Internetveröffentlichung vom 17. Mai 2019 /
Letzte Aktualisierung am 5. Januar 2021
Rechtlicher
Hinweis hinsichtlich der Gefahren von Elektroschocks
Peter
Lehmann
Aufklärungsbogen Elektroschock
(Kurz-URL:
bit.do/schock)
Wirkprinzip und Begrifflichkeit:
Der Elektroschock besteht aus der Auslösung eines epileptischen
Anfalls durch einen Stromstoß, der in der Regel zwischen 0,5 und
8 Sekunden, manchmal auch bis zu 30 Sekunden lang durch den Kopf
gejagt wird. Die Stromspannung beträgt ca. 450 Volt, die Stromstärke
ca. 0,9 Ampere. (Zum Vergleich: Bei der elektrischen Defibrillation
des Herzens zum Beispiel nach einem Herzstillstand dauert der Stromstoß
4 Millisekunden.) Stellt sich der epileptische Anfall nicht wie
gewünscht ein, erfolgt in einem Zeitabstand von 60 Sekunden ein
erneuter Stromstoß mit einer bis zu 50%-igen Steigerung der Stromdosis.
Der Strom breitet sich auf zwei Wegen aus: zum einen durch das
Gehirn, zum anderen entlang dem Gefäßbaum, der mit einem
elektrischen Leitungsnetz verglichen werden kann. Die Blutgefäße
werden von Krämpfen befallen, die Blut-Hirn-Schranke bricht
zusammen, es treten über das gesamte Gehirn verteilte Blutungen
auf, Hirnzellen können irreversibel zerstört werden. Das
ausgelöste hirnorganische Psychosyndrom geht mit Verwirrtheit,
Desorientierung, Verlust der Entscheidungsfähigkeit und von
Gedächtnispotenzialen einher, die behandelten Personen stehen
ihren ursprünglichen Problemen gleichgültiger gegenüber,
die »Therapie« gilt als erfolgreich. Tritt dieser Behandlungseffekt
nicht sofort und dauerhaft ein, verabreicht man Elektroschocks in
Serien, auch wiederholt oder regelmäßig; der ärztlich
verordnete Hirnschaden verfestigt sich. Für viele Psychiater,
unter anderem Klaus Dörner, sind diese hirnorganischen Schäden
beabsichtigt; andere, beispielsweise der US-Amerikaner Peter Breggin,
kritisieren die Schädigung:
»Wir verwandeln den seelisch leidenden vorübergehend
in einen hirnorganisch kranken Menschen, bei der EKT nur globaler,
dafür kürzer als bei der Pharmakotherapie.« (Dörner, Klaus
/ Plog, Ursula: »Irren ist menschlich oder Lehrbuch
der Psychiatrie / Psychotherapie«, völlig neubearbeitete Ausgabe,
Rehburg-Loccum: Psychiatrieverlag 1984, S. 537)
»Was wir machen ist Folgendes: Wir fügen Menschen
in seelischen Krisen eine innere Kopfverletzung zu eine innere
Kopfverletzung. (...) Bereits die Frage Verursachen Elektroschocks
Hirnschädigungen? ist eine unlautere Frage, denn wir wissen,
dass Elektroschocks eine Hirnschädigung verursachen, dass jeder
einzelne Patient, jede einzelne Patientin nach einer Elektroschockserie
ein hirnorganisches Psychosyndrom aufweist, mit Verwirrtheit, Desorientierung,
Stimmungsschwankungen, Verlust der Entscheidungsfähigkeit.«
(Breggin 1993,
S. 160f.)
Üblich sind acht bis zwölf Elektroschock-Verabreichungen
in einem Abstand von meist zwei bis drei Tagen. Möglich sind
auch 30 Elektroschocks oder mehr. Der Anteil elektrogeschockter
Frauen liegt bei 70%. Auch Menschen über 50 Jahre verabreicht
man bevorzugt Elektroschocks.
