozess eines seelischen Ausnahmezustands seiner Schutzbefohlenen S., über andere gegenpolare männliche und weibliche Erdlinge, über dunkel-magische psychiatrische Substanzen, die Erleichterungen schaffen sollen und alles nur schlimmer machen, und über noch mehr Mysteriöses, das L587 seiner Einsatzzentrale über die merkwürdige herrschende Normalität auf Erden melden muss. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 298 Seiten, ISBN 978-3-741-25007-1. Norderstedt: BoD - Books on Demand 2016. € 9.99
Peter Lehmann

Asmus Finzen: Medikamentenbehandlung bei psychischen Störungen
Rezension, erschienen in: Dr. med. Mabuse – Zeitschrift im Gesundheitswesen (Frankfurt am Main), 1994, Nr. 73, S. 57-58. Kartoniert, 297 Seiten. Bonn: Psychiatrieverlag, , 8., neubearbeitete Auflage 1990. DM 19.80
Peter Lehmann

Asmus Finzen / Hans-Joachim Haug / Adrienne Beck / Daniela Lüthy: Hilfe wider Willen. Zwangsmedikation im psychiatrischen Alltag
Versuch der Abwieglung einer öffentlichen Debatte über psychiatrische Gewalt (»Hilfe«) durch die ›überzeugende‹ Behauptung, Zwangsmaßnahmen seien in der Psychiatrie »nicht charakteristisch«, nur 3,7% der »Kranken« seien von Zwangs-»Medikation« betroffen. Die Aussagen, auf die sich die Autoren stützen, stammen zum Teil von Psychiatrie-Betroffenen, die sich noch auf den Stationen von Finzens Psychiatrischer Unianstalt befinden und unter Psychopharmaka-Einfluss stehen, die (nicht nur durch die Psychiateraussagen in diesem Buch) wissen: die Ablehnung von Neuroleptika gilt als Krankheitssymptom und wird entsprechend »behandelt«. Wäre es nicht angebracht, auch nur einen Gedanken an die Qualität von Aussagen zuzulassen, die innerhalb des psychiatrischen Gewaltbereichs getroffen werden? Solche blinden Flecken gibt es noch einige, und der Rest ist ein Plädoyer für Überredungsstrategien, den sichtbaren äußeren Zwang überflüssig zu machen. Fazit des Buches: »Wenn die formalen und inhaltlichen Voraussetzungen erfüllt sind – wenn eine schwere psychische Krankheit vorliegt, (...) dann gibt es u.E. nicht nur das Recht der Gesellschaft, eine solche Behandlung zu erzwingen. Dann meinen wir, dass die psychisch Kranken selbst ein Recht darauf haben, dass sie diese Hilfe auch bekommen. Wenn wir sie ihnen vorenthalten, und sei es auch im Namen der Freiheit, ist das nicht nur ein Angriff auf die Würde der Kranken. Es ist schlichte Barbarei.« Finzen hat gesprochen. Kartoniert, 176 Seiten, Bonn: Psychiatrieverlag 1993, DM 29.80
Peter Lehmann

