Fehler bei der Durchsetzung von Arzthaftpflichtansprüchen
 

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in: Rundbrief der GesundheitsAkademie (BRD), Sommer 1995, S. 30-34

Rechtsanwalt Dr. jur. Dipl. Ing. Wilfried Seehafer

Typische Fehler bei der gerichtlichen Durchsetzung von Arzthaftpflichtansprüchen

1. Einleitung

Wenn eine außergerichtliche Regelung der Streitigkeiten über mögliche Schadenersatzansprüche zwischen den Ärzten/Krankenhausträgern und Patienten gescheitert ist, bleibt den Patienten in vielen Fällen nur noch die Möglichkeit, die Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Der Anteil der gerichtlich geltend gemachten Ansprüche beträgt ca. 7 – 10% der gesamten Ansprüche, die von Patienten gegenüber Krankenhäusern und Ärzten geltend gemacht werden. In den folgenden Ausführungen möchte ich mich weder mit der absoluten Häufigkeit von Arzthaftungsprozessen auseinandersetzen noch mit ihren Ergebnissen, der Dauer der Verfahren oder gar mit der unterschiedlichen Zuständigkeit der Gerichte – das habe ich ausführlich im meiner kürzlich veröffentlichten Untersuchung getan –, es geht mir hier um einige typische »Fehler«, wie sie von den klagenden Patienten bzw. ihren Rechtsanwälten bei der zivilgerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen gelegentlich gemacht werden und mir bei meiner empirischen Untersuchung der Arzthaftungsprozesse am Landgericht Bremen aufgefallen sind.

Die Hauptfehler der Kläger bzw. ihrer Anwälte lassen sich in vier Gruppen unterteilen: unzureichende Aufarbeitung des Sachverhaltes; unzureichende Begründung der Aufklärungspflichtverletzung; fehlende Feststellungsklage und letztlich unzureichende Begründungen zur Höhe des materiellen und immateriellen Schadensersatzes. Mit dieser Auflistung sind bei weitem nicht alle möglichen Fehler erfasst, die bei Arzthaftungsprozessen eine Rolle spielen können: es handelt sich vielmehr um häufig vorkommende und einfach vermeidbare Fehlertypen. Deshalb ist die Erläuterung dieser Fehler als eine Checkliste für einen »erfolgreichen« Haftungsprozess zu verstehen.

Es soll hier jedoch nicht verschwiegen werden, dass der Rechtsanwalt in Arzthaftungsprozessen ein Schadensersatzbegehren des Mandanten nicht von vornherein für aussichtslos halten darf, weil der Ausgang des Haftungsprozesses regelmäßig von einer Beweisaufnahme abhängt, deren Ergebnis für den medizinischen Laien kaum abschätzbar ist; so dass die verfrühte Aufgabe des Prozesses für den Anwalt ggf. einen eigenen Haftungsprozess – aufgrund einer Vertragsverletzung – auslösen kann.

2. Unzureichende Aufarbeitung des Sachverhaltes

Um einen Behandlungsfehler oder eine Aufklärungspflichtverletzung begründen zu können, ist es für die klagende Partei notwendig, sich genaue Kenntnisse über den Ablauf der Behandlung zu verschaffen. Das bedeutet, dass folgendes rekonstruiert werden muss:

  1. Welche Behandlung wurde durchgeführt?

  2. Warum wurde diese Behandlung durchgeführt – gab es Alternativen zu dieser Behandlung?

  3. Welches Ziel wurde mit der durchgeführten Behandlung verfolgt, und welche Risiken bestanden bei der durchgeführten – bzw. nicht durchgeführten – Behandlung?

Erst nachdem sich die klagende Partei über diesen rein medizinischen Sachverhalt Klarheit verschafft hat, kann die Fehlerhaftigkeit der gewählten Behandlungsmethode begründet bzw. eine Aufklärungspflichtverletzung dargelegt werden, falls die einzelnen Risiken der Behandlung benannt werden können. Die Aufarbeitung des Sachverhaltes setzt somit medizinischen Sachverstand voraus. Der ist jedoch in der Regel bei den Patienten (Klägern) und ihren Rechtsanwälten nicht vorhanden, so dass diese wieder auf medizinische Sachverständige angewiesen sind.

Die Richter an den Gerichten, die über die medizinischen Fragen zu entscheiden haben, lösen das Problem des mangelnden medizinischen Sachverstandes durch die Einholung von Sachverständigengutachten, wenn die Klage schlüssig vorgetragen wurde.