1947 pochte der Psychiater Anton von Braunmühl, im Faschismus Oberarzt
der bayrischen T4-Zwischenanstalt Eglfing-Haar, darauf, nicht mehr
vom »Schock« oder »Krampfschock« zu sprechen,
sondern vom »Heilkrampf«. Folgerichtig benutzen deutschsprachige
Anhänger des Elektroschocks heutzutage wohltuender klingende
Begriffe wie »Elektrokrampftherapie (EKT)«, »Elektrokonvulsionstherapie«,
»elektrische Durchflutungstherapie« oder »elektrische
Stimulation«. Das Wirkprinzip Auslösung eines ausgebreiteten
epileptischen Anfalls blieb unverändert. Hersteller und
Händler benutzen nach wie vor auch den eingeführten Begriff
»Elektroschock«.
Modifikationen: Seit ihrer
Anwendung in den 1930er-Jahren modifiziert man Elektroschockapparate,
Pulssequenzen, Stärke und Spannung des verwendeten Stroms ständig.
Die beiden Elektroden werden mal »bilateral« (= bitemporal)
an beiden Schläfen platziert, mal »links-anterior-rechts-temporal«
(= »unilateral«, LART), das heißt links frontal
und an der rechten Schläfe; neuerdings auch »bifrontal«,
das heißt beidseits an der Stirn. Um Knochenbrüche zu
verhindern, die bei Krampfanfällen auftreten können, werden
die Behandelten vorher in der Regel anästhetisiert; die Entäußerung
des Krampfanfalls wird mit Muskelrelaxanzien unterdrückt, der
Krampfanfall das Wirkprinzip des Elektroschocks findet
»nur noch« im Gehirn und unterbewusst statt. Mittel zur
Lähmung des Zentralnervensystems, Betäubungsmittel und
Muskelrelaxanzien geben dem Elektroschock indirekt eine noch größere
Wirkung, da die Erhöhung der Krampfschwelle wiederum eine höhere
Dosis an elektrischem Strom zur Auslösung des Krampfanfalls
nötig macht.
Bei unilateral verabreichten Elektroschocks werden die Elektroden
an der für die Sprachproduktion nichtdominanten (in der Regel) rechten
Hirnseite angesetzt. Anhänger des Elektroschocks bezeichnen
dieses Verfahren als »Goldstandard für eine möglichst nebenwirkungsarme
und effiziente Behandlung« und den betroffenen Hirnbereich
als »stumme Zone«, in der keine Funktionen des Gedächtnisses
beheimatet seien. Demzufolge sei nicht mit Gedächtnisstörungen zu
rechnen. Der Schweizer Arzt und Psychotherapeut Marc Rufer kritisierte
diese Haltung 1992 mit den Worten:
»Es ist unverantwortlich, von stummer Zone zu sprechen,
die geschockt wird bei dieser unilateralen, einseitigen Anwendung.
Es sind dort räumliche Wahrnehmungsfunktionen, visuelle Funktionen,
emotionale Funktionen. Akustisches, musikalisches Verständnis und
die ganzheitliche Wahrnehmung von Zusammenhängen finden dort statt.