Asmus Finzen / Harald Scherk / Stefan Weinmann: Medikamentenbehandlung bei psychischen Störungen. Leitlinien für den psychiatrischen Alltag
Im Buch ist nachzulesen, wie Ärzte sich das Zustandekommen psychiatrischer »Erkrankungen« aller Art und die Wirkungsweisen der eingesetzten Psychopharmaka erklären. Man wisse viel zu wenig über biologische »Hintergründe«, als dass man auch nur an den Versuch denken könnte, in deren Ursachengefüge mit Psychopharmaka eingreifen zu können – schreiben sie im Vorwort. Um dann aber genau die Verordnung von Psychopharmaka zu empfehlen. Diese könnten beitragen, Leiden zu lindern und Selbstheilungskräfte zu aktivieren, rechtfertigen sie die Behandlung. Dass sie aber auch zur 20-25 Jahre verminderten Lebenserwartung beitragen können, dass psychopharmakabedingte Apathisierung schwerlich Selbsthilfekräfte freisetzt, sagen sie nicht.
Wer nach Informationen über Risiken und unerwünschte Wirkungen einzelner Psychopharmaka sucht, wird in dem Buch nicht fündig. Dabei will es sich auch an die »Nutzer« wenden. Möglicherweise hat das mit Studienergebnissen zu tun, die in der Einführung genannt werden: Je mehr Informationen gesunde Studienteilnehmer zu Wirkungen und Risiken einer neuen Behandlung hatten, desto weniger verlässlich schluckten sie die Psychopharmaka, und das, obwohl deren Einnahme mit Geld honoriert wurde. Bei psychiatrischer Behandlung sei das Ergebnis ähnlich: Viele Patienten würden ihre Psychopharmaka frühestmöglich absetzen, auch mit der Begründung, sie hätten der Medikamenteneinnahme nicht aus freien Stücken zugestimmt. Ein Ideal müsse deshalb – ähnlich wie in »Umgang mit Psychopharmaka« von Greve und Kolleginnen – »shared decision making« sein, von Finzen und Kollegen übersetzt mit »gemeinsamer informierter Entscheidung«. Wie schwer tun sich Psychiater doch zu begreifen, dass die Rechtslage einzig die Entscheidung des Patienten über seine ureigenen Belange vorsieht. Darum geht es im Buch aber nicht, sondern um Compliance, Adhärenz, Behandlungstreue, sprich: Unterordnung unter das psychiatrische Regime.
Manche Passagen lesen sich angenehmer, beispielsweise wenn es zum Placebophänomen heißt: »Wenn es einem Patienten besser geht, muss das nicht unbedingt mit der verabfolgten Medikation zusammenhängen. Es kann unabhängig davon sein; ja, die Besserung kann trotz der verabreichten Medikamente eintreten.« Was die Frage des Abhängigkeitsrisikos von Antidepressiva betrifft, eiern die Autoren herum – immerhin, besser als steif und fest die Tatsache körperlicher Abhängigkeit in Abrede zu stellen, schreiben sie: »Antidepressiva machen nicht abhängig wie Suchtmittel oder Benzodiazepine.« Allerdings lassen sie die logische Folge vermissen: ... denn sie führen nicht zur Sucht, sondern bloß zur körperlichen Abhängigkeit. Ihre Unsicherheit wird erkennbar an Begriffen wie »sogenanntes Absetzsyndrom« oder »Absetz- bzw. Entzugserscheinungen«, die bei allen Antidepressiva aufträten. Körperliche Abhängigkeit von Neuroleptika ist überhaupt kein Thema im Buch, nur psychotische Reaktionen bei abruptem Absetzen. Jedoch verweisen die Autoren auf eine mit der Zeit abnehmende Wirkung von Neuroleptika. Toleranzbildung ist bekanntlich ein Faktor von Abhängigkeitsentwicklung.
Gelegentlich wird das Schema der Mainstream-Psychiatrie durchbrochen, beispielsweise durch den Hinweis, bei Neuroleptika-Therapieresistenz komme es vor, dass sich die Symptomatik unter einem Absetzversuch entscheidend verbessere. Andererseits, im Falle einer Antidepressiva-Therapieresistenz oder bei unbefriedigend wirkenden Antidepressiva-Neuroleptika-Kombinationen seien Elektroschocks – im Buch »EKT« genannt – in Erwägung zu ziehen: »Ebenso wie eine EKT als bewährte Methode bei der Behandlung einer therapieresistenten (!) Depression selbstverständlich eingesetzt wird, ist ein solcher Einsatz bei einer therapieresistenten Manie genauso unvoreingenommen wünschenswert.« Die Verantwortung für diesen Satz lehnten auf Nachfrage sowohl Stefan Weinmann als auch Asmus Finzen ab. (Von Behandlungsresistenz sprechen Psychiater, wenn zwei Antidepressiva unterschiedlicher Wirkstoffklassen nicht zur Besserung führen.)
Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 274 Seiten, ISBN 978-3-88414-585-2. Köln: Psychiatrie Verlag, Neuausgabe 2017. € 30.–
Peter Lehmann

Gottfried Fischer: Neue Wege aus dem Trauma. Erste Hilfe bei schweren seelischen Belastungen
Als "Deutschlands Traumapapst" lobt Psychologie heute Herrn Fischer, lese ich auf dem Buchumschlag. Ich schlage das Buch auf, bin auf S. 105, schnuppere mal rein, und ich denke, mich tritt ein Pferd: "Werden soziale Einrichtungen mehrheitlich von seelisch kranken Personen bestimmt, dann kehren sich die Verhältnisse um. Diktatoren, Massenmörder und Folterer haben dann das Recht auf ihrer Seite." Ich bin bedient. Dass Menschen mit psychischen Problemen undifferenziert und überhaupt mit Massenmördern in eine Reihe gestellt werden, scheint für Psychologie heute kein Grund zum Verzicht auf eine Huldigung zu sein, für den Lektor des Walter Verlags stellt diese Entgleisung offenbar auch kein Problem dar. Wenn ein Buchautor ein derartig diffamierendes Bild von Menschen mit psychischen Problemen in sich trägt, sollte er in sich gehen und das Weite suchen. Wie will er als Traumatherapeut von Psychiatriebetroffenen ernst genommen werden? Original 2003. Englische Broschur, 160 Seiten, mit CD (78 Minuten), ISBN 3-530-40176-5. Düsseldorf & Zürich: Walter Verlag, 2. Auflage 2005. € 24.90
Peter Lehmann