Für die klagende Partei in einem Arzthaftungsprozess ist die »Aufklärung« des medizinischen Sachverstandes im gerichtlichen Verfahren eine sehr kostspielige Angelegenheit, weil dann, wenn der Schuldvorwurf nicht berechtigt ist bzw. nicht bewiesen werden kann, neben den Gutachterkosten die Gerichtskosten und die Kosten (Rechtsanwaltskosten etc.) der beklagten Partei von der klagenden Partei getragen werden müssen.

Sinnvoll wäre es deshalb, wenn die klagende Partei zur besseren Abschätzung des Prozessrisikos vor der Einreichung der Klage ein Sachverständigengutachten einholen würde, um so die unzureichenden medizinischen Kenntnisse auszugleichen. Bei der Einholung eines medizinischen Gutachtens zur Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses ergeben sich für den Patienten jedoch mindestens drei weitere Probleme:

  1. Es ist für die klagende Partei und ihren Rechtsanwalt nicht immer einfach, einen geeigneten Sachverständigen zu finden, wenn der Rechtsanwalt nicht über hinreichende Kontakte zu Medizinern verfügt.

  2. Wenn ein geeigneter Gutachter gefunden wird, stellt sich für den medizinischen Laien (d.h. die klagende Partei) das weitere Problem, dem Gutachter die geeigneten Fragen zu stellen, damit der prozessrelevante Sachverhalt ermittelt werden kann. Das setzt aber voraus, dass die klagewillige Partei zumindest medizinische Grundkenntnisse hat, damit dem Sachverständigen präzise Fragen vorgelegt werden können, schließlich kann ein Gutachter nur so eine präzise Antwort auf eine prozessrelevante Fragestellung liefern.

  3. Die Kosten für außergerichtliche Gutachten sind nicht unerheblich und müssen von den Patienten sofort getragen werden. Diese Situation wird auch nicht dadurch verändert, dass der klagende Patient eine Rechtsschutzversicherung oder Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat, weil weder von den Rechtsschutzversicherern noch im Rahmen der Prozesskostenhilfe die Kosten für außergerichtliche Sachverständigengutachten übernommen werden.

Die durchgeführte Unterstützung hat zwar gezeigt, dass die Arzthaftungsprozesse, die durch ein Privatgutachten vorbereitet wurden, keinen wesentlich günstigeren Ausgang für die Kläger hatten, aber gerade bei der Abwägung des Kostenrisikos halte ich die Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses durch ein fundiertes Privatgutachten für sinnvoll. Einschränkend muss aber angemerkt werden, dass m.E. in einigen Fällen die von den Klägern in den Prozess eingebrachten Privatgutachten die Bezeichnung »Gutachten« nicht verdienten, weil sie nicht zur vorprozessualen Aufklärung des streitigen Sachverhaltes beitrugen.

Die unzureichende Aufarbeitung des Streitgegenstandes führt häufig dazu, dass unsinnige Prozesse geführt werden. Einen drastischen Fall aus meiner Untersuchung möchte ich hier kurz vorstellen:

Die Klägerin verlangte vom Krankenhausträger Schadensersatz wegen einer nicht indizierten und fehlerhaft durchgeführten Magenoperation nach der Billroth-II-Methode. Zur hauptsachlichen Begründung der Klage trug sie u.a. vor, dass die Operation fehlerhaft durchgeführt worden sei, weil der Operateur 4/5 des Magens entfernt habe. Bei der Beweisaufnahme stellte sich dann heraus, dass nicht 4/5, sondern fachgerecht nur knapp 2/3 des Magens entfernt worden waren. Die Annahme, dass 4/5 des Magens entfernt worden seien, beruhte auf einer offensichtlichen Fehlinterpretation der mündlich übermittelten medizinischen Befunde durch die Klägerin. Die Klage wurde abgewiesen. Die Klägerin musste die gesamten Kosten tragen.

Dieser Fall hätte wahrscheinlich nicht durch ein Gericht entschieden werden müssen, wenn der Prozess von der Klägerin besser vorbereitet worden wäre. Anhand der Krankenunterlagen hatte sich dann nämlich klar feststellen lassen, dass das hauptsächlich beklagte fehlerhafte Verhalten der Beklagten nicht vorlegen haben konnte, weil nicht zuviel des Magens entfernt worden war. Dieses ergab sich schon – auch für medizinische Halblaien erkennbar – aus den Krankenunterlagen. Dieses Beispiel soll nur verdeutlichen, wie wichtig eine intensive Aufarbeitung des medizinischen Sachverhaltes ist. Dies ist nur unter der Hinzuziehung der Krankenunterlagen möglich.