Es ist ein Gebiet des Gehirns, das sehr wichtig ist für das Menschsein
als ganzes. Und es ist entsetzlich, dass das einfach hinuntergespielt
wird.«
Indikationen und Kontraindikationen:
Elektroschocks können bei diesen Diagnosen bzw. mit diesen
Begründungen verabreicht werden:
-
Psychiatrische Begründungen: Melancholie, Depression;
Schizophrenie; Wochenbettpsychose; Katatonie (»Spannungsirresein«,
einhergehend mit Störung der Motorik, die gelegentlich
von extremer Erregung zu extremer Passivität wechselt);
Manie; Zwangsstörung; Anorexie (Appetitlosigkeit bis hin
zur lebensbedrohlichen Magersucht); Suizidalität; aggressiv-agitiertes
Verhalten bei Demenz, geistiger Behinderung, frühkindlicher
Hirnschädigung oder Down-Syndrom; unbefriedigende Wirkungen
und Behandlungsresistenz von Antidepressiva, Neuroleptika und
Phasenprophylaktika; »Versagen einer Behandlung mit atypischen
Neuroleptika«; »Nichtansprechen« auf Clozapin
(Neuroleptikum, im Handel auch als Clopin, Lanolept und Leponex)
oder dessen Ablehnung; Kontraindikationen zu Neuroleptika; Augmentation
(Wirkungsverstärkung) von Psychopharmaka; Vorbeugung oder
Behandlung neuroleptikabedingter Störungen, beispielsweise
tardiver Dyskinesien (Symptomenkomplexe aus chronischen Muskelstörungen)
oder chronischer Dystonien (krankhaft gestörte Muskelspannung,
einhergehend mit anhaltenden und unwillkürlichen Kontraktionen
der Skelettmuskulatur und abnormen Haltungen und Fehlstellungen
des Körpers oder einzelner Körperteile).
-
Neurologische Diagnosen: Epilepsie und Depression nach Kohlenmonoxid-Vergiftung
oder Thalamus-Syndrom (Sensibilitäts- und Sehstörung
bei Verletzung des Thalamus) nach Hirninfarkt; drogeninduzierte
Psychose; katatone Störung bei Lupus erythematodes (Schmetterlingsflechte);
Delir bei körperlichen Erkrankungen; Alkohol- und Barbiturat-Entzug;
Verhaltensstörung nach Schädel-Hirn-Trauma; psychotische
und affektive Störung bei multipler Sklerose; Neurosyphilis;
Jakob-Creutzfeld-Erkrankung (mit Muskelstörungen und deliranten
Symptomen einhergehende Erkrankung des Zentralnervensystems
[ZNS]); Wernicke-Enzephalopathie (Stammhirn-Erkrankung unter
anderem bei chronischem Alkoholismus und der Vitaminmangel-Krankheit
Beriberi); Schädelhirntrauma; Encephalomyelitis disseminata
(entzündliche ZNS-Erkrankung); Veitstanz; multiple Sklerose;
Hirntumor; Alzheimer-Demenz; Myasthenia gravis (fortschreitende
Schwäche der quergestreiften Muskulatur); Muskeldystrophie
(fortschreitende entzündliche Muskelerkrankung mit Schwund
der rumpfnahen Muskulatur); Friedreich-Ataxie (mit fortschreitendem
Muskelschwund einhergehende Erkrankung des ZNS); Dyskinesien
(Störungen des physiologischen Bewegungsablaufs einer Körperregion,
eines Körperteils oder eines Organs); Hypokinesie (Bewegungsarmut,
verminderte Beweglichkeit oder Mangel an Spontanmotorik) mit
»on-off«-Phänomen [plötzlichem Wechsel von
guter Beweglichkeit zur Unbeweglichkeit]; Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz
(Unterfunktion des hormonaktiven Teils der Hirnanhangdrüse);
Morbus Wilson (Symptomenkomplex mit unter anderem Leber und
Gehirn betreffender Degeneration).
-
Internistische Diagnosen: Urämie (Harnvergiftung); perniziöse
Katatonie (auch »akute tödliche Katatonie«, »febrile
Katatonie« oder »maligne Katatonie« genannt
mit Fieber, Verstummen und Bewegungsarmut bis hin zur Erstarrung
einhergehendes lebensbedrohliches Krankheitsbild); malignes
neuroleptisches Syndrom (lebensbedrohlicher Symptomenkomplex
aus Fieber, Muskelsteifheit und Bewusstseinstrübung).
Absolute Kontraindikationen gibt es für Anhänger des Elektroschocks
nicht.