Kerstin Fischer: Sergejs Schatten
Romanhafte Erzählung um zwei junge Menschen, Alba und Sergej, die in ihrer Zuneigung nicht zu einander finden, da Sergei sozialisationsbedingt Probleme hat, die Nähe zu Alba aufrecht zu erhalten, was sie in die Suizidalität treibt. Mit 104 Seiten in 13.Punkt-Schrift und 6 cm Zeilenbreite allerdings maßlos überteuert. Taschenbuch, 107 Seiten, ISBN 978-3-933022-57-8. Ludwigsfelde: Ludwigsfelder Verlagshaus 2009. € 13.80
Peter Lehmann

Kerstin Fischer: Das Gewächshaus
Mit Zitaten aus Fontanes "Effi Briest" angereicherte entwicklungsromanhafte Erzählung um eine junge, studierende Magersüchtige und die Entdeckung von Liebe und Sexualität in ihrem Leben. Mit 104 Seiten in 13.Punkt-Schrift und 6 cm Zeilenbreite allerdings maßlos überteuert. Taschenbuch, 104 Seiten, ISBN 978-3-933022-45-5. Ludwigsfelde: Ludwigsfelder Verlagshaus, 2. Auflage 2007. € 13.80
Peter Lehmann

Christine Förster: Gewalt in der institutionellen Altenpflege
Die Autorin interviewte im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen, Hochschule für Sozial- und Gesundheitswesen drei Pflegekräfte, um Antworten auf die Fragen herauszufinden, welche biographischen und sozialen Konstellationen auf die Ausübung von Gewalt in der stationären Altenpflege fördern und welche Ressourcen Gewalt vermindern. Die Ergebnisse der Untersuchung des in aller Regel viel zu sehr vernachlässigten Themas der institutionellen Gewalt liefern Ansatzpunkte für soziale und personale Interventionsformen aller Beteiligter. Kartoniert, VIII + 156 Seiten, ISBN 978-3-940529-31-2. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2009. € 20.–
Peter Lehmann

Johannes M. Fox / Eckart Rüther (Hg.): Handbuch der Arzneimitteltherapie, Band 1: Psychopharmaka
Die Autoren stellen bereits in der Einleitung klar, dass ihr Buch nach der Entscheidung des Arztes ansetzt. Dass die Betroffenen in die Lage versetzt werden, eine eigene Abwägung zu treffen, ob sie Psychopharmaka einnehmen wollen, ist also nicht vorgesehen. Das Buch richtet sich an Ärzte und Psychiater. Das Thema Alternativen wird ausgeblendet. Kritik an Psychopharmaka, speziell Neuroleptika, wird zwar kurz erwähnt, aber als »Laienmeinung« abgetan, Argumente werden verschwiegen, dem Leser wird keinerlei kritische Literatur genannt – nicht gerade Zeichen eines gefestigten Standpunkts. Nur übersteigerte Erwartungen und falsche Anwendungen seien schuld, dass Psychopharmaka im Licht der Öffentlichkeit gelegentlich schlecht dastünden. Andererseits zeigt das Buch übersichtlich, unter welchen medizinischen und pharmakologischen Annahmen Psychiater ihre Psychopharmaka einsetzen, an welche positiven Auswirkungen (viele!) sie glauben und welche negativen Auswirkungen (nicht so viele!) sie sehen. Enthalten: Psychostimulanzien, Abmagerungsmittel, Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquilizer, Beruhigungsmittel, Entwöhnungsmittel, hirndurchblutungsfördernde Mittel (sogenannte antidemenzielle Arzneimittel, Nootropika). Wesentliche Gefahren aller psychiatrischen Psychopharmaka (z.B. die Prolaktinerhöhung, die mit der erhöhten Brustkrebsrate in Verbindung gebracht wird, Rezeptorenveränderungen, psychopharmakabedingte Persönlichkeitsveränderung, Abhängigkeitsentwicklung auch unter Antidepressiva und Neuroleptika) bleiben allerdings unerwähnt. Das darin begründete Fazit »nicht empfehlenswert« können auch die 117 Tabellen, die den großartigen Einsatz eines Computergrafikprogramms widerspiegeln, nicht übertünchen. Gebunden, 378 Seiten, 16 Abbildungen, Stuttgart / New York: Thieme Verlag 1998. DM 68.–
Peter Lehmann

