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des Antipsychiatrieverlags
Online-Publikation vom 28. August 2001
Agnes K. Schneider
Kenn bei Trier
Achtung Augen auf!
Nach einer schweren Erkältung im Frühjahr 1995: Schlaflosigkeit,
Appetitmangel, Gewichtsabnahme, Verlust des Leistungsvermögens
so sehr, dass ich noch nicht einmal mehr Kaffee kochen
oder die Kaffeekanne heben konnte. Nach der Behandlung mit verschiedenen
Schlaftabletten ohne Erfolg überwies mich mein Hausarzt zum
Internisten. Er stellte eine Stoffwechselerkrankung fest, die
er nicht behandeln könne, und überwies mich in eine
neurologische Klinik.
Die Diagnose dort: endogene Depression, ohne vorherige Untersuchungen!
Ich bekam Tolvin (1), später Aponal (2). Die Medikamente
lähmten mich sehr und schränkten meinen Bewegungsapparat
ein, die Beine und Arme wurden schwer. Selbst meine Augen, deren
Sehvermögen seit meinem 40. Lebensjahr durch eine Netzhautblutung
beiderseits eingeschränkt war, wurde noch schlechter, ich
sah ganz verschwommen, konnte meine Angehörigen, wenn sie
mich besuchten, kaum noch erkennen. Da die Zustände auf der
Station nicht schön waren und meine Lebensfreude immer geringer
wurde, hielt ich mich an den Rat meiner Mutter und einer guten
Freundin: Sag Dir immer laut vor: "Ich will und muß
gesund werden!"
Weil mir die Klinik und das ganze Drumherum damals sehr suspekt
erschienen, war mein schnelles Gesundwerden die einzige Möglichkeit,
diesen Ort wieder verlassen zu können. Ich schaffte es dann
auch, zumindest wurde ich in ein Krankenhaus in der Nähe
meines Heimatortes verlegt. Dort gab es ebenfalls komische Arzte
Oberärzte. Man verordnete mir nun Lithium. Ich lernte
ein paar nette Mitpatienten kennen: einen Lehrer, eine Krankengymnastin
und eine Angestellte einer städtischen Behörde. Wir
halfen und ermunterten uns gegenseitig.
Meine Mutter starb am 2. Nov. 1997. Ich war damals noch nicht
fähig, mit zur Beerdigung zu gehen. Meine Schwestern besuchten
mich dann regelmäßig. Einmal sollte eine Betreuerin
mit mir zum Weihnachtsmarkt gehen. Sie meldete sich aber kurz
vor dem vereinbarten Zeitpunkt infolge anderweitiger Tätigkeit
ab. Ich stand ganz traurig da, hatte ich mich doch bereits schön
zurechtgemacht. Meine Zimmernachbarin Petra sah das und meinte:
Geh doch allein, sag dem Arzt Bescheid, Du schaffst das! Ich schaffte
es! Es war ein wunderschöner Nachmittag auf dem Weihnachtsmarkt.
Ich kam glücklich und wie mir schien gesünder
aus der Stadt zurück ins Krankenhaus.
Am Heiligen Abend holte mich eine meiner Schwestern nach Hause.
Sie hatte meine Wohnung so festlich geschmückt, dass mir
vor Freude Tränen in die Augen stiegen. E war dann auch ein
segensreiches Weihnachtsfest 1997. Am 2. Januar 1998 wurde ich
aus dem Krankenhaus entlassen wohl mit der Auflage, weiterhin
das scheußliche Lithium zu nehmen und dabei 3 Liter Flüssigkeit
zu mir zu nehmen, was ich nie schaffte und auch nicht schaffen
wollte, weil dadurch der Druck in meinen Augen noch höher
wurde und ich immer etwas verschwommen sah.
Meine Freundin Heidi, die ich 1985 in Kalifornien kennengelernt
hatte, war nach einen längeren Aufenthalt in Amerika mittlerweile
mit ihrem Mann einem Professor an der Uni Bonn wieder
nach Bonn zurückgekehrt. Sie rief mich an und lud mich zu
ihr nach Bonn ein, merkte aber während des Telefongespräches,
dass meine Stimme so anders klang. Ich sagte ihr, dass bei mir
eine endogene Depression festgestellt worden war und ich Pharmaka
nehme. Sie rief durchs Telefon: "Das ist nicht wahr! Du warst
doch immer ein lustiger, hilfsbereiter Mensch. Du warst es, die
immer alles Mögliche wußte und uns trotz Deiner Augenerkrankung
immer überall hinführte! Da liegt eine Fehldiagnose
vor!"