Risiken und Schäden: Anhänger des Elektroschocks
erklären den Elektroschock und insbesondere seine jeweils
modernste Variante in Biedermann-Manier für »sicherer
als Aspirin«, er sei »im Regelfall ausgesprochen gut verträglich«.
Gedächtnisprobleme kämen nur vorübergehend vor, wenn
überhaupt. So verharmlosen auch und insbesondere sich kritisch
gebende Reformpsychiater. Sie erwähnen weder die weltweit von
Betroffenen beklagten und intern speziell in US-amerikanischen Bedienungsanleitungen
der Herstellerfirma Somatics eingestandenen bleibenden Hirn- und
Gedächtnisschäden, noch die traumatisierenden Langzeitwirkungen
und in Suizidalität endenden Verzweiflungszustände nach
Elektroschocks, weder die hohe Zahl von Früh- und Totgeburten
elektrogeschockter Schwangerer noch die feingeweblichen, massive
Hirnzellverluste aufweisenden Befunde an Gehirnen zu Versuchszwecken
elektrogeschockter Katzen. Und schon gar nicht die Tatsache, dass
man im Gegensatz zur Psychiatrie in der Neurologie
in der Regel alles unternimmt, um epileptischen Anfällen vorzubeugen.
Die
Herstellerfirma Somatics benennt in ihrer Produktbeschreibung Schäden,
die ihre Geräte mit Elektroschocks verursachen können,
unter anderem: »verheerende kognitive (d.h. die Erkenntnis-
und Informationsverarbeitung betreffende) Folgen«,
Gedächtnisstörungen und Hirnschäden, Herzrhythmusstörungen
und Herzinfarkt, Blutdruckstörungen, Zahntraumata, allgemeine
motorische Funktionsstörungen, manische Symptome (z.B. behandlungsbedingte
Manie, posttraumatisches Delirium oder Erregung), neurologische
Symptome (z.B. Parästhesien [unangenehme, manchmal schmerzhafte
Körperempfindungen mit Kribbeln, Taubheit, Einschlafen der Glieder,
Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörungen], Dyskinesien [Störungen des
physiologischen Bewegungsablaufs einer Körperregion oder eines Körperteils],
Stürze, spontane Anfälle mit zeitlichem Abstand, anhaltende
Anfälle, nicht-konvulsiver Status epilepticus [Abfolge von epileptischen
Anfällen, zwischen denen die Betroffenen nicht zum Vorzustand zurückkehren
und die ohne eindeutige tonische-klonische, d.h. zwischen Steifheit
und krampfartigen Zuckungen wechselnde Entäußerungen einhergehen]),
Komplikationen in der Lunge (z.B. Ansaugung von Mageninhalt, Lungenentzündung,
Mangelversorgung mit Sauerstoff, Atemwegsverschlüsse wie
Laryngospasmus [krampf- und reflexartige Kontraktionen der Kehlkopfmuskulatur],
Lungenembolie, längerer Atemstillstand), Koma, Sehstörungen, Hörkomplikationen,
Verschlechterung psychiatrischer Symptome, Tötungsdelikte und
Begünstigung suizidalen Verhaltens.
Abschließend stellt die Herstellerfirma klar, welche Verantwortung
sie für den Einsatz ihres Thymatron® System IV übernimmt:
»Somatics, LLC lehnt jede Verantwortung für medizinische
Komplikationen ab, die direkt oder indirekt aus der Verwendung dieses
Produkts resultieren.«
2012 rief die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde (DGPPN) psychiatrische Einrichtungen in Deutschland,
Italien, Österreich und der Schweiz dazu auf, flächendeckend
Elektroschockapparate anzuschaffen und konsequent, vorbeugend und
kontinuierlich elektrozuschocken. Zeitgleich wurde vom deutschen
Bundesministerium für Gesundheit ein Entgeltsystem für psychiatrische
Einrichtungen initiiert, mit dem Krankenhäuser mit Elektroschocks
und deren krankenhausindividueller Abrechnung als Zusatzleistung
lukrative Mehreinnahmen erwirtschaften können. Ab Januar 2018 erhält
eine psychiatrische Klinik in Deutschland für jeden Tag eines stationären
Aufenthalts 300 €, für den ersten Elektroschock kommen 297
€ hinzu und für jeden weiteren 220 €. Sollte eine durchgehende
1:1-Betreuung nötig werden, können noch einmal 1000 € pro
Tag in Rechnung gestellt werden. Da der organisatorische und personelle
Aufwand für die Verabreichung von Elektroschocks hoch ist, lohnt
sich diese Maßnahme speziell für Einrichtungen, die zentriert
gleichsam am Fließband und in Serien Elektroschocks verabreichen.