Allen Frances: Normal – Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen
Buch zur überhandnehmenden Pathologisierung allgemein-menschlicher Verhaltensweisen und die dahinter steckenden Interessen – geschrieben von einem Insider, der als Co-Autor und Funktionär des US-amerikanischen Psychiaterverbands an der Entwicklung der psychiatrischen Diagnosefibeln "DSM 3" und "DSM 4" ("Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" / "Diagnostisches und statistisches Handbuch psychischer Störungen") maßgeblich beteiligt war. Eigentlich ist Allen Frances, emeritierter Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung, ein konservativer Psychiater, der an "Schizophrenie", die erbliche Bedingtheit psychischer "Krankheiten" etc. glaubt. Was seine Kollegen mit der neu erschienenen Fibel "DSM 5" gemacht haben, geht ihm aber zu weit. Viel zu viel psychische Probleme seien als Krankheiten neu aufgenommen worden, die Grenze zwischen natürlichem Verhalten und krankhafter Psyche verschwinde zunehmend, die Macht der Pharmaindustrie nehme beängstigend zu, die intensive Pharmawerbung in Arztpraxen und in Direktwerbung beim allgemeinen Publikum – in den USA erlaubt - führe zu einem massiven Hochschnellen der Diagnoseraten und zu entsprechenden Verkaufsziffern. (In einem Zeitungsinterview zum Buch spricht Frances davon, dass in den USA derzeit 83% aller Kinder mit einer psychiatrischen Diagnose leben.) Eingebettet in eine Übersicht über Modekrankheiten der Vergangenheit (wie Besessenheit, Tanzwut, Vampirhysterie) kritisiert er moderne Modekrankheiten wie das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, bipolare Störungen in der Kindheit (schon bei Zweijährigen) oder soziale Phobie – Verhaltensprobleme, die durch die diagnostische Festlegung als psychische Störung mit Diagnosenummer im Interesse der Pharmafirmen zu massiven Profiten auf Kosten der Allgemeinheit führen und die Betroffenen – Menschen mit normalen Problemen, aber "falscher" Diagnose – in einen Teufelskreis aus Stigmatisierung, Selbststigmatisierung und möglicherweise lebenslanger Pharmaabhängigkeit bringen. Neben der Neuaufnahme konstruierter Krankheiten sei zudem die Schwelle für einige psychische Störungen wesentlich herabgesetzt worden. Früher hätte man beispielsweise nach dem Tod eines geliebten Menschen lange trauern können, was als normal empfunden worden wäre; wer heute aber nach zwei Wochen noch traurig ist mitsamt den Trauersymptomen wie Appetitlosigkeit und schlechtem Schlaf, sei dem "DSM 5" zufolge als krankhaft depressiv zu diagnostizieren. Aus Kindern mit Wutanfällen würden bipolare Patienten, aus schussligen Alten Demenzkranke etc. Begrenzt vorhandene Gelder gingen zur Behandlung einfacher Verhaltensprobleme drauf und würden schließlich zur Behandlung "echter" Krankheiten fehlen, ein Skandal in Frances' Augen. Wer darauf wartet, dass Frances die um durchschnittlich zwei bis drei Jahrzehnte reduzierte Lebenserwartung psychiatrischer Patienten zum Thema macht, die grundsätzliche wissenschaftliche Fragwürdigkeit von psychiatrischen Standarddiagnosen wie "Schizophrenie" oder Menschenrechtsverletzungen per gewaltsamer Verabreichung von Psychopharmaka und Elektroschocks, der sollte wissen, dass dies alles nicht im Buch erscheint. Die fast 400 Seiten Abhandlung über das Manipulieren von Diagnosekriterien durch seine Kollegen sind jedoch ausgesprochen lesenswert, da von einem absoluten Insider geschrieben, der nach seiner Pensionierung nichts mehr zu verlieren hat. Zudem ist das Buch – obwohl von einem Psychiater verfasst – flüssig und auch für Menschen ohne medizinische Ausbildung leicht verständlich geschrieben. Wer den Einstieg sucht, um sich mit psychiatrischen Diagnosen kritisch auseinanderzusetzen, für den ist dieses Buch unbedingt lesenswert. Rezension im BPE-Rundbrief. Gebunden mit Schutzumschlag, 430 Seiten, Nachwort von Geert Keil. ISBN 978-3-8321-9700-1. Köln: DuMont Buchverlag 2013. € 22.–
Peter Lehmann