Für die Richter stellt sich in der Regel ebenfalls das Problem, dass sie bei der Auswahl und der Befragung der Sachverständigen manchmal überfordert sein können. Deshalb hat der Bundesgerichtshof angeregt, an den Gerichten Fachkammern für Arzthaftungssachen einzurichten; dieses wurde bisher noch nicht an allen Gerichten realisiert – u.a. auch nicht am LG Bremen.

Inwieweit auch Fachanwaltsbezeichnungen – z.B. für Gesundheitsrecht – für den rechtsuchenden Patienten hilfreich sein könnten, kann hier nicht näher erörtert werden.

3. Unzureichende Begründung der Aufklärungspflichtverletzung

Die Verletzung der Aufklärungspflicht (Selbstbestimmungsaufklärung) stellt neben dem Behandlungsfehler einen weiteren Haftungsgrund im Arzthaftungsrecht dar. Eine Haftung aufgrund von Aufklärungspflichtverletzungen ist auch dann möglich, wenn die Behandlung nach den Regeln ärztlicher Kunst erfolgt ist, weil nach gefestigter in die Rechtsprechung jeder ärztliche Eingriff in die körperliche und seelische Integrität eine Körperverletzung darstellt (223 StGB, 823 BGB), die nur durch eine rechtswirksame Einwilligung gerechtfertigt werden kann. Die Rechtswirksamkeit einer Einwilligung setzt – neben der Entschlussfreiheit – voraus, dass der Patient über Wesen, Umfang, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs aufgeklärt wurde.

Die Art der Aufklärung ist an keine bestimmte Form gebunden; aus beweisrechtlichen Gründen wird sie in der schriftlich dokumentiert. Zur Dokumentation ist der behandelnde Arzt bzw. Krankenhausträger verpflichtet.
Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit ist eine umfassende Aufklärung. Deshalb muss derjenige, der sich auf diese Einwendung beruft, sie auch beweisen. Das bedeutet, dass dem Arzt die Darlegungs- und Beweislast für die Zustimmung des Patienten zur Behandlung obliegt, wenn dieser substantiiert darlegt, nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein und deshalb nicht rechtswirksam eingewilligt zu haben. Beruft sich der Arzt darauf, dass ein verständiger Patient auch nach vollständiger dem Eingriff zugestimmt hätte (sog. hypothetische Einwilligung), so trägt er hierfür die Beweislast.

Das Fehlen einer rechtswirksamen Einwilligung aufgrund unvollständiger oder unrichtiger Aufklärung führt nicht automatisch zu einer Haftung des Arztes. Der Patient muss zunächst in nachvollziehbarer Weise darlegen, dass er bei richtiger Aufklärung dem Eingriff nicht zugestimmt hätte. Er muss nach der neueren Rechtsprechung aber nicht mehr beweisen, dass sein eingetretener Gesundheitsschaden auf jenem Eingriff beruht, über den er mangelhaft aufgeklärt worden ist.

Im Rahmen der Untersuchung war festzustellen, dass in fast 50% aller Verfahren, bei denen ein Schadensersatz gefordert wurde, eine Verletzung der Selbstbestimmungsaufklärung gerügt wurde – siehe Tabelle 1; aber nur in ca. 30% der Fälle führte eine Aufklärungspflichtverletzung auch erstinstanzlich zur Verurteilung der Beklagten.

Diese Diskrepanz lässt sich nur dadurch erklären, dass in einer Vielzahl der Fälle die Aufklärungspflichtverletzung nicht hinreichend dargelegt wurde. Vielfach begnügten sich die Kläger in den untersuchten Verfahren mit einem pauschalen Hinweis, dass sie über das Risiko der Operation nicht aufgeklärt worden seien. Dies ist aber nach der ständigen Rechtsprechung nicht ausreichend (siehe oben); es muss auch dargelegt werden, dass bei Kenntnis des Risikos der Kläger dem Eingriff nicht zugestimmt hätte. Das wurde in der Mehrzahl der Fälle aber nicht getan, so dass die Rüge der Aufklärungspflichtverletzung nicht weiter berücksichtigt wurde.