In der »Patientenaufklärung« der Thieme Compliance
GmbH macht man den Behandlungskandidatinnen und -kandidaten weis,
bei (sogenannten) psychischen Erkrankungen verändere sich das
Nervengewebe in bestimmten Teilen des Gehirns, bei den elektroschockbedingten
Hirnveränderungen würde es sich vermutlich um eine Regeneration
des Gehirns handeln der Elektroschock gleichsam als Jungbrunnen,
und bei einer Ablehnung von Elektroschocks würden sich die
ursprünglichen Probleme verschlimmern. Manche psychiatrische
Kliniken schreiben von günstiger Beeinflussung von Hormonen
und Botenstoffen, Kontaktstellen der Nervenzellen würden vermehrt.
Einer der weltweit größten Befürworter des modernen Elektroschocks
ist Harold Sackheim, ehemaliger Leiter der Abteilung für biologische
Psychiatrie am New York State Psychiatric Institute. In seinem Artikel
»Modern
electroconvulsive therapy: Vastly improved yet greatly underused«
(»Moderne Elektrokonvulsionstherapie: Erheblich verbessert,
aber viel zu wenig eingesetzt«), veröffentlicht 2017 in
der Zeitschrift JAMA Psychiatry, sieht er im Elektroschock
einen universellen Jungbrunnen:
»Mehrere Langzeitnachfolgestudien legen nahe, dass
Patienten, die EKT erhalten, im Vergleich zu Kontrollpatienten ohne
EKT eine verringerte Sterblichkeit jedweder Ursache haben.«
Sackeims Kenntnisse kommen nicht von ungefähr. Er erhielt Honorare
von den Firmen LivaNova (Vagusnervenstimulation), MECTA Corporation
(Elektrokrampftherapie) und Neuronetics (transkranielle Magnetstimulation)
für seine Beratertätigkeit. In der Vergangenheit beriet
er auch die einschlägigen Unternehmen Brainsway, Cyberonics,
Cervel Neurotech/ NeoStim, Magstim, NeoSync und NeuroPace sowie
die Pharmaunternehmen Cambridge Neuroscience, Eli Lilly & Co.,
Forest Laboratories, Hoffmann-La Roche, Interneuron Pharmaceuticals,
Novartis International, Pfizer, Warner-Lambert und Wyeth-Ayerst
oder erhielt Forschungsunterstützung von ihnen.
Gewarnt werden allerdings die Anwender von Elektroschocks, sich
durch Berühren der geschockten Person ebenfalls einem Stromschlag
auszusetzen. FBI Medizintechnik Fred Berninger Importe OHG
aus Taufkirchen, Generalvertretung für Deutschland, Italien,
Österreich, Schweiz, Benelux und Osteuropa, warnt entsprechend
in der Bedienungsanleitung des marktführenden Elektroschockapparats
Thymatron® System IV: »Während der Defibrillation dürfen der
Patient, das Gerät und das Bett nicht berührt werden.«
Im Falle einer Verweigerung der Zustimmung zu Elektroschocks droht
deren zwangsweise Verabreichung, eventuell sogar gegen den Wortlaut
von Patientenverfügungen. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, sich
per Psychosozialer
Patientenverfügung präzise zu äußern, ob
man im Fall des Falles Elektroschocks egal welcher Variante verabreicht
bekommen möchte oder ob man dies untersagt.