Luitgard Franke: Demenz in der Ehe – Über die verwirrende Gleichzeitigkeit von Ehe- und Pflegebeziehung. Eine Studie zur psychosozialen Beratung für Ehepartner von Menschen mit Demenz
Wie verträgt sich das fragile Gebilde einer bürgerlichen Ehe mit der Demenz einer Ehehälfte? Was passiert in der Ehe, wenn ein Partner dement wird? Kann eine Ehe eine solche Verschiebung der Balance überhaupt verkraften? Wenn sich eine Ehe durch die Demenz der einen Ehehälfte in etwas anderes verwandelt, was ist dann dieses neue andere? Und was passiert mit der pflegenden Ehehälfte, was macht ihr die durch den Verlust der personenbezogenen Stabilität entstandene neue innere Heimatlosigkeit erträglich? Luitgard Franke ging in ihrer Dissertation an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld in beeindruckend umfassender Weise diesen überfälligen Fragen nach, zeigt Konsequenzen für die Pflegepraxis auf und eröffnet Perspektiven für die theoretische Weiterentwicklung der psychosozialen Angehörigenberatung. Kartoniert, 454 Seiten, 21 Abbildungen, ISBN 10: 3-938304-49-9, ISBN 13: 978-3-938304-49-5. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2006. € 39.90
Peter Lehmann

Freundeskreis Paul Wulf (Hg.): Lebensunwert? Paul Wulf und Paul Brune. NS-Psychiatrie, Zwangssterilisierung und Widerstand
Sorgfältig gemachtes Buch über das Schicksal zweier in der Nazipsychiatrie Zwangssterilisierter und über ihre Anstrengungen nach der Befreiung vom Faschismus, die nachkommenden Generationen über die Verbrechen der Psychiatrie während des Hitlerfaschismus aufzuklären und um eine Entschädigung zu kämpfen. Das Buch, entstanden nach dem Tod von Paul Wulf 1999 mit der Intention, seinen Nachlass aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, spannt den Bogen von der NS-Ideologie "lebensunwerter" Existenz über die Psychiatriereform, die mit ihrem Psychopharmaka-Einsatz durchaus nicht nur positiv gesehen wird (wie dies bei vielen sich kritisch gebenden Büchern ansonsten leider allzuoft der Fall ist), bis hin zur aktuellen Renaissance der Diskussionen um Menschenzucht und Sterbehilfe. Kartoniert, 202 Seiten, 70 schwarz-weiße Abbildungen, ISBN 978-3-939045-05-2. Nettersheim: Verlag Graswurzelrevolution 2007. € 14.90
Peter Lehmann