Tabelle 1.
Anspruchsbegründungen bei den Verfahren gegen KHT/Ärzte im Untersuchungszeitraum 1977 bis 1987

Anspruchsbegründung
insgesamt
(%)
Einsicht in Krankenunterlagen
14
8,8
Behandlungsfehler und Aufklärungspflichtverletzung
66
41,5
Aufklärungspflichtverletzung
3
1,9
Behandlungsfehler
71
44,7
Sonstige Pflichtverletzung
5
3,1
Gesamt
159
100,0

4. Fehlende Feststellungsklage

Eine Feststellungsklage gem. § 256 Zivilprozessordnung ist nur dann zulässig, wenn die besonderen Prozessvoraussetzungen vorliegen, d. h. Streitgegenstand muss das Bestehen bzw. das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein, und es muss ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung bestehen. Bei Arzthaftungsprozessen steht i.d.R. eine zivilrechtliche Schadensersatzverpflichtung und somit ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 ZPO im Streit. Bezüglich der Schadensersatzverpflichtung besteht in tatsächlicher Hinsicht Unsicherheit über den Haftungsgrund und den Haftungsumfang einer eventuell bestehenden Schadensersatzverpflichtung. Der Feststellungsantrag ist mit seiner materiellen Rechtskraft geeignet, zumindest zukünftigem Streit bezüglich des Haftungsgrundes vorzubeugen und damit den Parteien Richtschnur für künftiges Verhalten zu sein sowie i.S. der Prozessökonomie künftige Klagen zu verhindern. Des weiteren ist die Feststellungsklage des § 256 ZPO geeignet, die Verjährungsfrist der klägerischen Ansprüche zu unterbrechen.

Die Leistungsklage, mit der der Schmerzensgeldanspruch und ggf. auch der materielle Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird, sichert noch nicht den Anspruch auf Ersatz der zukünftigen Schäden, die bei einer Körperverletzung fast immer eintreten können.

In den Fällen, in denen ein Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen geltend gemacht wird, ist die Beschränkung auf eine Leistungsklage sicherlich zweckmäßig und richtig. Eine Leistungsklage bei Schadensersatzansprüchen wegen einer Gesundheits-/Körperverletzung erscheint mir allerdings nicht ausreichend, weil hier Dauerschäden oder auch später auftretende Komplikationen möglich sind, so dass neben der Leistungsklage auch eine Feststellungsklage zur Sicherung der zukünftigen Ansprüche erhoben werden sollte.

Die Untersuchung hat ergeben, dass in ca. 32 der Fälle, in denen Schadensersatz für eine behauptete medizinischen Fehlleistung gefordert wurde, nur eine Leistungsklage erhoben wurde, und in der Mehrzahl der Fälle beschränkte sich die Forderung auf ein Schmerzensgeld. Bei näherer Betrachtung dieser Fälle wurde deutlich, dass die Anwälte mit der nach dieser Untersuchung geringeren Erfahrung in Arzthaftungsprozessen sich häufig nur auf die Leistungsklage beschränkt haben – siehe Tabelle 2.

Tabelle 2.
»Umfang« der angemeldeten Ansprüche ohne Klagen wegen Einsicht in die Krankenunterlagen

Klagearten Alle Verfahren
n = 112
Anwalt Typ I
n = 32
Anwalt Typ II
n = 49
Anwalt Typ III
n = 35
nur Leistungsklage 31,9 25,0 30,6 40,0
Leistungsklage und Feststellungsklage 68,1 75,0 69,4 60,0

5. Unzureichende Begründung des materiellen und immateriellen Schadensersatzanspruches

Die Kläger in Arzthaftungsprozessen machen in der Regel vorrangig Schmerzensgeldansprüche (immateriellen Schadensersatz) geltend, weil die materiellen Schäden häufig durch die Sozialversicherungsträger abgedeckt werden. Der materielle Schaden kann aber bei bleibenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder beim Tod des Patienten den immateriellen Schaden um ein vielfaches überschreiten.