Geschichte: Die frühesten
Elektroschocks sind aus dem Ägypten des 16. Jahrhunderts bekannt;
mit Zitteraalen, deren Körper mit Muskeln versehen sind, die
hohe elektrische Spannungen freisetzen können, wollte man Teufel
austreiben. Im industriellen Zeitalter wurden Zitteraale durch Apparate
ersetzt erstmals 1917, als deutsche Psychiater sogenannte
Kriegszitterer mit elektrischen Stromschlägen zur Räson
bringen und wieder kriegstauglich machen wollten. Nach einer Reihe
von Todesfällen stoppte das Berliner Kriegsministerium diese
Behandlungsmethode noch im selben Jahr. Sie lebte aber 1936 wieder
auf, als im faschistischen Italien der Psychiater und Mussolini-Anhänger
Ugo Cerletti die »heilsame Wirkung« von Elektroschocks
erkannte: in Hundeversuchen und nach Beobachtungen in einem römischen
Schlachthaus, wo man Schweine mittels Strom betäubte, um sie
ruhiger schlachten zu können. Ab 1938 setzte man diese Behandlungsmethode
in der Psychiatrie ein. Man begründete dies mit dem Glauben,
Menschen mit Epilepsie würden weniger oft schizophren.
Der deutsche Psychiater Lothar Kalinowsky mit seinen Vorerfahrungen
der Verabreichung von Stromschlägen an Kriegszitterer im 1.
Weltkrieg, der 1936 in Rom den Aktionen Cerlettis beigewohnt hatte,
nahm sein Know-how bei seiner Emigration in die USA mit, wo es auf
fruchtbaren Boden fiel. Dort war man mit dem Gebrauch von Stromapparaten
(»elektrischer Stuhl«) bestens vertraut.
Zur aktuellen Wiederkehr faschistischen Gedankenguts (Antisemitismus,
Homophobie, Rassismus, Fremdenhass etc.) passt die Wiederkehr des
während der Zeit des Faschismus aufgekommenen Elektroschocks.
Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum deutschen Faschismus und
der fortschreitenden Verrohung der Gesellschaft haben sich bei psychiatrisch
Tätigen und insbesondere mainstreamorientierten Ärztinnen
und Ärzten Zivilcourage und Festhalten am Hippokratischen Eid
(»Primum nil nocere« »Zuerst einmal nicht
schaden«) in nichts aufgelöst. Zudem stellt die Depressions-chronifizierende
Wirkung von Antidepressiva, die Psychosen-chronifizierende Wirkung
von Neuroleptika und Behandlungsresistenzen bei Antidepressiva und
Neuroleptika, das heißt, deren mit der Zeit immer geringer
werdende »therapeutische« Wirkung, psychiatrisch Tätige
vor ein Dilemma, das sie anders als mit Elektroschocks nicht mehr
lösen zu können glauben.
Alternativen: In der Zeit
nach dem Zweiten Weltkrieg galten lange Zeit die fulminant auftretende
und lebensbedrohliche maligne (perniziöse, febrile) Katatonie
(Krankheitsbild mit motorisch-muskulärer bzw. mentaler Anspannung)
als wichtigste Indikation des Elektroschocks. Aufgrund der bekannt
gewordenen Verbrechen deutscher Psychiater in der Zeit während
des Hitlerfaschismus standen hierzulande Anästhesisten Psychiatern
skeptisch gegenüber, wenn diese elektroschocken wollten. Insofern
wurde im deutschsprachigen Raum im internationalen Vergleich lange
Zeit recht zurückhaltend elektrogeschockt. Zudem kamen Patientinnen
und Patienten mit maligner Katatonie in die internistische Medizin,
wo man sie meist mit Benzodiazepinen oder anderen krampflösenden
Medikamenten behandelte. Intern gestehen Psychiater ein, dass Elektroschocks
auch bei schweren Depressionen mitnichten eine Ultima ratio darstellen,
das heißt das letzte Mittel bei Lebensgefahr. Es bestünden
immer Alternativen, zum Beispiel die Intensivierung psychotherapeutischer
Maßnahmen.