Susanne Fricke / Iver Hand: Zwangsstörungen verstehen und bewältigen – Hilfe zur Selbsthilfe
Anleitung zur Selbsttherapie mit vielen Beispielen und praktischen Tips. Geeignet für Leute, die mit ihren Zwängen nicht mehr zurecht kommen, keine andere Möglichkeit der Abhilfe sehen und sich weder durch den etwas lehrerhaften Ton, angesiedelt zwischen Herablassung und Kumpelhaftigkeit, stören lassen noch durch die Tatsache, dass das aktuelle Forschungsprojekt der "Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen" (DGZ), dessen Gründungsvorsitzender Iver Hand ist und dessen Wissenschaftspreis 2003 Susanne Fricke erhielt, laut der im Buch angegebenen DGZ-Website aus stereotaktischer Tiefenhirnstimulation besteht, siehe Anmerkung am Ende des Rezensionstextes. Diese 2. Auflage begnügt sich mit dem Hinweis auf Selbsthilfegruppen (ausschließlich den eigenen Verband), Psychotherapie und natürlich synthetische Psychopharmaka, speziell die marktaktuellen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Diese werden trotz ihrem Risikoreichtum und der bekannten möglichen Schäden verharmlosend dargestellt ("meistens gehen die Nebenwirkungen nach ein bis zwei Wochen wieder weg"), paradoxe Reaktionen wie z.B. suizidale Wirkungen oder Rezeptorenveränderungen (Downregulation) und demzufolge körperliche Abhängigkeit, steigende Dosierungen zwecks Beibehaltung der Wirkung und Entzugsprobleme beim Absetzen werden gar nicht erwähnt – Pharmasponsering lässt grüßen. Wer sich über den Sinn und Zweck der Einnahme von Psychopharmaka informieren will, für den bzw. die wird der Hausarzt oder die Psychiaterin als einzig "richtiger Ansprechpartner" empfohlen. Die Geringschätzung des Erfahrungsschatzes von Betroffenen könnte kaum deutlicher zum Vorschein kommen. Anmerkung: Unter www.zwaenge.de/aktuelles/media/Tiefenhirnstimulation.pdf, quasi im Anhang des Buches, finden Interessierte Adressen von Ansprechpartnern der DGZ, wenn sie sich ihre Schädeldecke aufbohren und eine Stimulationselektrode in den rechten Nucleus accumbens, eine spezielle Hirnregion, einsetzen lassen wollen. Da der Neurochirurg nach der Operation den Impulsgenerator, der unterhalb des Schlüsselbeins in den Körper eingebaut wird, auf die geeignete Stimulationsintensität und -frequenz programmiert, um Zwangssymptome zu unterdrücken, wäre die Bedienung des Impulsgenerators durch den auf die Haut aufgelegten Programmierkopf ein weitergehender Schritt zur sozialpsychiatrischen Selbsthilfe. Die Betroffenen könnten auf diese (elektromagnetische) Weise die Fernsteuerung in ihrem Gehirn selbstbestimmt und gemeindenah ein- und ausschalten. Da es sich um ein aktuelles Forschungsprojekt der DGZ handelt, ist dieses Thema in der vorliegenden zweiten Auflage des Buches leider noch nicht ausgeführt, man darf also auf die nächste Auflage gespannt sein. Rezension im BPE-Rundbrief. Kartoniert, 125 Seiten, ISBN 3-88414-365-4. Bonn: Psychiatrieverlag, 2. Auflage 2005. € 12.90
Peter Lehmann

Annette M. Fried / Joachim Ph. Keller: Identität und Humor. Eine Studie über den Clown
Fried und Keller betreiben Experimentelles Animations- und Clownstheater. Buchumfang, Gewicht, Theorieteil und Belesenheitsnachweis sind wie bei anderen Dissertationen auch. Der praktische Hintergrund, viele Szenenbeispiele und die thematisierte liebenswerte Unvernunft machen es gut lesbar. Besonders fesselte mich der erste Teil zu Ursprung, Bedeutung, Ausdruck und Abgrenzung des Clowns als des ›Gegenteilers‹. »Der Gegenteiler zur abendländischen Kultur versprüht mit dem ganz und gar nicht-rationalen Lachen einen Funkenregen ekstatischer Selbstentäußerung, dessen Intensität und Animation sich die sterile, sachliche Überlegenheit der herrschenden Vernunft nicht zu bemächtigen vermag. Nichts stellt herrschende Vernunft mehr in Frage als das, was ihrer Herrschaft sich entzieht.« Kartoniert, 637 Seiten, Frankfurt/Main: Haag & Herchen 1991. DM 68.–
Kerstin Kempker

Rainer Fromm / Richard Rickelmann: Ware Patient. Woran unsere medizinische Versorgung wirklich krankt
Buch über Korruption und Vorteilsannahme unter den sogenannten Leistungserbringern im Gesundheitswesen, mit vielen sorgfältig recherchierten und belegten Beispielen. Über den Trick mit Anwendungsbeobachtungen, über Korruption von Sanitätshäusern, über Bestechungspraktiken seitens Pharmareferenten, über die Macht der Pharmaindustrie und ihre Abzocke per Hochpreispolitik, über Polypharmazie insbesondere bei alten Menschen (inkl. Neuroleptika – "chemische Gewalt" – zur personalsparenden Ruhigstellung von Heimbewohnern), über Manipulation bei Pharmastudien, über die unheilige Allianz zwischen Pharmaindustrie und Gesundheitsbürokratie, über gefährliche Nahrungsergänzungsstoffe und über nötige Gegenmaßnahmen, um das Solidarsystem der Krankenversicherung nicht völlig vor die Hunde gehen zu lassen. Kartoniert, 256 Seiten, ISBN 978-3-8218-6522-5. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 2010. € 17.95
Peter Lehmann


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