Voraussetzung für einen Schmerzensgeldanspruch ist, dass der Schädiger der Krankenhausträger oder behandelnde Arzt nach §§ 823 ff BGB haftet, d.h. dass ein deliktischer Schadensersatzanspruch vorhanden sein muss. Bei vertraglichen Ansprüchen ist nur ein materieller Schadensersatzanspruch möglich § 253 BGB. Der Bundesgerichtshof hat im Jahre 1955 Grundsätze über das Wesen und die Kriterien für die Bemessung des Schmerzensgeldes aufgestellt, die noch heute uneingeschränkt gelten. Nach diesen Grundsätzen hat das Schmerzensgeld eine Doppelfunktion: Einmal soll es einen Ausgleich für Schäden nicht vermögensrechtlicher Art darstellen, und im übrigen soll der Geschädigte eine Genugtuung für das erfahren, was ihm vom Schädiger angetan wurde. In der Regel hat die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes in Arzthaftungsprozessen einen höheren Stellenwert als die Genugtuungsfunktion, weil ein besonderes, persönlich vorwerfbares Fehlverhalten seltener in Betracht kommt. Bei schwerem Verschulden des Schädigers ist die Genugtuungsfunktion bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Ein grober Behandlungsfehler kann somit zu einem höheren Ersatzanspruch führen.

Beim Ausgleich des immateriellen Schadens kommt es somit vorrangig auf das Maß der Lebensbeeinträchtigung an, die der Geschädigte durch den Schädiger erlitten hat. Entscheidend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind: Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen.

Im Rahmen der Untersuchung musste festgestellt werden, dass die klagenden Parteien diese einzelnen Kriterien zur Begründung des Schmerzensgeldanspruches vielfach nicht hinreichend dargelegt hatten, so dass nur ein Teil des geforderten Schmerzensgeldes zugesprochen wurde. Es ist aber auch möglich, dass die Schmerzensgeldforderungen so überzogen waren, dass es zu einer anteiligen Kostenbeteiligung der Kläger an den Gesamtkosten kam, selbst wenn die Klage dem Grunde nach berechtigt war. Bei der Auswertung der Untersuchungsergebnisse war festzustellen, dass sich bei fast 50% aller berechtigten Klagen die Kläger an den Prozesskosten beteiligen mussten (siehe Tabelle 3). Diese umfangreiche Beteiligung an den Prozesskosten hätte m.E. vermieden werden können, wenn die klagenden Parteien die bestehende Rechtsprechung zu Begründung und Höhe des Schmerzensgeldanspruches besser berücksichtigt hätten.

Bei der Geltendmachung des materiellen Schadensersatzes wurde i.d.R. substantiierter vorgetragen; nur in wenigen Fällen wurden Ansprüche geltend gemacht, die nicht im direkten Zusammenhang mit der Pflichtverletzung der beklagten Partei standen. Teilweise kamen jedoch auch hier überhöhte Forderungen vor.
[Formatierung der Tabelle demnächst.

Tabelle 3.
Klägeranteile an den Gesamtkosten der Verfahren in Prozent (130 Verfahren)

Kostenanteile in Prozent
0
1 bis 25
26 bis 50
51 bis 75
76 bis 99
100

Gesamtverfahren in % (n = 130)
26,1
10,0
9,3
3,1
3,1
48,5


Anwalt Typ 1 (mindestens 10 Verfahren während des Untersuchungszeitraumes) in % d. Verfahren (n = 40)

27,5
10,0
10,0
0,0
2,5
50,0


Anwalt Typ II (2 bis einschl. 9 Verfahren Anwalt) in % d. Verfahren (n = 52)

26,9
1,5
7,7
5,8
1,9
46,2

Anwalt Typ III (nur 1 Verfahren) in % d. Verfahren (n = 38)
26,3
7,9
10,5
0,0
5,2
50,0

6. Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein nicht unwesentlicher Anteil von Prozessen hätte vermieden werden oder zumindest das Prozessrisiko hätte gesenkt werden können, wenn die Patienten im Vorfeld des Prozesses eine qualifizierte Beratung bekommen hätten. Gleiches gilt für Kosten, die die Kläger bei im übrigen berechtigten Schadensersatzansprüchen zu tragen hatten.

Es kann somit wohl gesagt werden, dass neben den Fehlern der Ärzte, die Hauptgegenstand von Arzthaftungsprozessen sind, auch von den klägerischen Anwälten vielfach diverse Fehler begangen werden. Diese anwaltlichen Fehler fallen den Klägern (Patienten) ebenso wie die Mehrzahl der Behandlungsfehler in der Regel gar nicht auf, weil sie ebenso wie medizinische auch juristische Laien sind und auf den Rat der »Spezialisten« vertrauen.
(Langfassung des obigen Beitrags erschien in AnwBl 12/94)

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