© by Peter Lehmann 2019-2021. Alle Rechte vorbehalten.
Übersetzung der englischsprachigen Zitate: Peter Lehmann.
Psychiatrische Einrichtungen mit betriebsbereiten Elektroschockapparaten
Filmempfehlung zu Elektroschocks
-
Die gefilmten Beiträge vom Symposium »Die Wiederkehr des
Elektroschocks: Legitime Therapie oder verantwortungslose Schädigung?«
von Peter Lehmann und PD Dr. med. Dr. phil. Jann E. Schlimme
mit den Mitdiskutantinnen & Mitdiskutanten Prof. Dr. med. Asmus
Finzen, Dr. med. Eva Heim, Dr. jur. Marina Langfeldt, Michael
Proctor & Astrid Krause, moderiert von Gaby Sohl, taz. die tageszeitung,
Vorveranstaltung zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft
für Soziale Psychiatrie e.V., Magdeburg, 15. November 2018,
stehen zum freien Download im Internet. Teil 1: vimeo.com/323741155,
Teil 2: vimeo.com/323745443
Literaturempfehlungen zu Elektroschocks und Alternativen
-
Frank, Leonard Roy: »Elektroschock«, in: Peter Lehmann:
»Schöne neue Psychiatrie«, Band 1: »Wie
Chemie und Strom auf Geist und Psyche wirken«, Berlin:
Antipsychiatrieverlag 1996, S. 287-319; E-Book 2018; Informationen
zum Buch unter www.antipsychiatrieverlag.de/snp1
-
Lehmann, Peter: »Wiederkehr des Elektroschocks«,
in: Peter Lehmann / Volkmar Aderhold / Marc Rufer / Josef
Zehentbauer: »Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika
Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen.
Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks«,
Berlin / Shrewsbury: Peter Lehmann Publishing 2017, S. 125-151;
E-Book
2020; Informationen zum Buch unter www.peter-lehmann-publishing.com/neue
-
Lehmann, Peter: »Alternativen zu Elektroschocks«,
in: Peter Lehmann / Volkmar Aderhold / Marc Rufer / Josef
Zehentbauer: »Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika
Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen.
Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks«,
Berlin / Shrewsbury: Peter Lehmann Publishing 2017, S. 154-155;
E-Book
2020; Informationen zum Buch unter www.peter-lehmann-publishing.com/neue
-
Lehmann, Peter: »Wirkungsweise, Risiken, Schäden und Alternativen«,
Saarburg: Selbsthilfe SeelenWorte-RLP 2020. Im Internet unter
www.peter-lehmann.de/eschock.pdf
/ (Quellen: www.peter-lehmann.de/document/eschock-modern.htm)
-
Lehmann, Peter: »Informationen zum Elektroschock«
Internet-Übersichtsseite bit.do/e-schock
-
Rufer, Marc: »Biologische Psychiatrie und Elektroschock
Für ein Verbot des Elektroschocks«, in: Widerspruch
Beiträge zur sozialistischen Politik (Zürich), 12. Jg.
(1992), Heft 23, S. 113-124; im Internet unter www.antipsychiatrieverlag.de/artikel/gesundheit/rufer_e-schock
- Somatics, LLC the Makers of the Thymatron®:
»Thymatron® System IV Cautions and Warnings«,
Venice, FL (USA), Internet-Ressource www.thymatron.com/catalog_cautions.asp
(Zugriff am 5. Januar 2021)
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