So war es auch. Sie riet mir zu guten Ärzten. Es wurde festgestellt,
daß mein Körper zuviel Jod produziert! Als erstes durfte
ich kein Jodsalz mehr zu mir nehmen und keinen Seefisch essen.
Beim Verzehr von Seefisch hatte ich stets einen Druck und ein
Klopfen im Hals festgestellt, hatte aber keine Ahnung, dass dies
mit einer Überjodierung zusammenhing. Ebenso ging es mir
nach dem Verzehr von verschiedenen Brotsorten. Jetzt esse ich
immer nur Brot ohne Jodsalz und es geht mir prima.
Der nächste gute Arzt, den mir meine Freundin Heidi empfahl,
war ein Frauenarzt. Dieser stellte fest, dass mein Hormonspiegel
gleich Null war. Ich konnte also in den letzten Jahren keine Kraft
mehr gehabt haben. Nach dreiwöchiger Einnahme von einer kleinen
Hormontablette (Presomen 0,3 jeden Morgen nach dem Frühstück)
ging es mir schon sehr gut, und ich konnte auf Anraten des Arztes
innerhalb von 14 Tagen alle Pharmaka absetzen. Seit 4 Jahren nehme
ich nichts mehr an Medikamenten, außer meiner kleinen Hormontablette!
Das war meine Story durch die Hölle ohne meine
Schuld! Nur weil die Ärzte aus Bequemlichkeit oder sonst
welchen Gründen nicht die richtigen Untersuchungen gemacht
hatten.
Durch die mir verordneten Pharmaka wie Aponal, Tolvin und Lithium
hatte ich furchtbare Verdauungsprobleme. Wenn ich den Ärzten
in den Kliniken sagte, dass ich 8 Tage keine Verdauung mehr hatte,
meinten sie nur, dies sei nicht tragisch, ich solle mir einfach
Abführmittel gehen lassen. Dabei weiß doch jeder Laie,
dass es nicht gut ist, wenn der Darm nicht regelmäßig
arbeitet, da kommen doch jede Menge Krankheitskeime in den Körper!
Ich habe aus der ganzen Geschichte gelernt! Viel gelernt! Gelernt,
dass man sich wehren muß. Gott sei dank gibt es heute das
Recht des Patienten dazu!
Ärzte sind keine Götter in Weiß sie sind
ebenfalls nur Menschen. Sie haben auch nie ausgelernt! Sie sollten
manchmal etwas besonnener handeln denn jeder Mensch ist
besonders und reagiert unterschiedliche auf ein Medikament! Das
macht es den Beruf des Mediziners wohl schwerer aber vielleicht
auch interessanter und verantwortungsvoller!
Augen auf Ärzte, Krankenkassen, Patienten: die erste Diagnose
muß nicht immer die richtige sein! Gründliche Untersuchungen
und Beobachtungen sind wichtig! Und meistens nicht so teuer als
lange Aufenthalte in Kliniken!
Mittlerweile bin ich mit 63 Jahren Gasthörerin in Philosophie
und Psychologie an der Universität. Vor zwei Jahren war ich
in einer Vorlesung von einem Philosophierprofessor. Er sagte damals
laut und deutlich zu seinen Studenten: Haltet Augen und Ohren
stets offen! Habt Zivilcourage und geht nicht die bequemen Wege,
wie so viele. Deckt Mißstände auf, wo ihr sie seht,
habt Mut dazu!
Ich gebe dem Sprichwort recht: Eine Krise kann immer auch eine
Chance für dich sein.
Ein chinesisches Sprichwort sagt: Willst du etwas wissen, frage
einen Erfahrenen, nicht einen Gelehrten!
Anmerkungen
- Antidepressivum, Wirkstoff Mianserin
- Antidepressivum, Wirkstoff Doxepin